Die Zukunft vorherzusagen, ist bekanntermaßen schwierig. Das gilt umso mehr, wenn es um die ferne Zukunft geht. Dagegen lassen sich über die nahe Zukunft – also zum Beispiel das Jahr 2020 – recht zuverlässige Aussagen treffen. Mal abgesehen von dem Fall, dass ein unvorhersehbares Ereignis eintritt – schwarze Schwäne mit Gischt und Verwirbelung. (Es gab eine Zeit, in der die Zahl 2020 mal für die richtig weit in der Zukunft liegende Zukunft stand. Aber hey – heute sind das weniger als eineinhalb Jahre.)
Kurz: Kategorienfehler
In den letzten Tagen ist oft von Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts zu lesen. Das suggeriert eine in Links – Mitte – Rechts aufgeteilte Gesellschaft, mit einer Mitte, die dieses ganze Theater gar nichts angeht. Das ist aber ein krasser Kategorienfehler. 80 Prozent der Menschen in Deutschland stehen zum Grundgesetz und zu einer Werthaltung, die nicht wörtlich im Grundgesetz steht, die aber viel mit der deutschen Geschichte zu tun hat. Dazu gehört eine besondere weltpolitische Verantwortung Deutschlands, dazu gehört der Wert der Solidarität, und dazu gehört es auch, Menschen, die verfolgt werden, Schutz zu bieten. Wenn der Begriff nicht so kaputt wäre, könnte diese Werthaltung auch als Leitkultur bezeichnet werden.
Eine kleine, radikale Minderheit versucht, diesen Konsens zu zerstören. Weil diese kleine, radikale Minderheit dafür keine Mehrheiten hat, greift sie zum Baukasten der Propaganda. Sie stilisiert sich selbst als Opfer. Sie behauptet, für eine schweigende Mehrheit zu sprechen. Sie versucht, ihre Position als normal darzustellen. Sie sucht Anlässe, um ihre Ideologie medial wirksam ausbreiten zu können. Chemnitz ist nur ein Beispiel für dieses Vorgehen. Diskurse, Wahrheit, Fakten – das ist dieser kleinen, radikalen Minderheit egal. Ihr Ziel ist der Bruch mit der historischen Verantwortung Deutschlands. Wenn diese kleine, radikale Minderheit vom Systemwechsel spricht, dann greift sie damit Demokratie, Pressefreiheit und Toleranz an.
Das fiese an dieser Situation ist, dass diese Strategie des Rechtsrucks zu verfangen scheint. Der Verfassungsschutz wird seiner Aufgabe nicht gerecht. Der Opfer-Diskurs scheint für Menschen anschlußfähig zu sein, die sich selbst als Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung sehen. Medien orientieren sich an Ausgewogenheit und an Neuigkeitswerten und präsentieren die Positionen dieser kleinen, radikalen Minderheit als „die eine Seite“, der „die andere Seite“ gegenüber gesetzt werden muss. Soziale Medien katalysieren alles, was Aufmerksamkeit erregt, und hetzen damit die Stimmung an. Und manchen Propagandist*innen aus der großen Mehrheit scheint es ganz recht zu sein, mit dem rechten Feuer zu spielen, in der Hoffnung, selbst davon zu profitieren. Wir haben ein Problem. Daher mache ich mir Sorgen um den historischen Konsens in diesem Land – und hoffe, dass eine Bewegung wie #wirsindmehr einen Beitrag dazu leistet, Solidarität, Freiheit, Demokratie und Verantwortung als unsere Werthaltung zu schützen.
Kurz: Ein wenig Hoffnung …
… gibt das schon, dass es in vielen Städten spontan Seebrücke-Kundgebungen und Demos gab. Dass drei Viertel der Deutschen die Seenotrettung unterstützen. Oder dass heute über 20.000 Menschen in München gegen die Politik der CSU auf die Straße gegangen sind. Mehr davon, bitte!
Photo of the week: Seebrücke statt Seehofer IX
Am Samstag fand in Freiburg eine der bundesweiten Demonstrationen der Aktion „Seebrücke“ statt. Es waren nicht ganz 2000 Leute, für eine kurzfristig auf die Beine gestellte Demo* finde ich das ganz beachtlich. Ich hatte auch den Eindruck, dass die Zuschauer*innen am Rand der Demo durchaus Sympathien dafür hatten, keine Menschen im Mittelmeer sterben zu lassen.
* Facebook etc. haben eine positive Seite – und die besteht darin, dass in kürzester Zeit aus dem Nichts bundesweite Mobilisierungen möglich sind.
Google-Welt und/oder Wikipedia-Welt
Heute hat das Europäische Parlament mehrheitlich entschieden, die Empfehlung des Rechtsausschusses für ein europäisches Leistungsschutzrecht und Uploadfilter nicht direkt anzunehmen, sondern im September im Plenum zu behandeln und damit auch Änderungsanträge zu ermöglichen. Das passt ganz gut zu einer Unterscheidung, die mir vor ein paar Tagen einfiel, als es darum ging, sich die Zukunft der Medien im Jahr 2030 vorzustellen.
Meine These war: wir können 2030 (naja, eigentlich heute schon) entweder in einer Google-Welt oder in einer Wikipedia-Welt aufwachen. Beide Begriffe sind unscharf und erklärungsbedürftig, und statt Google-Welt könnte da auch Facebook-Welt oder Amazon-Welt oder Tencent-Welt stehen, statt Wikipedia-Welt auch Linux-Welt oder Open-Knowlegde-Welt. Unscharf sind die Begriffe, weil es faktisch nicht um zwei getrennte Welten geht, sondern unzählige Querverbindungen bestehen. Wikipedia wäre ohne Google nie zu dem geworden, was sie heute ist, vielleicht wäre auch die führende Suchmaschine weniger erfolgreich, wenn sie nicht auch auf das in der Wikipedia angesammelte Wissen zurückgreifen würde. Oder, um einen Blick auf Android zu werfen: das Google-Betriebssystem beruht zu großen Teilen auf Open-Source-Software, und andersherum fließen Entwicklungen von Google auch in die Open-Source-Welt zurück.