Das Spahn-Disaster

Jens Spahn ist Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der CDU/CSU im Bun­des­tag. So unschön das auch aus demo­kra­tie­theo­re­ti­scher Per­spek­ti­ve (frei­es Man­dat usw.) ist: eine der zen­tra­len Auf­ga­ben eines Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den besteht dar­in, Mehr­hei­ten zu orga­ni­sie­ren. Nach den Ereig­nis­sen vom Frei­tag bin ich mir nicht sicher, ob Spahn dazu in der Lage ist. 

Für den Frei­tag waren im Bun­des­tag die Wah­len von drei Verfassungsrichter*innen ange­setzt. Für einen die­ser Pos­ten hat­te die CDU/CSU das Vor­schlags­recht (und hat dazu den Vor­schlag der Richter*innen auf­ge­grif­fen), für zwei lag das Vor­schlags­recht bei der SPD. Die ent­spre­chen­den Vor­schlä­ge wur­den dem­nach bereits vor eini­gen Wochen in der Koali­ti­on geeint, dann gab es – so berich­tet es jeden­falls die grü­ne Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de Brit­ta Has­sel­mann – Gespräch mit Bünd­nis 90/Die Grü­nen. Aus Grün­den wei­ger­te sich die Uni­on, mit der Lin­ken zu spre­chen – inso­fern sah es so aus, als wäre die span­nen­de Fra­ge für den Frei­tag, ob durch Abwe­sen­hei­ten etc. eine 2/3‑Mehrheit der Anwe­sen­den durch Uni­on, SPD und Grü­ne (und ggf. ein­zel­ne Stim­men aus der Lin­ken) erreicht wer­den wür­de oder nicht.

In den Tagen vor der Abstim­mung kur­sier­ten dann plötz­lich Anschul­di­gun­gen gegen die von der SPD vor­ge­schla­ge­ne Frau­ke Bro­si­us-Gers­dorf, bis hin zu Don­ners­tag­nacht noch kurz­fris­tig aus­ge­pack­ten angeb­li­chen – wohl nicht halt­ba­ren – Pla­gi­ats­vor­wür­fen. Am Frei­tag­mor­gen stell­te die Uni­on – das heißt hier: stell­te ihr Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der Jens Spahn – fest, dass die sei­tens der Uni­on zuge­sag­te Zustim­mung nicht gege­ben ist. Vor­schlag der Uni­on war dann wohl, nur ihren Kan­di­da­ten zu wäh­len (na pri­ma!), wor­auf­hin nach einer Sit­zungs­un­ter­bre­chung und hek­ti­schen Bera­tun­gen die Richter*innen-Wahlen alle­samt abge­setzt wur­den. Die Reden zu die­ser Abset­zung waren deut­lich, ins­be­son­de­re auch aus der SPD war sehr deut­li­cher Unmut über die­se Ver­trags­brü­chig­keit und die trumpes­ken Manö­ver im Vor­feld zu hören.

Die Wah­len müs­sen jetzt ent­we­der zu einem spä­te­ren Zeit­punkt im Bun­des­tag statt­fin­den (Grü­ne habe vor­ge­schla­gen, dazu eine Son­der­sit­zung durch­zu­füh­ren; eigent­lich ist der Bun­des­tag ab sofot in der Som­mer­pau­se), oder im Bun­des­rat. Aber wie soll es weitergehen?

Die CDU ver­sucht, die Schuld Rich­tung SPD zu len­ken – hät­ten die halt eine ande­re Kan­di­da­tin auf­ge­stellt oder sie zurück­ge­zo­gen, dann wäre alles glatt gelau­fen. Aber das ist Quatsch, gab es eben doch eine Eini­gung. Und ent­we­der hält so eine Eini­gung – dann kann eine Koali­ti­on zusam­men­ar­bei­ten – oder sie wird, weil ein Frak­ti­ons­chef nicht in der Lage ist, sei­ne Frak­ti­on zusam­men­zu­hal­ten, wie­der in Fra­ge gestellt. Dann kommt eine Koali­ti­on in einen Dauerstreitmodus. 

Jetzt gibt es Men­schen, die behaup­ten, dass Spahn genau das woll­te, dass er heim­lich auf ein Schei­tern von Schwarz-Rot hin­ar­bei­te, um eine Koali­ti­on mit der AfD zu ermög­li­chen. Das hal­te ich nicht für zutref­fend, auch wenn es ein­zel­ne Abge­ord­ne­te in der Uni­ons­frak­ti­on geben mag, die so drauf sind. Inter­es­sant zu sehen übri­gens die Schlag­zei­len am Frei­tag – von Welt und Bild bis ins links­li­be­ra­le Spek­trum über­wog die lau­te Kri­tik an Spahn. Nach­dem er sich bis­her aus dem Mas­ken­skan­dal halb­wegs her­aus­win­den konn­te, auch weil der demo­kra­ti­schen Oppo­si­ti­on die Mehr­heit für einen Unter­su­chungs­aus­schuss fehlt, und ande­res längst ver­ges­sen ist, scheint die­ses Miss­ma­nage­ment an der CDU/C­SU-Frak­ti­ons­spit­ze doch eini­gen auf­ge­fal­len zu sein.

Wie geht es jetzt wei­ter? Die SPD kann es sich eigent­lich nicht leis­ten, Bro­si­us-Gers­dorf fal­len zu las­sen – war­um auch, denn an den lan­cier­ten Vor­wür­fen ist nichts dran. Im staats­po­li­tisch bes­ten Fall gibt es ein Gespräch zwi­schen der Kan­di­da­tin und der Uni­ons-Frak­ti­on, das letz­te­re zum Anlass neh­men kann, sie dann doch zu wäh­len (blie­be noch die Fra­ge der 2/3‑Mehrheit und der feh­len­den Gesprä­che mit der Lin­ken, um die­se abzusichern).

Wahr­schein­lich scheint mir aller­dings eine der ande­ren bei­den Optio­nen zu sein. Ent­we­der knickt die SPD ein und stellt eine ande­re Kandidat*in auf, aus Ver­ant­wor­tung für das Gemein­wohl und den Schutz des Ver­fas­sungs­ge­richts. Das wür­de die CDU/CSU ermu­ti­gen wei­ter mit der SPD so umzu­ge­hen wie in den letz­ten Wochen: von die­ser Zustim­mung auch in eigent­lich untrag­ba­ren Fra­gen (Stich­wort: Aus­set­zung des Fami­li­en­nach­zugs) ver­lan­gen, und gleich­zei­tig selbst Ver­ein­ba­run­gen nicht ein­hal­ten. Auch hier sind aller­dings nicht nur CDU/CSU und SPD gefragt, son­dern, um die Mehr­heit zu errei­chen auch Grü­ne und Lin­ke. Die müss­ten hier auch mit­ma­chen – oder könn­ten sehr glaub­haft damit dro­hen, dass nicht zu tun.

Oder: es gibt kei­ne Eini­gung, das gan­ze zieht sich hin, die Nach­wah­len fin­den nicht statt, viel­leicht greift der Bun­des­rat ein, der unter bestimm­ten Umstän­den eine Ersatz­wahl vor­neh­men kann. Ins­ge­samt wäre das ein kla­res Sym­bol dafür, dass die­se Koali­ti­on schon nach weni­gen Mona­ten am Abgrund steht und nicht hand­lungs­fä­hig ist.

Wel­ches die­ser Ergeb­nis­se Jens Spahn prä­fe­riert, weiß ich nicht. Was ich weiß: er hat die schwarz-rote Koali­ti­on in eine ziem­li­che Zwick­müh­le hin­ein­ma­nö­vriert. Klug ist das nicht. Und ja: anstän­di­ge Politiker*innen wür­den in so einem Moment an Rück­tritt denken. 

Kurz: Dystopische Einflussnahme

Irgend­wie habe ich die Ansa­ge ver­passt, dass wir jetzt ins cyber­punk-dys­to­pi­sche abbie­gen. Etwas zuge­spitzt: die klas­si­schen Mas­sen­me­di­en wur­den durch algo­rith­misch und durch ihre Eigen­tü­mer direkt-mani­pu­la­tiv steu­er­ba­re sozia­le Medi­en ersetzt, und die wer­den jetzt eben­so wie enor­me Wahl­kampf­spen­den, Schat­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und sogar kom­plet­te Fake-News­si­tes dazu genutzt, die Demo­kra­tie zu desta­bi­li­sie­ren. Dahin­ter ste­cken teil­wei­se staat­li­che Akteu­re – wenn etwa Russ­land nicht nur Le Pen und die AfD (und das BSW?) unter­stützt, son­dern über Tik­Tok etc. es auch fast geschafft hät­te, einen rechts­extre­men Prä­si­den­ten in Rumä­ni­en zu instal­lie­ren. Oder es sind Akteu­re wie der reichs­te Mann der Welt, Elon Musk, der jetzt klar sagt, dass er faschis­ti­sche Par­tei­en toll fin­det, der sein Netz­werk „X“ kom­plett dar­auf aus­ge­rich­tet hat, die­se zu pushen – und der mas­sig Geld in die Hand nimmt, um in den USA Trumps Wie­der­wahl und in Groß­bri­tan­ni­en die rechts­extre­me Reform-UK nach vor­ne zu bringen.

Bun­des­tags­wahl 2025 – und wir gucken die­sen Mani­pu­la­ti­ons­be­stre­bun­gen eher hilf­los zu. Die CDU (Spahn, Lin­ne­mann) fin­den Trumps Wahl­kampf kopie­rens­wert. Musk spricht sich für die AfD aus und wird dar­auf­hin von Lind­ner ange­bet­telt, der sich als Ver­tre­ter einer rechts­li­ber­tä­ren Poli­tik a la Milei pro­fi­lie­ren möch­te. Der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk lädt wäh­rend­des­sen wei­ter mun­ter die AfD in Talk­shows ein und ver­wi­ckelt sich in Debat­ten, um „Tün­kram“ (Scholz über Merz) oder die Beschimp­fun­gen durch Merz schlim­mer sind. Das nimmt fast lori­ot-bade­wan­nen­taug­li­ches For­mat an. Nur: eigent­lich ste­hen wir gra­de vor ganz ande­ren Her­aus­for­de­run­gen. Rus­si­scher Info­krieg mit Fehl­in­for­ma­tio­nen, die es bis in Reden der CDU und Kom­men­ta­re der ARD (von Trump kopie­ren …) schaf­fen. Kli­ma­kri­se mit einem Aus­maß an Beschleu­ni­gung, das dann doch lie­ber igno­riert wird. Von Koali­tio­nen und Dul­dun­gen mit/durch BSW ganz zu schwei­gen. Zwar bes­ser als die AfD, aber so rich­tig demo­kra­tisch wirkt die­se Kader­par­tei auch nicht.

Klei­ner Licht­blick: Ver­an­ke­rung der Grund­ele­men­te des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­auf­baus im Grund­ge­setz. Das dürf­te zumin­dest eine direk­te Wie­der­ho­lung des Supre­me-Court-Mas­sa­kers erst ein­mal aus­schlie­ßen. Aber in der Sum­me bleibt Ent­set­zen dar­über, wann wir eigent­lich in die Dys­to­pie abge­bo­gen sind. 

P.S.: Ach ja, und die zuneh­men­de Über­nah­me des Net­zes durch Sprach­ma­schi­nen hät­te ich auch noch erwäh­nen können …