Science Fiction und Fantasy im Februar 2025

Dry seeds

Auch im Febru­ar (der ja nun eh schon ein kur­zer Monat ist) bin ich auf­grund diver­ser äuße­rer Ereig­nis­se weni­ger zum Lesen / Medi­en­kon­sum gekom­men als sonst. Im Stream ange­schaut habe ich mir genau zwei Fil­me: Ers­tens Atlas (Net­flix, 2024). Der hat extrem schlech­te Kri­ti­ken bekom­men, ich fand ihn trotz­dem – beim Aus­blen­den der einen oder ande­ren Glaub­wür­dig­keits­lü­cke – ganz unter­halt­sam. Das Set­ting ist ein zeit­ge­nös­sisch bekann­tes: in Robo­ter und Haus­halts­ge­rä­te ein­ge­bau­te künst­li­che Intel­li­gen­zen haben die grö­ße­re Tei­le der Mensch­heit umge­bracht, deren Andro­iden-Anfüh­rer konn­te flie­hen. Ein paar Jahr­zehn­te spä­ter ist ihm eine Eli­te­ein­heit der ver­ei­nig­ten irdi­schen Natio­nen auf den Spu­ren – und wür­de völ­lig schei­tern, wenn nicht Atlas dabei wäre, deren Mut­ter an einem bidi­rek­tio­na­len Neu­ro­link zwi­schen Andro­iden und Men­schen geforscht hat­te, und für die der Andro­iden­ter­ro­rist lan­ge wie ein Bru­der war. Heu­te ist Atlas sozio­phob, extrem intel­li­gent, und wild ent­schlos­sen, Rache zu neh­men. Dass ein Film mit die­ser Prä­mis­se dann vor allem a. von Par­ti­sa­nen­kämp­fen auf einem außer­ir­di­schen Pla­ne­ten (in der Andro­me­da-Gala­xis) und b. von dem lang­sa­men Auf­bau von Ver­trau­en zwi­schen Atlas und der auto­no­men Mech-Kampf-Ein­heit, auf die sie sich wider Wil­len ver­las­sen muss, han­delt, kommt etwas über­ra­schend. Wie gesagt: ich fand ihn – beim Her­un­ter­dre­hen des einen oder ande­ren Anspruchs – recht unterhaltsam. 

Zwei­tens habe ich Jer­ry Sein­fields Unfros­ted (Net­flix, 2024) ange­schaut. Das ist jetzt im eigent­li­chen Sin­ne kei­ne Fan­ta­sy, son­dern eine Mischung aus völ­lig über­dreh­ter Komö­die und Doku­men­tar­film über die Kämp­fe zwi­schen kon­kur­rie­ren­den Cera­li­en-Her­stel­lern in den 1960ern. Alles sehr hübsch im Mid-cen­tu­ry-Design, völ­lig über­dreht, und ja – ich fand’s ganz amü­sant. Mag aber auch an den Zei­ten liegen.

Gele­sen habe ich pas­send zur Wahl zum einen das Par­tei­pro­gramm der Aus­ser­ir­di­schen Inva­so­ren Par­tei Deutsch­lands (AIPD) (Teil der ZOXFR Corp.) unter dem Titel Frei­heit durch Unter­wer­fung (2023). Aus­ge­dacht hat sich das Ruben A. Fischer. Das Par­tei­pro­gramm kommt aller­dings nicht ganz an die her­vor­ra­gen­den Pla­ka­te her­an, die zur Wahl wohl in eini­gen Städ­ten zu sehen waren, son­dern trägt manch­mal etwas zu dick auf. Trotz­dem bleibt die bit­te­re Erkennt­nis: wahr­schein­lich hät­te eine real exis­tie­ren­de Par­tei, die auf frei­wil­li­ge Unter­wer­fung durch außer­ir­di­sche Inva­so­ren setzt, durch­aus Chan­cen, Pro­zen­te abzusahnen.

Eben­falls irgend­wie was mit der Wahl zu tun hat Ronald M. Hahns Social­de­mo­kra­ten auf dem Mon­de (1998), auf das ich gesto­ßen bin, weil es im Face­book-Feed des SFCD erwähnt wur­de. Das Buch – eher eine Novel­le als ein Roman, erstaun­lich, wie dünn SF&F‑Bücher mal waren – schreibt im sati­risch über­spit­zen, aber kaum gebro­che­nen, Stil der wil­hel­mi­ni­schen Zeit von der Mond­fahrt des Gra­fen Revent­low, der 1920 den Mond dem Deut­schen Kai­ser­reich über­eig­nen möch­te, bevor Sozialdemokrat*innen – oder schlim­mer noch: Kommunist*innen – ihn in die Hän­de bekom­men. Der Unter­ti­tel „Eine Welt­raum-Cla­mot­te“ ist lei­der unbe­dingt ernst zu neh­men, den gut geal­tert ist die­ses Büch­lein nicht, egal wie wild und aben­teur­lich der von social­de­mo­kra­ti­schen „Wil­den“ besie­del­te Mond und die Akteu­re aus ver­schie­de­nen irdi­schen Mäch­ten, die sich dort begeg­nen, auch gezeich­net sein mögen. Ein­zi­ger Licht­blick: der eine oder ande­re Insi­der-Witz zur SF-Geschichte. 

Sehr inter­es­sant fand ich es, zwei Bücher von Chris­to­pher Brown direkt hin­ter­ein­an­der zu lesen. Das eine ist sein SF-Thril­ler Rule of Cap­tu­re (2019), das ande­re das Sach­buch A Natu­ral Histo­ry of Emp­ty Lots (2024), in dem Brown uns in die Über­gangs­zo­nen zwi­schen Stadt und Natur im texa­ni­schen Aus­tin mit­nimmt, über zer­fal­len­de Infra­struk­tur, Wild­nis, die sich in Right-of-Way-Kor­ri­do­ren ansie­delt und Schlan­gen, die sich auf dem Weg zwi­schen Wohn­zim­mer und Schlaf­zim­mer son­nen, schreibt. Es geht hier also um oft über­se­he­ne Orte in der Stadt, die Zwi­schen­räu­me, in denen Men­schen, wenn sie genau hin­schau­en, Füch­sen, Kojo­ten, Wasch­bä­ren etc. begeg­nen, und die nur auf den ers­ten Blick wie brach­lie­gen­de Müll­ab­la­ge­run­gen aus­se­hen. Das alles ver­wo­ben mit bio­gra­fi­schen Bli­cken auf sei­nen Umzug nach Aus­tin, das Plat­zen der Dot-Com-Bla­se und die unter­schied­li­chen Wel­ten, die Brown als Rechts­an­walt dabei so ken­nen­ge­lernt hat. – All das fin­det sich als Hin­ter­grund und Set­ting in Cap­tu­re wie­der. Die­ser Roman spielt in den USA einer nahen Zukunft, gezeich­net von der Kli­ma­ka­ta­stro­phe, einem ver­lo­re­nen Krieg und den damit ver­bun­de­nen inter­nen Flucht­be­we­gun­gen. Im Set­ting des Romans ist es kurz nach einer Wahl, die ange­foch­ten wird – und die dar­über ent­schei­det, ob ein faschis­tisch gezeich­ne­ter Macht­ha­ber Prä­si­dent wird und sich durch­setzt, oder nicht. Der Prot­ago­nist, Don­ny Kimoe, ist ein ver­arm­ter und depres­si­ver Pflicht­ver­tei­di­ger, der ver­sucht, noch irgend­et­was für die angeb­li­chen „Ökoterrorist*innen“ her­aus­zu­ho­len, die er ver­tei­digt – auf recht­li­chem Weg, manch­mal aber auch außer­halb der dafür eigent­lich vor­ge­se­he­nen Wege. Nicht immer mit Erfolg. Nach und nach deckt er dabei auf, wel­che finstren Machen­schaf­ten hin­ter dem neu­en Regime ste­hen, und was die­se für Plä­ne ver­fol­gen. Span­nend und gut geschrie­ben – und lei­der an der einen oder ande­ren Stel­le heu­te aktu­el­ler als es 2019 vor­stell­bar war. 

Der klei­ne Sam­mel­band A Quiet After­noon (2020), her­aus­ge­ge­ben von Lia­ne Tsui und Grace Sey­bold ver­spricht das genaue Gegen­teil, und erfüllt die­ses Ver­spre­chen auch. Hier geht es um „low-fi spe­cu­la­ti­ve fic­tion“, gemeint sind damit Geschich­ten, die in einem Fan­ta­sy- oder SF-Set­ting ste­cken, aber ohne gro­ße Held*innen, welt­be­we­gen­de Ent­de­ckun­gen oder apo­ka­lyp­ti­sche Ver­schwö­run­gen aus­kom­men. In den Geschich­ten in die­ser Antho­lo­gie pas­siert durch­aus etwas, lang­wei­lig sind sie nicht – aber eben im klei­ne­ren Maß­stab, und mit freund­li­che­rem Ant­liz. Ob ich das unter Hope Punk ein­sor­tie­ren wür­de, weiß ich nicht. Aber als Aus­gleich zur Welt­la­ge habe ich A Quiet After­noon ger­ne gelesen.

Elia­ne Boey schreibt in Club Con­tan­go (2024) so eine Art Cyber­punk – nur das die Prot­ago­nis­tin Con­nie Lam eine allein­er­zie­hen­de, zu Selbst­zwei­fel nei­gen­de Mut­ter ist, die in den halb­welt­li­chen Zwi­schen­räu­men der hyper­ka­pi­ta­lis­ti­schen Aste­ro­iden­stadt Free­port am Ende des 21. Jahr­hun­derts ver­sucht, ihr Kind zu ver­sor­gen und nicht auf die von der Kli­ma­ka­ta­stro­phe gezeich­ne­te Erde depor­tiert zu wer­den. Ihre Ver­gan­gen­heit mit Finanz­spe­ku­la­tio­nen und AI-Pror­gam­men holt sie in mehr­fa­cher Hin­sicht ein, und vor dem Hin­ter­grund von Jazz und ande­ren wie­der in Mode gekom­me­nen Sti­len der Ver­gan­gen­heit spitzt sich die Sache zu. Über allem schwebt die Fra­ge, wer die/der geheim­nis­vol­le Chan­ce ist, die/der immer wie­der eingreift. 

Dann habe ich noch den sehr umfang­rei­chen Fan­ta­sy-Roman Mor­dew (2020) von Alex Phe­by gele­sen. Wenn man so möch­te, eine sehr düs­te­re Coming-of-Age-Geschich­te in einer Welt, die viel­leicht in der Zukunft unse­rer liegt, und in der der jun­ge Nathan Tree­ves am Anfang in einem Slum mit leben­den Schlamm, aus dem immer wie­der Chi­mä­ren her­vor­krie­chen, vege­tiert – dann Teil einer klein­kri­mi­nel­len Ban­de wird – und schließ­lich sei­ne töd­li­chen magi­schen Fähig­kei­ten ent­deckt. Düs­ter, weil die­se gan­ze Welt – detail­liert dar­ge­stellt – von Hoff­nungs­lo­sig­keit gezeich­net ist, und Nathan eigent­lich nicht so recht weiß. wie ihm geschieht – bis zum bit­te­ren Ende. Fan­ta­sie­voll und inter­es­sant, aber eigent­lich will ich nicht noch mehr über die­se Welt wis­sen. Den zwei­ten und drit­ten Band habe ich ent­spre­chend bis­her nicht auf mei­nen Lese­sta­pel gelegt.

Apro­pos Lese­sta­pel: ange­sto­ßen durch die Ankün­di­gung, dass Ama­zon den Down­load von Titeln vom Kind­le sper­ren wird, habe ich mich näher mit Calib­re befasst und über­le­ge jetzt, ob es viel­leicht doch brauch­ba­re E‑Book-Rea­der-Alter­na­ti­ven gibt, die dazu bei­tra­gen, das Ama­zon-Öko­sys­tem zu verlassen. 

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