In eigener Sache: Leistungsbilanz 2011

Winter canopy

Jah­res­rück­blick­zeit. Ich bli­cke zurück und stel­le fest, dass ich 2011 in mei­nem eige­nen Blog 156 Bei­trä­ge (davon 50 „Fotos der Woche“ und 18 Kapi­tel der erst 2012 fort­ge­setz­ten SF-Geschich­te „Bran­dung“) gepos­tet habe, dazu kommt dann noch vier­zig mal Grün­zeug am Mitt­woch im Blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grünen. 

Und auf der Lese­rIn­nen-Sei­te? Im Jahr 2011 wur­den bis­her knapp 40.000 Arti­kel­ab­ru­fe (laut Site­stats) regis­triert, wobei die Zugrif­fe seit etwa der Jah­res­mit­te deut­lich nach­ge­las­sen haben (hat was damit zu tun, dass im Blog weni­ger pas­siert, weil ich ande­re Auf­ga­ben habe, und weil der Früh­jahrs­wahl­kampf vor­bei ist – aber viel­leicht auch mit dem Medi­en­wech­sel im Web 2.0). Apro­pos Früh­jahrs­wahl­kampf: Im März, dem Land­tags­wahl­mo­nat (und dem Fuku­shi­ma-Monat), gab es fast 9.000 Abru­fen – deut­lich mehr als in allen ande­ren Mona­ten im Jahr 2011. Ins­ge­samt aller­dings sieht die Jah­res­bi­lanz hin­sicht­lich der Abru­fe gar nicht so unähn­lich aus wie im Jahr 2010, auch wenn mein Gefühl ein ande­res ist.

Die meis­ten Flattr-Klicks in mei­nem Blog im Jahr 2011 (näm­lich groß­ar­ti­ge fünf) bekam ein Text über Gut­ten­berg. Der mit 111 Kom­men­ta­ren meist­kom­men­tier­te Arti­kel war einer, in dem ich mich mit dem Land­tags­wahl­sys­tem und den Pira­ten aus­ei­an­der­ge­setzt habe – wie es gene­rell eine erfolg­rei­che Stra­te­gie zur Traf­fic-Gene­rie­rung ist, sich mit der Pira­ten­par­tei anzu­le­gen kri­tisch aus­ein­an­der­zu­set­zen. Das zeigt sich dar­an, dass neben dem meist­kom­men­tier­ten (und meist­ge­le­se­nen) Arti­kel auch der auf Platz zwei (Pira­ten! Drei Sät­ze anläss­lich des Wahl­aus­gangs in Bre­men) die­ses The­ma hat. Der auf Platz drei ist dann ein Blick in die Kris­tall­ku­gel vor der Land­tags­wahl in Baden-Württemberg.

Und mei­ne eige­nen Lieb­lings­ar­ti­kel? Ich habe mal für jeden Monat einen rausgesucht:

Puh! Das also war mein Jahr 2011 in Blog­posts. Und ihr so?

Tag der deutschen Einheit

Rain colours VI

Schon über zwan­zig Jah­re Ein­heit – 1989 war ich 14 Jah­re alt. Und war poli­tisch inter­es­siert genug, um das west­deutsch-lin­ke Lebens­ge­fühl schon so weit ver­in­ner­licht zu haben, dass ich damals und in den fol­gen­den Jah­ren die deut­sche Ein­heit erst­mal als Ver­lust emp­fand. Klingt aus heu­ti­ger Sicht selt­sam, war aber so. 

Deutsch­land war für mich damals die BRD, die Bun­des­re­pu­blik – und eine Wie­der­ver­ei­ni­gung etwas, das nur die dun­kels­ten und kon­ser­va­tivs­ten Tei­le der Kohl-Regie­rung anstreb­ten, Ewig­gest­ri­ge, die auch Polen noch dazu­ge­nom­men hät­ten, wenn es ihnen ange­bo­ten wor­den wäre. 

Lin­kes Lebens­ge­fühl: In den 1980er Jah­ren war es zu so einer Art Waf­fen­still­stand zwi­schen dem kon­ser­va­ti­ven Estab­lish­ment und der links-alter­na­ti­ven Bewe­gung gekom­men. Die einen hat­ten sich so halb­wegs damit ange­freun­det, dass eine grü­ne Par­tei in Par­la­ment saß, dass es Öko­lä­den, Aktio­nen der Frie­dens­be­we­gung und sozio­kul­tu­rel­le Zen­tren gab – die ande­ren glaub­ten, ihre sub­kul­tu­rel­le Nische gefun­den zu haben, in der es sich eini­ger­ma­ßen leben ließ, und von der aus dem eta­blier­ten Regime nach und nach das eine oder ande­re Zuge­ständ­nis abge­run­gen wer­den konnte. 

Bonn war ein Pro­vinz­nest und der beson­de­re Sta­tus der BRD sorg­te effek­tiv dafür, dass sowas wie Natio­nal­ge­fühl oder Groß­macht­ge­lüs­te im rhei­nisch Kapi­ta­lis­mus klein gehal­ten wur­de. War doch pri­ma, oder?

Und dann kam die Wen­de in der DDR. Die Wen­de fand mein dama­li­ges Teen­ager-Ich durch­aus gut. Solan­ge es bei „Wir sind das Volk!“ blieb, und ver­sucht wur­de, die guten Ideen und die schlech­te Pra­xis auf eine neue Grund­la­ge zu stellen.

Aber dann kamen, so mein dama­li­ger Ein­druck, Kohl und Gen­scher und mach­ten dar­aus „Wir sind ein Volk!“. Und aus zwei mit­tel­gro­ßen Staa­ten wur­de ein Land, das plötz­lich nur noch Deutsch­land hieß, dass (DDR-Import?) plötz­lich wie­der offen Natio­na­lis­mus zeig­te, sich als Groß­macht fühl­te und nach innen hin zu ver­ges­sen schien, was es in den 1980ern an Tole­ranz („Mul­ti­kul­ti“) gelernt hat­te. Ein Land, das sei­ne Ver­fas­sung nicht ver­bes­sern woll­te, son­dern lie­ber das Asyl­recht can­cel­te. (Und dann flo­gen im natio­na­len Ein­heits­rausch 1990 auch noch die Grü­nen aus dem Bundestag!) 

Und das soll­te dann auch noch jähr­lich gefei­ert werden?!

War­um blog­ge ich das? Weil eini­ges davon sich aus heu­ti­ger Sicht sehr selt­sam anfühlt.

Lesenswert: AufTakt 1993 wiedergefunden

auftakt-klappentextWenn mei­ne Ver­mu­tun­gen über die sozio­de­mo­gra­phi­sche Zusam­men­set­zung mei­ner Blog­le­ser­schaft stim­men, müss­te es eini­ge geben, denen „Auf­Takt“ etwas sagt: das war das Jugend­um­welt­fes­ti­val, das 1993 in Mag­de­burg statt­fand. Und ich war dabei. Zwar nicht auf einer der Stern­rad­tou­ren, aber beim Fes­ti­val selbst, und auch beim media­len Auf­takt – der „Hair“-Vorführung auf der Frei­bur­ger Mensawiese.

Kars­ten Schulz schreibt dazu:

„Die Frei­bur­ger Auf­füh­rung fand auf der Wie­se vor der Men­sa statt. Trotz begin­nen­den Regens wur­de wei­ter gespielt und gesun­gen, was für das tan­zen­de Publi­kum auf der Wie­se ziem­lich schlam­mig ende­te.“ (Schulz 2009, S. 90).

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Ich erin­ne­re mich jeden­falls noch gut an Zel­ten auf rela­tiv nas­sen Elb­wie­sen, an Kon­zer­te von Ygd­ras­sil [Update, 6.8.23: weil mir die Stim­me so im Ohr war, mal geschaut – und tat­säch­lich auf Spo­ti­fy fin­det sich die Sän­ge­rin Lin­de Nij­land und mit etwas Suchen auch die damals gehör­te Band „Ygd­ras­sil“, auf Nij­lands Web­site als „Harm­o­ny Sin­ging Duo“ beschrie­ben … das hört sich dann so an] und dem Wah­ren Hel­mut, an Mit­hel­fen im Küchen­zelt und bunt­be­mal­te, fröh­li­che Demos im Regen. Und an vie­le tau­send jun­ge Leu­te, die ein paar Tage lang zeig­ten, dass eine ande­re Repu­blik mög­lich ist. So vie­le, dass es zum Bei­spiel (in der Ära vor dem Mobil­te­le­fon) gar nicht so ein­fach war, Kon­takt zu ande­ren Grü­ne-Jugend-Akti­vis­tIn­nen zu fin­den, die es zwei­fels­oh­ne dort auch gab.

Und war­um kom­me ich aus­ge­rech­net jetzt auf einen Som­mer vor knapp 17 Jah­ren zurück? Weil heu­te Kars­ten Schulz’ oben bereits ein­mal zitier­te Dis­ser­ta­ti­on in der Post war. Er hat dort Auf­Takt 1993 mit dem Ers­ten Frei­deut­schen Jugend­tag 1913 auf dem Hohen Meiß­ner ver­gli­chen. Beim Rein­blät­tern bin ich dann vor allem auf Erin­ne­run­gen gesto­ßen, und dach­te mir, mal schau­en, ob der Beginn – oder der Höhe­punkt? – der Jugend­um­welt­be­we­gung bei dem einen oder der ande­ren hier auch wel­che auslöst.

Wer ein biß­chen in der nähe­ren Ver­gan­gen­heit schmöckern möch­te, kann das im Buch tun – oder auf der von Kars­ten auf­ge­bau­ten Web­site auftakt93.de mit Archiv­ma­te­ri­al, Berich­ten und einem Über­blick über die ver­schie­de­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen zu AufTakt.

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Nicht beant­wor­tet ist für mich die Fra­ge, ob Auf­Takt heu­te noch mög­lich wäre. Zum einen fehlt (soweit ich das über­bli­cken kann) heu­te ein Äqui­va­lent zur doch recht akti­ven und hoch poli­ti­sier­ten Jugend­um­welt­be­we­gung – da wäre es übri­gens mal span­nend, sys­te­ma­tisch zu schau­en, was aus den damals Akti­ven so gewor­den ist. Der ein­zi­ge „Pro­mi“ aus dem Jugend­um­welt­be­we­gungs­um­feld, der mir so ein­fällt, ist Sven Gie­gold. Und der Rest? Zum ande­ren sind die Rand­be­din­gun­gen heu­te anders. Mobil­te­le­fon und Face­book-Ver­net­zung (Kars­ten Schulz berich­tet noch, wie damals vor allem gefaxt wur­de) sor­gen bei­spiels­wei­se für ein ganz ande­res Ver­hält­nis zwi­schen Dezen­tra­li­tät und zen­tra­ler Steue­rung. Und auch poli­tisch sieht es heu­te anders aus. Oder ist das nur der übli­che Ver­druss der älter Gewor­de­nen über die neu­en Jungen?

Kars­ten Schulz: Beschrei­bung und Ver­or­tung zwei­er über­ver­band­li­cher Jugend­tref­fen jun­ger Jugend­be­we­gun­gen. Kas­sel: Weber & Zucht 2009. Hier erhält­lich.

War­um blog­ge ich das? Weil hier Tei­le mei­ner eige­nen Bio­gra­phie zu Geschich­te wer­den, und der (tech­nisch unter­stütz­te) Gene­ra­tio­nen­wech­sel erst so rich­tig sicht­bar wird. Und weil mich inter­es­siert, wer die­se Bio­gra­phie teilt.

P.S.: Die Bil­der sind Nega­ti­ve der (natür­lich ana­lo­gen) Fotos, die ich bei Auf­Takt gemacht habe – und weil ich gra­de nur die Nega­ti­ve gefun­den habe, habe ich aus­pro­biert, ob ein LCD-Bild­schirm, eine Spie­gel­re­flex­ka­me­ra und ein Bild­be­ar­bei­tungs­pro­gramm sich dazu eig­nen, Nega­tiv­strei­fen zu scan­nen und in rich­ti­ge Far­ben umzu­wan­deln. Ergeb­nis: bedingt ;-) – aber Erin­ne­run­gen sehen halt mal so aus.

Ein Versuch über Wikipedia


Die trei­ben­de Kraft hin­ter der Wiki­pe­dia: „someone is wrong on the inter­net“ (xkcd, Lizenz)

Be bold! Mach’s ein­fach, wenn du etwas ändern willst. Was mich von Anbe­ginn an an der Wiki­pe­dia fas­zi­niert hat, war die­ser grund­sätz­li­che Impe­ra­tiv. Den meis­ten ist wahr­schein­lich der „Neu­tral Point of View“ wich­ti­ger, oder das kol­la­bo­ra­ti­ve Prin­zip, oder die enzy­klo­pä­di­sche Qua­li­tät. Aber was mich lan­ge Jah­re dazu gebracht hat, vie­le Aben­de und Stun­den in das Schrei­ben von Ein­trä­gen, in Edit­wars, aber mehr noch in lan­ge Debat­ten um die sprich­wört­li­che Kom­ma­set­zung zu inves­tie­ren, war wohl die­ser Imperativ. 

Der hat natür­lich zunächst etwas sehr ame­ri­ka­ni­sches: Wenn du was ändern willst an der Welt, dann tue es ein­fach, nimm’s selbst in die Hand! Oder auch was von Pip­pi Lang­strumpf: Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. Fas­zi­na­ti­on strahl­te das „Be bold!“ aber vor allem des­we­gen auf mich aus, weil sich ein rie­si­ges Pro­jekt mit vie­len tau­send Mit­strei­te­rIn­nen schein­bar allein an die­sem – darf ich das Adjek­tiv ver­wen­den – anar­chis­ti­schen Grund­satz kris­tal­li­sie­ren konn­te. Natür­lich ist das ver­kürzt, natür­lich gab es auch von Anfang an ande­re Regeln (den wis­sens­phi­lo­so­phisch frag­wür­di­gen neu­tra­len Stand­punkt, bei­spiels­wei­se), und natür­lich gab es das Gott­kö­nig­tum von Jim­bo Wales als Letzt­in­stanz. Trotz­dem: der Geist, den ich mit der Wiki­pe­dia ver­bin­de – seit 2002 war ich an der eng­lisch­spra­chi­gen Wiki­pe­dia betei­ligt – lässt sich am ehes­ten in die­sem „Be bold!“ zusam­men­fas­sen – immer zusam­men­ge­dacht mit einer von mir als angel­säch­sisch emp­fun­de­nen, stark deli­be­ra­tiv-dis­kur­si­ven Atmo­sphä­re des Pro­blem­lö­sens durch Kom­mu­ni­ka­ti­on auf Augen­hö­he. Im schlimms­ten Fall dann ein „agree to disagree“.
„Ein Ver­such über Wiki­pe­dia“ weiterlesen