Zurück zu Kath und Berti, die den zerstörten Bauwagen gefunden haben.
Brandung (12)
„Scheiße. Und was machen wir jetzt?“ Seit Kath ein Kind war, gab es immer ein Telefon, mit dem notfalls irgendwer angerufen werden konnte. Berti hatte aus Prinzip keines dabei, Guy war verschwunden, und ihres hatte der Polizeigreifer mitgenommen. Und die Polizei konnte jeden Moment hier auftauchen.
„Wir … verstecken uns“, murmelte Berti. Aber wo? Wenn es einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des Hackers in Pink und der Polizeikontrolle im Cafe Kobi gab, dann war der Bauwagen alles andere als sicher. Weit weg konnten sie angesichts Bertis Zustand auch nicht fliehen. Kath hatte das Gefühl, verzweifelt zusammenbrechen zu müssen, wenn sie nur eine Gelegenheit dazu hätte – die aber gab es nicht; zu viel hing jetzt an ihr.
Wo konnten sie sich verstecken? Kath erinnerte sich an die Spielplätze, auf denen sie als Kind gespielt hatte. Betontunnel, die meist eklig rochen, waren auf fast jedem dieser Spielplätze zu finden. Sie blickt sich um. In den Brombeerhecken auf der anderen Seite des Bauwagens fand sie einige alte große Betonrohre. Diese waren inzwischen weitgehend überwuchert, der Beton bröckelte. Vielleicht würden sie ein geeignetes Versteck abgeben. Sie zeigte sie Berti: „Einverstanden.“
Mit ihrer Hilfe humpelte Berti zu den Rohren und kroch in eine hinein. Sie kroch hinterher. Drinnen war es eng und dunkel. Sie versuchte, nicht daran zu denken, wer vor ihnen diese Rohre für welche Zwecke benutzt haben mochte. Trotz der Sommerhitze war ihr kalt. Bei jedem Geräusch schreckte sie auf. War das schon die Polizei?
„Romantisch, was?“ – Berti versuchte, Scherze zu machen. Ihr war nicht nach Scherzen zumute: „Blöde Scheiße, das alles. Selbst wenn die uns hier nicht finden – wir können ja nicht ewig hier bleiben. Und dann?“
„Meine Bezugsgruppe. Ich … habe mit denen … verabredet, dass sie … wenn ich mich … nicht melde …“
Ein Geräusch unterbrach Bertis Flüstern. Kath versuchte, vorsichtig aus dem Rohr zu spähen. Ganz langsam kroch sie zurück zu Berti. „Da ist jemand am Bauwagen. Leise.“ Bertis schmerzerfülltes Stöhnen kam ihr laut vor. „Warte. Beiß hier drauf.“ In ihrer Tasche hatte sie einige Papiertaschentücher gefunden, die sie jetzt Berti ins Gesicht hielt. „Ganz ruhig.“
Vorsichtig drehte sich Kath in der Röhre um, so dass sie vage erkennen konnte, was am Bauwagen vor sich ging. Sie konnte zwei vermummte Polizisten erkennen. Einer drehte sich langsam, wohl um mit seiner Helmkamera Bilder des Geländes zu machen und sprach dabei Erläuterungen. Der andere holte etwas aus einer Tasche seiner Uniform. Eine Art Fernbedienung?
Ein lauter Knall ließ beide Polizisten aufschauen. Der Polizist mit der Helmkamera sprach jetzt etwas lauter. „Ein Explosionsgeräusch. Ich unterbreche die Geländeaufnahme, um mit Axel‑2 das weitere Vorgehen abzusprechen. – So, was meinst du, Kollege? Schau’n wir uns jetzt den Bauwagen an, oder suchen wir erst nach dem Knaller?“
Kath hatte eine klare Meinung dazu. Macht, das ihr hier wegkommt, dachte sie. Axel‑2 schien das anders zu sehen: „Sei doch nicht gleich so schreckhaft. Da spielt ein Junge mit seiner Spielzeugpistole im Park. Lass uns hier weitermachen.“
„Na, wenn du meinst. Aber ich sag’s dir: wenn das was mit dem Fall zu tun hatte, dann bin ich’s nicht gewesen. Alles hier drin!“ Damit klopfte Axel‑1 auf seine Brusttasche. Da steckte wohl der Lifelogger für seine Helmkamera. Seit zehn Jahren war es üblich, dass jeder Polizeieinsatz aufgezeichnet wurde. Angeblich wurden die Aufzeichnungen so gespeichert, dass sie nicht im Nachhinein manipuliert werden konnten. Kath hatte zwar keine Ahnung, wer sich das alles anschaute, aber zumindest verhinderte es manchmal, dass die Polizei Dummheiten anstellte.
Axel‑2 hatte sich die Sache unterdessen noch einmal durch den Kopf gehen lassen. „Also, wenn du meinst. Gucken wir halt kurz nach, was da geknallt hat, ganz vorschriftsgemäß. Die Ökoterroristen laufen uns schon nicht weg.“
Axel‑1 nickte. „Axel‑2 und ich haben entschieden, die Geländeaufnahme zu unterbrechen und zunächst einmal der Ursache des Explosionsgeräusches nachzugehen. Wir verlassen dazu die Einsatzposition.“
Damit bewegten sich die Polizisten in Richtung des Geräusches – und damit weg von der Baustelle. Wenig später konnte Kath eine zweite und eine dritte Explosion hören, und, wie sie meinte, auch das Fluchen von Axel‑1 oder Axel‑2.
Sie kroch wieder zu Berti ans andere Ende der Röhre. „Die Bullen sind erst mal weg. Hast du was mit den Explosionen zu tun?“
Berti hatte noch immer die Taschentücher im Mund, nahm sie jetzt aber heraus und atmete tief aus. „Meine Bezugsgruppe … kommen vorbei. Habe mich … nicht gemeldet. Wissen … dass was passiert ist. Hoffe ich.“
Damit schien er recht zu behalten. Kath drehte sich wieder so, dass sie den Bauwagen sehen konnte. Dort tauchten jetzt zwei Jugendliche auf, die sich suchend umblickten. Ganz in schwarz gekleidet, mit bunten Dreadlocks und großen 2010er-Sonnenbrillen im Gesicht – ein Junge und ein Mädchen, definitiv nicht Axel‑1 und Axel‑2. Eine weitere Explosion war zu hören, diesmal weiter weg.
Kath wagte es, aus dem Rohr zu krabbeln. Sie winkte den beiden zu. Das Mädchen sah sie und stupste den Jungen an. „Da drüben – ist zwar nicht Berti, aber vermutlich die Konzerntussi, mit der er mal was hatte.“
Die beiden rannten zu ihr hinüber. „Wo ist Berti?“, blaffte der Junge sie an. Kath ignorierte die Unfreundlichkeiten. „Er ist verletzt. Kann nicht laufen. Da drinne.“
Wie Kath jetzt sah, trug das Mädchen eine Armbanduhr. Ungewöhnlich, aber vielleicht hatte sie da einen Szenetrend verpasst. Das Mädchen schaute jetzt auf die Uhr. „Wir müssen uns beeilen. Lange kann Greg die Polizei nicht mehr ablenken.“
Inzwischen war Berti aus dem Betonrohr gekrochen, und stützte sich jetzt an dem Rohrstapel. „Danke! Ausgang vier!“ Er rieb sich sein Bein. Offensichtlich wussten die beiden aus seiner Bezugsgruppe, was er damit meinte. „Ok. Wir nehmen Berti, du kommst hinterher.“
Kath konnte Axel‑1 und Axel‑2 hören, die sich der Baustelle wieder näherten. Bertis Bezugsgruppe und sie eilten in Richtung der Mauer und in den Schutz des dichten Gebüsches. Die beiden Dreads stützten Berti links und rechts ab und zogen ihn hinter sich her. Kath folgte ihnen. Sie kamen an der Metalltür vorbei, die zum Keller des Cafe Kobi führte, setzten ihren Weg aber fort bis zu einer verrosteten Metalltreppe. Irgendwie schafften sie es, Berti hoch zu bugsieren. Oben versperrte eine Kette mit einem Schild den Durchgang zu einer Station der Stadtbahn. Kein unüberwindbares Hindernis, aber es dauerte. Von hier oben konnte Kath sehen, dass Axel‑1 und Axel‑2 in ihre Richtung gingen. Offensichtlich hatten sie etwas gemerkt.
Sie hörte, dass sich ein Zug der Stadtbahn näherte. Kath wusste nicht, ob die Haltestelle überhaupt in Betrieb war. Die Polizisten waren jetzt am Fuß der Treppe angekommen. „Setzen Verfolgung der Verdächtigen fort. Die Treppe hinauf!“ Das war Axel‑1. Mit Bremsenquietschen kam die Stadtbahn zum Halten. Kath und die anderen drei eilten zu einer Tür. Hinein. Axel‑2 jetzt oben an der Treppe. „Bitte zurückbleiben. Türen schließen.“ Rote Lichter – und ein Zug, der sich in Bewegung setzte. Sie blickte sich um. Jetzt am Sonntagnachmittag war die Stadtbahn leer. Kath kannte die Stationen auswendig – die nächste war direkt am Water Tower.
(to be continued)