Hamburger Wahlrecht

People waiting II

Span­nend an der Wahl in Ham­burg fin­de ich ja das Wahl­recht. Das ist ziem­lich demo­kra­tisch (inso­fern dar­un­ter ver­stan­den wird, dass der Ein­fluss der Wäh­le­rIn­nen auf die par­tei­li­che wie per­sön­li­che Zusam­men­stel­lung des Par­la­ments sehr groß ist), aber auch ein biss­chen unüber­sicht­lich, weil es sehr vie­le Schalt­he­bel gibt. Eine aus­führ­li­che Dar­stel­lung gibt es z.B. bei wahlrecht.de.

Wenn ich es rich­tig ver­ste­he, dann gibt es – erst­mal ver­ein­facht – eine Lan­des­stim­me und eine Wahl­kreis­stim­me. Die Lan­des­stim­me legt (abge­se­hen von Über­hang- und Aus­gleichs­man­da­ten) fest, wel­che Par­tei­en in wel­chem Ver­hält­nis in die Bür­ger­schaft kom­men. Des­we­gen konn­te Sonn­tag Nacht auch nach dem vor­läu­fi­gen Aus­zäh­len der Lan­des­stim­men ein „Teil­ergeb­nis“ mit Frak­ti­ons­stär­ken ver­kün­dert wer­den. Die Wahl­kreis­stim­me legt fest, wel­che Per­son im Wahl­kreis gewählt wird. Es gibt 71 Sit­ze, die in Wahl­krei­sen ver­ge­ben wer­den, und wei­te­re im Regel­fall 40 Sit­ze im Par­la­ment, die ander­wei­tig ver­ge­ben wer­den. Wich­tig für die Zusam­men­set­zung der Bür­ger­schaft ist aber erst­mal die Lan­des­stim­me (was scha­de ist, weil die GAL bei der Wahl­kreis­stim­me deut­lich bes­ser abschneidet …).

Kom­pli­zier­ter wird das gan­ze dadurch, dass es nicht eine Lan­des- und eine Wahl­kreis­stim­me gibt, son­dern jeweils fünf, die wohl auch noch kumu­liert und pana­schiert wer­den kön­nen. Im Wahl­kreis leuch­tet mir das auch unmit­tel­bar ein, weil es Mehr­per­so­nen­wahl­krei­se sind (in denen 3 bis 5 Per­so­nen gewählt wer­den) – von den 14 GAL-Man­da­ten wur­den wohl 12 direkt in Wahl­krei­sen errun­gen, wobei die GAL jeweils auf Platz 3 oder 4 in den Wahl­krei­sen liegt. 

War­um es fünf Lan­des­stim­men gibt, und war­um die­se auch noch auf ver­schie­de­ne Lis­ten ver­teilt wer­den kön­nen, ist mir noch nicht so ganz klar. Letzt­lich geht es hier wohl dar­um, die Rei­hung auf der Lan­des­lis­te zu beein­flus­sen. Mög­lich ist es aber auch, meh­re­re Par­tei­en in unter­schied­li­chen Antei­len zu wäh­len – eine Opti­on, von der wohl vor allem Wäh­le­rIn­nen der GAL Gebrauch gemacht haben.

Der aktu­el­le Aus­zäh­lungs­stand und die Lis­te der über die Wahl­krei­se gewähl­ten Per­so­nen ist übri­gens hier zu fin­den. Heu­te nach­mit­tag soll das End­ergeb­nis fest­ste­hen – zu den vor­läu­fi­gen Frak­ti­ons­stär­ken kom­men dann gege­be­nen­falls noch Über­hangs- und Aus­gleichs­man­da­te. Aus Ham­bur­ger Krei­sen ;-) heißt es aber, dass es unwahr­schein­lich sei, dass es dazu kommt.

Im Ver­gleich zum baden-würt­tem­ber­gi­schen Wahl­recht, bei dem eine ein­zi­ge Stim­me abge­ge­ben wird (die sowohl dar­über ent­schei­det, wel­che Par­tei wie vie­le Sit­ze erhält, als auch per­so­nen­ge­bun­den über die Direkt­man­da­te in den Wahl­krei­sen) ist das Ham­bur­ger Wahl­recht kom­pli­zier­ter, bie­tet aber auch deut­lich mehr Mög­lich­kei­ten für die Wäh­le­rIn­nen zur Ein­fluss­nah­me. Auch die GAL-Frak­ti­on wird nur in Tei­len der von der Par­tei auf­ge­stell­ten Lis­te ent­spre­chen (ins­be­son­de­re der „Platz-31-Effekt“ – neue Sei­te, vie­le Stim­men – ist inter­es­sant). Trotz­dem hat­te die GAL die Mög­lich­keit, den Wäh­le­rIn­nen die prä­fe­rier­te Lis­te zu prä­sen­tie­ren. Das ist in Baden-Würt­tem­berg bekannt­lich anders: hier sind es die rela­ti­ven Stär­ken der Par­tei­en in den ein­zel­nen Wahl­krei­sen, die letzt­lich dar­über ent­schei­den, wel­che Per­so­nen in den Land­tag ein­zie­hen, ohne dass – über die eher sym­bo­li­sche Benen­nung von Spit­zen­kan­di­da­tIn­nen hin­weg­ge­se­hen – kaum ein Ein­fluss der Lan­des­par­tei auf die poten­zi­el­le Frak­ti­ons­zu­sam­men­set­zung besteht. 

In Ham­burg (neu) wie in Baden-Würt­tem­berg (klas­sisch) ist eine star­ke Per­so­na­li­sie­rung des Wahl­kampfs mög­lich. Die­se tauch­te im Wahl­kampf in Ham­burg aller­dings kaum auf – mög­li­cher­wei­se auch des­we­gen, weil es zumin­dest bei CDU, SPD und LINKEN „Fair­ness­ab­kom­men“ gab, die es den Kan­di­da­tIn­nen auf den hin­te­ren Plät­zen qua­si ver­bo­ten haben, Wer­bung in eige­ner Sache zu machen. 

Bleibt letzt­lich die Fra­ge, was bes­ser ist – ein per­so­na­li­sier­tes Wahl­recht mit einer Kopp­lung aus Par­tei­vor­schlä­gen und star­ken Ein­fluss­mög­lich­kei­ten der Wäh­le­rIn­nen (Ham­burg), ein per­so­na­li­sier­tes Wahl­recht alter Form (Baden-Würt­tem­berg) – oder das klas­si­sche Lis­ten­wahl­recht mit einem deut­lich gerin­ge­ren Anteil an Per­so­na­li­sie­rung über Wahl­kreis­man­da­te, wie es bei­spiels­wei­se in NRW oder bei der Bun­des­tags­wahl zur Anwen­dung kommt. Ich fin­de es jeden­falls span­nend, dass es – durch Volks­ent­schei­de durch­ge­setzt – in eini­gen Bun­des­län­dern Expe­ri­men­te mit inno­va­ti­ve­ren Wahl­rechts­for­men gibt. Einen Ide­al­ty­pus, der einen hohen demo­kra­ti­schen Ein­fluss, eine rela­tiv simp­le Stimm­ab­ga­be ohne die Gefahr vie­ler ungül­ti­ger Stim­men und eine gewis­se Mög­lich­keit von Par­tei­en, ihre Prä­fe­ren­zen zumin­dest zu ver­mit­teln, zusam­men­bringt, sehe ich aller­dings noch nicht.

War­um blog­ge ich das? Was bleibt einem bei einem SPD-Abso­lut­sieg auch übrig …? Und falls mich jemand bei der Dar­stel­lung des Ham­bur­ger Wahl­rechts kor­ri­gie­ren möch­te: gerne.

4 Antworten auf „Hamburger Wahlrecht“

  1. Die aktu­el­le Wahl zeigt zumin­dest Ver­bes­se­rungs­po­ten­ti­al auf:
    So braucht es Lepo­rel­los, um den Sei­ten­um­bruchs­ef­fekt auszuschalten.
    Außer­dem macht es wahr­schein­lich Sinn, die Zug­pfer­de zwar auf die Lan­des­lis­te zu set­zen, aber wei­ter hin­ten. Dazu muss klar kom­mu­ni­ziert wer­den, dass im WK wäh­len nicht heißt, dass man die Leu­te schon gewählt hat (zumin­dest bei uns).
    Und die Mit­glie­der müs­sen sich bei jedem über­le­gen, ob sie ihn/sie auch nur theo­re­tisch mit Man­dat sehen wol­len. Weil Geld jetzt eben doch Tore schie­ßen kann.

  2. Eigent­lich gibt es schon einen Ide­al­typ, näm­lich das Appr­oval Voting. Ganz leicht zu ver­ste­hen, brei­te Arti­ku­la­ti­ons­mög­lich­kei­ten für den Wäh­ler, wenig Ver­zer­rung durch tak­ti­sches Wählen.

    Dass statt des­sen immer wie­der so über­kom­ple­xe und will­kür­li­che Sys­te­me erfun­den wer­den wie in Ham­burg, das haut mich voll vom Hocker.

  3. Das Ham­bur­ger Wahl­sys­tem gefällt mir zwar bes­ser als das von Baden-Würt­tem­berg, aber das ist ja doch ein wenig kompliziert.
    Mit dem Sys­tem hier in Bay­ern bin ich recht zufrie­den. Mehr Ein­fluss der Bür­ger auf die Zusam­men­set­zung des Par­la­ments und mit ins­ge­samt zwei Stim­men pro Wäh­ler auch noch überschaubar.
    In den Wahl­krei­sen ergab das bei den meis­ten Par­tei­en kei­ne gro­ße Abwei­chung von der Rei­hung durch die Par­tei. Hoch­ge­wählt wur­den nur ver­ein­zelt Bewer­ber mit schlech­tem Lis­ten­platz. Da zeig­te sich dann aber auch eine gewis­se Pro­ble­ma­tik offe­ner Lis­ten: Es wur­den näm­lich zum Teil Kan­di­da­ten beson­ders mit Stim­men bedacht, die auch außer­halb der Poli­tik pro­mi­nent sind. Bei­spiels­wei­se Ute Sin­ger (unter dem Künst­ler­na­men Clau­dia Jung erfolg­rei­che Schla­ger­sän­ge­rin) von den FW und bei den Grü­nen Bar­ba­ra Rüt­ting. Ich kann zwar gegen Frau Sin­ger nichts vor­brin­gen, aber die meis­ten Kan­di­da­ten bei den FW haben deut­lich mehr kom­mu­nal­po­li­ti­sche Erfah­rung als sie. Über den Erfolg von Frau Rüt­ting wird sich wohl bei den baye­ri­schen Grü­nen kaum jemand gefreut haben. Ihre Affi­ni­tät zur Eso­te­rik und ihre unkri­ti­sche ja posi­ti­ve Hal­tung gegen­über der Sek­te „Uni­ver­sel­les Leben“ machen sie zu kei­nem guten Aus­hän­ge­schild dei­ner Partei.

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