Nach dem Länderrat

Länderrat Mainz: das Namensschild
So, wie ver­spro­chen hier ein paar Wor­te zum Län­der­rat in Mainz am 11.03.2006. Ein paar Fotos gibt’s bei FlickR, sie­he unten. 

Wo anfan­gen? Viel­leicht bei einer grund­sätz­li­chen Ein­ord­nung, was so ein Län­der­rat nun tat­säch­lich ist. Laut Sat­zung ist er für die Beschluss­fas­sung zwi­schen den „rich­ti­gen“ Par­tei­ta­gen zustän­dig. Die­ser Län­der­rat – aber ich gehe davon aus, dass sich das recht weit­ge­hend ver­all­ge­mei­nern lässt – war jedoch weni­ger eine Mei­nungs­bil­dungs­ver­an­stal­tung als eine Prä­sen­ta­ti­ons­ver­an­stal­tung. Damit mei­ne ich, dass es denk­bar ist, Par­tei­ver­an­stal­tun­gen auf einer Ska­la ein­zu­ord­nen, an derem einen Ende rei­ne Wer­be­ver­an­stal­tun­gen ste­hen – also bei­spiels­wei­se eine Pla­kat­prä­sen­ta­ti­on für die Pres­se – und an derem ande­ren Ende rei­ne Arbeits­ver­an­stal­tun­gen ste­hen – bei­spiels­wei­se die Sit­zung einer inter­nen Arbeits­grup­pe, um ein Posi­ti­ons­pa­pier vor­zu­be­rei­ten. Par­tei­ta­ge lie­gen irgend­wo in der Mit­te, wobei es in der letz­ten Zeit – seit der rot-grü­nen Regie­rungs­pha­se – eine Ver­schie­bung hin in Rich­tung „insze­nier­te Prä­sen­ta­ti­on“ gab. Der Län­der­rat ist nun auch eher auf die­sem Ende der Ska­la anzusiedeln.

Prak­tisch äußer­te sich das dar­in, dass die Sit­zung vor allem in Rede aller wich­ti­ger Leu­te bestand (aller­dings durch­aus mit der Mög­lich­keit, sich selbst zu Wort zu mel­den). Die wich­ti­gen Leu­te sag­ten mehr oder weni­ger das­sel­be (sie­he Tages­pres­se). Es gab eini­ge weni­ge Ände­run­s­g­an­trä­ge zu den vor­lie­gen­den Anträ­gen, die wur­den aber alle in irgend­ei­ner Form über­nom­men, die Anträ­ge dann mehr oder weni­ger ein­stim­mig beschlos­sen. For­mal also durch­aus Mei­nungs­bil­dung, tat­säch­lich eher The­men­set­zung für die Öffent­lich­keit. Was ja durch­aus auch sei­nen Sinn hat, vor allem, wenn zwei Wochen spä­ter Land­tags­wah­len statt­fin­den. Für die Dele­gier­ten ist’s aber eher lang­wei­lig, so ging’s mir jedenfalls.

Beim Antrag „Digi­ta­le Gesell­schaft“ hät­te ich mich ger­ne zu Wort gemel­det. Aber ers­tens war da der Par­tei­tag nach lan­gen Reden schon fast gelau­fen, und zwei­tens gab es dazu als Debat­te nur vier vor­her aus­ge­wähl­te („gesetz­te“) Rede­bei­trä­ge. Also nichts mit Zu-Wort-Mel­den dazu. Von den Rede­bei­trä­gen war vor allem einer inter­es­sant – ein Gast vom CCC, der durch­aus deut­lich mach­te, dass in dem (spä­ter ein­stim­mig beschlos­se­nen) Antrag ziem­lich viel rich­ti­ges steht, dass aber ein gro­ßer Teil der Debat­te jen­seits des Antrags­tex­tes liegt. The­men wie Open Access, das Urhe­ber­recht, Infor­ma­ti­ons­frei­heit im Sin­ne von Akten­ein­sicht, Soft­ware­pa­ten­te oder auch eDe­mo­kra­tie kom­men lei­der nicht vor; es geht eher um das, was frü­her mit dem Wort „Daten­schutz“ bezeich­net wur­de. Auch wich­tig, aber wir haben durch­aus auch schon mal umfäng­li­cher über digi­ta­le Poli­tik diskutiert …

Fazit: vie­le wich­ti­ge Leu­te und eini­ge net­te Gesprä­che, das Gefühl, nah an der gro­ßen Poli­tik zu sein, letzt­lich aber weni­ger eine Arbeits- und Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung als eine Insze­nie­rung zum The­men­set­zen für Medi­en und Öffentlichkeit.

> FlickR-Pho­to­set

Länderrat

Ich bin jetzt ja einer der sechs Dele­gier­ten Baden-Würt­tem­bergs im Län­der­rat von Bünd­nis 90/Die Grü­nen (dem „klei­nen Par­tei­tag“). In mei­ner Bewer­bungs­re­de hat­te ich ver­spro­chen, mich dafür ein­zu­set­zen, die Län­der­rats­ar­beit trans­pa­ren­ter zu machen, als dies bis­her oft der Fall war. Der ers­te Län­der­rat, an dem ich als Dele­gier­ter teil­neh­men wer­de, fin­det am Sams­tag in Mainz statt. Auf der Tages­ord­nung steht in ers­ter Linie die Abrech­nung mit der gro­ßen Koali­ti­on („111 Tage gro­ße Koali­ti­on“). Dazu gibt es Anträ­ge (s. Link unten) zu den The­men Inte­gra­ti­on, Atom­aus­stieg, Gen­tech­nik­freie Regio­nen und Atom­kon­flikt Iran. Ein wei­te­rer recht umfang­rei­cher Antrag liegt zum The­ma „Ver­brau­cher- und Bür­ger­rech­te in der digi­ta­len Gesell­schaft stär­ken“ vor (den wer­de ich mir auf jeden Fall noch­mal genau­er anschau­en). Und dann geht es noch dar­um, ein Votum für die Kan­di­da­tur von Juan Beh­rend für den Vor­stand der euro­päi­schen grü­nen Par­tei abzu­ge­ben und Mit­glie­der in die Antrags­kom­mis­si­on der BDK zu wäh­len. Wei­te­res dann nach dem Wochenende!

> http://www.gruene-partei.de/cms/gruene_work/rubrik/7/7067.antraege.htm

Noch-Minister Clement ruft zu Denunziation auf

Noch-Minis­ter Cle­ment ruft zu Denun­zia­ti­on auf:

„Best­mög­li­che Hil­fe für alle, die sich nicht aus eige­ner Kraft hel­fen kön­nen oder eine zwei­te Chan­ce brau­chen, aber auch unnach­gie­bi­ge Kon­se­quenz gegen­über jenen „schwar­zen Scha­fen“, die sich Leis­tun­gen erschlei­chen wol­len, das gehört auch zur Gerech­tig­keit im Sozialstaat.

Wir kön­nen die Zukunft unse­res Lan­des nur meis­tern, wenn wir die Rea­li­tät unge­schminkt und ohne fal­sche Rück­sich­ten in den Blick neh­men. Sozia­le Sicher­heit und Gerech­tig­keit blei­ben unser Ziel; wir wer­den es aber nur errei­chen kön­nen, wenn wir die Hil­fe stär­ker auf die wirk­lich Bedürf­ti­gen kon­zen­trie­ren – und wenn Sie, lie­be Bür­ge­rin­nen und Bür­ger, dabei mit­wir­ken und mit­hel­fen. Ohne Anstand und Moral kann die Erneue­rung unse­res Sozi­al­staa­tes nicht gelingen.“
[Quel­le beim BMWA]

Nach­trag: die lesens­wer­te Stel­lung­nah­me des grü­nen Abge­ord­ne­ten Mar­kus Kurth zu dem oben ver­link­ten Report „Leis­tungs­miss­brauch“:

„Primitive Stimmungsmache statt Tatsachenbericht – Bericht des Arbeitsministeriums auf niedrigstem Niveau“

18.10.2005: Anlaess­lich des Reports des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums fuer Wirt­schaft und Arbeit (BMWA) ueber „Abzo­cke und Selbst­be­die­nung im Sozi­al­staat“ erklaert Mar­kus Kurth, Sozi­al­po­li­ti­scher Spre­cher der grue­nen Bundestagsfraktion:
„Der Report des Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums zielt dar­auf ab, saemt­li­che Bezie­her von Sozi­al­leis­tun­gen zu dif­fa­mie­ren. Das Minis­te­ri­um bedient sich dabei der übels­ten Metho­den der Boulevardpresse:
Ein­zel­ne zwei­fel­los vor­han­de­ne Miss­brauchs­fael­le wer­den in einem repor­ta­ge­haf­ten Stil so dar­ge­stellt, als ob sie Regel­fael­le wae­ren. Dabei wer­den Kli­schees gegen Aus­laen­der eben­so bedient wie Vor­ur­tei­le gegen allein erzie­hen­de Mütter.
Im Zei­tungs­stil erzählt der Bericht von allein erzie­hen­den Müt­tern, die ALG II bezie­hen und heim­lich mit gut ver­die­nen­den Män­nern zusam­men­le­ben. Oder von Ibra­him, dem Sän­ger aus dem Liba­non der von ALG II lebt und den­noch einen schwar­zen BMW Cabrio­let faehrt. Beson­ders skan­da­lös ist es, dass der Bericht den angeb­li­chen Fall des Liba­ne­sen mit der Ein­schät­zung abschliesst, dass Bio­lo­gen sol­che „Orga­nis­men, die zur Befrie­di­gung ihrer Nah­rungs­be­din­gun­gen auf Kos­ten ande­rer leben“, als „Para­si­ten bezeich­nen“ würden.
Hier wird das gewohn­te Niveau von Regie­rungs­be­rich­ten mas­siv unter­schrit­ten. Eine sol­che Wort­wahl aus der Bio­lo­gie ver­mu­tet man nicht von der Bun­des­re­gie­rung eines sozia­len Rechts­staa­tes. Beson­ders erschre­ckend ist, dass bewusst auf Anga­ben zu den empi­ri­schen Grund­la­gen des Berich­tes ver­zich­tet wird. Dadurch wird bewusst der Ein­druck erweckt, dass die Mehr­zahl der ALG II-Emp­faen­ger ihre Leis­tung zu Unrecht beziehen.
Teil­wei­se wer­den ein­fach Fael­le aus einer Repor­ta­ge des ZDF Maga­zins „report“ ueber­nom­men. Es wird aber nur unzu­rei­chend dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich hier­bei nicht um rea­le Miss­brauchs­fäl­le han­delt. Das Bei­spiel des Sozi­al­be­trü­gers aus dem EU-Aus­land wur­de vom ZDF initi­iert, um hie­si­ge Behör­den zu tes­ten. Im BMWA Bericht wird dar­aus aber ein gene­rel­ler Miss­brauchs­ver­dacht gegen EU-Aus­laen­der konstruiert.
Wir ver­lan­gen eine sofor­ti­ge Stel­lung­nah­me des Minis­te­ri­ums, wie es in einem Regie­rungs­be­richt zu einer unhalt­ba­ren Stim­mungs­ma­che gegen Sozi­al­leis­tungs­be­zie­her und Aus­laen­der kom­men kann. Die­ser Bericht des BMWA muss sofort aus dem Ver­kehr gezo­gen werden.“ 

Noch ein Nach­trag: Inzwi­schen greift auch der Spie­gel das The­ma auf: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,380545,00.html