Kurz: Heiße Phase im Straßenbahnwahlkampf eingeläutet

Straßenbahn-Wahlkampf, Gundelfingen

Seit einer Woche darf pla­ka­tiert wer­den – die hei­ße Pha­se im Wahl­kampf um den Bür­ger­ent­scheid für die Wie­der­auf­nah­me der Stra­ßen­bahn-Pla­nun­gen hat begon­nen. Der Bür­ger­ent­scheid selbst fin­det am 12. Novem­ber 2023. Neben Pla­ka­ten wird es bis dahin auch noch eini­ges an offi­zi­el­len und inof­fi­zi­el­len Info-Ver­an­stal­tun­gen, Fly­ern, Info­stän­den und so wei­ter geben. Dann haben die Gundelfinger*innen das Wort, und kön­nen ent­schei­den, ob die Pla­nung für die Stra­ßen­bahn­ver­län­ge­rung der Linie 4 aus den 1990er Jah­ren aktua­li­siert wird – womit eine Grund­la­ge für eine fun­dier­te Ent­schei­dung pro/contra Stra­ßen­bahn vor­lie­gen wür­de – oder ob wie in ande­ren Orten aus Angst vor der Bau­pha­se und Fehl­vor­stel­lun­gen dar­über, wie eine Stra­ßen­bahn funk­tio­niert, die­ses Vor­ha­ben abge­sagt wird. Frei­burgs Stadt­teil St. Geor­gen stand vor eini­gen Jah­ren vor einer ähn­li­chen Ent­schei­dung, hat die Stra­ßen­bahn­an­bin­dung abge­lehnt und bedau­ert das jetzt.

Neben den Pla­ka­ten der Bür­ger­initia­ti­ve – die zei­gen, wie lebens­wert ein Ort mit Stra­ßen­bahn sein kann – und denen der Geg­ner (aggres­si­ves Ver­bots­schild, und der künst­li­che Gegen­satz von „Stadt­bahn“ und „Dorf“) haben auch wir Grü­nen ein paar Pla­ka­te unter dem Mot­to „Ja zur Stra­ßen­bahn-Pla­nung“ auf­ge­hängt. Im Ver­gleich zu der sehr gro­ßen Pla­katan­zahl der aus dem Gun­del­fin­ger Arbeits­kreis Mobi­li­tät her­vor­ge­gan­ge­nen Stra­ßen­bahn-BI und denen der Gegner*innen (die bereits im August, weit vor Beginn der offi­zi­el­len Fris­ten, die Gemein­de mit Ban­nern geflu­tet hat­ten) gehen unse­re weni­gen Pla­ka­te aller­dings fast unter. Dass ein Vier­tel davon kurz nach dem Auf­hän­gen zer­stört oder abge­ris­sen wur­de, trägt auch nicht zur Sicht­bar­keit bei. Über zer­stör­te Pla­ka­te klagt auch die BI für die Stra­ßen­bahn. Es ist ein biss­chen beängs­ti­gend zu sehen, was ein sach­li­ches The­ma wie die Fra­ge zukunfts­fä­hi­ger Mobi­li­tät für Pola­ri­sie­rung und Aggres­si­on her­vor­ruft. Neben Ängs­ten um das „Dorf“ mit sei­nen inzwi­schen fast 12.000 Einwohner*innen – ande­re Gemein­den die­ser Grö­ße den­ken dar­über nach, das Stadt­recht zu bean­tra­gen – dürf­te da auch mit­spie­len, dass die Stra­ßen­bahn eine Alter­na­ti­ve zum Auto­ver­kehr dar­stellt. Und Autos sind viel zu vie­len Men­schen lei­der immer noch ein Heiligtum.

Die Geg­ner der Stra­ßen­bahn stel­len ein E‑Bus-Sys­tem ins Schau­fens­ter. Das gibt es noch nicht, es gibt auch kei­ne kon­kre­ten Aus­sa­gen dazu, was das kos­ten wür­de, und die Anti-Stra­ßen­bahn-Frak­tio­nen FW, SPD und CDU haben bis­her auch nichts unter­nom­men, um so ein Sys­tem zu eta­blie­ren. Mit ande­ren Wor­ten: das ist eine Chi­mä­re. Bei der Stra­ßen­bahn lässt sich dage­gen selbst ohne kon­kre­te Pla­nung jetzt schon sagen, dass die Kos­ten zu einem gro­ßen Teil vom ZRF über­nom­men wer­den wür­den. Und wie gut eine dich­te Bahn­an­bin­dung funk­tio­niert, lässt sich in Frei­burg stu­die­ren. (Bei eini­gen Gegner*innen habe ich das Gefühl, dass die­se die Orts­gren­zen Gun­del­fin­gens in den letz­ten zwan­zig Jah­ren nie über­schrit­ten haben …). Dass FW und CDU sich (mehr­heit­lich) mit der Stra­ßen­bahn nicht anfreun­den kön­nen, war zu erwar­ten. Die Hal­tung der SPD irri­tiert – nicht nur mich, son­dern auch die Jusos Breis­gau-Hoch­schwarz­wald. Mal sehen, was die nächs­ten Wochen bringen.

Photo of the week: Spittelau – Hundertwasser MVA – VIII

Spittelau - Hundertwasser MVA - VIII

 
Ein letz­tes Foto aus Wien. Eigent­lich woll­te ich mir ja das Hun­dert­was­ser-Haus anschau­en, bin dann aber in der U‑Bahn in die fal­sche Rich­tung gestie­gen und kurz­ent­schlos­sen zur Müll­ver­bren­nungs­an­la­ge Spit­tel­au gefah­ren. Frie­dens­reich Hun­dert­was­ser (auch bekannt für den Bahn­hof Uel­zen bei Lüne­burg) hat hier nach einem Brand in den 1980er Jah­ren die Fas­sa­de der Müll­ver­bren­nungs­an­la­ge neu gestal­tet (nicht im Bild: die gol­de­ne Kup­pel, die den Schorn­stein krönt). Ich bin dem Pro­jekt zum ers­ten Mal als Jugend­li­cher in einem groß­for­ma­ti­gen Hun­dert­was­ser-Kunst­band begeg­net, den ich damals geschenkt bekom­men habe. Da wird schon deut­lich, dass das (dort als „Heiz­be­trieb Spit­tel­au“ fir­mie­rend) eine zwie­späl­ti­ge Sache ist, und dass wohl auch Hun­dert­was­ser selbst hin- und her­ge­ris­sen war, ob er den Auf­trag anneh­men soll, die­se Müll­ver­bren­nungs­an­la­ge in mit­ten der Stadt Wien vom Indus­trie­zweck­bau zu einem Kunst­werk umzu­ge­stal­ten. In dem Buch (Har­ry Rand, Hun­dert­was­ser, Taschen 1991, S. 70) ist ein lan­ger Brief Hun­dert­was­sers doku­men­tiert, in dem er die Vor- und Nach­tei­le abwägt, den Dioxin­ge­halt in der Abluft der MVA beschreibt, das Ide­al der abfall­lo­sen Gesell­schaft und des völ­li­gen Ver­zichts auf fos­si­le Brenn­stof­fe ent­wi­ckelt und letzt­lich die Ent­schei­dung für die Gestal­tung „die­ses neu­en Wahr­zei­chens“ trifft. Poli­ti­sche Kunst? Deko­ra­ti­on? Kitsch? Wie­der­ver­zau­be­rung? Man weiß es nicht. 

(Fast inter­es­san­ter als die Kunst am Bau: die Gestal­tung des Plat­zes davor, nicht von Hun­dert­was­ser, son­dern durch die Wien Ener­gie, mit solar­be­trie­be­nem Schat­ten- und Küh­le­s­pen­der, Hips­ter-Würs­tel­stand und Aufenthaltsqualität.)

Photo of the week: Bratislava XXVIII – Alien tripod

Bratislava XXVIII - Alien tripod

 
Aus der Über­le­gung her­aus, dass ich „eh schon da bin“, habe ich bei mei­nem Wien-Besuch auch einen Abste­cher nach Bra­tis­la­va gemacht. Das hat soweit auch gut funk­tio­niert – es fährt alle hal­be Stun­de oder so eine, in mei­nem Fall sehr vol­le, Regio­nal­bahn von Wien da hin. 

Fun fact am Ran­de: erst im Nach­hin­ein ist mir beim Blick auf eine Kar­te auf­ge­fal­len, dass nicht nur Wien und Bra­tis­la­va auf dem sel­ben Brei­ten­grad lie­gen, son­dern dass die­ser mehr oder weni­ger iden­tisch mit dem von Frei­burg ist (48°). Luft­li­nie war also ganz gera­de aus nach Osten, fak­tisch bin ich auf dem Weg von Frei­burg nach Wien (bzw. auf der Rück­rei­se) ganz anders gefah­ren, mit wei­ten Bögen nach Nor­den bzw. Süden. Im Ver­gleich dazu war Wien-Bra­tis­la­va schnur­ge­ra­de. Die Land­schaft wirk­te ziem­lich leer, neben Land­wirt­schaft war auch das eine oder ande­re Wind­rad­feld (ich mei­ne, noch in Öster­reich) zu sehen.

Bra­tis­la­va selbst mach­te auf mich bei mei­nem Halb­ta­ges­buch einen span­nen­den Ein­druck – an der einen oder ande­ren Stel­le, ins­be­son­de­re rund um den Bahn­hof, noch durch ver­fal­le­nen Ex-Ost­block-Charme gekenn­zeich­net, Alt­stadt und Burg schick her­ge­rich­tet (und das Essen bei San Mar­ten mit frisch zube­rei­te­ter haus­ge­mach­ter Pas­ta war her­vor­ra­gend), und vom Burg­berg aus gab’s die Kom­bi­na­ti­on aus his­to­ri­schen Kirch­tür­men, Plat­ten­bau­ten, am Hori­zont Wind­rä­dern, und hoch­mo­der­nen Glas-Stahl-Kon­zern­zen­tra­len zu sehen. 

Einen klei­nen Ein­blick gibt auch das heu­ti­ge Foto: links die SNP-Brü­cke aus den spä­ten 1960er Jah­ren, die mich stark an die BBC-Ver­fil­mung „Die drei­bei­ni­gen Herr­scher“ aus mei­ner Kind­heit erin­ner­te, rechts eine his­to­ri­sche Häu­ser­zei­le am Burgberg. 

Nix von X

Fürs Pro­to­koll: nach mei­ner mir wei­ter unkla­ren Twit­ter-Sper­rung durch die X Corp habe ich sofort auf den Ein­spruch-But­ton geklickt und dann auch noch mal sepa­rat eine Mail an die irgend­wo im Impres­sum ver­steck­te de-Sup­port-Adres­se geschickt.

Eine Reak­ti­on gab es bis heu­te nicht. Irgend­wie erscheint mir das nicht rich­tig. Lei­der ist das deut­sche Umset­zungs­ge­setz für den Digi­tal Ser­vices Act erst für Janu­ar ange­kün­digt, das wür­de zumin­dest eine Art Ver­fah­ren definieren.

Ich bin noch nicht ent­schie­den, was ich jetzt mache – Wink des Schick­sals, es mit Twit­ter jetzt halt blei­ben zu las­sen, oder Stur­heit und gucken, ob es einen recht­li­chen oder wie auch immer gear­te­ten Weg gibt, den Account wie­der frei zu bekommen?

(Dass ich gera­de Micha­el See­manns klu­ges Buch über die Macht der Platt­for­men gele­sen habe, hilft nur bedingt wei­ter. Immer­hin könn­te ich jetzt mit klar defi­nier­ten Begrif­fen beschrei­ben, war­um „X“ es sich leis­ten kann, so vorzugehen.)

Leseempfehlung: Tomorrow and tomorrow and tomorrow

Titelseite "Tomorrow and tomorrow and tomorrow" Ich weiß gar nicht genau, wo ich eine Emp­feh­lung für die­ses Buch gese­hen habe, aber wohl, dass ich es dann als Buch haben woll­te, und nicht nur als e‑Book. Das mag auch mit der Gro­ßen Wel­le (Hoku­sai) zu tun haben, die pro­mi­nent den Titel schmückt. Knapp 500 Sei­ten, und ein Buch, das ich am liebs­ten auf ein­mal gele­sen hät­te; fak­tisch bin ich zwei Näch­te lang defi­ni­tiv zu spät ins Bett gegan­gen, um Tomor­row and tomor­row and tomor­row von Gabri­el­le Zevin (2022) zu verschlingen. 

Und ja: das Buch emp­feh­le ich ger­ne wei­ter. Aller­dings ist es gar nicht so ein­fach, auf den Punkt zu brin­gen, war­um. Zevins Stil gefällt mir. Sie schreibt warm­her­zig, humor­voll, mul­ti­per­spek­ti­visch, nicht ver­küns­telt, aber expe­ri­men­tier­freu­dig (bei­spiels­wei­se gibt es ein Kapi­tel, das in einer Mischung aus Star­dew Val­ley, Ore­gon Trail und Ani­mal Crossing – dem fik­ti­ven MMORPG Pio­neers - spielt). Mul­ti­per­spek­ti­visch nicht nur des­we­gen, weil die Erzähl­cha­rak­te­re immer mal wie­der wech­seln, son­dern vor allem auch des­we­gen, weil Zevin uns an deren Ver­mu­tun­gen über die Moti­va­tio­nen der ande­ren Mit­spie­len­den teil­ha­ben lässt. Soviel sei gesagt: Inten­tio­nen und Deu­tun­gen gehen teil­wei­se weit aus­ein­an­der – wie im rich­ti­gen Leben. Und auch das trägt dazu bei, Sadie, Sam und Marx leben­dig wer­den zu lassen.

Sam und Sadie ken­nen sich aus einer Kind­heit in den 1980er Jah­ren, haben sich dann nach einem Streit aus den Augen ver­lo­ren. Marx ler­nen die bei­den beim Stu­di­um in Bos­ton ken­nen. Sadie kommt aus der jüdi­schen Bour­geoi­sie Los Ange­les. Sam wächst nach dem Tod sei­ner Mut­ter bei einem schwe­ren Unfall bei sei­nen kora­ni­schen Groß­el­tern auf, die im K‑Town von LA eine Piz­ze­ria betrei­ben. Und Marx hat einen japa­ni­schen Vater und eine korea­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Mut­ter, die in Japan leben. Sadie liebt Com­pu­ter­spie­le, Sam eben­falls – und natür­lich sind sie Nerds. 

Ober­fläch­lich betrach­tet han­delt das Buch davon, wie die­se drei aus dem Stu­di­um (Har­vard, MIT, …) her­aus ihr ers­tes Indie-Game schrei­ben und dann eine flo­rie­ren­de Spie­le­fir­ma grün­den – mit einem Hand­lungs­bo­gen, der bis ca. 2010 reicht. Die­se Beschrei­bung wird dem Buch aber nicht gerecht. Es geht nicht um eine Erfolgs­sto­ry. Viel­mehr ähnelt das Buch in gewis­ser Wei­se David Mit­chells Uto­pia Ave­nue, der Geschich­te einer fik­ti­ven Band. In bei­den Fäl­len sehen wir die Innen­sei­ten, die Zwei­fel und die Zufäl­lig­kei­ten hin­ter dem Erfolg, die Men­schen und die fik­ti­ven Pro­duk­te ihrer Krea­ti­vi­tät. In Mit­chells Fall sind das Songs und Alben, bei Zevin eine Rei­he von Indie-Games, die alle real sein könnten.

Zugleich han­delt das Buch von losen Ver­knüp­fun­gen über die Zeit – und von dem Mit- und Gegen­ein­an­der roman­ti­scher Bezie­hun­gen und einer dar­über hin­aus­ge­hen­den Lie­be. Es geht um das Ver­ste­cken der eige­nen Per­son auch zwi­schen Leu­ten, die sich sehr lan­ge und sehr gut ken­nen. Und es ist, so jeden­falls mein Gefühl beim Lesen, eine ziem­lich tref­fen­de Beschrei­bung mei­ner Gene­ra­ti­on; einer Gene­ra­ti­on, in der Com­pu­ter­spie­le groß wur­den. Also viel Wie­der­erken­nungs­wert – auch für Men­schen, die gar kei­ne Com­pu­ter­spiel­fir­ma gegrün­det haben, nicht in LA auf­ge­wach­sen sind und viel­leicht sogar viel weni­ger Zeit mit Games ver­bracht haben als die Haupt­per­so­nen von Tomor­row and tomor­row and tomor­row. Dass das Buch eben auch ein Gene­ra­tio­nen­buch ist, wird beson­ders am Schluss deut­lich, wenn Sadie auf 20 Jah­re jün­ge­re Student*innen trifft und deren ganz ande­re – erns­te­re, schwie­ri­ge­rer – Hal­tung zu Welt beschreibt.

Tomor­row and tomor­row and tomor­row – der Titel ist übri­gens von Shake­speare, der auch eine Rol­le spielt – ist kein Gen­re-Buch, viel­mehr eine dich­te und genau beob­ach­te­te lite­ra­ri­sche Beschrei­bung unse­rer nahen Ver­gan­gen­heit. Und obwohl ziem­lich viel Tra­gik in der Geschich­te von „Unfair Games“ liegt, weht ein Hauch von Star­dew Val­ley oder – aus SF-Per­spek­ti­ve – von Solarpunk/Hopepunk durch das Buch.