Vor einem Monat gab es einen Aufruf bei Facebook zu einer Demonstration „Freiburg zeigt Farbe“, um ein Zeichen für Vielfalt und Toleranz und gegen „Pegida“ etc. zu setzen. Gestern fand diese Demonstration nun statt – zwischenzeitlich hatten sich auch der grüne OB Salomon und der Rektor der Uni Freiburg, Prof. Schiewer, hinter den Aufruf gestellt. Zur Demo kamen dann nach Schätzung der Polizei 20.000 Menschen. Wir waren auch dabei, und ja: es war eine große, große Menge Menschen.
Für die, die sich ein bisschen in Freiburg auskennen: Startpunkt der Demo war der Augustinerplatz. Bis alle dort versammelten Menschen in den Demozug „abgeflossen“ waren, dauerte es rund 40 Minuten. Und die Abschlusskundgebung musste kurzfristig vom Rathausplatz auf den Platz der Alten Synagoge zwischen Uni und Theater verlegt werden, weil der Rathausplatz die Zahl der DemonstrantInnen nicht annähernd hätte fassen können.
20.000 Menschen, die gegen Ausgrenzung und Hass auf Flüchtlinge, MigrantInnen, andere Religionen, andere Lebensstile etc. auf die Straße gehen, ist – so hat die Badische Zeitung es recherchiert – die größte Demo, die in Freiburg überhaupt je auf die Beine gestellt wurde. Ähnlich groß war zuletzt – auch schon einige Jahre her – eine Kundgebung gegen die NPD. Wer sich mit Freiburg nicht so gut auskennt: Die Stadt hat etwa 220.000 EinwohnerInnen, wenn wir das Umland mal weglassen. Zu einer schönen Zahl aufgerundet waren also fast zehn Prozent der FreiburgerInnen gestern abend auf der Straße. Ein Zeichen, dass es dann zu Recht auch – via SWR – in die Tagesthemen und auf Spiegel online geschafft hat. Ein paar Fotos und ein hübsches Zeitraffervideo des Demozugs finden sich bei fudder.
Ich bin also durchaus begeistert davon, auch wenn meine Kinder gestern rummaulten, dass es zu kalt sei, und dass es ein Fehler gewesen sei, kein eigenes Schild gebastelt zu haben. Ich bin begeistert davon, in einer Stadt zu leben, die eine solche – in sich dann wiederum durchaus vielfältige – Protestaktion auf die Beine stellt. Und gefreut hat es mich auch, dass OB Salomon bei der Abschlusskundgebung nicht nur das fruchtbare Zusammenleben von Menschen aus 170 Nationen lobte, sondern klare Worte auch zu der Abschiebung der Familie Ametovic fand – durchaus auch mit scharfer Kritik an der inhumanen Praxis des Innenministeriums, die ganz und gar nicht nach humanitärer Einzelfallprüfung aussieht. „So etwas darf nicht noch einmal vorkommen“, rief Salomon in die Menge. Auch an eine kleine Gruppe gewandt, die versucht hatte, seine Rede zu verhindern, weil sie ihn mit der Politik des SPD-Innenministers identifizierte.
Hier also klare Worte, denen sicherlich ebenso klare Handlungen im Gemeinderat folgen werden. Auch wenn der städtische Spielraum hier begrenzt ist.
Zwanzigtausend Gründe, gerne in Freiburg zu leben – natürlich haben auch andere Städte ihre Vorzüge. Und vielleicht ist die Suche nach „badischen Lösungen“ etwas, was andere als „Harmoniesucht“ bezeichnen würden. Mit etwas Pathos gesprochen gehört jedoch zu Freiburg nicht nur der mediterrane Flair im Sommer, sondern auch ein utopisches Flair.
Freiburg ist eine Stadt im Hier und Jetzt, mit allen Zwängen und negativen Seiten. Aber Freiburg ist eben auch eine Stadt, in der immer wieder durchschimmert, dass auch anderes möglich ist, in der im Vergleich mit vielen anderen Städten doch einiges möglich gemacht, was anderswo Utopie bleibt. Das sind nicht nur Ökostadtteile, ÖPNV und der Wirtschaftsfaktor Nachhaltigkeit, sondern – ich denke hier auch ans Rieselfeld – es ist auch ein Stück weit die soziale Utopie des tatsächlichen weltoffenen und gemeinschaftlichen Zusammenlebens in einer Stadt, die Freiburg ausmacht.
Warum blogge ich das? Weil mir das gestern so durch den Kopf ging, als ich den Demozug sah – und weil ich möchte, dass das so bleibt, und Freiburg weiter daran arbeitet, konkrete Utopie zu werden. Baustellen dafür gibt es genug, aber der genius loci passt so insgesamt gesehen doch schon mal.
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