Was der best case beim Wahlausgang jetzt am Sonntag für Baden-Württemberg wäre, ist klar. Und dafür brauchen wir Grüne jede Stimme. Trotzdem nochmal kurz die Übersicht, was am Sonntag passieren kann.
(Doppelter Disclaimer: Ich bin aktives Mitglied der Grünen, das heißt, das folgende ist aus einer bestimmten politischen Perspektive geschrieben (und trotzdem meine private Meinungsäußerung und kein Statement meiner Partei) – und es enthält keinerlei inhaltliche Argumente für oder gegen eine bestimmte Wahl (da habe ich mich an anderen Stellen zu geäußert, vor allem im Blog der baden-württembergischen Grünen). Manche nennen das Nachdenken über die ganz konkreten Konsequenzen bestimmter Stimmabgaben „taktisches Wählen“ und rümpfen darüber die Nase – ich finde es notwendig, wenn es einem oder einer wichtig ist, zu wissen, was die Folgen einer bestimmten Stimmabgabe sind.)
1. SPD und Grüne haben zusammen eine relative Mehrheit der Stimmen und erreichen damit eine absolute Mehrheit der Sitze. Wenn die SPD dabei vor den Grünen liegt, gibt es eine rot-grüne Regierung mit Nils Schmid als Ministerpräsident, wenn die Grünen stärker als die SPD werden, eine grün-rote Regierung mit Winfried Kretschmann als Ministerpräsident. Wo macht das einen Unterschied? Zum Beispiel bei der Frage Stuttgart 21 – aber auch bei der Frage, wieviel ökologischer Drive und wie viel Politikwechsel auch im Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern ankommt.
2. CDU und FDP haben zusammen eine relative Mehrheit der Stimmen und erreichen damit eine absolute Mehrheit der Sitze. Die schwarz-gelbe Kuschelkoalition macht weiter und Stefan Mappus bleibt Ministerpräsident. Die theoretisch mögliche Variante Ampel hat die FDP bereits ausgeschlossen. Variationen wie schwarz-grün oder rot-schwarz wird es ebenfalls definitiv nicht geben, wenn es für schwarz-gelb in irgendeiner Weise reicht. Schwarz-grün wurde von Mappus schon eine definitiv Absage erteilt. Schlecht fürs Land, aber eine demokratisch klare Entscheidung.
3. Es kann aber noch schlimmer kommen: nämlich dann, wenn SPD und Grüne zusammen eine relative Mehrheit der Stimmen erreichen, aber die Mehrheit der Sitze im Parlament auf CDU und FDP entfällt (vgl. Bush vs. Gore). Das ist dann möglich, wenn der Unterschied zwischen Grüne+SPD und CDU+FDP relativ klein ist, und dann der Ausgleich der überhängenden Direktmandate in den Regierungsbezirken zu Buche schlägt (kurz gesagt: beim Ausgleich der CDU-Direktmandate wird ein mathematisches Verfahren verwendet, das dazu führt, dass so knapp wie möglich ausgeglichen wird, und damit die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es zwei bis vier CDU-Mandate mehr gibt als bei einem Ausgleich auf Landesebene – und diese Mandate könnten wahlentscheidend sein). Aus meiner Sicht eine noch schlechtere Situation als Fall 2, weil hier zwar CDU und FDP die Regierung bilden werden, dafür aber eigentlich die demokratische Legitimation fehlt. Die ist ja an und für sich schon zweifelhaft, wenn mit 46, 47, 48% der Stimmen (wg. 5‑Prozent-Hürde) und bei einer Wahlbeteiligung von 50–60% letztlich 23 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung darüber entscheiden, wer regiert. Noch dünner wird sie, wenn diese Mehrheit nur aufgrund des verwendeten Ausgleichsverfahrens zustande kommt. Ob es dann zu Klagen gegen das Wahlergebnis kommen wird, weiß ich nicht, halte es aber für gut möglich.
4. Weder SPD und Grüne noch FDP und CDU erreichen zusammen eine Mehrheit der Sitze, d.h. mindestens eine weitere Partei schafft den Einzug ins Parlament. Dann wäre rechnerisch zwar eine Mehrheit gegen ein Weiter-so der schwarz-gelben Regierung da, ob die umgesetzt wird, ist aber zweifelhaft. Möglich sind hier theoretisch mehrere Varianten – in absteigender Wahrscheinlichkeit aus meiner Sicht:
4.a Am wahrscheinlichsten ist es, dass die SPD „über ihren Schatten springt“ (allerdings in die falsche Richtung) und zum Wohle des Landes etc. etc. dann doch eine Koalition mit der CDU eingeht. In der SPD Baden-Württemberg gibt es leider durchaus starke Kräfte, die dazu jederzeit bereit wären.
4.b Es kommt zu einer Minderheitenregierung aus Grünen und SPD (je nach Stärke unter Führung von Schmid oder von Kretschmann), die von der LINKEN toleriert wird (das NRW-Modell). Dass ist das Modell, gegen das die CDU jetzt in den letzten Wahlkampfminuten noch einmal kräftig Stimmung macht und sich dabei auch nicht scheut, altgediente Gewerkschaftsfunktionäre in die SED-Mottenkiste zu stecken. Ausgeschlossen wurde dieses Modell bisher nicht, und persönlich würde ich darin durchaus eine Bereicherung sehen. Mit Blick auf die LandespolitikerInnen von SPD und auch von uns Grünen gebe ich einer solchen Minderheitenregierung allerdings nur eine nicht allzu hohe Chance. (Noch ein Wort zur Mottenkistenkampagne: dass der Einfluss der LINKEN in einem solchen Arrangement besonders hoch wäre, glaubt außer der CDU niemand).
Ein Problem bei einer Tolerierung ist ein wichtiger Unterschied zu NRW. In den baden-württembergischen Landesverfasssung heißt es:
Art. 46 (1) Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt.
Das ist in NRW prinzipiell auch erst einmal so, allerdings sieht die Verfassung dort vor, dass es (nach einem zweiten und dritten Wahlgang mit absoluter Mehrheit) eine Stichwahl geben kann, bei der gewählt ist, wer die höchste Stimmenzahl erhält. Das ist in Baden-Württemberg nicht vorgesehen – d.h., zumindest bei der Wahl des Ministerpräsidenten müsste eine tolerierende LINKE mit Ja mitstimmen. In Gesetzgebungsverfahren geht es dann um die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 33 (2)). In der Geschäftsordnung des Landtags wird präzisiert (§97), dass es mehr Ja- als Nein-Stimmen geben muss, Enthaltungen werden nicht berücksichtigt. Hier würde es also im Zweifelsfall ausreichen, dass eine tolerierende LINKE sich enthält (wie in NRW).
4.c Es kommt zu einer Ampelkoalition oder zu einer tatsächlichen Koalition von SPD und Grünen mit der LINKEN. Beides halte ich für höchst unwahrscheinlich, ebenso wie eine schwarz-grüne Regierung. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass viele Grüne eine Regierung Mappus mitmachen würden, auch die CDU unter Mappus hat das ausgeschlossen.
4.d Inhaltlich völlig ausgeschlossen sind in der derzeitigen Lage – wie auch schon durch die derzeitig zu erwartenden Fraktionsgrößen – Modelle wie „Jamaika“, eine CDU-LINKE-Regierung oder andere Varianten.
Mein Fazit aus diesen möglichen Wahlausgängen ist klar: Wer einen Politikwechsel in Baden-Württemberg möchte, ist mit einer Stimme für die Grünen oder (eingeschränkt) für die SPD auf der sicheren Seite.
Stimmen für die LINKE sind schwierig: Auf der einen Seite stimmt zwar das Argument, dass es, wenn die LINKE bis zu 4,9% erhält und nicht in den Landtag einzieht, sein kann, dass genau diese Stimmen letztlich fehlen, um Mappus abzusetzen und schwarz-gelb dann weitermachen kann. Wenn die LINKE in den Landtag kommt, also 5,0% oder mehr erhält, hat schwarz-gelb in der Tat keine Mehrheit mehr. Allerdings halte ich es dann für wahrscheinlich, dass es, sollte die LINKE in den Landtag einziehen, zu dem oben dargestellten Fall 4.a kommt (und eben nicht zu 4.b) – das heißt, zu einer Koalition von CDU und SPD unter Führung der CDU. Damit ist das Risiko mit einer Stimme für die LINKE in der aktuellen Lage hoch, dass (alle anderen Argumente, warum eine Präsenz der LINKEN im Landtag sinnvoll ist oder nicht, einmal beiseite gelassen) damit eine klare Mehrheit für eine Regierung aus Grünen und SPD verhindert wird, und dass eine ziemlich große Gefahr besteht, dass Mappus weiterregieren kann. Wer die LINKE wählen möchte, sollte sich dieses Risikos bewusst sein.
Warum blogge ich das? Vor allem natürlich, um die Piraten zu ärgen ;-)
Kurzer Kommentar meinerseits: Wenn ihr nicht wollt, dass die CDU mit dem „NRW-Modell“ Wahlkampf macht, dann schließt es doch einfach mal aus. Hier in Sachsen-Anhalt habe ich jedenfalls drei Tage vor der Wahl noch ein Werbeschreiben von Prof. Dalbert mit dem Inhalt im Briefkasten gehabt, dass aus ihrer Sicht Rot-Rot-Grün die absolut beste Konstellation sei und sie aktiv in diese Richtung wirken will. Wenn dann die CDU vor genau diesem Modell warnt, heißt es, es werde eine Rote-Socken-Kampagne gefahren. Ich finde, die Grünen müssten sich endlich mal für die eine oder andere Richtung entscheiden und sich entweder klar dazu bekennen, dass man als Bündnis 90 (oder eben aus anderen Gründen) nicht mit der Ex-SED koalieren möchte, oder aber dem Wähler offen sagen, dass man sich ein derartiges Modell gut vorstellen kann. Beide Entscheidungen wären aus demokratischer Sicht vollkommen in Ordnung – politisch kann man da ja geteilter Meinung sein – dem Wähler gegenüber wäre es aber nur fair, hier klar und eindeutig Farbe zu bekennen…
Könnte doch auch sein, dass sich die CDU nach der Wahlniederlage einen neuen potenziellen Ministerpräsidenten töpfert (analog Thüringen), der dann von Grüns mit gewählt wird.
@Christian: Ich finde Winfried Kretschmann in dieser Hinsicht sehr glaubwürdig (und das, was die CDU und die FDP daraus machen), großen Quatsch.
Kretschmann sagt in Übereinstimmung mit unserer Parteilinie: Wir reden mit allen, aber es gibt Wunschkoalitionen. Grün-rot / rot-grün ist die Wunschkoalition, alles andere kann in bestimmten Situationen notwendig sein, um einen politischen Wechsel halbwegs hinzubekommen. Und dazu gehört eben auch, dass die sehr, sehr skeptisch betrachtete LINKE möglicherweise eine rot-grüne Minderheitenregierung tolerieren könnte. Dass es aber sehr viel besser wäre, eine eigene Mehrheit zu kriegen – die neusten Umfrageergebnisse deuten das ja auch an.
Zu diesem Thema gehört dann auch die von @peeka angedeutete Überlegung, die aber eben auch erst in einer Situation relevant wird, in der rot-grün oder grün-rot nicht möglich ist – und die ich ebenfalls für sehr unwahrscheinlich halte; Mappus steht schon für einen bestimmten Typus CDU hier im Ländle, und die hat derzeit ganz klar die Oberhand.
Vielleicht ist es auch wichtig, in puncto LINKE nochmal genau hinzuschauen. Bei der FDP wird getwittert, die Grünen würden das Land den Kommunisten in den Rachen werfen wollen (sinngemäßes Zitat aus meiner Erinnerung), so im Sinne der Adenauerschen Wege nach Moskau – faktisch geht’s drum, dass es möglich ist, dass eine rot-grüne oder grün-rote Koalition darauf angewiesen ist, sich von einer mehr oder weniger linkssozialdemokratischen Partei (nein, hier im Westen ist das definitiv nicht die Ex-SED, vielmehr oft Ex-SPD) tolerieren zu lassen. Untergang des Abendlandes? Sehe ich nicht.
Ich hoffe doch sehr, dass es nicht – obwohl ich zugebe, dass ich es irgendwie befürchte -, dass der von dir geschilderte Fall 3 eintritt. Das wäre wirklich eine Katastrophe!
Zu den anderen Varianten: Als (noch) NRW’lerin finde ich die Minderheitsregierung mittlerweile gar nicht mehr so übel, da rate ich zu mehr Mut! Diese Variante muss nicht die schlechteste sein!
Ihr könnt den Wahlkampf einstellen, Brüderle hat übernommen :-) Der Mann ist doch Gold wert.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,752847,00.html
Für uns ist die Wahl noch kein gmähts Wiesle, aber immerhin ist die Wahlbeteiligung, die sich da abzeichnet, der Hammer. Bei uns hat schon fast ein Fünftel gewählt. Ich auch, vor 2 Wochen. Themen wie S21 oder Fukushima führen offenbar zu einer beispiellosen Politisierung der Gesellschaft.
eins ist heute schon klar: es bleibt spannend! :-)
Ich würde mir fast sogar wünschen, dass die Linkspartei in den Landtag einzieht – zum einen, weil dann gesichert ist, dass Schwarz-Gelb keine Mehrheit bekommt und zum Anderen, um zu schauen, was dann passiert (so Popcorn und so).
Es wäre einfach das Absurdeste, wenn die SPD bei einer Rot-Rot-Grün-Mehrheit mit der Schwarzen Pest koaliert.
Man ist doch nicht seit Bestehen des Landes in der Opposition (wurde aufm „Ländle“ in der Jugend und danach für Sozi-Mitgliedschaft verspottet) um dann mit dem korrupten Feind zu koalieren und einfach gar nichts an den bestehenden Machtverhältnissen zu ändern. Das ist der große Unterschied zu all den anderen Schwarz-Rot-Ländern: So eine Chance wegen diesem mich seit 2005 nervenden Rumgeeiere zu verspielen… Das wäre sozusagen ein interessanter, erkenntnisreicher Test für die SPD (für die Grünen natürlich auch). Danach dürfte dann die SPD gestorben sein und kann gerne auf der politischen Landkarte auf die Stufe der FDP (Mehrheitsbeschaffer für die CDU) gesetzt werden.
BTW: Das Foto oben zeigt übrigens den Verbindungstunnel zwischen dem Stuttgarter Landtag und dem Haus der Abgeordneten.
*lacht* Ach nein. Nicht alle zumindest. Es ist Dein gutes Recht. Hier macht es den eigenen Standpunkt aus.
Du argumentierst kurzfristig und natürlich pro eigene Partei. Dein Argument: „wer Mappus nicht will…“.
Es war jedoch schon immer meine Überzeugung das man sich selbst besser stellt wenn man aufgrund seiner Überzeugungen wählt – also für etwas stimmt. Das mag kurzfristig über einen gewissen Zeitraum (nämlich m.E. maximal eine Wahlperiode) einen Nachteil bedeuten. Mittelfristig führt es aber zu einer deutlichen Verbesserung. Schon vor Ende einer Wahlperiode kann ein gutes Ergebnis für die *eigene* Meinung z.B. in anderen Ländern oder auf Bundesebene zu einer entsprechenden Änderung führen.
Nur so, nur mit eintreten für eigene Überzeugungen wird auf längere Sicht gesehen auch wirklich der Wählerwille exakter™ widergespiegelt.
Grüße
ALOA, der ein Pirat ist ;)
Aha, wer links wählt verhindert den Wechsel. Ist das nicht der gleiche Unsinn, den man vor 20 Jahren auch über die Grünen erzählt hat?
Ich ich bin in RP, aber ich werde sicher keine der neoliberalen Kriegstreiber wählen (CDU/SPD/Grün/FDP)