So ein Virus ist ziemlich unbeeindruckt von politischen Landgewinnen. In den letzten Monaten haben „wir“ – Bund, Länder, Bürger*innen – die Pandemie schleifen lassen. Niemand wollte sich bei scheinbar niedrigen Werten mit Entschlossenheit hervortun und Proteste in Kauf nehmen. Auch das ist für das Virus – insbesondere in der Delta-Version – egal. Wenn nicht genügend Menschen geimpft sind, breitet es sich aus. Und wenn dann keine Kontakte beschränkt werden, Masken getragen, usw., breitet es sich schneller und stärker aus. Egal, wer mit welchem Finger auf wen zeigt.
Heute hat der Bundestag das novellierte Infektionsschutzgesetz beschlossen. Eigentlich wollte die Ampel damit – noch vor der Einigung auf einen Koalitionsvertrag, noch vor der Regierungsübernahme – Handlungsfähigkeit zeigen. Herausgekommen ist in der ersten Fassung etwas ziemlich juristisch-realitätsblindes, in der zweiten Fassung, die jetzt abgestimmt wurde, ein nachgebessertes Gesetz, das vielleicht hilft, vielleicht auch nicht.
Dass nachgebessert wurde, hat etwas mit der harten Kritik der Länder zu tun, denen die Handlungsgrundlage entzogen werden sollte, die Pandemie sachgerecht zu bekämpfen. Und damit, dass die Prognosen des RKI und der Virolog*innen eingetroffen sind. Auf dem Scheitelpunkt der vierten Welle zeigt sich, wie wichtig möglicherweise auch unpopuläre Maßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen und dergleichen mehr sein könnten.
Das jetzt verabschiedete Gesetz würde dem enge Grenzen setzen, auch in der nachgebesserten Version.
Die CDU/CSU hat in dieser Situation sehr schnell vergessen, dass sie noch die Bundesregierung stellt und auch in x Ländern an der Regierung ist – darunter einige der in der vierten Welle am stärksten betroffenen. Sie zeigt jetzt mit dem Finger auf die Ampel – teilweise mit durchaus berechtigten Argumenten – und kündigt an, das Gesetz morgen im Bundesrat zu blockieren.
Da fahren jetzt zwei Züge aufeinander zu. Sackgasse. Aus der Sicht der einen ist die noch gar nicht konstituierte Ampelregierung schuld an der jetzigen pandemischen Lage, aus der Sicht der anderen blockiert die Union notwendige Schritte. Am Ende leiden wir alle darunter. Und die AfD samt Impfgegnerschaftsquerdenkerclub lacht sich ins Fäustchen.
Ich bin gerade ehrlich enttäuscht. In einem Paralleluniversum würde dieses Interregnum mitten in einer Pandemie dazu genutzt, interfraktionell, ohne Fraktionszwang, nach den besten Lösungen zu suchen.
Statt dessen werden schon einmal Gräben eingezogen. Ich weiß nicht, wer glaubt, dadurch etwas zu gewinnen. Letztlich verlieren wir alle.
Und die mögliche neue Regierung steht damit unter einem schlechten Stern, bevor sie überhaupt einen Koalitionsvertrag vorgelegt hat, bevor die sie tragenden Parteien überhaupt zugestimmt haben. Aufbruch sieht anders aus, und ein neuer Politikstil ist das ebenfalls nicht.
P.S.: Etwas versöhnlicher sieht die Lage nach der abendlichen MPK aus – Merkel, Scholz und die MPs betonen die Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens, Blockade im Bundesrat wird es nicht geben, statt dessen Evaluierung und ggf. Verschärfung der Maßnahmen im Dezember.
2 Antworten auf „Kurz zur pandemischen Lage“