Wahlempfehlung

Die Finan­cial Times Deutsch­land hat die bri­ti­sche Tra­di­ti­on in Deutsch­land ein­ge­führt. Gro­ße Medi­en­häu­ser geben eine begrün­de­te Wahl­emp­feh­lung ab. Die der FTD fiel bei der Euro­pa­wahl – zum Erstau­nen eini­ger – grün aus. Für die Bun­des­tags­wahl hät­ten sie ger­ne „schwarz-grün“, emp­feh­len aber letzt­lich die CDU. Und begrün­den dies mir ihrer Angst vor „rot-rot-grün“. Die aktu­el­le Emp­feh­lung fin­de ich nicht so pri­ckelnd, wohl aber den Prozess:

Vor­an­ge­gan­gen ist die­ser Emp­feh­lung ein wochen­lan­ger Pro­zess mit zahl­rei­chen Dis­kus­si­ons­run­den zu den Par­tei­pro­gram­men und ein­zel­nen Poli­tik­fel­dern. Spit­zen­po­li­ti­ker der im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en stan­den der Redak­ti­on in aus­führ­li­chen Gesprächs­run­den Rede und Ant­wort. Einer ent­spre­chen­den Ein­la­dung folg­ten die Gene­ral­se­kre­tä­re der CDU, SPD und FDP, Ronald Pofalla, Huber­tus Heil und Dirk Nie­bel, Bun­des­ge­schäfts­füh­re­rin Stef­fi Lem­ke für die Grü­nen sowie Frak­ti­ons­chef Gre­gor Gysi für die Links­par­tei. Schließ­lich dis­ku­tier­te die Redak­ti­on in einer drei­stün­di­gen Schluss­run­de dar­über, wel­che Emp­feh­lung sie dies­mal abge­ben soll. 

Die WELT will auch eine Wahl­emp­feh­lung abge­ben. Dum­mer­wei­se ist ihr der Name der Wunsch­par­tei entfallen.

Die taz schreibt zwar flei­ßig pro „schwarz-grün“ und neue Bür­ger­lich­keit, allen vor­an der Redak­teur für beson­de­re Auf­ga­ben, Jan Fed­de­re­sen. Heu­te prä­sen­tie­ren sie­ben taz-Redak­teu­rIn­nen ihre Wahl­ent­schei­dung – und über­ra­schen: Grü­ne wer­den durch die Bank weg nicht gewählt (jeden­falls nicht mit der Zweit­stim­me, Strö­be­le schon), ziem­lich vie­le outen sich als Wäh­le­rIn­nen der LINKEN – und der besag­te Herr Fed­der­sen pro­ji­ziert sei­ne eige­ne Bes­ser­wis­se­rei auf uns Grü­ne – und will statt­des­sen SPD wäh­len – aus Mit­leid. Poli­ti­sche Kom­pe­tenz sieht anders aus. Span­nend hät­te ich es gefun­den, wenn die taz sich in einem ähn­li­chen Pro­zess wie die FTD zu einer ein­heit­li­chen Wahl­emp­feh­lung durch­rin­gen hät­te kön­nen. Selbst wenn dann der gro­ße Anzei­gen­jun­ge LINKE bei raus­ge­kom­men wäre.

Die jungle world dage­gen emp­fiehlt „Geht wäh­len“ und meint damit „lus­ti­ge Split­ter­par­tei­en“ von Vio­let­ten bis zur DKP (wenn ich’s rich­tig sehe, nicht online). Immer­hin grei­fen sie die Debat­te um die Wähl­bar­keit der Pira­ten über­aus ernst­haft auf (na gut, hier).

netzpolitik.org sagt – schon zur Euro­pa­wahl, aber wohl auch zur Bun­des­tags­wahl noch gül­tig – wählt nicht CDU/CSU. Und unter­füt­tert das auch noch ein­mal durch einen Ver­gleich der netz­po­li­ti­schen Posi­tio­nen der Par­tei­en.

Und dann gibt es noch Par­tei­mit­glie­der (und ande­re Men­schen), die aus ganz unter­schied­li­chen Grün­den für die Wahl ihrer Par­tei auf­ru­fen – oder auch nicht.

Damit kom­me ich zur Wahl­emp­feh­lung von till we *) – Blog seit 2002: Wir, also, ich, emp­feh­len natür­lich die Grü­nen. Logisch. Und im Detail ein biß­chen dif­fi­zi­ler. Zweit­stim­me grün ist in der gan­zen Repu­blik sinn­voll und wärms­tens zu emp­feh­len. Selbst wenn es nicht für eine wie auch immer gear­te­te Koali­ti­on unter grü­ner Betei­li­gung rei­chen soll­te: nur mit star­ken Grü­nen sitzt eine Kraft im Par­la­ment, die bei den mir wich­tigs­ten The­men authen­tisch prä­sent ist. Damit mei­ne ich nicht nur die Kli­ma- und Umwelt­po­li­tik, son­dern vor allem auch den Ein­satz für Bür­ger­rech­te – der, auch dank der Pira­ten, mehr denn je zum grü­nen The­ma gewor­den ist. Und zwar off­line und online. Damit mei­ne ich aber auch die Geschlech­ter­po­li­tik, die von Grü­nen gelebt wird. Und über­haupt: nur Bünd­nis 90/Die Grü­nen sind eine Par­tei, die – in Poli­tik und Lebens­ge­fühl – wirk­lich in der post­for­dis­ti­schen Moder­ne ange­kom­men ist. Für man­che (sie­he Fed­der­sen, oben) mag das wie Über­heb­lich­keit aus­se­hen. Ist es aber nicht – son­dern pure Not­wen­dig­keit, um die Gesell­schaft zu ver­än­dern. Soweit das in Par­la­men­ten mög­lich ist.

Dif­fi­zi­el­ler wird es in mei­ner Wahl­emp­feh­lung vor allem bei der Erst­stim­me. Und zwar auf­grund der Über­hang­man­dats­pro­ble­ma­tik (eine Par­tei, die in einem Bun­des­land mehr Direkt­man­da­te erhält, als ihr laut Zweit­stim­me pro­zen­tu­al zuste­hen, behält die­se; für ande­re Par­tei­en gibt es aber kei­nen Aus­gleich). Des­we­gen gibt es Wahl­krei­se, in denen es sinn­voll sein kann, in den bit­te­ren stra­te­gi­schen Apfel zu bei­ßen und der SPD die Erst­stim­me zu geben. Faust­re­gel: wenn Grü­ne kei­ne Cha­ne auf das Direkt­man­dat haben, und SPD und CDU nah bei­ein­an­der lie­gen, kann „rot-grü­nes“ Wäh­len sinn­voll sein, um Über­hang­man­da­te zu ver­hin­dern, die sonst „schwaz-gelb“ wahr­schein­li­cher machen. Bit­ter ist die­ser Apfel, weil damit fak­tisch für die gro­ße Koali­ti­on gestimmt wird. Wenn nicht doch alles ganz anders kommt.

Trotz­dem gibt es eine gan­ze Rei­he Wahl­krei­se, in denen es sinn­voll ist, auch mit der Erst­stim­me grün zu wäh­len. Das sind die, wo „eh“ klar ist, wer den Wahl­kreis gewinnt, und grü­ne Stim­men sym­bo­li­schen Wert haben. Und es sind die Wahl­krei­se, in denen Grü­ne eine reel­le Chan­ce haben: neben Fried­richs­hain-Kreuz­berg (Chris­ti­an Strö­be­le) sehe ich hier Frei­burg (Kers­tin And­reae), Stuttgart‑I (Cem Özd­emir) und Ham­burg-Eims­büt­tel (Kris­ta Sager vor dem Hin­ter­grund inter­ner SPD-Zer­würf­nis­se) als die Wahl­krei­se an, in denen eine grü­ne Erst­stim­me rich­tig was bewe­gen kann.

Am Sonn­tag also: Zweit­stim­me grün, Erst­stim­me viel­leicht auch. In Frei­burg sowie­so. Und wer bis dahin noch fra­gen hat, ist bei 3 Tage wach gut aufgehoben.

War­um blog­ge ich das? Wahl­emp­feh­lung muss sein, klar!

8 Antworten auf „Wahlempfehlung“

  1. Ich gebe zu: Von »mei­nem« Kreis­ver­band zu schrei­ben, legt eine Mit­glied­schaft nahe. Die­ses »wir« war dann aber doch ein exklu­si­ves. Auch wenn mich als Libe­ra­len mitt­ler­wei­le der orga­ni­sier­te Libe­ra­lis­mus an den Stel­len, die ich anspre­che, so nervt, daß ich kurz davor bin, sel­ber einzusteigen.

    1. Ich habe noch eine erwei­tern­de Klam­mer eingefügt.

      (Und zum Bear­bei­ten des orga­ni­sier­ten Libe­ra­lis­mus wür­de ich ja die ande­re im bes­ten Sin­ne libe­ra­le Par­tei empfehlen …)

  2. Ein Stim­men­split­ting ist aber gene­rell nur in Bun­des­län­dern sinn­voll, wo mit Über­hang­man­da­ten zu rech­nen ist – für die CDU neben Baden-Würt­tem­berg (wo Du ja zwei­mal Erst­stim­me Grün emp­fiehlst), v.a. Sachen, evt. auch in Bay­ern und ein paar ande­ren Bun­des­län­dern. Und auch da macht es nur Sinn, wenn es ein knap­per Wahl­kreis ist (eine gute Über­sicht dazu gibts unter http://www.wahlrecht.de/bundestag/2009/bundesland.html). Über­all anders Erst­stim­me an die Par­tei der Wahl – (auch) in mei­nem Fall an die Grünen!

  3. Stim­men­split­ting kann auch in NRW und Nie­der­sach­sen sinn­voll sein, zumin­dest, wenn man in einem engen Wahl­kreis eine Kan­di­da­tin oder einen Kan­di­da­ten ohne aus­rei­chen­de Lis­ten­ab­si­che­rung einer der bei­den Gro­ßen stär­ken will, weil man ihn oder sie gegen­über dem jewei­li­gen Lis­ten­mit­tel­feld vor­zieht. Hat aber kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Sitz­ver­tei­lung insgesamt.
    Erst­stim­me grün wür­de ich neben den genann­ten Wahl­krei­sen auch noch in 76 Ber­lin-Mit­te (Wolf­gang Wie­land), 77 Ber­lin-Pan­kow (Hei­ko Tho­mas), 82 Ber­lin-Tem­pel­hof-Schö­ne­berg (Rena­te Kün­ast), 290 Tübin­gen (Win­ne Her­mann), 293 Boden­see (Petra Selg) und 294 Ravens­burg (Agnieszka Mal­c­zak) emp­feh­len. Begrün­dung: In allen auf­ge­führ­ten Wahl­krei­sen besteht eine hohe Wahr­schein­lich­keit, dass das grü­ne Zweit­stim­men­er­geb­nis über dem der SPD lie­gen wird.
    Fer­ner ist der aus­sichts­reichs­te Gegen­kan­di­dat der CDU man­cher­orts auch ein Bewer­ber der Lin­ken, das betrifft eini­ge Wahl­krei­se in Meck­len­burg-Vor­pom­mern (15, 16, 18), Sach­sen-Anhalt, Thü­rin­gen und Sachsen.

  4. Wahl­emp­feh­lung für die Grü­nen, war­um nicht, war hier ja auch nicht anders zu erwarten.

    War­um Du aber die arm­se­li­ge Hetz­kam­pa­gne der JW als „ernst­haft“ bezeich­nest, erschließt sich mir nicht. Haben die Grü­nen es wirk­lich nötig, auf die­sen Zug mit auf­zu­sprin­gen? Ist den Grü­nen inzwi­schen jedes Mit­tel recht, den Geg­ner zu diffamieren? 

    Jetzt müs­sen die Kreuz­ber­ger und Fried­richs­hai­ner Pira­ten wirk­lich über­le­gen, ob sie Chris­ti­an Strö­be­le mit der Erst­stim­me noch unter­stüt­zen kön­nen. Scha­de eigentlich.

    1. @stef: Die Jungle World habe ich (ich, nicht „Die Grü­nen“ und erst recht nicht Chris­ti­an Strö­be­le, darfst den also ger­ne wei­ter wäh­len) ja gleich zwei­mal verlinkt. 

      http://twitpic.com/ixlnj fin­de ich eine etwas böse, aber durch­aus gut gemach­te Sati­re. Wenn ich mir über­le­ge, wie­vie­le „Pan­zer mit Öko-Diesel“-Witze ich mir schon anhö­ren muss­te, und wie emp­find­lich „die“ Pira­ten auf Kri­tik reagie­ren, fin­de ich das okay und ganz lus­tig. Wenn auch, wie gesagt, ziem­lich böse.

      http://jungle-world.com/artikel/2009/39/39453.html ist ein biß­chen eine Über­re­ak­ti­on, gebe ich ger­ne zu. Mache ich mir auch nicht kom­plett zu eigen, fand es aber als Hin­weis auf den Umgang der Pira­ten­par­tei mit rechts und die etwas nai­ve Hal­tung „Mei­nungs­frei­heit über alles“ nicht schlecht. Mir ging’s in dem Text hier ja um Wahl­emp­feh­lun­gen – und dass ist so unge­fähr das nächs­te, was bei der jw an eine ernst­haf­te Wahl­emp­feh­lung (bzw. Nicht­wahl-Emp­feh­lung) ran­reicht. Für die all­ge­mei­ne Debat­te dar­über, ob Pira­ten rechts­las­tig oder nur naiv sind, gibt es in der Tat bes­se­re Texte.

      Noch­mal: ich bin nicht die Grü­nen, auch wenn ich für sie wer­be. Inso­fern fin­de ich die Dro­hung mit irgend­wel­chen Erst­stim­men­un­ter­stüt­zun­gen doch etwas kin­disch. Und wür­de mich, ganz unab­hän­gig von der BTW, durch­aus über einen Link zu Bewei­sen für eine niveau­vol­le inner­par­tei­li­che Aus­ein­an­der­set­zung der Pira­ten mit dem Pro­blem „Mei­nungs­frei­heit vs. Hass­pre­di­gen“ freuen.

  5. Klar lässt sich mit der Erst­stim­me das Per­so­nal­ta­bleau der gro­ßen Par­tei­en u.U. ver­än­dern. Ich müss­te von meinem/r loka­len Kandidaten/in aber schon sehr ange­tan zu sein, um das zu machen.

    Dei­nen Opti­mis­mus was grü­ne Zweit­stim­men­er­geb­nis­se angeht, tei­le ich (lei­der) nicht. Zwar gab es das im Bezirk Pan­kow (ungleich Stimm­be­zirk Pan­kow bei der Bun­des­tags­wahl) bei der Euro­pa­wahl, aber bei der letz­ten Bun­des­tags­wahl lagen die Grü­nen in Pan­kow, Tem­pel­hof-Schö­ne­berg und Mit­te jeweils 18% – 20% hin­ter der SPD auf Platz 3. Den Abstand hal­te ich für zu groß um ihn aufzuholen.

    Nichts­des­to trotz wür­de ich über­all in Ber­lin Grün auch mit der Erst­stim­me wäh­len, und wer­de das in mei­nem Stimm­be­zirk 83 (Ber­lin-Neu­kölln, Anja Kof­bin­ger) natür­lich auch tun.

  6. Net­ter Text. Der Auf­ruf der FTD hat mich auch ein wenig gewun­dert. Und was alle immer mit ihrem Schwarz-Grün wol­len, weiß ich nun wirk­lich nicht. Geht für mich ein­fach gar nicht wo sind bit­te die Gemeinsamkeiten?
    Hab auf mei­nem Blog auch eini­ges zur Wahl, wenn auch kei­ne direk­te Wahlempfehlung.

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