Der Spiegel hat wohl ein Sonderheft zum Thema Familie herausgebracht. Online findet sich da inzwischen ein (wie meist) recht lesenswerter Aufsatz von Reinhard Mohr über den Wandel des Familienbegriffs seit ’68 samt Ausblick auf die mühsame Freiheit der Patchwork-Familie. Außerdem haben die eine ganze Reihe von statistischen Informationen zum Themenfeld Familie, Kinder, Heirat zusammengestellt (dass die „nichtehelichen Kinder“ in der Anmoderation des Artikels zu „unehelichen Kindern“ mutieren, und dass beides eigentlich blöde Begriffe sind, sei mal dahingestellt). Unter den Grafiken ist mir eine besonders aufgefallen:
Familie und Beruf (Quelle: Spiegel online)
Und zwar nicht wegen des Tippfehlers im Diagramm, sondern weil die – steigende, aber noch immer relativ kleine – Gruppe nichtehelicher Lebensgemeinschaften zumindest diesem Diagramm nach Berufstätigkeiten egalitärer verteilt. Es wäre interessant, dem nachzugehen. Auf den ersten Blick wirkt es jedenfalls so, als würde das Diagramm die These stützen, dass das Ehegattensplitting ungleiche Erwerbsbeteiligungen von Männern und Frauen verstärkt. Allzuviel sollte allerdings in das Schaubild auch nicht reininterpretiert werden – es kann durchaus sein, dass es neben institutionellen Faktoren wie dem Ehegattensplitting auch soziale und kulturelle Faktoren gibt, die sowohl die Entscheidung zu einer Heirat als auch die Entscheidung zu nicht-egalitären Arbeitsverteilungen beeinflussen (sprich: wer sich gegen eine Heirat entscheidet, ist möglicherweise ‚eh‘ weniger stark an traditionellen Geschlechterrollen orientiert und würde auch bei einer Heirat zu einer egalitäreren Verteilung von Tätigkeiten neigen; oder: wer aus finanziellen Gründen nicht heiratet, ist möglicherweise ‚eh‘ materiell drauf angewiesen, das beide in Vollzeit arbeiten usw.).
Allerdings ist das Spiegel-Diagramm, so wie hier abgebildet, letztlich nicht nur wegen diesen Unsicherheiten über Kausalitäten relativ nutzlos: abgebildet sind nämlich nur diejenigen Paare, bei denen beide überhaupt berufstätig sind. Was fehlt – und eigentlich spannend wäre – ist die Frage, wie sich das klassische deutsche Modell der Arbeitsverteilung sowohl innerhalb der beiden Gruppen auswirkt als auch hier wiederum der Vergleich zwischen den Gruppen. Dazu müsste es eigentlich auch Mikrozensus-Daten geben (im Datenreport 2006 war beim kurzen Durchblättern allerdings nichts dazu zu finden).
Warum blogge ich das? Zum einen, weil mich das Thema politisch und beruflich interessiert, zum anderen, weil die nähere Beschäftigung mit dem Schaubild zeigt, dass es weit weniger hergibt, als möglich wäre … relativ typisch für Infografiken in Massenmedien.
Update: Zufällig bin ich bei der Suche nach ganz anderen Dingen auf eine aktuelle Sonderauswertung des Mikrozensus zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestoßen – da (Schaubild 11 ist identisch mit oben, Schaubild 10 ergänzt das …) stehen die oben fehlende Dinge drinne (und bestätigen die genannte Tendenz).
Update 2: Hier nochmal der Hinweis auf die derzeit durch Medien und Blogs geisternde Studie von Davis, Greenstein und Marks zur Hausarbeitsverteilung zwischen verheirateten und unverheirateten Paaren: Pressemitteilung, Preprint, Diskussion: BoingBoing, Diskussion: Zeitrafferin (mein letzter, etwas lang geratener Kommentar), SpOn.
Update 3: (20.10.2007) Via Reddit bin ich auf zwei Meldungen gestoßen, die das Thema dieses Blog-Eintrags ganz gut ergänzen. Das eine ist ein Vergleich der rechtlichen Bedingungen, unter denen hetero- bzw. homosexuelle Paare in den USA und in Kanada zusammenleben. Nicht-verheiratete heterosexuelle Paare in Kanada werden nach einem Jahr als automatisch als „common law relationship“ anerkannt; in den USA gibt es einige Staaten, in denen diese Form des Zusammenlebens illegal ist. Insgesamt gibt es in dem Artikel ein paar gute Fragen zum Thema, wie staatliche Regulationen und partnerschaftliche Beziehungen zusammenhängen.
Das zweite ist nochmal ein ganz anderer Blickwinkel auf das Thema: Feminists have more fun – und zwar betrifft dies sowohl feministisch eingestellte Frauen wie auch Männer, die mit solchen zusammenleben (und umgekehrt) …
Was mich bei solchen Infografiken stört: „Quelle: Statistisches Bundesamt“ genügt hier als Angabe (während zugleich „Quelle: Wikipedia“ immer wieder angegriffen wird). Momentan gibt es aber interessante Bewegungen innerhalb der amtlichen Statistik, das deep linking zu bestimmten Tabellen zu fördern. D.h. man könnte vielleicht in Zukunft mit so einer Art DOI direkt sehen, wo die verwendeten Daten herkommen, welche Definitionen dem zugrunde liegen und welche Schwierigkeiten bei der Interpretation zu beachten sind.
Als eine Frau, die – nicht völlig freiwillig – in einer nicht-ehelichen Lebensgemeinschaft mit Kind unter 15 Jahren lebt, möchte ich dich auch auf flogenden möglichen kausalen Zusammenhang hinweisen: Eine Frau, deren Partner nicht bereit ist, zu gleichen Teilen auf das Kind aufzupassen so dass sie ein eigenes Einkommen haben kann, stimmt diesem Arrangement eher zu, falls er sie heiratet. Dann ist sie nämlich finanziell doch etwas besser abgesichert. Oder umgekehrt: Eine unverheiratete Frau wird ihrem Typen sagen, dass er sich gefälligst an der Kindererziehung zu beteiligen hat, damit sie für sich selbst sorgen kann.
Genau deswegen unterstützt die Ehe traditionelle Rollenmuster.
In dem weiteren Kontext auch interessant: Studie zur Arbeitsverteilung im Haushalt
..antworte mal eben hier, weil Julia sonst der Morgenkaffee aus der Hand faellt: ich weiss nicht, ob dieser ‚interaction term‘ wirklich signiikant ist, ein wesentlicher Teil der Argumentation was die kausale Wirkung von Heirat angeht basiert aber auf dessen Interpretation, irgendwo steht glaube ich, er wuerde zweimal die Standardabweichung grosss ein, was so hart an der Grenze ist; anyway, selbst wenn er groesser waere, ist die Intepretation, das war mein Argument, zweifelhaft.
Haette man durch die Wertepaare der Erhebung statt einer simplen linearen Interpolation Polynome gelegt, was im Grunde auch nicht schwer ist, waere man sicherlich zu aussagekraeftigeren Ergebnissen gekommen, gross genug fuer eine genaue Auswertung war der Datensatz ja, aber Geraden durch Mittelwerte zu legen, deren Steigung nur zweimal die Standardabweichung differiert und dann Funktionswerte dieser Geraden jenseits dieser Mittelwerte zu vergleichen, ist wohl etwas zweifelhaft. Was mir aber daran wichtig war, war darauf hinzuweisen, dass sich bei ‚cohabitating couples‘ (die Aenderung von) gender ideology in beiden Richtungen staerker niederschlaegt, also die Steigung entlang der ‚gender ideology‘-Achse groesser ist, haette man hier polynominterpoliert, haette man die Richtungen evtl. besser differenzieren koennnen.
Uebrigens noch zu dem oben gegebenen Statement von Angie: das ist ein interessanter Punkt, weil er sich sowohl als ‚Auswahleffekt‘ was Ehen angeht als auch als kausal traditionalisierendes Element begreifen laesst, gaebe es die Ehe nicht, koennte der Mann nicht auf seiner Position bestehen, umgekehrt kann man aber nicht sagen, das die Ehe diese Haltung induziert, denn sie ist ja schon da, bevor es zur Ehe kommt, ein sehr interessanter Punkt.
Ich finde, nach wie vor ist Kindererziehung Frauensache. ICh habe jahrelang gearbeitet, meine Frau hat die Kinder groß gezogen und wir waren uns sind es nach wie vor eine perfekte Familie ohne zu lügen.
Nachdem das ganze hier so statistisch angereichert ist, lieber Alter Meister: der Schluss vom Einzelfall auf die Gesamtheit ist zumeist auch ein Fehlschluss.
Fakt ist, dass eine Frau durch die Ehe immer noch rein rechtlich betrachtet besser abgesichert ist, als in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Das wird sich auch nicht so schnell ändern.Was die Berufstätigkeit beider Parts angeht, so wundert es mich nicht, dass die Verteilung hier ungleich ist. Freilich wird eine nichtverheiratete Mutter eher dazu bereit sein (müssen?), berufstätig zu sein, egal, ob sie nun mit dem Vater des Kindes zusammenlebt oder nicht. Eine Ungleichbehandlung kann ich da nicht erkennen, ist es doch die Entscheidung eines jeden einzelnen Paares, wie es leben will. Zum Glück leben wir in einer Gesellschaft, in der das möglich ist.