Mein letztes Update zur Corona-Lage hatte ich im März geschrieben. Und ich hatte irgendwie die Hoffnung, dass das dann vielleicht auch das letzte Update sein könnte, dass Corona tatsächlich irgendwann vorbei ist.
„Überraschenderweise“ ist das nicht so. Im südafrikanischen Sommer liefen dort die Zahlen für die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 hoch. Das wurde mit irgendwelchen Besonderheiten der dortigen Demografie wegerklärt. Vor einigen Wochen, in diesem sehr heißen Nordhalbkugel-Sommer, ging‘s dann in Portugal steil nach oben. Währenddessen drehte sich unsere politische Diskussion nach dem Auslaufen der fünften (oder sechsten?) Welle vor allem darum, auf den Herbst und den Winter vorbereitet zu sein. Schließlich wissen wir ja, dass Corona im Sommer pausiert.
Seit ein paar Tagen steigen jetzt auch die Inzidenzen in Deutschland wieder massiv an, vermutlich ist die Dunkelziffer noch deutlich höher, weil PCR-Tests kaum zu kriegen sind. Und auch „harte“ Indikatoren wie die Hospitalisierung scheinen wieder nach oben zu gehen.
In den sequenzierten Laborproben steigt der BA.4/BA.5‑Anteil von Woche zu Woche an, genauer gesagt: er verdoppelt sich wöchentlich.
Anders gesagt: die „Sommerwelle“ ist zur großen Überraschung insbesondere der Bundespolitik – und hier insbesondere der FDP – längst da.
Gleichzeitig sind fast alle Maßnahmen aufgehoben. Der Impffortschritt lässt sich kaum noch messen, Impfen scheint zwar das Risiko schwerer Verläufe deutlich zu senken, schützt aber nicht vor Infektion oder Infektiösität. Und die gegen die BA.4/BA.5‑Varianten vermutlich gar nicht so wirkungsvolle Omikron-Impfung kommt erst im Herbst.
Masken müssen nur noch im ÖPNV und Zugverkehr getragen werden. Getestet wird nur noch in Krankenhäusern. Schulunterricht findet ohne Netz statt, und beim Einkaufen bin ich einer von wenigen, der noch Maske trägt. Maskentragen ist zwar – klare Evidenz – ein wirksames Instrument, aber die FDP setzt lieber auf Eigenverantwortung.
PCR-Tests werden nur bei Symptomen durchgeführt; gleichzeitig wollen viele Teststellen keine Menschen mit Symptomen sehen und verweisen dann auf Hausärzt*innen. Und ob Selbsttests mit Schnelltests ausschlagen, scheint Glücksspiel zu sein. Plus: Eigenverantwortung, siehe oben.
Wer nachweislich infiziert ist, gilt nach fünf Tagen als Genesen … egal, ob freigetestet oder nicht.
Unterm Strich herrscht in der gesellschaftlichen Gesamtsituation das Gefühl vor, Corona sei jetzt vorbei. Beschränkungen des öffentlichen Lebens gibt es keine mehr, immer mehr Veranstaltungen finden „endlich wieder“ in Präsenz statt. Das ist ja einerseits schön und gut, und ich kann verstehen, warum das so ist, und warum viele darauf fiebern – andererseits würde ich gerne an einer Infektion vorbeikommen, die ein Risiko für Langzeitschäden an Gehirn und Nervensystem bedeutet, und bei der noch immer nicht ganz klar ist, warum zehn bis zwanzig Prozent dann – körperlich nachweisbar – unter Long Covid leiden. Das sind mir noch zu viele Unbekannte.
Mich stellt das – Eigenverantwortung – vor die Frage, wie ich damit umgehen soll. Da hilft es nicht, wenn der Twitter-Lauterbach zu Maskentragen und Vorsicht aufruft, der Minister-Lauterbach sich damit im Kabinett aber nicht durchsetzen kann. Veranstaltungen zu meiden – das geht nur in einem begrenzten Maße. Und da kann ich mich zwar vorsichtig verhalten, testen, Maske tragen und Abstand halten (und mit dem Rad statt mit dem ÖPNV fahren) – aber solange das andere nicht machen, hilft‘s halt nur begrenzt. Dazu kommt die Schule der Kinder samt Clustern auf Klassenfahrten usw.
Das lässt mich alles weiter ratlos und sauer zurück. Und hey: eigentlich wäre genug Zeit gewesen, um auf Bundesebene klarzukriegen, dass manche niedrigschwellige Maßnahmen helfen könnten. Statt dessen wurde auf Druck der FDP der Werkzeugkasten im Infektionsschutzgesetz leergeräumt, so dass den Ländern die Hände gebunden sind. Und die Idee einer Impfpflicht ist im politischen Kindergarten verhungert. Insofern steht alles still, schaut ganz überrascht auf die Zahlen, und macht: nichts. Was auch nicht weiterhilft.
(Und spätestens bei krankheitsbedingten kurz- und irgendwann auch langfristigen Ausfällen in der Wirtschaft fängt das dann auch an, richtig wehzutun …)
Mit Blick auf die Schwierigkeiten, die China inzwischen hat, eine No-Covid-Policy umzusetzen – Millionenstädte werden eingesperrt – kann ich verstehen, warum das auch kein guter Weg ist. Aber Ansteckungen zu minimieren, erscheint mir als politisches Ziel nach wie vor logisch und sinnvoll. Eben beispielsweise durch eine Maskenpflicht in Innenräumen, durch die Möglichkeit, den Impfstatus zu kontrollieren. Dazu bräuchte es eine gesetzliche Grundlage, und da ist der Bund gefragt.
Statt dessen Verantwortungsdiffusion, noch nicht einmal – was ich falsch fände – ein Wechsel in Richtung einer Durchseuchungsstrategie, sondern schlicht: abwarten und mit dem Finger auf andere zeigen. Durchseuchung würde einen gewissen Sinn ergeben, wenn Ansteckungen zu Immunität führen würden – das ist aber gerade bei Omikron und den neuen Varianten davon wohl nicht der Fall. Insofern ist mir unklar, was die FDP-Prinzipienreiterei jetzt eigentlich soll. Oder geht‘s schlicht darum, eine bestimmte Ideologie durchzusetzen, ohne nach links, nach rechts oder gar auf die wissenschaftliche Evidenz zu schauen?
Wenn das so ist, dann würde das auch die eine oder andere Sturheit in den anderen beiden Krisen erklären – Tankrabatt, das beharrliche Weigern, sich mal die Fakten zum Tempolimit anzuschauen, … von der Klimakrise, die schlicht akut da ist, und dringendstes Handeln erfordern würde, will ich gar nicht reden.
Kurzum: die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber alle ducken sich weg, und hoffen, dass wir trotzdem irgendwie rauskommen. Vielleicht stellt ja jemand einen Fünf-Punkte-Plan vor oder findet ein Wording oder Narrativ, das gegen SARS-CoV‑2 effektiv wirkt.