Die Zeiten, in denen die SPD locker 40 Prozent holte, sind lange vorbei. In der Analyse führender Genossen – Manfred Güllner vom Institut forsa sei hier exemplarisch erwähnt, aber auch Sigmar Gabriel hat sich schon entsprechend geäußert – hängt das immer noch damit zusammen, dass so eine komische kleine Umweltpartei der SPD Ende der 1970er Jahre ihre Themen weggenommen hat. Plötzlich waren rauchende Schlote, rumpelnde Lastwagen und riesige Fabriken nicht mehr Insignien des sozialdemokratischen Wegs zum Paradies, sondern Pfuibäh. Identitätskrise! Eine Partei weiß nicht mehr, wofür sie steht.
Eine ähnliche Diagnose macht ganz aktuell Alexander Neubacher bei Spiegel online: „Genossen, schmeißt die Ökos raus“. In wunderbar polemischen Worten wird dort behauptet, dass die Hinwendung zu so komischen Dingen wie Umweltschutz, Gesundheit und Karottenkuchen den Niedergang der SPD verursacht hat. Einfaches Rezept, um wieder nach vorne zu kommen – und Peer Steinbrück ist sicher der richtige „Macher“ dafür – zurück in die Zukunft der glorreichen 1970er Jahre. Schlote, Lastwagen und Fabriken statt grüne Wälder, grüne Wiesen und grüne Ministerpräsidenten.
Eine klare Abgrenzung zwischen SPD und Grünen tut beiden gut – Mehrheiten braucht es dennoch. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Grüne davon profitieren würden. Aber ein wenig mehr Kreativität würde den GenossInnen doch gut tun. Ich bin mal so frei und mache vier Vorschläge, wo die SPD sich profilieren könnte, ohne in Nostalgie zu verfallen:
1. Arbeit. Und damit meine ich nicht „Wir verteidigen den festangestellten Industriefacharbeiter gegen alle anderen“, sondern eine Arbeitspolitik, die heutigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen gerecht wird. Die anerkennt, dass es so etwas wie flexible Arbeit gibt, und dass diese zunehmend zum Normalfall wird. Die sich intelligente Konzepte dafür überlegt, wie soziale Absicherung, gute Arbeitsbedingungen und Zeitwohlstand auch funktionieren, wenn die erwerbstätige Bevölkerung zu größeren Teilen aus Teilzeitbeschäftigten, befristet Beschäftigten, Alleinselbstständigen und MinijobberInnen besteht. Und wo gibt es überhaupt in Zukunft Arbeit?
2. Sozialpolitik. Das ist in gewisser Weise das automatische Gegenstück zu einer sinnvollen Arbeitspolitik. Wie soll eine Gesellschaft mit Arbeitslosigkeit umgehen? Wie lässt sich die Agenda-2010-Politik menschenfreundlich reformieren (ja, ich weiß, wer dafür zuständig war). Wie ist der Wandel zu einem demographiefesten Rentensystem hinzubekommen? Dass sind große Fragen. Eine SPD, die sich von Grünen abgrenzen möchte, könnte hier ein Profil finden.
3. Eine der großen – und weiterhin sehr teuren – Leistungen der SPD ist die Bildungsexpansion, also insbesondere der Versuch, die Hochschulen für breite Bevölkerungsschichten zu öffnen. Heute ist es nach wie vor so, dass Bildung stark vom Bildungsstand des Vaters abhängt. Die Mobilität ist nach wie vor gering – von der Kinderkrippe bis zur Weiterbildung ein wunderbares Profilierungsfeld für eine traditionsbewusste SPD.
4. Arbeit, Soziales, Bildung – was fehlt? Nö, nicht Wirtschaft oder Finanzen. Vielleicht sowas wie „SPD als Partei des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Nicht aus der grünen Nische heraus, sondern Inklusion und Integration aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Das könnte sogar sowas wie ein neuer Markenkern der SPD werden – wenn sie es denn möchte.
Es ist jetzt natürlich etwas frech, der alten und lebenserfahrenen Sozialdemokratie Vorschläge zu machen, wie sie sich – auch in Abgrenzung zu uns Grünen – ein frisches Profil geben könnte. Ich bin aber erstens fest überzeugt davon, dass Beton, Stahl, Kohle und Wirtschaft nicht die großen Zukunftsthemen sein werden, und glaube zweitens, dass die angesprochenen Themen – Zukunft der Arbeit, Sozialpolitik, eine neue Bildungsexpansion und der gesellschaftliche Zusammenhalt als das große Ganze – durchaus mit einer politischen Nachfrage verbunden sind.
Klar – das sind alles auch Themen, die wir Grünen bedienen, in denen wir meinen, gute Antworten zu haben. Es gibt aber Teile der Gesellschaft, die wir – siehe die Polemik von Neubacher – nie erreichen werden, allein schon aus lebensweltlichen Gründen. Und eine gewisse, sich ergänzende Arbeitsteilung kann da nicht schaden, um Politik und Gesellschaft insgesamt voranzubringen. Vielleicht sogar mit Steinbrück, vielleicht schon 2013.
Warum blogge ich das? Als Versuch einer konstruktiven Antwort auf die neue Liebe am Grünen-Bashing aus dem SPD-Umfeld.
P.S.: Kleine Anekdote zu dem Titelbild: Meine Assoziation war SPD = rot = Tomate. Also eines meiner vielen Tomatenfotos aus Flickr raussuchen. Wie das manchmal so ist – Flickr wollte meine eigenen, etwas älteren Bilder nicht laden, sondern zeigte nur weiße Flächen an. Deswegen habe ich das Bild blind „ausgewählt“ und hier eingefügt – und finde im Nachhinein, dass das schon irgendwie passt. Eine noch grüne Tomatenknospe. Vielleicht wird ja was richtig schön Rotes daraus. Alternative: Das Bild hier.
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