Keine Lust auf allegorische Botschaften heute.
Das Blog von Till Westermayer * 2002
Als ich heute morgen von dem schweren Erdbeben in Japan hörte, waren meine ersten Gedanken die an das Ausmass der Zerstörung und des menschlichen Leids, dass durch Erdbeben und Tsunami da gerade – in einer eigentlich auf die Gefahr von Erdbeben ausgerichteten Gesellschaft – ausgelöst wurde. Dann gab es erste Meldungen darüber, dass es an einem AKW brennt, und dass ein zweites AKW – Fukushima Daiishi (Wikipedia, genauer gesagt: 3 von 6 Reaktorblöcken dort) – ernsthafte Probleme mit der Notkühlung hat. Inzwischen wurden eine 3‑km-Zone um das AKW evakuiert, in einer 10-km-Zone wurde die Bevölkerung aufgerufen, die Häuser nicht zu verlassen.
Ich hoffe, dass in Japan – bei all dem Unglück, dass das Erdbeben schon gebracht – nicht auch noch ein GAU dazukommt. Niemand braucht ein zweites Tschernobyl. Ich erinnere mich noch gut: Auch Tschernobyl war weit weg – und trotzdem wurden aus harmlosen grünen Frühlingswiesen vor 25 Jahren hier plötzlich angstbesetzte Gefahrenherde. Selbst wenn die radioaktive Wolke diesmal in Kanada und den USA niederregnen würde, ändert das nichts daran, dass sich einmal mehr zeigt, wie schlecht AKWs und unvorhergesehen Ereignisse zusammenpassen.
AKWs in Erdbebengebieten? Angeblich waren die japanischen AKWs bis zu Beben der Stärke 8,25 ausgelegt – dieses hier erreichte 8,8 8,9 9,0. Nicht weit von hier – keine 30 km – steht das AKW Fessenheim im Oberrheingraben. Eine Erdbebenzone. Sich die 3‑km- und die 10-km-Zone aus Fukushima mal mit dem Epizentrum Fessenheim vorzustellen, ist gruselig – Bad Krozingen, Hartheim und Eschbach liegen alle in den 10-km-Zone, und das Rieselfeld ist nur etwa 20 km von Fessenheim entfernt.
Umso wichtiger, morgen bei der Menschenkette ein deutliches Zeichen für den Ausstieg aus der Atomkraft zu setzen, und bei den Landtagswahlen in diesem Jahr die Atomparteien abzuwählen.
Update: 13.3.2011 – Inzwischen sieht es so aus, dass es wohl in zwei Reaktoren zu einer Kernschmelze gekommen ist bzw. möglich ist – diese werden mit boriertem Meerwasser geflutet. In Onagawa (150 km von Fukushima entfernt) wurden ebenfalls erhöhte Radioaktivitätswerte gemessen, möglicherweise Strahlung aus Fukushima. Die Sperrzone rund um Fukushima wurde auf 20 km ausgeweitet, etwa 200.000 Menschen wurden (zusätzlich zu all den Tsunami- und Erdbeben-Opfern) evakuiert. Bei der taz gibt es einen guten Überblick darüber, wie die Ereignisse in Fukushima zu bewerten sind.
Darf man jetzt Debatten um den Atomausstieg führen? Nicht nur Greenpeace sagt: „Ja, man muss!“. (Lesenswert in diesem Zusammenhang auch: 3 populäre Irrtümer über Atomkraftgegner).
Mit 60.000 Leuten war die Menschenkette ein solches deutliches Zeichen. Wer Merkel seine Meinung sagen will, kann das bei Campact tun („Fukushima heißt abschalten!“), aktuell schon 25.000. Morgen am Montag wird es um 18 Uhr in über hundert Städten Mahnwachen geben; Freiburg ist auch dabei.
P.S.: Jetzt virtuell oder real Flagge zu zeigen, halte ich ebenfalls für eine symbolisch richtige Handlung. Mehr Gewicht: bei den Wahlen schwarz-gelb nicht verlängern und, so noch nicht geschehen, zu einem Ökostrom-Anbieter wechseln.
Jörg Tauss machte mich in Kommentar #99 zum vorhergehenden Artikel gerade darauf aufmerksam, dass die Grünen (konkreter übrigens: die Bundestagsfraktion) ihr Forum abgeschaltet haben. Ehrlich gesagt: mir war gar nicht bewusst, dass wir als Partei noch eines betreiben. Es scheint tatsächlich von einigen noch genutzt worden sein (insofern haben die Piraten jetzt die Gelegenheit, daraus eine riesige Elefantenmücke zu basteln und sich in ihrer Lieblingsgeste zu zeigen, die da lautet: „Wir helfen technisch unterentwickelten Parteien bei der Technik.“).
Ich habe – das ist zwischen den Zeilen vielleicht schon deutlich geworden – allerdings nicht den Eindruck, dass es um dieses Forum arg schade ist, und dass es einen großen Aufschrei deswegen geben wird. Es gibt inzwischen in der Tat jede Menge anderer (elektronischer) Kommunikationswege – von Twitter bis zur Kommentierung in grünen Blogs, und auch die direkte Mail ist weiterhin möglich. Insofern sehe ich hier eher eine Weiterentwicklung als eine Abschaffung politischer Kommunikation. Ich könnte das jetzt auch noch anhand der medialen Form begründen (Foren neigen zu Unübersichtlichkeit, sind auf aktive Nachfrage angewiesen, statt NutzerInnen direkt zu erreichen, tendieren dazu, In-Groups mit eigenen Kommunikationscodes zu unterstützen usw.). Oder ist das nur ein Bias meiner kommunikativen Sozialisation? (BBS, Mailinglisten, Web 2.0?).
Egal. Es gibt einen ganz einfachen Test auf die Sinnhaftigkeit einer politischen Kommunikationsform im Netz. Der lautet: Hat die dort stattfindende Kommunikation politisch etwas bewirkt? Mein Eindruck für das Forum der grünen Bundestagsfraktion: eindeutig nein. Aber vielleicht mag das ja jemand widerlegen.
Ungefähre* Distanz der Positionen einzelner Parteien zueinander (laut Auswertung der Wahl-o-Mat-Antworten für die Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011), Größe der Kreise gibt prognostizierte Wahlergebnisse wieder. Für mich eine schöne Illustration der These, dass die Wahl von Kleinstparteien zu einem gewissen Grad durch die Wahl größerer Parteien substituierbar ist.
Quelle der Abbildung: andena17 bei Libri Logicorum, mit freundlicher Genehmigung [eingefügt um 16:02].
Auch wenn es jetzt sicher sofort wieder heißt, dass es sich hierbei um die Arroganz einer etablierten Partei handeln würde, und dass ich als Grüner – also als Mitglied einer Partei, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre eben trotz der Argumente der SPD der Sprung von der außerparlamentarischen Bewegung in die Parlamente gelungen ist – damit irgendwie ganz besonders arrogant argumentieren würde, muss ich doch nochmal die Fakten aufzählen, die mich dazu bringen, von der Wahl von Parteien abzuraten, die nicht annähernd auf 5% kommen. Über diese Fakten können wir gerne diskutieren.
„Über nervende Unstetigkeiten des Wahlsystems“ weiterlesen