Zum Abend des Tags der Arbeit

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Jut­ta All­men­din­ger, Wis­sen­schafts­zen­trum Ber­lin, spricht sich u.a. in der Bri­git­te dafür aus, die regu­lä­re Voll­zeit­ar­beits­zeit auf 32 Stun­den zu ver­kür­zen. Ähn­lich ein Auf­ruf diver­ser Per­sön­lich­kei­ten des öffent­li­chen Lebens aus dem Febru­ar 2013 für die 30-Stunden-Woche.

Fin­de ich gut. Auch wenn eine Ver­kür­zung auf 32 oder 30 Stun­den gar kei­ne ganz so revo­lu­tio­nä­re Maß­nah­me ist – dem einen oder der ande­ren wird noch die Paro­le „35-Stun­den-Woche“ der IG Metall aus den 1980er Jah­ren in Erin­ne­rung sein, die dann in die­ser Bran­che auch umge­setzt wur­de. So groß sind die Dif­fe­ren­zen nicht, auch wenn die rea­le Ent­wick­lung in den letz­ten Jah­ren in eine ande­re Rich­tung gegan­gen ist.

Gut fin­de ich All­men­din­gers For­de­rung zum einen arbeits­so­zio­lo­gisch. Mei­ne eige­ne Befra­gung von Mit­ar­bei­te­rIn­nen einer Lan­des­forst­ver­wal­tung (2008) brach­te im Hin­blick auf die „Wunsch­ar­beits­zeit“ der Beschäf­tig­ten ganz ähn­li­che Ergeb­nis­se. Oft wird „Teil­zeit­ar­beit“ ja vor allem als Kar­rie­re­fal­le, als Miss­stand etc. dar­ge­stellt, in Kom­bi­na­ti­on mit der vor­ran­gig weib­li­chen Teil­zeit­ar­beit eben auch als Hin­der­nis auf dem Weg zur Gleich­be­rech­ti­gung der Geschlech­ter. Das mag empi­risch stim­men, scheint mir aber auch viel damit zu tun zu haben, was unter Teil­zeit ver­stan­den wird. 25, 30, 35 Stun­den „Teil­zeit“ sind etwas ande­res als 10 oder 15 Stun­den pro Woche.

Dann gibt es das, was All­men­din­ger in ihrem Inter­views als „es funk­tio­niert nicht“ anspricht. Mit Marx lie­ße sich auf Fischen, Jagen, Bücher schrei­ben ver­wei­sen, mit der femi­nis­ti­schen Arbeits­so­zio­lo­gie Ingrid Kurf-Scherfs auf den schö­nen Begriff der „Sozia­bi­li­tät“. Über­setzt wer­den könn­te das mit „Gesell­schafts­ver­träg­lich­keit“, und Kurz-Scherf sieht hier eine zen­tra­le Norm, die an gute Arbeit gerich­tet wer­den soll: Erwerbs­ar­beit soll nicht nur gut bezahlt sein, inter­es­sant gestal­tet sein, Spiel­räu­me und Auto­no­mie ermög­li­chen, son­dern sie soll gesell­schafts­ver­träg­lich sein. Sie soll Zeit für Fami­li­en­ar­beit las­sen, für Muße und Wei­ter­bil­dung, aber eben auch für demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment. Und dafür scheint mir eine Ziel­mar­ke „Voll­zeit = 32h“ schon ein guter Schritt zu sein.

(Wenn Arbeits­zeit nicht nur auf Erwerbs­ar­beit bezo­gen wird, zeigt sich übri­gens, das fast alle Voll­zeit arbei­ten – und dass die wöchent­lich höchs­ten Arbeits­zei­ten bei teil­zeit­er­werbs­tä­ti­gen Müt­tern mit Kin­dern lie­gen. Das zei­gen sowohl Zeit­bud­get­er­he­bun­gen als auch mei­ne oben bereits erwähn­te Mitarbeiterbefragung.)

Noch radi­ka­ler als All­men­din­gers For­de­rung nach der 32-Stun­den-Woche ist die For­de­rung nach der „Halb­tags­ge­sell­schaft“, die zum Teil aus der Nach­hal­tig­keits­de­bat­te her­aus erho­ben wird, ger­ne auch in Ver­bin­dung mit dem bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­men. Der Ver­zicht auf Arbeits­zeit wird hier als Mit­tel dafür gese­hen, als Gesell­schaft aus der Wachs­tums­spi­ra­le herauszukommen.

War­um kommt es nicht dazu? Ver­mut­lich ste­hen einer Bewe­gung hin zur 32-Stun­den-Woche vor allem zwei Din­ge im Weg. Das eine ist die öko­no­mi­sche Fra­ge: Ent­we­der geht eine Redu­zie­rung der Arbeits­zeit mit Ein­kom­mens­ver­lus­ten ein­her. Die­se mit Zeit­ge­win­nen gegen­zu­rech­nen, mag nicht jedem und jeder selbst­ver­ständ­lich erschei­nen. Oder aber die Löh­ne und Gehäl­ter pro Stun­de stei­gen ent­spre­chend, dann stei­gen die Kos­ten pro „Pro­dukt“. Hier steht sicher­lich ein gro­ßes Fragezeichen.

Das ande­re ist die Kul­tur­fra­ge: Lässt sich inter­es­san­te, her­aus­for­dern­de, vor­bild­haf­te Arbeit tat­säch­lich unter­halb von 40, 50 oder 60 Stun­den pro Woche erbrin­gen? Was ist, wenn Füh­rungs­kräf­te dann einen hal­ben Arbeits­tag pro Woche nicht prä­sent sind? Arbei­ten ein­schrän­ken – in Deutsch­land undenk­bar? (Und die gan­ze Über­stun­den­pro­ble­ma­tik gibt es natür­lich auch noch – die rea­le Durch­schnitts­ar­beits­zeit in Voll­zeit liegt der­zeit bei 40,7 Stun­den pro Woche).

Apro­pos: Unser am letz­ten Wochen­en­de beschlos­se­nes Wahl­pro­gramm (pdf, Teil „Arbeit“) sagt hier rich­ti­ge Din­ge (Her­vor­he­bung von mir):

Dabei soll die Inte­gra­ti­on von Frau­en in den Arbeits­markt kei­ne ein­sei­ti­ge Anpas­sung an einen Arbeits­be­griff sein, der viel Zeit für Arbeit und kaum Zeit für Fami­lie, Enga­ge­ment und Muße beinhal­tet. Gera­de bei der Inklu­si­on von Frau­en in den Arbeits­markt und der gerech­te­ren Ver­tei­lung von Für­sor­ge­ar­beit zwi­schen Män­ner und Frau­en brau­chen wir neue Zeit­mo­del­le. Wir fol­gen dem Leit­bild einer voll­zeit­na­hen Teil­zeit­tä­tig­keit für Frau­en und Män­ner, die auch Raum für gerecht ver­teil­te Sor­ge- und Pfle­ge­ar­beit und für Unter­bre­chun­gen der Erwerbs­tä­tig­keit lässt. 

Wie gesagt. Ich fin­de das, allen zu lösen­den Pro­ble­men beim Weg dahin, die rich­ti­ge Rich­tung. Viel­leicht auch des­we­gen, weil ich das per­sön­lich seit Jah­ren sehr bewusst selbst als Modell gewählt habe (und froh bin, dass ich trotz­dem span­nen­de und her­aus­for­dern­de Arbeits­fel­der gefun­den habe). 

Mei­ne Arbeits­zeit lag zumeist for­mal bei 50 Pro­zent, aktu­ell beträgt mei­ne Arbeits­zeit 70 Pro­zent (27,65 Stun­den pro Woche). Fak­tisch kom­men mit Pen­del­zei­ten und der einen oder ande­ren pro­jekt­be­ding­ten Über­stun­de dann doch noch ein paar Stun­den mehr auf die Waa­ge. Ich mache mei­ne Arbeit ger­ne, alles ande­re wäre auch furcht­bar. Ich bin aber eben­so froh, dass ich Zeit für mei­ne Kin­der, fürs Rum­schlen­dern im Inter­net, fürs Blog­tex­te schrei­ben oder für poli­ti­sche Pro­jek­te habe. Und Haus­ar­beit und sowas gibt’s ja auch noch. 

Wie Men­schen das all­tags­or­ga­ni­sa­to­risch machen, die tat­säch­lich 40 Stun­den oder mehr pro Woche arbei­ten, bleibt mir rät­sel­haft. Län­ge­re Tage haben die ja auch nicht zur Ver­fü­gung, da bleibt für die Arbeit des All­tags kaum Zeit?! (Rele­vant hier­zu: Zeit­bud­get­er­he­bung des Sta­tis­ti­schen Bun­des­amts – lei­der schon zehn Jah­re alt)

War­um blog­ge ich das? Weil ich den Tag der Arbeit ungern ohne Kom­men­tar zum Arbeits­kult ver­strei­chen las­sen woll­te. Was mir hier­mit kurz vor der Dead­line gera­de noch gelun­gen ist.

P.S.: Aus einer ande­ren Per­spek­ti­ve passt dazu auch die aktu­ell auf­fla­ckern­de Debat­te um die „Gene­ra­ti­on Y“ und deren Wei­ge­rung, sich kom­plett der Arbeit zu unterwerfen. 

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