Wann endet die Pandemie?

Ich habe mei­nen Fol­lo­wern auf Twit­ter zwei Fra­gen gestellt, und auch wenn die Ant­wor­ten nicht reprä­sen­ta­tiv für irgend­et­was sind, fin­de ich sie doch inter­es­sant. Die ers­te Fra­ge lau­te­te „Was habt ihr im Februar/März 2020 gedacht, wie lan­ge es uns SarsCov2 aka Covid-19 beschäf­tig­ten wird?“, die zwei­te „Und die Anschluss­fra­ge: wann wird die Coro­na-Pan­de­mie enden?“. Wie bei Twit­ter-Umfra­gen üblich, konn­te ich nur vier Ant­wort­op­tio­nen vor­ge­ben. Zum Zeit­punkt, als ich die­sen Text schrei­be, lief die Umfra­ge noch, inso­fern kann es noch klei­ne Ände­run­gen geben.

Twitter-Umfrage zu Corona, links "Was habt ihr im Februar/März 2020 gedacht, wie lange es uns SarsCov2 aka Covid-19 beschäftigten wird?", rechts "Und die Anschlussfrage: wann wird die Corona-Pandemie enden?"

Auf die ers­te Fra­ge ant­wor­te­ten dem­nach 34,5 Pro­zent, dass sie im Früh­jahr 2020 davon aus­ge­gan­gen sei­en, dass die Pan­de­mie „bis Som­mer 2020“ been­det sein wird, noch­mal 30,2 Pro­zent sagen „bis Som­mer 2021“, also nach etwas mehr als einem Jahr. Die drit­te Opti­on – „bis Som­mer 2022“ – wäh­len nur 9,5 Pro­zent, die übri­gen 25,9 Pro­zent ent­schei­den sich für die Opti­on „län­ger“. Anders gesagt: etwa zwei Drit­tel der Ant­wor­ten­den gin­gen davon aus, dass die Pan­de­mie nach eini­gen Mona­ten bis etwas mehr als einem Jahr zu Ende sein wird, ein wei­te­res Vier­tel hat­te bereits im Früh­jahr 2020 die Erwar­tung, dass das gan­ze deut­lich län­ger gehen wird. Ob hier das jet­zi­ge Wis­sen mit rein­spielt, wis­sen wir nicht.

Ich selbst wür­de mich zu den zwei Drit­teln zäh­len, die von einer über­schau­ba­ren Zeit bis zum Ende der Pan­de­mie aus­ge­gan­gen sind. Wir erin­nern uns: am Anfang ging es um ein­zel­ne Fäl­le, die nach­ver­folgt und in Qua­ran­tä­ne gesteckt wur­den, kur­ze Zeit spä­ter gab es dann schon ers­te Hin­wei­se dar­auf, dass bald Impf­stof­fe ver­füg­bar sein wür­den. Inso­fern war mei­ne Erwar­tung tat­säch­lich, dass uns die Pan­de­mie beschäf­ti­gen wird, dass sie auch eini­ges an Ände­run­gen – viel­leicht auch lang­fris­ti­gen Ände­run­gen im Ver­hal­ten – mit sich brin­gen wird. Dass wir jetzt, im Herbst 2022, gera­de dabei sind, in die nächs­te Wel­le rein­zu­rut­schen, hät­te ich nicht vermutet.

Damit sind wir bei der zwei­ten Fra­ge: wann wird die Coro­na-Pan­de­mie enden? 11,9 Pro­zent der Teil­neh­men­den sagen, die Pan­de­mie sei vor­bei. 23,7 Pro­zent haben „2023, max. 2024“ ange­klickt, gehen also von einem Ende in eini­gen Mona­ten, viel­leicht in einem Jahr aus. 35,6 Pro­zent sagen, dass wir erst 2025 ein Ende der Pan­de­mie erle­ben wer­den, und 28,8 Pro­zent haben sich für die Opti­on „nie“ entschieden. 

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Kurz: Umgangsformen

Am Wochen­en­de hat­ten wir Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Donau­eschin­gen. Unter ande­rem hielt dort unse­re Bun­des­vor­sit­zen­de Ricar­da Lang eine sehr star­ke Rede zu Putin und der Ukrai­ne, zu stei­gen­den Ener­gie­prei­sen und dem Anspruch, statt eines „Win­ters der Wut“ einen „Win­ter der Soli­da­ri­tät“ erle­ben zu wollen.

Ich habe ein biss­chen dazu get­wit­tert, Ricar­da hat einen der Tweets ret­weetet – und mir damit einen Ein­blick in das Schlamm­loch gege­ben, dass Twit­ter auch sein kann. Mei­ne Time­line zeigt das, was ich sehen will – die Tweets und Ret­weets der Leu­te, denen ich fol­ge, kei­ne Emp­feh­lun­gen, kei­ne algo­rith­misch rein­ge­schleu­der­ten Tweets. Das ist meist niveau­voll und bei allen Dif­fe­ren­zen durch einen freund­li­chen Umgang mit­ein­an­der gekenn­zeich­net. Und mei­ne eige­nen Tweets erlan­gen sel­ten eine Sicht­bar­keit, die Trol­le anlockt.

Hier war das nun anders – gegen Ricar­da gerich­te­te Belei­di­gun­gen im Dut­zend, und natür­lich Vor­wür­fe aller Art gegen grü­ne Poli­tik. Letz­te­res gehört dazu, ers­te­res fin­de ich uner­träg­lich. Und ich kann mir vor­stel­len, wie übel das bei Accounts wie dem von Ricar­da Tag für Tag aussieht. 

Twit­ter ermög­licht es inzwi­schen, ein­zu­schrän­ken, wer ant­wor­ten darf. Das habe ich dann auch gemacht – und groß­zü­gig alle geblockt, denen sicht­bar nicht an Debat­te, son­dern nur an Beschimp­fung und Hass gele­gen ist. Und das ist völ­lig legitim.

Klimapolitiken

Trotz der Extrem­wet­ter­er­eig­nis­se der letz­ten Jah­re, trotz Dür­re und Hit­ze­som­mer – und trotz der täg­lich alar­mie­ren­der wer­den­den Pro­gno­sen – war Kli­ma­po­li­tik bis­her vor allem Kampf dar­um, Kli­ma­schutz als poli­ti­sches issue dis­kur­siv zu ver­an­kern, ent­spre­chen­de Treib­haus­gas­zie­le zu ver­ein­ba­ren und – fol­low the sci­ence - zumin­dest in der Rhe­to­rik weit­ge­hend kon­sen­sua­le Maß­nah­men auf­zu­set­zen. Die poli­ti­sche Trenn­li­nie mag als so etwas beschrie­ben wer­den wie „Brau­chen wir Kli­ma­schutz – ja oder nein?“

Inzwi­schen neh­me ich Anzei­chen dafür war, dass Kli­ma­po­li­tik sich plu­ra­li­siert. Dass die Kli­ma­ka­ta­stro­phe kommt, ergibt sich schlicht durch ihre zuneh­men­de mate­ri­el­le Fak­ti­zi­tät – dass sich etwas ändert, ist nicht nur zu mes­sen, son­dern auch zu sehen, mit Hän­den zu grei­fen. Die Streit­li­nie ver­läuft damit zuneh­mend nicht mehr ent­lang des ob, son­dern ent­lang unter­schied­li­cher Schuld­zu­wei­sun­gen und Lösungs­an­sät­ze. Eini­ge davon mögen vor­ge­scho­ben sein, um wei­ter Nor­ma­li­tät zu simu­lie­ren und bloß nichts ändern zu müs­sen, wenn etwa die FDP allen Effi­zi­enz­be­rech­nun­gen zum Trotz e‑Fuel propagiert.

Trotz­dem lässt sich heu­te schon eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung der poli­ti­schen Ant­wor­ten auf den Kli­ma­wan­del beob­ach­ten. Dabei spie­len selbst­ver­ständ­lich tra­dier­te Posi­tio­nie­run­gen eine gro­ße Rol­le: Ver­trau­en in den Markt – oder der Ruf nach Sys­tem­wan­del; ein größt­mög­li­ches Maß indi­vi­du­el­ler Frei­heit für die, die es sich leis­ten kön­nen – oder der Fokus auf Umver­tei­lung und Kli­ma­ge­rech­tig­keit; groß­tech­ni­sche Lösun­gen oder Dezen­tra­li­tät; und ja, auch struk­tu­rel­le Regu­lie­rung oder, auf der ande­ren Sei­te, „Eigen­ver­ant­wor­tung“ und Ver­hal­tens­tipps. All das zeich­net sich heu­te schon ab in den pro­pa­gier­ten Ant­wor­ten auf den bis­her ste­ti­gen Anstieg der Treib­haus­gas­kon­zen­tra­ti­on in der Atmosphäre.

(Aus grü­ner, par­tei­po­li­ti­scher Sicht ist die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ein Pro­blem: je stär­ker Kli­ma­schutz und mul­ti­ple Lösun­gen für die Kli­ma­kri­se als Vor­schlä­ge unter­schied­li­cher Par­tei­en dis­ku­tiert wer­den, des­to stär­ker ent­glei­tet das „Eigen­tum“ am The­ma. Und des­to begrün­dens­wer­ter wird es, wel­che Lösung gewählt wird – es gibt kei­ne „natur­ge­ge­be­ne“, ein­zig rich­ti­ge Lösung, son­dern die­se fin­det sich erst im poli­ti­schen Streit. Heu­te lässt sich das Ansatz­wei­se schon bei den Fra­gen Atom­kraft und Gen­tech­nik zei­gen. Und mit Blick auf die mate­ri­el­le Fak­ti­zi­tät der Kli­ma­kri­se ist die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ambi­va­lent: es ist gut, wenn Einig­keit über das Pro­blem besteht; wenn jedoch Lösun­gen poli­tisch aus­ge­han­delt wer­den müs­sen, kos­tet das Zeit und senkt die Wahr­schein­lich­keit, dass irgend­ei­ner die­ser Wege beschrit­ten wird.)

In die Zukunft fort­ge­schrie­ben, hal­te ich es für plau­si­bel, dass die­ser Streit um rich­ti­ge Ant­wor­ten noch deut­lich schär­fer wer­den wird.

Bis­her – und die­se Aus­dif­fe­ren­zie­rung ist nicht neu, son­dern reicht bis in die 1980er und 1990er zurück – han­delt es sich abzüg­lich rein rhe­to­ri­scher Zuge­ständ­nis­se im Kern oft noch um einen Streit inner­halb einer vage zu umrei­ßen­den Kli­ma­be­we­gung, mit einer eher real­po­li­tisch ori­en­tier­ten öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung auf der einen Sei­te und sys­tem chan­ge statt cli­ma­te chan­ge, also der Nutz­bar­ma­chung des Kli­mathe­mas für grö­ße­re gesell­schaft­li­che Wan­del­uto­pien, auf der ande­ren Sei­te. Das ist wie gesagt nicht neu, son­dern eine seit Jahr­zehn­ten ein­ge­üb­te, mit Fri­days for Future noch ein­mal neu moti­vier­te Arbeits­tei­lung bei rela­ti­ver Einig­keit über den poli­ti­schen Kern.

Die Debat­ten um Extinc­tion Rebel­li­on vor eini­gen Jah­ren oder jetzt um den Kle­be-Akti­vis­mus der Letz­ten Gene­ra­ti­on ste­hen damit in einer Tra­di­ti­ons­li­nie der Aus­ein­an­der­set­zung um Rea­lis­mus und Radi­ka­li­tät in der öko­lo­gi­schen Bewegung.

(Die, aber das wäre ein ande­res The­ma, ers­tens nie deckungs­gleich, wohl aber über­lap­pend mit par­tei­grü­nen Debat­ten war, und die zwei­tens mög­li­cher­wei­se gera­de im Brenn­glas der Bewer­tung der Coro­na­po­li­tik (und jetzt der frie­dens­be­weg­ten Igno­ranz ange­sichts des rus­si­schen Angriffs­kriegs) aus­ein­an­der läuft: ist das noch eine geteil­te Lebens­welt, wenn Mas­ken­tra­gen und Imp­fen plötz­lich heiß umstrit­ten sind?)

Neu ist heu­te, dass der Streit um die kli­ma­po­li­tisch rich­ti­ge Lösung zuneh­mend kein Streit inner­halb einer lose umris­se­nen Bewe­gung und kein Inner­wis­sen­schafts­dis­kurs ist, son­dern in gesell­schaft­li­cher Brei­te geführt wird, kata­ly­siert in Parteipositionen.

Aus einer Linie der Kli­ma­wan­del­leug­nung und der Die­sel­po­li­tik könn­te so bei der AfD (oder bei ent­spre­chend rechts posi­tio­nier­ten Tei­len von CDU und FDP) eine hart klimana­tio­na­lis­ti­sche und kli­ma­ras­sis­ti­sche Poli­tik ent­ste­hen: wir zuerst, der glo­ba­le Süden darf Kom­pen­sa­ti­on lie­fern, viel­leicht auch „sau­be­ren“ Strom und grü­nen Was­ser­stoff, ansons­ten vor allem: Gren­zen dicht und wegsehen!

Groß­tech­ni­sche Lösun­gen – Atom­kraft, Kern­fu­si­on, Geo-Engi­nee­ring – pas­sen, als „Inno­va­ti­on“ und „Tech­no­lo­gie­of­fen­heit“ gerahmt, gut ins Port­fo­lio der FDP und markt­li­be­ra­ler Strö­mun­gen ande­rer Par­tei­en. Wäh­rend der Fokus der­zeit noch auf Was­se­stoff und E‑Fuels liegt, gehört nicht viel Phan­ta­sie dazu, sich vor­zu­stel­len, dass mit zuneh­mend dra­ma­tisch wer­den­der Erd­er­wär­mung der Ruf nach gro­ßen tech­ni­schen Lösun­gen wie Son­nen­se­geln im Welt­raum zur Ver­schat­tung lau­ter wer­den wird. (Ideo­lo­gisch passt dann so etwas wie Long­ter­mism wun­der­bar dazu.)

Noch etwas wei­ter gedacht: mit etwas Fata­lis­mus lässt sich beim Blick auf die Kur­ve der Treib­haus­gas­kon­zen­tra­ti­on und der kaum dämp­fen­den Wir­kung der bis­her ergrif­fe­nen Maß­nah­men dar­über spe­ku­lie­ren, dass Kli­ma­wan­del­an­pas­sung zum Kern eines poli­ti­schen Pro­gramms wer­den könn­te. Damit mei­ne ich weder die Schwamm­stadt noch Rück­hal­te­be­cken, eher schon den Bau von See­wäl­len und Däm­men – und beim Blick auf 3 oder 4 Grad Erhit­zung könn­ten dar­aus auch aut­ar­ke, von der Umwelt abge­schlos­se­ne Arko­lo­gien oder unter­ir­di­sche Städ­te wer­den. Das klingt noch sehr weit her­ge­holt – es dürf­te dann plau­si­bler wer­den, wenn ers­te Städ­te auf­ge­ge­ben oder ers­te Gebie­te als unbe­wohn­bar erklärt werden.

Zusam­men­ge­fasst: Kli­ma­po­li­tik rückt zuneh­mend und not­wen­di­ger­wei­se ins Zen­trum. Poli­ti­sche Lösun­gen gewin­nen an Dring­lich­keit. Gleich­zei­tig wird offe­ner und stär­ker zum Gegen­stand dis­kur­si­ver und poli­ti­scher Aus­hand­lung, was rich­ti­ge Lösun­gen sind. Zu Ende gedacht kann das zu einem Aus­dif­fe­ren­zie­rungs­mo­ment des Par­tei­en­spek­trums werden.

Eine kleine Bilanz zum Neun-Euro-Ticket

Waiting for No. 5 - II

Über­mor­gen enden dann die drei Mona­te des Groß­ver­suchs Neun-Euro-Ticket. Lei­der wur­de vor­her nicht klar defi­niert, was den Erfolg die­ses Ver­suchs aus­macht – inso­fern ist jetzt sehr inter­pre­ta­ti­ons­of­fen, ob das Ticket die damit ver­bun­de­nen Zie­le erreicht hat oder nicht. Ver­kauft wur­de es wohl mehr als 50 Mil­lio­nen Mal. Klar ist: Es wur­den Treib­haus­ga­se ein­ge­spart – es heißt, etwa so viel wie durch ein Tem­po­li­mit 130 im Jahr erreicht wür­de. Abonnent*innen von Monats- und Jah­res­kar­ten wur­den sehr deut­lich ent­las­tet. Und Men­schen, die auf jeden Euro gucken müs­sen, hat­ten die Mög­lich­keit, tou­ris­ti­sche und Frei­zeit­fahr­ten zu unter­neh­men – also ein Bei­trag zur Teilhabe. 

Gleich­zei­tig dürf­te das Neun-Euro-Ticket, da ja, wenn ich das rich­tig in Erin­ne­rung habe, eine bei Nacht und Nebel gebo­re­ne Idee war, um dem FDP-Tan­kra­batt etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, so etwas wie ein Stress­test für den öffent­li­chen Nah­ver­kehr dar­ge­stellt haben. Und ein Vor­griff auf die Uto­pie eines ticket­lo­sen, per Umlage/Steuermittel finan­zier­ten Ver­kehrs. Dabei zeig­te sich dann, das Bus­se und Bah­nen bis­her nicht dar­auf ein­ge­stellt sind, dass deut­lich mehr Men­schen als heu­te sie nut­zen. Und dass die Kom­bi­na­ti­on aus coro­nabe­ding­tem Fach­kräf­te­man­gel und zusätz­li­chen Nutzer*innen nicht unbe­dingt ide­al ist. Wer den ÖPNV attrak­ti­ver machen will, muss ver­mut­lich an bei­den Schrau­ben dre­hen: am Preis und am Ange­bot. Und das wird dann schnell rich­tig teuer.

Das Gefühl, ein­fach ein­stei­gen zu kön­nen, egal wo – ohne sich mit kom­pli­zier­ten Waben­struk­tu­ren, Kurz­stre­cken­ta­ri­fen und Tages­grup­pen­kar­ten her­um­schla­gen zu müs­sen – ist ein gutes Gefühl. Mit der Bahn­card 100, die ich mir leis­te und leis­ten kann, habe ich die­ses Gefühl auch jetzt schon; sie ent­hält qua­si den City-Bereich, der auch bei ande­ren DB-Fahr­kar­ten dabei ist. Das sind nicht alle Nah­ver­kehrs­ver­bin­dun­gen, was manch­mal zu Rät­sel­ra­ten führt, aber meist las­sen sich Bus­se und Bah­nen damit nut­zen. Trotz Bahn­card 100 habe ich mir für zwei Mona­te noch ein Neun-Euro-Ticket gekauft – das eine, weil ich die Bahn­card nicht dabei hat­te, das ande­re, um die Lücke zwi­schen der vor­he­ri­gen und der nächs­ten Bahn­card zu fül­len. Bei die­sem Preis ist so etwas sehr unpro­ble­ma­tisch und spon­tan mög­lich. Das sieht bei einem höhe­ren (und finan­zie­rungs­tech­nisch ver­mut­lich lei­der rea­lis­ti­sche­ren) Preis wie 49 Euro anders aus.

Zudem habe ich mich gefreut, dass auch die Schü­ler­abos der Kin­der als Neun-Euro-Ticket deutsch­land­weit gegol­ten haben. Wir haben das zwar nicht inten­siv genutzt, aber bei den Gele­gen­hei­ten, wo wir in ande­ren Städ­ten waren, war das gut, ein­fach ein­stei­gen zu kön­nen. Es geht auch ohne Tarif­zo­nen und ohne kom­pli­zier­tes Ver­bund­sys­tem – und das fühlt sich nach einer deut­li­chen Erleich­te­rung an. 

Es gibt jetzt in der Ampel ver­schie­de­ne Ideen, wie es mit dem Neun-Euro-Ticket wei­ter­ge­hen soll. Die SPD schlägt ein 49-Euro-Ticket vor, die Grü­nen haben mal ein gestaf­fel­tes Sys­tem ins Spiel gebracht, bei dem es güns­ti­ge Bundeslandtickets/Regionaltickets und ein etwas teu­re­res Deutsch­land­ti­cket gibt. Es wäre jeden­falls gut, hier eine Lösung zu fin­den – und vor­her zu über­le­gen, wel­ches Pro­blem gelöst wer­den soll: Soll der ÖPNV attrak­ti­ver und güns­ti­ger wer­den, geht es um Kli­ma­schutz? Sol­len mehr Men­schen zum umstei­gen moti­viert wer­den? Oder steht die Ent­las­tung von ÖPNV-Pendler*innen im Vor­der­grund? Oder geht es um sozia­le Teilhabe? 

Das sind alles Fra­gen, deren Ant­wor­ten zu unter­schied­li­chen Model­len füh­ren. Alles gleich­zei­tig wird nicht funk­tio­nie­ren – erst recht nicht im kom­pli­zier­ten Geflecht aus Bund, Län­dern, Ver­kehrs­ver­bün­den und Kom­mu­nen. Die soll­ten von vor­ne­her­ein mit am Tisch sit­zen, statt dass der Bund Län­dern und Ver­bün­den etwas über­stülpt, aber dann Kofi­nan­zie­run­gen ver­langt – gleich­zei­tig wäre es blöd, wenn das Zustän­dig­keits­ge­flecht dazu führt, dass es kei­ne Lösung gibt. 

Alles nicht ein­fach. Die Ampel kann also zei­gen, was sie kann – ich bin gespannt. 

Inter­es­sant ist auch, was mit den bestehen­den Vor­ha­ben der Län­der pas­sie­ren wird. Bei­spiels­wei­se ist in Baden-Würt­tem­berg als ein Leucht­turm­pro­jekt der grün-schwar­zen Koali­ti­on ein 365-Euro-Jugend­ti­cket (also 30 Euro pro Monat) geplant, das lan­des­weit gilt und nach lang­wie­ri­gen Vor­be­rei­tun­gen und Ver­hand­lun­gen zwi­schen Land und Ver­bün­den für März 2023 in den Start­lö­chern steht. Oder, im klei­ne­ren Maß­stab: an Unis wird häu­fig hef­tig über Semes­ter­ti­ckets gestrit­ten – auch der­ar­ti­ge Model­le wür­den, genau­so wie loka­le Monats­kar­ten wie die Regio­kar­te des RVF, übri­gens his­to­risch mit Ein­füh­rung 1991 eine der ers­ten „Umwelt­kar­ten“, dann obsolet.

Generationengraben

Gene­ra­tio­nen sind ja eine sozio­lo­gisch eher frag­wür­di­ge Grup­pen­bil­dung – längst nicht alle Men­schen (in einem Land) mit in etwa den sel­ben Geburts­jahr­gän­gen tei­len die sel­ben Wer­te und Ein­stel­lun­gen oder leben unter den sel­ben Bedin­gun­gen. Inso­fern sind Ein­tei­lun­gen wie „Boo­mer“, „Gene­ra­ti­on X“, „Gene­ra­ti­on Y“ oder „Gene­ra­ti­on Z“ mit Vor­sicht zu genie­ßen. Trotz­dem gibt es so etwas wie vor­herr­schen­de poli­ti­sche Stim­mun­gen, pop­kul­tu­rel­le und dis­kur­si­ve The­men, die genau­so wie Ereig­nis­se (Mau­er­bau, Mau­er­fall, 9/11, Coro­na, …) und Ände­run­gen der Lebens­be­din­gun­gen (ver­füg­ba­res Ein­kom­men, erleb­te Infra­struk­tur, …) in der Ado­les­zenz eine gemein­sa­me Prä­gung über ande­re sozio­de­mo­gra­fi­sche Merk­ma­le (Geschlecht, Klas­se, Schicht, Eth­ni­zi­tät, …) plau­si­bel erschei­nen las­sen. Soll hei­ßen: auch wenn die Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten Gene­ra­ti­on wenig über eine ein­zel­ne Per­son aus­sagt, scheint es doch nicht ganz unsin­nig zu sein, über Gene­ra­tio­nen im Plu­ral zu spre­chen, um Ver­än­de­run­gen der Lebens­be­din­gun­gen (in einem Land) abzubilden.

Mit dem Geburts­jahr­gang 1975 (den ich plus minus ein paar Jah­re mit vie­len Men­schen tei­le, die jetzt beruf­lich und fami­li­är „ange­kom­men“ sind), wäre ich dem­nach ein Mit­glied der „Gene­ra­ti­on X“ (1965–1980), eine Bezeich­nung, die mit Dou­glas Cou­p­lands gleich­na­mi­gem Buch popu­lär gewor­den ist – oder nach Flo­ri­an Illies für Deutsch­land: „Gene­ra­ti­on Golf“. Neben diver­sen pop­kul­tu­rel­len Eigen­hei­ten (Fern­seh­pro­gramm!) und einer gan­zen Rei­he von sozia­li­sa­ti­ons­re­le­van­ten Sub­kul­tu­ren zeich­net sich die Gene­ra­ti­on X, zumin­dest wenn der Wiki­pe­dia geglaubt wer­den darf, dadurch aus, 

„… dass ihr pro­phe­zeit wur­de, dass sie sich erst­mals ohne Kriegs­ein­wir­kung mit weni­ger Wohl­stand und öko­no­mi­scher Sicher­heit begnü­gen müs­se als die Eltern­ge­nera­tio­nen, aber ande­rer­seits für deren öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Sün­den büße.“

Das ist das „no future“, das in ver­schie­dens­ten Aus­prä­gun­gen seit der Jugend der Gene­ra­ti­on X über unse­ren Häup­tern schwebt – Angst vor dem Atom­krieg, die Atom­un­fall­angst nach Tscher­no­byl, ein zyni­sches Ver­hält­nis zur Blüm­schen Ren­ten­si­cher­heit, usw. … 

Aus heu­ti­ger Sicht scheint der gro­ße Gene­ra­tio­nen­gra­ben aller­dings zwi­schen Baby­boo­mern und Gene­ra­ti­on X auf der einen Sei­te und allen nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen – begin­nend mit den Ange­hö­ri­gen der Millenial-„Generation Y“ – zu ver­lau­fen. Wirt­schaft­lich hat das Ende des Kal­ten Kriegs und der Inter­net­boom noch­mal ein biss­chen Auf­schub ver­schafft, die har­ten öko­lo­gi­schen Fol­gen wer­den erst jetzt spür­bar. Damit ist die Gene­ra­ti­on X bei aller Skep­sis und bei aller selbst­iro­ni­schen Ver­lie­rer­be­schrei­bung aktu­ell Teil der­je­ni­gen, die die „gute alte Zeit“ wei­ter­tra­gen will, die am Ein­fa­mi­li­en­häus­chen­ide­al fest­hält, die tief im Inne­ren doch an Wachs­tum und ein bes­se­res Mor­gen glaubt. Nicht unbe­dingt die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen dafür, jetzt die wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Wei­chen rich­tig zu stellen.

Der Gene­ra­ti­on Y, und erst recht der jetzt ins Berufs- und Erwach­se­nen­le­ben ein­tre­ten­den Gene­ra­ti­on Z, wer­den ganz ande­re Wer­te zuge­schrie­ben. Selbst­ver­wirk­li­chung, selbst­ver­ständ­lich gewor­de­ne digi­ta­le Medi­en, der Rück­zug ins Pri­va­te, die neue Poli­ti­sie­rung, Fach­kräf­te­man­gel und Welt­ver­bes­se­rung. Die hart auf­schla­gen­de Kli­ma­kri­se, Fri­days for Future, die Pan­de­mie, ein Ende des Endes der Geschich­te, neue geo­po­li­ti­sche Situa­tio­nen, der rus­si­sche Krieg und die brö­ckeln­de wirt­schaft­li­che Glo­ba­li­sie­rung bei selbst­ver­ständ­li­chem indi­vi­du­el­lem Welt­bür­ger­tum … all das könn­te die Lebens­welt beschrei­ben, in der die Ange­hö­ri­gen die­ser Alters­ko­hor­ten erwach­sen werden. 

Aus der Zukunft betrach­tet, neh­men wir das Jahr 2050 oder 2070: Für die Ange­hö­ri­gen „mei­ner“ Gene­ra­ti­on sind die 2020er Jah­re eine Zei­ten­wen­de, ein Ende der Gewiss­heit. Für uns hört etwas auf, bricht etwas ab. Eigent­lich soll all die­sen Umbrü­che zum Trotz alles so wei­ter­ge­hen wie bis­her – bit­te! Und es gibt vie­le, die sich an die­se Hoff­nung klam­mern, bis hin zur Ver­drän­gung der Katastrophe.

Für die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen waren die 2020er Jah­re ein Beginn, der Anfang von etwas Neu­em, das erst ent­steht und auf­ge­baut wer­den muss. Die­ses Neue geht von der radi­ka­len Akzep­tanz der Kli­ma­kri­se aus. Dadurch – und durch das Erle­ben der Kri­sen­jah­re – ver­schie­ben sich Prio­ri­tä­ten. Wer sei­ne Ado­les­zenz zwi­schen 2000 und 2020 ver­bracht hat, lebt in einer fra­gi­le­ren Welt. Nicht nur das Kli­ma ist zer­brech­lich. Die Coro­na-Pan­de­mie hat sozia­len Zusam­men­halt und die Arbeits­welt erschüt­tert. Die Abhän­gig­keit von glo­ba­len Lie­fer­ket­ten ruft Fra­ge­zei­chen her­vor. Ein „das war schon immer so“ ist in die­ser neu­en Situa­ti­on nicht mehr akzep­ta­bel – egal, ob es um Beruf, um Bil­dung, um Geschlech­ter­ver­hält­nis­se oder anders geht. Extrem gut gebil­de­te, selbst­ver­ständ­lich inter­na­tio­nal ver­netz­te Ange­hö­ri­ge der Gene­ra­tio­nen Y und Z haben im Rück­blick die Chan­ce ergrif­fen, eine neue Welt zu bau­en. Nicht als Uto­pie, son­dern aus schie­rer Not­wen­dig­keit heraus.

Gene­ra­tio­nen­be­grif­fe sind Ver­su­che, sich ändern­de Lebens­be­din­gun­gen und Deu­tungs­mus­ter zu ver­ste­hen. Sie tref­fen kei­ne Aus­sa­gen über ein­zel­ne Per­so­nen. Inso­fern gibt es sicher­lich Älte­re, die Anschluss an das Mind­set der Gene­ra­tio­nen Y/Z fin­den, und Jün­ge­re, die auf Wei­ter so mit Häus­le bau­en set­zen. In der Sum­me neh­me ich hier aber eine Ver­än­de­rung wahr – und eben einen gro­ßen Gra­ben zwi­schen denen, die bis etwa 1980 gebo­ren sind und an eine alte Welt ver­tei­di­gen wol­len, die immer so wei­ter­läuft; und den Jün­ge­ren, denen die­se Hoff­nung ent­ris­sen wurde.