Dieses Plakat der CDU zur Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg konnte ich nicht unfotografiert lassen. Ich finde, dass es sich auf drei Ebenen wunderbar subversiv deuten lässt. (Eine lesenswerte generelle Plakatkritik zu BaWÜ findet sich übrigens im Designtagebuch von Achim Schaffrinna). Also, die drei Ebenen:
1. Ganz aktuell stellt sich Mappus hinter Guttenberg. Die aus Baden-Württemberg stammende Bundesforschungsministerin Schavan schämt sich zwar, unternimmt sonst aber auch nichts weiter. Da passt ein gezielt auf Wissenschaft setzendes Plakat nur so bedingt. Aber das konnte die CDU ja vielleicht noch nicht wissen, als sie das Plakat in Auftrag gab. Das Plakat steht in Freiburg übrigens genau dem Unirektorat gegenüber und liegt quasi auf dem Weg von der Innenstadt ins Institutsviertel.
2. Dann natürlich Fortschritt: hier ist es – ganz im Einklang mit der Innovations- und Forschungsförderungspolitik des Landes, das ja durchaus massiv Geld beispielsweise in die biowissenschaftlichen Exzellenzbewerbungen gepumpt hat – offensichtlich etwas, das in Labors erforscht wird, was mit Chemie oder vielleicht auch mit „Life Science“ zu tun hat. Ist schon etwas intelligenter als ein z.B. bei der SPD gerne noch vorzufindender Fortschrittsbegriff, bei dem die Großindustrie ganz vorne steht, aber so richtig das Wahre ist auch der CDU-Fortschritt für mich nicht, der hier bildnerisch auf Naturwissenschaft verkürzt wurde. Cui bono? Und welche Probleme soll dieser Fortschritt lösen?
3. Damit aber schließlich zu dem Punkt, der mich eigentlich dazu gebracht hat, das Ganze zu fotografieren. Denn wen sehen wir auf dem Bild? Eine jovial-hechtige Vaterfigur mit einer gewissen raumerfüllenden Körperlichkeit, der die Laborarbeit an eine junge, adrett lächelnde Zuarbeiterin delegiert hat (was ja auch schön den Status quo wiedergibt). Das Spektrum unterschwellige Gender-Botschaften reicht von „in der Wissenschaft überragen die grauhaarigen Männer weiterhin alles“ bis hin zu „Aussehen und Jugendlichkeit ist für die Karriere wichtig“. Oder war das anders gemeint?
Warum ich das blogge? Weil Wahlkampf ist – und weil die ja sehr bewusst zusammengestellten Bildmotive der CDU doch gerade bei einem zweiten Blick einiges darüber aussagen, für welche dumpfen Selbstverständlichkeiten ein Ministerpräsident Mappus steht.
Man kann das Plakat natürlich auch vom Gender-Aspekt positiv sehen, quasi als Anspielung darauf, dass es heute in den Naturwissenschaften mehr Frauen gibt als früher. Der wissenschaftliche Nachwuchs ist eben auch verstärkt weiblich. Das umgekehrte Bild (ältere Professorin mit jüngerem Assistenten) deckt sich halt seltener mit der Realität.
Was mir als erstes aufgefallen ist, ist dass die zwei keine Schutzbrillen tragen. (!!!1!!11) Naja, und die offensichtliche Inszeniertheit. Weiter habe ich nicht geschaut.
@Laszlo: für mich schwingt da halt schon was von status quo erhalten mit. Frauen in untergeordneten Positionen im Labor gibts ja schon sehr lange. Eigentlich ist’s auf dem Plakat sogar ein doppelter status quo, der da fortgeschrieben – und als Fortschritt verkauft – wird. Die Geschlechterhierarchie – und die Vorstellung, dass Hierarchien wichtig sind. Eine progressivere Partei als die CDU hätte ja beispielsweise zwei WissenschaftlerInnen auf Augenhöhe mit sichtbar gleichem Status zeigen können.
hechtig?
Ich bitte um eine Definition. Frage für eine Sammlung kurioser Worte.
@Mela: Mein Versuch einer Adjektivbildung zu „toller Hecht“. Samt einer gewissen fischigen Glitschigkeit.
Das erklärt warum ich das Wort nicht kannte. Und ich wollte schon meinen unvollkommenen Wortschatz beweinen. :-)
Wie ich grade (via wahl.de) gesehen habe, legt die CDU Wert darauf, dass auf ihren Wahlplakaten nur „echte Menschen“ zu sehen sind, die sich freiwillig abbilden lassen haben, um für die CDU zu werben. Verstehe zwar nicht, warum jemand sowas macht, aber das lässt das Plakat nochmal in einem etwas anderen Licht erscheinen – weiter als in die Wirklichkeit hinein mag die CDU gar nicht denken.