Sozialismus mit Frühlingsblumen, oder: ein „prager frühling“ macht noch keinen Sommer

Inzwi­schen habe ich die Erst­aus­ga­be dann auch mal in die Hän­de gekriegt. Die Rede ist vom pra­ger früh­ling, einem „Maga­zin für Frei­heit und Sozia­lis­mus“, wie es im Unter­ti­tel heißt. Wer die 5 Euro nicht inves­tie­ren will, kann auf der Maga­zin-Web­site auch in ein paar aus­ge­wähl­te Arti­kel hin­ein­schnup­pern. So rich­tig auf­merk­sam gewor­den bin ich auf das neue Maga­zin durch den Blog­ein­trag bei Julia. Aber auch die taz hat schon eine Bespre­chung ver­öf­fent­licht. Für aus­ge­wähl­te Wer­te von Ram­pen­licht steht der pra­ger früh­ling also gera­de ziem­lich in demselben.

kopfzeile prager frühling

Wor­um geht’s? Inner­halb der LINKEN gibt es eine ema­zi­pa­to­ri­sche Strö­mung, als pro­mi­nen­tes Gesicht davon ist ver­mut­lich Kat­ja Kip­ping, stell­ver­tre­ten­de Par­tei­vor­sit­zen­de und MdB zu nen­nen. Zusam­men mit Jörg Schind­ler, Kol­ja Möl­ler, Lena Kreck und Nor­bert Sche­pers bil­det sie die Redak­ti­on des pra­ger früh­ling. Im Edi­to­ri­al der Erst­aus­ga­be wird auch die – mich wie sicher eini­ge ande­re auch in eini­ges Erstau­nen ver­set­zen­de – Namens­wahl begrün­det. Zugleich ist damit die pro­gram­ma­ti­sche Aus­rich­tung abgesteckt:

Als im Jahr 1968 vie­le Bür­ge­rIn­nen der dama­li­gen CSSR, dar­un­ter auch vie­le erklär­te Kom­mu­nis­tIn­nen, ver­such­ten, einen „Sozia­lis­mus mit mensch­li­chem Ant­litz“ zu schaf­fen, war der real exis­tie­ren­de Sozia­lis­mus bereits – heu­te wis­sen wir das – geschei­tert: in öko­no­mi­scher, huma­nis­ti­scher und poli­tisch-demo­kra­ti­scher Hin­sicht, nicht zuletzt intel­lek­tu­ell und kul­tu­rell. Aus der Kri­se des Post­sta­li­nis­mus ent­stand eine viel­fäl­ti­ge und leben­di­ge lin­ke Dis­kus­si­on; im Osten wie in der Lin­ken West­eu­ro­pas. Ihr Maß­stab: Sozia­lis­mus mit Frei­heit und Demo­kra­tie tat­säch­lich ver­eint, und zugleich eine kul­tu­rel­le Befrei­ung. Der Pra­ger Früh­ling […] war zugleich der Bruch mit einer pater­na­lis­ti­schen Sozia­lis­mus­kon­zep­ti­on, die das Ziel der Umwer­fung aller Unter­drü­ckungs­ver­hält­nis­se auf­ge­ge­ben und statt des­sen auf gedank­li­che Uni­for­men und kul­tu­rel­le Rang­ab­zei­chen gesetzt hatte.

Mit dem Maga­zin pra­ger früh­ling will die Redak­ti­on „Sozia­lis­mus wie­der in den Köp­fen und Her­zen der Men­schen mit Früh­lings­blu­men statt mit dem Asch­grau der WBS70-Wohn­block­rei­hen“ verknüpfen.

Soweit der Anspruch. Wie sieht es nun mit der Umset­zung aus? 

Die Erst­aus­ga­be umfasst knapp 60 Sei­ten und erstaun­lich wenig Tex­te, so kommt es mir jeden­falls vor: vie­le kur­ze Text­bro­cken, kaum ein Arti­kel, der län­ger als zwei Sei­ten läuft. Optisch ist die im Ham­bur­ger VSA-Ver­lag ver­leg­te Zeit­schrift modern gehal­ten und setzt auf Farb­ak­zen­te und Schwarz-weiss-Foto­gra­fien (im übri­gen: fast nur Per­so­nen­fo­tos) – auch das Titel­blatt mit „Lady Ray“ ent­spricht die­sem Sche­ma: gro­ßes Schwarz­weiss­fo­to, und Farb­ak­zen­te in lila und früh­lings­grün. Ich hal­te mich mit die­sen Gestal­tungs­fra­gen auf, weil die Redak­ti­on ihrem Pro­jekt expli­zit den Unter­ti­tel „Maga­zin für …“ und eben nicht „Zeit­schrift für …“ ver­passt hat. Damit und auch mit dem rela­tiv gro­ßen Raum, der pop­kul­tu­rel­len The­men ein­ge­räumt wird, ver­bin­det sich für mich ein Anspruch auf brei­te­re Lese­rIn­nen­krei­se. An die­sem Anspruch gemes­sen wirkt die Gestal­tung aller­dings wie­der­um fast ein wenig bie­der, ein wenig zu zurück­ge­nom­men. Und wenn mit dem Maga­zin irgend­wie die poli­ti­sche Unter­hal­tung mit­schwingt, dann fällt es eini­gen der Tex­te schwer, die­sem Maß­stab zu genü­gen (es gibt Aus­nah­men, etwa der wie immer wun­der­bar les­ba­re Chris­toph Spehr zum eman­zi­pa­to­ri­schen Hin­ter­grund des Trash-Films „Fas­ter, Pussycat“. 

Aber gut – der pra­ger früh­ling will ja nicht nur Maga­zin sein, son­dern auch Mani­fest bzw. mani­fes­tier­ter Dis­kurs der „Eman­zi­pa­to­ri­schen Lin­ken“. Dazu gibt’s drei The­men­schwer­punk­te im Heft: das eigent­li­che Schwer­punkt­the­ma „Neu­be­grün­dung der LINKEN“ und zwei klei­ne­re, wohl als stän­dig gemein­te Rubri­ken: Euro­pa (lin­ke vs. neo­li­be­ra­le Euro­pa­po­li­tik) und Geschich­te (zum nicht so ganz brand­hei­ßen The­ma 1968). Blei­ben wir beim eigent­li­chen Schwer­punkt­the­ma (und sehe der Par­tei­zen­triert­heit für einen Moment nach, dazu gleich mehr). 

Schrei­ben dür­fen dazu, von hin­ten nach vorne: 

  • Michel Fried­man (CDU), mit einem belang­lo­sen Kom­men­tar zum The­ma „Nach­wuchs­po­li­ti­ker“ (hier dann kein „gro­ßes I“ mehr); 
  • Tobi­as Schul­ze, Mit­ar­bei­ter der LIN­KEN-Bun­des­tags­frak­ti­on, über eine „neue Bil­dungs­expan­si­on als Basis für lin­ke Uni­ver­si­täts­po­li­tik in der Post-Exzel­lenz-Ära“ (hand­fest, aus mei­ner Sicht mehr oder weni­ger com­mon sen­se in den wie immer zer­strit­te­nen stu­den­ti­schen Krei­sen und bei denen, die da Geschich­te drin hatten); 
  • die Redak­teu­rIn­nen Lena Kreck und Jörg Schind­ler über das noch nicht son­der­lich aus­ge­präg­te bür­ger­recht­li­che Pro­fil der LINKEN; 
  • dann gibt’s ein Inter­view mit Rose­ma­rie Will von der Huma­nis­ti­schen Union; 
  • einen Arti­kel von Hans-Jür­gen Urban (IG Metall) zur Rol­le der Gewerk­schaf­ten (das im Edi­to­ri­al ver­damm­te staub­tro­cke­ne Par­tei­chi­ne­sisch hat hier noch die eine oder ande­re vom Staub­lap­pen nicht erreich­te Rück­zugs­zo­ne gefunden); 
  • ein wei­te­res Inter­view zum The­ma „Ber­li­na­le und Prekariat“; 
  • eine inter­es­san­te Zwi­schen­bi­lanz zur post­au­to­no­men „Inter­ven­tio­nis­ti­schen Lin­ken“ von Tho­mas Seibert; 
  • Frig­ga Haug stellt sie­ben The­sen für ein femi­nis­ti­sches Pro­fil der LINKEN zur Debat­te, und 
  • schließ­lich, bzw. eigent­lich, dis­ku­tiert als Auf­ma­cher des Schwer­punkts die Redak­ti­on mit sich selbst drü­ber, was mit einer „Neu­Be­grün­dung der LINKEN“ eigent­lich gemeint sein kann, könn­te, soll­te und woll­te. Auch das hat nicht nur eine gewis­se Tro­cken­heit, son­dern lässt bei mir zumin­dest die Fra­ge offen, ob die Form eines publi­zier­ten Redak­ti­ons­ge­sprächs span­nend sein kann. 

Das Durch­blät­tern des Hef­tes lässt sich zusam­men­fas­sen mit: inhalt­lich durch­aus inter­es­sant, in der Kom­bi­na­ti­on von lin­ker Stra­te­gie- und Theo­rie­de­bat­te mit kul­tu­rel­len Ein­spreng­seln kon­zep­tio­nell attrak­tiv, in der Umset­zung aber weni­ger „Hoch­glanz­ma­ga­zin“ (Welt am Sonn­tag), son­dern etwas schi­cke­re Stu­di­zei­tung (und manch­mal ein Hauch zuviel von Eigen­wer­bung für wei­te­re Pro­jek­te der Betei­lig­ten). Die­ser Stu­di­zei­tungs-Ein­druck mag auch damit zusam­men­hän­gen, dass eini­ge der Redak­teu­rIn­nen und AutorIn­nen aus Zusam­men­hän­gen wie dem „Bünd­nis lin­ker und radi­kal­de­mo­kra­ti­scher Stu­die­ren­der“, JungdemokratInnen/Junge Lin­ke oder solid kom­men, jeden­falls kei­ne pro­fes­sio­nel­len Tex­te­rIn­nen sind. Muss ja auch nicht sein, nur passt dann m.E. der Anspruch „Maga­zin“ nicht so recht. 

Ins­ge­samt hin­ter­lässt das Heft einen zwie­späl­ti­gen Ein­druck. Zum einen hat es mich neu­gie­rig gemacht auf die „eman­zi­pa­to­ri­sche Lin­ke“ in der LINKEN. Zum ande­ren herrscht jedoch das Bild vor, dass die Nach­fol­ge­par­tei von PDS und WASG – Strö­mun­gen und Netz­wer­ke machen so was ja ger­ne – von den betei­lig­ten Per­so­nen ein biß­chen zu sehr für den Nabel der Welt gehal­ten wird. In der Dis­kus­si­on in Juli­as Blog ist das schon deut­lich gewor­den: weit mehr Sinn machen wür­de aus mei­ner Sicht eine anspruchs­vol­le Zeit­schrift mit einer eman­zi­pa­to­risch-lin­ken Grund­hal­tung. Denn die gibt’s ja nicht nur in der LINKEN, son­dern viel­leicht weit­aus häu­fi­ger auch anders­wo, z.B. bei uns, und wie der Auf­satz zur „Inter­ven­tio­nis­ti­schen Lin­ken“ zeigt, ger­ne auch außer­halb von Par­tei­struk­tu­ren. In einer sol­chen Zeit­schrift – einer Art brand eins der Poli­tik­blät­ter – wür­de ganz auto­ma­tisch die Insti­tu­tio­nen­fi­xiert­heit über­wun­den wer­den müs­sen und wür­den (da fin­de ich polar mit ihren Schwer­punk­ten span­nend; dafür hat die Zeit­schrift aber ande­re Schwä­chen) The­men jen­seits der Selbst­be­spit­ze­lung zen­tral wer­den. Eine Zeit­schrift, die die eman­zi­pa­to­ri­sche Lin­ke klein schreibt, statt sich auf die LINKE zu beschrän­ken, wäre nicht nur span­nend genug, um sie zu abon­nie­ren – da wür­de ich auch ger­ne dran mit­schrei­ben. The­men gäbe es genug.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es hilf­reich fin­de, mal einen Blick über den Par­tei­tel­ler­rand hin­aus zu wer­fen. Und irri­tiert dar­über bin, dass das „Redak­ti­ons­blog“ des pra­ger früh­lings kei­ne Kom­men­ta­re zulässt.

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