Wow! Knapp 250.000 Menschen sind echt ziemlich viele. #unteilbar hat es geschafft, die auf die Straße zu bringen. Oder, wie die ZEIT titelt: die Sammlungsbewegung ist da. Keine Retortengeburt a la „aufstehen“ des nationalen Flügels der Linkspartei, sondern eine Bewegung, die sich aus verdammt vielen Quellen speist. #unteilbar, für Solidarität und gegen Ausgrenzung, gegen den Versuch, Geflüchtete gegen Arme, Migrant*innen gegen Queers auszuspielen.
Und das hat sich richtig gut angefühlt, auch wenn der grüne Block ganz schön lange zwischen den Hits der Linkspartei und der Volkslied-Arbeiteraufstand-Rhetorik der interventionistischen Linken ausharren musste, bis endlich genug vorderer Teil der Demo sich in Bewegung gesetzt hatte. Menschenstau für die gute Sache, quasi. Demo – und danach dann noch sieben Stunden Abschlusskundgebung, bis in den Abend hinein, mit Dota Kehr und Grönemeyer, Tocotronic und Bernadette La Hengst und und und.
Das viele Menschen zu #unteilbar kommen würden, hatte sich schon angedeutet. 50.000 bei der Demo gegen die Abholzung des Hambacher Waldes. Viele zehntausende bei Demos und Aktionen der Seebrücke überall in Deutschland. 2018 ist ein Demojahr. Das hat was mit den Umständen zu tun. Es passieren schreckliche Dinge, nicht zuletzt im Mittelmeer. Wer da keinen humanitären Funken spürt, nicht solidarisch entbrennt, muss ein ziemlich abgestumpfter Mensch sein.
Aber ich glaube, dass das mehr ist als ein Abwehrreflex gegen die Braun-Blauen. Wir sind mehr, wir sind die Vielen. Multitude und Vielfalt, aber eben auch schlichte Quantität: das bunte Mehrheitsdeutschland, auf das stolz zu sein dann irgendwie ok ist.
Hinter diesem Demojahr 2018 steht noch etwas anderes. Wir haben gesehen, wie brüchig der demokratische Konsens ist. Demokratisches Miteinander, eine offene und freie Gesellschaft: das wirkt so stabil und unverrückbar, langweilig bis hin zur grauen Normalität. Aber es ist gar kein statischer Block aus Stein, sondern etwas lebendiges, die ultimative soziale Plastik, die immer wieder neu ausgehandelt und mit Leben gefüllt werden muss. Und dazu ist es manchmal notwendig, lautstark präsent zu sein. Heute waren es 250.000, die für die Werte des Grundgesetzes demonstriert haben.
Das zweite Element, dass diese großen Demos möglich gemacht hat, ließe sich als der Wunsch nach einer Wiedergewinnung des Politischen beschreiben. Politik geschieht nicht einfach, sondern besteht aus Entscheidungen, die so oder so ausfallen. Und dabei mitreden zu wollen, erlebt gerade einen Pendelausschlag. Dazu gehört auch ein neues Verständnis von Parteien. Grün wirkt in der aktuellen Neuerfindung auch deswegen attraktiv, weil uns etwas bewegungsartiges anheftet. Dazu gehört Meinungsvielfalt statt Dogmatismus, dazu gehört eine Handlungsorientierung, die, glaube ich, für viele Neumitglieder wichtiger ist als der hehre Streit ums bessere Papier. Wer jetzt bei Grünen Mitglied wird, bekennt sich damit, eröffnet sich aber auch einen Gestaltungsraum.
Auch andere Parteien schauen auf Bewegungen. Gleichzeitig fällt auf, dass die Proteste gegen den Braunkohleabbau (u.a. mit Ende Gelände), gegen das Sterben im Mittelmeer (mit der Seebrücke) und gegen Hass, Ausgrenzung und Rassismus (#unteilbar) eben jeweils nicht von den klassischen Bündnissen linker Parteien und Gewerkschaften organisiert wurden, sondern dass jeweils neue – junge! – bewegungsartige Initiativen maßgeblich dahinter stehen, die erst den breiten Resonanzraum öffnen, der diese Erfolge ermöglicht. Neben dem professionellen Material sind es vielleicht gerade die unzähligen handgemalten Pappschilder, die Symbol dafür sind, wie offen und anschlußfähig diese Formate sind, ohne Unterwerfung unter ein Format zu fordern.
#unteilbar ist erst der Anfang. Politik hat einen Sinn, weil es um etwas geht. Wir lassen uns unser Land und unsere Verfassungswerte nicht kaputtmachen. Wir kämpfen – aber nicht verbissen, sondern lebendig, locker, mit Freude!
Warum blogge ich das? Am sehr großen grünen Block teilzunehmen, war ursprünglich gar nicht mein Plan. Heute fand in Berlin eine Sitzung meiner BAG Wissenschaft statt; mehrheitlich haben wir beschlossen, die Sitzung zu unterbrechen, um zu der #unteilbar-Demo zu gehen. Im Nachhinein die richtige Entscheidung und ein leichtes historisches Kribbeln. Da passiert etwas, und ja: wir sind ein Teil davon.