Photo of the week: Hands off, Stuttgart

Hands off, Stuttgart

 
Hin­ter jedem Schild steckt eine Geschich­te. Und ich fra­ge mich, war­um es not­wen­dig war, die­ses impro­vi­sier­te Kli­ma­kri­sen­denk­mal mit einem Betre­ten-Ver­bo­ten-Hän­de-Weg-Schild aus­zu­stat­ten. Das zusam­men­ge­fal­te­te, bei einem der letz­ten Stür­me her­ab­ge­weh­te Kup­fer­dach des Stutt­gar­ter Opern­hau­ses wird mit­ten im Ecken­see vor dem Land­tag prä­sen­tiert. Dahin kommt man also nur, wenn der See zuge­fro­ren ist. Es kann nicht dar­um gehen, dass das Kunst­werk nicht zer­stört wer­den soll. Schließ­lich gibt es hier kei­ne Künstler*in – das Dach wur­de vom Wind zer­beult und her­un­ter­ge­weht, und dann gab es die Ent­schei­dung, es als Mahn­mal lie­gen zu las­sen. Ver­mut­lich also – sehr deutsch – Haf­tungs­fra­gen. Oder schlicht: Hän­de weg vom Klima!

Kurz: Frühling zu früh

Crocus and bee February flowers Early tree
 
 

Eine typi­sche Hand­be­we­gung für die 2020er Jah­re dürf­te das Schul­ter­zu­cken bei der Fest­stel­lung sein, dass es bereits Mitte/Ende Febru­ar die ers­ten früh­lings­haft war­men Tage gibt, dass die Schnee­glöck­chen und Nar­zis­sen, Kro­kus­se und auch die ers­ten Obst­bäu­me unge­wöhn­lich früh blü­hen. Schul­ter­zu­cken des­we­gen, weil nicht so recht klar ist, wie damit umzu­ge­hen ist. Einer­seits: groß­ar­tig, eine wun­der­ba­re Jah­res­zeit beginnt Jahr für Jahr frü­her, und die Son­ne scheint aufs Gesicht. Ande­rer­seits: Kli­ma­kri­se, und mit der Ver­schie­bung von Obst­blü­te und Vor­früh­ling nach vor­ne eben auch ein ganz kla­res und spür­ba­res Zei­chen, dass das mit die­sen jetzt schon rund 1,5 Grad wär­me­ren Tem­pe­ra­tu­ren eben Aus­wir­kun­gen hat.

Auf den Demo­kra­tie-Demos kur­sier­te das Lied der Mann­hei­mer Musi­ke­rin Sof­fie, die von einem Land träumt, „in dem für immer Früh­ling ist“. Ein­gän­gi­ge Melo­die, schö­ner Text – und ein Land, in dem immer Früh­ling ist, hät­te ja durch­aus was. Nur: es ist recht wahr­schein­lich, dass dem frü­hen Früh­ling ein frü­her und lan­ger Som­mer folgt. Und da hört der Spaß dann auf. 

Photo of the week: Demokratiecamp SC, Freiburg

Demokratiecamp SC, Freiburg

 
Ich hän­ge gera­de gefühlt mit allem hin­ter­her, des­we­gen erst jetzt ein Foto, das die impo­san­ten Säu­len (bzw. Metall­ver­stre­bun­gen) am neu­en SC-Sta­di­on zeigt. Ich bin zwar aus eini­ger Ent­fer­nung schon oft an die­sem neu­en Sta­di­on vor­bei­ge­fah­ren, war da – kein Fuß­ball­fan – aber noch nie. 

Am 24.2. hat­te ich die Gele­gen­heit, das Sta­di­on mal näher zu sehen – da fand näm­lich das „Demo­kra­tie­camp“ in der dor­ti­gen Busi­ness Lounge statt. Demo­kra­tie, gespon­sert von einem Fuß­ball­ver­ein? War­um nicht – vor allem, wenn der Trai­ner des Ver­eins immer mal wie­der deut­li­che und rich­ti­ge Wor­te fin­det. Das von freiburg_gestalten orga­ni­sier­te Demo­kra­tie­camp mit rund 250 Teil­neh­men­den ist qua­si der zwei­te Teil einer der gro­ßen Demo­kra­tie-ver­tei­di­gen-Demos in Frei­burg: ein Bar­camp, um dar­über nach­zu­den­ken, was Demo­kra­tie aus­macht, wie sie sich wei­ter­ent­wi­ckeln lässt und wie sie ver­tei­digt wer­den kann. Teil­neh­men­de bunt gemischt, eben­so das Ange­bot an Work­shops und Vor­trä­gen, das sich ent­wi­ckel­te. Die drei, an denen ich teil­ge­nom­men habe, waren ganz unter­schied­lich: in der ers­ten Run­de ging es eher aka­de­misch um Mas­sen­me­di­en und Pop­kul­tur als Gesprächs­an­lass über Demo­kra­tie, in der zwei­ten um die Wei­ter­ent­wick­lung von Bürger*innenräten in Rich­tung Mit­ge­stal­tung, und in der drit­ten Run­de hat­te ich dann selbst etwas ange­bo­ten, ein Gespräch über den Bür­ger­ent­scheid Stra­ßen­bahn in Gun­del­fin­gen, die Fra­ge, wofür sich Bür­ger­ent­schei­de eig­nen, und was anders gemacht hät­te wer­den können.

Das mal auf die Schnel­le – den kom­plet­ten Über­blick über alles hat Dejan. Und Micha­el schreibt pas­sen­der­wei­se was über den Aus­tausch zum The­ma „Akti­vis­mus mit wenig Zeit“. 

Science Fiction und Fantasy im Februar 2024

Hamburg XXXIII

Vor­teil an Pen­del­stre­cken: viel gele­sen krie­gen. Zuerst aber ein Blick auf sons­ti­ge Medi­en. Die Gra­phic Novel Unfol­low (2020) von Lukas Jüli­ger fand ich dann doch eher verstörend/irritierend. Aber viel­leicht sind auch Gra­phic Novels nicht so ganz mein Format.

Auf dem Bild­schirm gese­hen habe ich einen der Net­flix-Wes-Ander­son-Kurz­fil­me (nach Roald Dahl), sowas wie Wes Ander­son als Essenz. Hat was. Dann haben wir Tomor­row­land (2015) ange­schaut – ein biss­chen Gib­sons Gerns­back-Kon­ti­nu­um, ein biss­chen Wer­bung für Dis­neys Ver­gnü­gungs­park. Ins­ge­samt nicht so rich­tig überzeugend.

Wow-Effekt dafür bei der zwei­ten Staf­fel The Wit­cher (Net­flix), naja vor allem Auf­grund des har­ten Über­ra­schungs­mo­ments ganz am Schluss. Ansons­ten soli­de gemach­te Fantasy.

Gele­sen habe ich Veno­mous Lump­su­cker (2022) von Ned Beau­man – eine düs­te­re und böse Sati­re auf Zer­ti­fi­kats­han­del, Kapi­ta­lis­mus und liber­tä­re Sei­fen­bla­sen­träu­me. Ober­fläch­lich geht es in die­sem Buch um die Welt in ein paar Jahr­zehn­ten. Das Arten­ster­ben hat sol­che Aus­ma­ße ange­nom­men, dass sich rund um den Erhalt der letz­ten Arten und Öko­sys­te­me ein Wirt­schafts­zweig ent­wi­ckelt hat – mit han­del­ba­ren Schutz­rech­ten, mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen und kor­rup­ten Regi­men. Der (wenn ich das rich­tig sehe, fik­ti­ve) titel­ge­ben­de Lump­fisch steht in der Ost­see kurz vor dem Aus­ster­ben. Ent­spre­chend ist die Haupt­per­son, eine Bio­lo­gin, nicht gewillt, einem mul­ti­na­tio­na­len Kon­zern den Per­sil­schein für deren Abbau­rech­te im letz­ten Habi­tat die­ses Fisches zu geben. Dem Kon­zern gefällt das nicht, auch des­we­gen, weil da schon abge­baut wur­de – und über­haupt: im Zwei­fel gibt es ja Gen­ban­ken. Bis dann ein unvor­her­ge­se­he­nes Ereig­nis dazu führt, dass eine wil­de Jagd auf die letz­ten Lump­su­cker beginnt. Eine Jagd, die Beau­man für eine exzel­lent zuge­spitz­te Sati­re diver­ser Aus­wüch­se unse­rer Gegen­warts­ge­sell­schaft nutzt.

Nach­dem mir die­ses Buch sehr gut gefal­len hat, habe ich dann Beau­mans älte­res The Tele­por­ta­ti­on Acci­dent (2012) gele­sen, damit bin ich aller­dings nicht so rich­tig warm gewor­den, bzw. konn­te erst gegen Schluss des Buches was damit anfan­gen. Set­ting hier sind die 1930er Jah­re, Ber­lin, Paris, Los Ange­les, es geht um poli­tik-des­in­ter­es­sier­te Kunst, Bohe­me und Möch­te­gern-Bohe­me – und immer wie­der um Lust und Ver­lan­gen der männ­li­chen Haupt­per­son. Das Ende dage­gen hat Poten­zi­al, bzw. spielt mit Potenzialitäten.

Ganz was ande­res: Rebec­ca Camp­bells Band Arbo­rea­li­ty (2022) – ich wür­de das als mit­ein­an­der ver­schlun­ge­ne Vignet­ten aus einer Zukunft nach der Kli­ma­kri­se bezeich­nen, ver­or­tet zwi­schen Van­cou­ver und Seat­tle, zusam­men­ge­hal­ten durch Bäu­me (und durch Per­so­nen, die bzw. deren Kin­der und Enkel immer wie­der auf­tau­chen). Nicht auf­re­gend, ohne gro­ße Action, immer aus der indi­vi­du­el­len Per­spek­ti­ve, aber gera­de des­we­gen ein­drück­lich und lesenswert.

Von Mal­ka Older ist der zwei­te Band ihrer auf einem zur neu­en Hei­mat der von der Erde geflo­he­nen Mensch­heit gewor­de­nen „Steampunk“-Jupiter („Giant“) spie­len­den Detek­tiv­se­rie („cozy space ope­ra detec­ti­ve mys­tery“) erschie­nen, und The Impo­si­ti­on of Unneces­sa­ry Obs­ta­cles (2024) hat mich – viel­leicht weil ich das Set­ting schon kann­te – dann doch mehr abge­holt als der ers­te Band. Uni­ver­si­tä­ten und deren inter­ne Poli­tik spie­len eine Rol­le, und natür­lich die nicht ganz ein­fa­che Bezie­hung zwi­schen Mos­sa und Plei­ti, den bei­den Haupt­fi­gu­ren. Und Io kommt auch vor.

R.F. Kuangs Roman Babel (2022) war in den Schlag­zei­len, weil er vom Hugo-Preis­ver­lei­hungs­ko­mi­tee kur­zer­hand von der Short­list gestri­chen wur­de, wohl aus vor­aus­ei­len­der Angst vor mög­li­chen chi­ne­si­schen Zen­sur­ver­su­chen. Der Roman spielt zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts in einem bri­ti­schen Impe­ri­um, das auf lin­gu­is­ti­sche Magie setzt statt auf Koh­le. Genau­er gesagt: in der Über­set­zung in ihren Bedeu­tun­gen aus­ein­an­der­ge­hen­de Wort­paa­re, die in Sil­ber ein­gra­viert wer­den, ver­ur­sa­chen hier magi­sche Wir­kun­gen. Der Roman ist auch ein Roman über Über­set­zun­gen, vor allem aber einer über Kolo­nia­lis­mus (aus der Per­spek­ti­ve von „Robin Swift“, in Kan­ton auf­ge­wach­sen, dann nach Lon­don und schließ­lich nach Oxford gebracht, um die magi­sche Über­set­zungs­kunst zu erler­nen) und – bevor es in der Oxford-Vari­an­te der Zau­ber­schu­le all­zu gemüt­lich wird – über Klas­sen­kampf, Revo­lu­ti­on und die Fra­ge, wann Gewalt ein­ge­setzt wer­den darf und wann nicht. Ein­drucks­voll und zurecht ein Anwär­ter auf den Hugo.

Und noch­mal eine Vari­an­te des Zau­be­rei­schul-Motivs – dies­mal in James Isling­tons The Will of the Many (2023). Der Roman spielt in einem Pseu­do-Rom, mit einer rigi­den sozia­len Schich­tung, die dar­auf beruht, einen Teil des eige­nen Wil­lens wei­ter­zu­ge­ben. Wer an der Spit­ze der­ar­ti­ger Pyra­mi­den – Reli­gi­on, Mili­tär, Ver­wal­tungs­ap­pa­rat haben je ihre eige­nen – steht, wird zum Super­held. Und wer ganz unten steht, wird halb­tot nur als Wil­lens­lie­fe­rant am Leben erhal­ten. In die­sem Set­ting ist der Wai­se Vis unser Fokus­punkt – er wird adop­tiert und kommt als 17-jäh­ri­ger Spi­on in die hie­si­ge Vari­an­te der Eli­te-Zau­be­rei-Aka­de­mie, die durch har­te Aus­wahl und auf­fäl­lig vie­le töd­li­che Unglü­cke von sich reden macht. Wem er dort trau­en kann und wem nicht, wer wel­che Intri­gen spinnt und was echt ist, und was insze­niert – das zeigt sich erst im Lauf des Geschich­te. Und auch hier spielt Impe­ria­lis­mus eine Rol­le – Vis leb­te vor der Inva­si­on durch das Pseu­do-Rom in einem bis dato selbst­stän­di­gen Insel­kö­nig­reich. Teil der Aka­de­mie ist ein mys­te­riö­ses Laby­rinth. Ohne das Ende vor­weg­zu­neh­men: da ist dann auch noch­mal man­ches ganz ande­res, als es scheint. Inso­fern bin ich schon sehr auf den zwei­ten Band gespannt.