Fünf Anmerkungen zur Wahl in NRW

Journey of waiting XLII: glass paneNoch ist alles offen – 40 von 128 Wahl­krei­sen sind aus­ge­zählt – aber eini­ges lässt sich schon über die Wahl in NRW sagen:

1. Ganz gro­ßer Glück­wunsch an Bünd­nis 90/Die Grü­nen NRW, die einen über­zeu­gen­den Wahl­kampf hin­ge­legt haben, als ein­zi­ge kom­pe­tent mit dem Web umge­gan­gen sind, noch­mal drei Tage wach waren und auch hin­sicht­lich der Koali­ti­ons­op­tio­nen klar waren! 

2. Die schwarz-gel­be Bun­des­rats­mehr­heit ist weg, egal, was heu­te abend noch pas­siert. Dass wird es für die schwarz-grü­nen Koali­tio­nen in Ham­burg und im Saar­land nicht ein­fa­cher machen, wird aber auf jeden Fall eini­gen „Reform­pro­jek­ten“ der schwarz-gel­ben Bun­des­re­gie­rung vom „Natio­na­len Sti­pen­di­en­pro­gramm“ bis zur „Kopf­pau­scha­le“ gro­ße Stei­ne in den Weg legen. Gut so!

3. Die Mehr­heit in NRW hat sich klar gegen schwarz-gelb aus­ge­spro­chen. Oder, an ein­zel­nen The­men fest­ge­macht: es gibt zm Bei­spiel eine kla­re Mehr­heit für die Schu­le für alle. Die ver­teilt sich auf drei Par­tei­en. Unab­hän­gig davon, wie die Koali­ti­on am Schluss aus­sieht: die­se Inhal­te müs­sen Raum finden.

4. Die Fünf-Pro­zent-Hür­de ver­fälscht den Wäh­le­rIn­nen-Wil­len, das wird, je stär­ker die Volks­par­tei­en zu „Rui­nen“ wer­den (bei­de haben ja noch­mal ver­lo­ren) umso deut­li­cher. Wenn eine Mehr­heit davon abhängt, ob die Links­par­tei 4,9 oder 5,9% erreicht; wenn jede Stim­me für die Pira­ten letzt­lich deren Anlie­gen scha­det – dann stimmt etwas am Wahl­sys­tem nicht.

5. Ich glau­be, dass die­se Wahl mit Fug und Recht als ers­te bezeich­net wer­den kann, die maß­geb­lich durch Blogs beein­flusst wur­de – und zwar weni­ger durch die Par­tei­b­logs, son­derns sehr viel stär­ker durch Pres­se-Ersatz-Blogs, nament­lich durch die Ruhr­ba­ro­ne und durch Wir-in-NRW.

Das „Institut solidarische Moderne“ – eine Namenskritik

Die taz berich­tet heu­te über die für mor­gen anvi­sier­te Grün­dung eines „Insti­tut Soli­da­ri­sche Moder­ne“ als rot-rot-grü­nem Think-tank:

Die trei­ben­den Kräf­te der ISM-Grün­dung sind die SPD-Poli­ti­ker Her­mann Scheer und Andrea Ypsi­lan­ti, der grü­ne Euro­pa­par­la­men­ta­ri­er Sven Gie­gold und Kat­ja Kip­ping, Vize­che­fin der Links­par­tei. Unter­stützt wird die ISM unter ande­rem von Anke Mar­ti­ny, Juso-Che­fin Fran­zis­ka Droh­sel, dem Rechts­exper­ten der Links­frak­ti­on, Wolf­gang Nes­ko­vic, und dem Grü­nen Arvid Bell.

Ergänzt wird die­se Grup­pe um Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und ande­re Persönlichkeiten. 

Das klingt alles erst­mal ziem­lich gut. Aller­dings kann ich mich – wenn das alles so stimmt – auch Ste­fan Rei­ne­cke anschlie­ßen, der im Kom­men­tar dazu schreibt: 

Das größ­te Hin­der­nis für Rot-Rot-Grün liegt frei­lich noch auf einer ande­ren Ebe­ne. Man ist zwar gegen Neo­li­be­ra­lis­mus und AKWs, für die Bür­ger­ver­si­che­rung und öko­lo­gi­schen Umbau. Aber es fehlt eine zün­den­de Vision.

Trotz­dem ist das eigent­lich gar nicht der Anlass für die­sen Blog-Bei­trag. Viel­mehr mag ich den Namen „Insti­tut Soli­da­ri­sche Moder­ne“ nicht (ob die Domain schon reser­viert ist)?. Mal schau­en, ob der Grün­dungs­kreis das mor­gen so bei­be­hält – ver­mut­lich schon. Hier den­noch mei­ne drei Kri­tik­punk­te, die sich vor allem am Namen festmachen.

1. ISM – war da nicht was? Mei­ne ers­te Asso­zia­ti­on ist jeden­falls die INSM – die neo­li­be­ra­le „Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft“. Mag ja sein, dass die­se Ähn­lich­keit bewusst gewählt ist, so als kom­mu­ni­ka­ti­ver Gue­ril­la-Akt. Beson­ders klug fin­de ich das jedoch nicht.

2. Mir ist der Name zu sozi­al­de­mo­kra­tisch. Aber gut – wenn zwei der drei Grün­dungs­strö­mun­gen sozi­al­de­mo­kra­tisch sind, muss das viel­leicht so sein. Natür­lich ist „soli­da­risch“ auch ein grü­ner Begriff, und ein – inzwi­schen weit­ge­hend aner­kann­tes – grü­nes The­ma. Trotz­dem: gera­de wenn die­ser Think-tank sich um die­ses Auf­ga­ben­feld küm­mern will (wie­der laut taz) …

Die tra­di­tio­nel­le Lin­ke des Indus­trie­ka­pi­ta­lis­mus habe die öko­lo­gi­sche Kri­se nicht aus­rei­chend begrif­fen und sei zu stark auf „Erwerbs­ar­beit“ focus­siert. Die neue Lin­ke müs­se sich auch um „öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit“ küm­mern und fra­gen wie man ohne „sozia­le Brü­che“ Abschied vom „quan­ti­ta­ti­vem Wachs­tum“ neh­men kann. 

… dann fra­ge ich mich schon, ob „soli­da­risch“ das rich­ti­ge Adjek­tiv ist. Ich wür­de ja sagen, dass eigent­lich „grün“ hier viel bes­ser passt, oder zumin­dest „sozi­al-öko­lo­gisch“. Viel­leicht wäre auch eine ganz neue Wort­schöp­fung not­wen­dig. Oder eben bei­des – „Insti­tut für eine soli­da­ri­sche und öko­lo­gi­sche Moderne“.

3. Mir ist der Name zu modern. Mit Beck, Gid­dens & Co. sind wir in der „zwei­ten Moder­ne“, der „Nach­mo­der­ne“, der „spä­ten Moder­ne“ oder der „refle­xi­ven Moder­ne“ ange­kom­men. Und gera­de, wenn es um eine „neue neue Lin­ke“ geht, wobei die Grenz­zie­hung ja wohl – s.o. – wie­der­um die Abgren­zung vom Fokus auf Erwerbs­ar­beit ist – fra­ge ich mich, ob die Epo­che der (ers­ten, …) „Moder­ne“ eigent­lich wirk­lich der rich­ti­ge Bezugs­punkt ist. Für mich schwin­gen da Tra­ban­ten­städ­te im inter­na­tio­na­len Stil, auto­ge­rech­te Städ­te und for­dis­ti­sche Arbeits­ver­hält­nis­se mit. Gleich­zei­tig lässt sich der Begriff „Moder­ne“ auch mit Latour angrei­fen. Gera­de wenn es dar­um geht, Soli­da­ri­tät nicht nur auf (heu­ti­ge und zukünf­ti­ge) Men­schen zu beschrän­ken – das wäre übri­gens die m.E. ein­zi­ge Mög­lich­keit, den Fokus auf den öko­lo­gi­schen Umbau der moder­nen Indus­trie­ge­sell­schaft ins Adjek­tiv „soli­da­risch“ hin­ein­zu­den­ken – also gera­de dann zeigt Latour, wie die Moder­ne als Ord­nungs­sys­tem den Men­schen allei­ne stellt. 

Wenn ich die Leu­te, die bis­her öffent­lich damit in Ver­bin­dung gebracht wer­den, rich­tig ein­schät­ze, dann will die­ser Think-tank eigent­lich sowas wie ein „Insti­tut für eine soli­da­ri­sche, eman­zi­pier­te und öko­lo­gi­sche Gesell­schaft“ sein. Nun ist auch Ifese­oeGe kein beson­ders gutes Akro­nym. Und ISOE, IÖW etc. gibt es auch schon. Und ver­mut­lich soll der Name auch noch ernst­haft klin­gen (also nichts mit „Gesell­schaft 2.0“ oder so). Dass alles zusam­men­zu­brin­gen, dürf­te nicht so ein­fach sein. Die geball­te Ener­gie des Grün­dungs­krei­ses müss­te aber eigent­lich in der Lage sein, was bes­sers zu fin­den. Oder wenn das nicht, dann zumin­dest dafür zu sor­gen, dass die Buch­sta­ben­kom­bi­na­ti­on ISM in ein paar Jah­ren pro­gres­siv, eman­zi­pa­to­risch und öko­lo­gisch nach­hal­tig klingt.

War­um blog­ge ich das? Weil ich die­se Initia­ti­ve sehr span­nend fin­de und neu­gie­rig bin, was draus wird. Und weil mir der Name nicht gefällt.

Update: Wenn der Link stimmt, den Björn Böh­ning gera­de rum­schick­te, dann könn­te solidarische-moderne.de der Web­auf­tritt sein (Inhal­te feh­len noch, viel­leicht ist’s auch nur ein Kon­zept). Da steht als Name „die­Soli­da­ri­scheMo­der­ne . Cross­over-Insti­tut“. Ist ein biß­chen schi­cker, und Punkt 1 mei­ner Kri­tik trifft dann nicht zu, aber die Punk­te 2 und 3 blei­ben bestehen. Vor allem, wen der Ban­ner wei­ter­hin „Sozia­le Gerech­tig­keit, sozia­le Öko­lo­gie, sozia­le Öko­no­mie“ heißt. Einem „Cross­over-Insti­tut“, das die „öko­lo­gi­sche Öko­no­mie“ und die „öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit“ ver­gisst, fehlt was.

Update des Updates: Die ein­zi­gen drei Punk­te, die schon Inhal­te brin­gen, sind „Mit­glied wer­den“, „News­let­ter bestel­len“ und Kon­takt. Und da steht dann doch wie­der „Insti­tut soli­da­ri­sche Moder­ne e.V.“ als Name.

Noch ein Nach­trag: Der Inha­ber der Domain ist der Jena­er Sozio­lo­ge Ste­phan Les­se­nich, der neben den oben genann­ten Poli­ti­ke­rIn­nen immer wie­der mit dem „ISM“ in Ver­bin­dung gebracht wird – scheint also tat­säch­lich die Domain des Insti­tuts zu sein/zu wer­den. Und zumin­dest Goog­le kennt den Begriff „soli­da­ri­sche Moder­ne“ nur im Zusam­men­hang mit der Institutsgründung.

Web­site zu: solidarische-moderne.de ist jetzt mit einem Pass­wort­schutz ver­se­hen. War wohl noch nicht für die Öffent­lich­keit gedacht.

Update: (31.01.2010, 20:30 Uhr) Die Web­site solidarische-moderne.de ist jetzt wohl offi­zi­ell in Betrieb. U.a. fin­det sich dort auch die Gründungserklärung.

Jamaika im Saarland – jenseits der Erregung

I. Plötzliche Erregung

Ich bin ein klein wenig erstaunt über die hef­ti­gen Debat­ten, die jetzt im grü­nen Feld sozia­ler Netz­wer­ke über die Ent­schei­dung der Saar­grü­nen dafür toben, Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen mit CDU und FDP auf­zu­neh­men. Viel davon läuft auf Twit­ter und Face­book, es gibt aber auch schon ers­te Blog­ein­trä­ge – Julia See­li­ger will das Saar­land ver­kau­fen, Jörg Rupp ver­schlägt es den Appetit. 

Erstaunt bin ich über die hef­ti­gen Debat­ten – und die har­te Kri­tik an der Ent­schei­dung von 78 % der saar­län­di­schen Dele­gier­ten – des­we­gen, weil sich in den letz­ten Wochen ja abge­zeich­net hat, dass rot-rot-grün und Jamai­ka im Saar­land min­des­tens gleich wahr­schein­lich sind. Inso­fern fin­de ich die Ent­schei­dung zwar falsch, ihre Deut­lich­keit hat mich auch über­rascht – fas­sungs­los bin ich dar­über aber nicht.

Bei der Bewer­tung die­ses zwei­ten Expe­ri­ments (nach Ham­burg) sind, mei­ne ich, min­des­tens zwei Ebe­nen zu unter­schei­den. Das eine ist der genaue Blick auf die loka­len Beweg­grün­de und Umstän­de, die Jamai­ka im „etwas grö­ße­ren Kreis­ver­band an der fran­zö­si­schen Gren­ze“ (Vol­ker Beck) mög­lich machen. Das ande­re ist die Ein­ord­nung die­ser Ent­schei­dung in einen grö­ße­ren Kon­text. Denn auch wenn Cem und Clau­dia die bun­des­po­li­ti­sche Rele­vanz der Ent­schei­dung ver­nei­nen, ist – auch abge­se­hen von kla­ren Kon­se­quen­ten etwa bezüg­lich der Bun­des­rats­mehr­hei­ten – doch davon aus­zu­ge­hen, dass Jamai­ka im Saar­land bun­des­weit nicht fol­gen­los bleibt.

II. Saarland

Zur ers­ten Ebe­ne gehö­ren per­sön­li­che Ani­mo­si­tä­ten zwi­schen Grü­nen und LINKE im Saar­land, dazu gehört das Ver­hal­ten von Oskar Lafon­taine, dazu gehö­ren auch die unsou­ve­rä­nen Reak­tio­nen von SPD und Links­par­tei. Dazu gehört der Koh­le­berg­bau und ein „eher“ mode­ra­ter CDU-Minis­ter­prä­si­dent, und dazu gehö­ren – so ist es jeden­falls zu hören – rela­tiv weit­rei­chen­de Zuge­ständ­nis­se in der Umwelt- und Bil­dungs­po­li­tik. Um zu erklä­ren, wie es im Saar­land zu Jamai­ka, zur grü­nen Ent­schei­dung für eine Koali­ti­on mit CDU und FDP, kom­men konn­te, ist es aber wohl auch nötig, auf die rela­tiv auto­kra­ti­sche Auf­stel­lung unse­res saar­län­di­schen Lan­des­ver­bands zu schauen. 

Für das Saar­land kann eine Jamai­ka-Koali­ti­on zwei­er­lei bedeu­ten. Ent­we­der sie wird erfolg­reich, trägt auch in der poli­ti­schen prak­ti­schen Tat eine grü­ne Hand­schrift – dazu muss der Schwanz hier mit dem Hund wackeln, aber viel­leicht gelingt das ja – und sie führt die saar­län­di­schen Grü­nen aus dem zit­tern­den Leben an der 5‑Pro­zent-Hür­de ins Feld der eta­blier­ten Par­tei­en. Es besteht jeden­falls eine gehö­ri­ge Bring­schuld der neu­en Frak­ti­on und der poten­zi­el­len Regie­rungs­be­tei­lig­ten gegen­über den grü­nen Wäh­le­rIn­nen. Ein wich­ti­ger Aspekt sind hier die Per­so­nal­fra­gen, vor allem die Beset­zung der – dem Hören­sa­gen nach – zwei Minis­te­ri­en, die den Grü­nen wohl zuge­stan­den wer­den. Wenn da fähi­ge Leu­te außer­halb des saar­län­di­schen Fil­zes ran­kom­men, kann sich wirk­lich was bewe­gen. Ob es dazu kommt – da bin ich mit Blick auf die kom­mu­nal­po­li­ti­schen Vor­bil­der einer der­ar­ti­gen Koali­ti­on – zwie­ge­spal­ten. Ich glau­be aber, dass den saar­län­di­schen Grü­nen zumin­dest die Chan­ce ein­ge­räumt wer­den muss, auf tat­säch­li­che poli­ti­sche Erfol­ge hin­zu­ar­bei­ten. Mit dem Droh­po­ten­zi­al, immer auch zu Rot-rot-grün schwen­ken zu kön­nen, haben sie zumin­dest eini­ges in der Hand.

Die zwei­te Vari­an­te wäre das inhalt­li­che Schei­tern, eine Regie­rungs­be­tei­li­gung, die blass bleibt, das Feh­len grü­ner Akzen­te im schwarz-gel­ben Strom, oder, schlim­mer noch, das Schlu­cken unver­zeih­ba­rer Krö­ten in Kern­be­rei­chen der grü­nen Pro­gram­ma­tik. Bei der nächs­ten Land­tags­wahl wür­de eine der­ar­ti­ge Per­for­manz – begin­nend mit dem Koali­ti­ons­ver­trag als ers­tem Nadel­öhr – mit ziem­li­cher Sicher­heit die Grü­nen an der Saar unter fünf Pro­zent drü­cken und viel­leicht den Weg für eine rot-rote Koali­ti­on frei machen. Das hal­te ich nicht für wün­schens­wert, aber lei­der auch nicht für unmög­lich. Ich hof­fe, dass den saar­län­di­schen Grü­nen die­ser Erfolgs­druck bewusst ist. 

Ein Neben­ef­fekt eines der­ar­ti­gen Schei­terns könn­te sein, dass es zu grö­ße­ren per­so­nel­len und inhalt­li­chen Ver­än­de­run­gen im saar­län­di­schen Lan­des­ver­band kom­men könn­te. Das wäre, nach allem, was dar­über zu hören ist, nicht unbe­dingt nega­tiv – aber wür­de mit einem hohen Preis bezahlt.

III. Größerer Kontext

Eine eini­ger­ma­ßen sta­bi­le Jamai­ka-Koali­ti­on im Saar­land ist defi­ni­tiv ein Signal dafür, dass wir Grü­nen es ernst mei­nen damit, nicht auf immer und ewig Teil eines lin­ken Drei­er­la­gers sein zu wol­len, son­dern uns als eigen­stän­di­ge – lin­ke – Kraft ver­ste­hen, die, wenn inhalt­li­che Erfol­ge erzielt wer­den kön­nen, auch ein­mal mit der CDU oder der FDP Koali­tio­nen ein­ge­hen kann. Dass ist des­we­gen gar nicht so schlecht, weil die SPD uns lei­der immer noch nicht ernst nimmt. Die Son­die­rungs­ge­sprä­che in Thü­rin­gen und das unrühm­li­che Ver­hal­ten der dor­ti­gen SPD sind das bes­te Bei­spiel dafür. 

Ham­burg konn­te von der SPD noch als „Unfall“ abge­tan wer­den. Wenn es eine zwei­te grün-„bürgerliche“ Koali­ti­on auf Lan­des­ebe­ne gibt, ist zumin­dest das klar: mit der Eigen­stän­dig­keit mei­nen wir es schon ernst – wir sind nicht der gebo­re­ne Juni­or­part­ner der Sozi­al­de­mo­kra­tie. Ent­spre­chend muss mit Grü­nen auf Augen­hö­he ver­han­delt wer­den, wenn es um Regie­rungs­be­tei­li­gun­gen geht. Eben­so kann nicht auto­ma­tisch erwar­tet wer­den, dass Grü­ne ohne Rezi­pro­zi­tät z.B. Erst­stim­men­kam­pa­gnen für die SPD fahren.

Inso­fern ist Jamai­ka – trotz der oben erwähn­ten beson­de­ren loka­len Umstän­de – eben auch für die Grü­nen ins­ge­samt eine Weg­mar­ke (die von der grü­nen Anhän­ger­schaft durch­aus nicht nur nega­tiv auf­ge­nom­men wird).

Rich­tig ist aller­dings auch, dass die Ent­schei­dung im Saar­land – anders als eini­ge in der SPD das ger­ne sehen – eben kei­ne Vor­ent­schei­dung über wei­te­re Koali­tio­nen ist. Es geht nicht um ein neu­es bür­ger­li­ches Lager oder ähn­li­chen Quatsch, son­dern dar­um, in den Län­dern und auf Bun­des­ebe­ne von Fall zu Fall neu zu ent­schei­den – und vor der Wahl trans­pa­rent zu machen, wel­che Optio­nen mög­lich sind. Gera­de die ein­gangs erwähn­ten hef­ti­gen inner­par­tei­li­chen Debat­ten zei­gen, dass die star­ke Zustim­mung der saar­län­di­schen Grü­nen nicht auf die Par­tei ins­ge­samt ver­all­ge­mei­nert wer­den kann. 

Span­nend in die­ser Hin­sicht wird Nord­rhein-West­fa­len. Hier regiert schwarz-gelb mit einer defi­ni­tiv schlech­ten Per­for­manz, Minis­ter­prä­si­dent Rütt­gers fällt mit aus­län­der­feind­li­chen Sprü­chen auf. Wie die Grü­nen hier in den Land­tags­wahl­kampf gehen wer­den (gewählt wird nächs­tes Jahr, die Vor­be­rei­tun­gen der Lis­ten­auf­stel­lun­gen lau­fen der­zeit), ist um eini­ges rele­van­ter als Jamai­ka an der Saar. 

Aber auch in Baden-Würt­tem­berg (Wahl 2011) mit einer der­zeit unter­halb der 20%-Marke lau­fen­den SPD ist die­se Debat­te – und der genaue Blick dar­auf, was in Ham­burg und im Saar­land jen­seits schön­fär­be­ri­scher Spins tat­säch­lich mög­lich ist – sehr wich­tig. Gera­de, weil eini­ge der wich­tigs­ten Pro­pa­gan­dis­ten für Schwarz-grün aus Baden-Würt­tem­berg kom­men, müs­sen hier die inhalt­li­chen Hür­den für eine ent­spre­chen­de Koali­ti­on mei­ner Mei­nung nach beson­ders hoch sein, und muss beson­ders ernst­haft über­legt wer­den, wel­che ande­ren – mög­li­cher­wei­se auch unkon­ven­tio­nel­len – Gestal­tungs­per­spek­ti­ven vor­han­den sind. Das ist ein Gebot poli­ti­scher Glaubwürdigkeit.

War­um blog­ge ich das? Ist ja doch nicht ganz unwich­tig – gera­de, weil die ers­te Reak­ti­on vie­ler undif­fe­ren­zier­te Kri­tik war.

Kurz: Sanktionsmoratorium – Hartz-IV-Schikanen abwählen heißt grün wählen

Die frag­wür­di­ge Sank­ti­ons­pra­xis gegen Erwerbs­lo­se muss sofort gestoppt werden!

Hartz-IV-Sank­tio­nen bedeu­ten die Kür­zung des Lebens­not­wen­di­gen. Sie sind unan­ge­mes­sen und ent­spre­chen nicht unse­rer demo­kra­ti­schen Gesellschaftsform.

Um fai­re Lösun­gen zu schaf­fen, ist die Anwen­dung des § 31 SGB II auszusetzen. 

Das ist die Kern­for­de­rung des Bünd­nis­ses für ein Sank­ti­ons­mo­ra­to­ri­um.

Inzwi­schen haben auch vie­le Grü­ne die­sen For­de­rung unter­schrie­ben – was nicht wei­ter ver­wun­der­lich ist, weil die Aus­sa­ge den For­de­run­gen des grü­nen Wahl­pro­gramms ent­spricht, das in Bezug auf Hartz IV eine bemer­kens­wert deut­li­che Spra­che findet. 

Auch wenn ich wie Jörg Rupp ein bedin­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men und die Abschaf­fung – und nicht nur Aus­set­zung – von Sank­tio­nen bei Hartz IV hilf­reich fän­de, ist das Sank­ti­ons­mo­ra­to­ri­um ein rich­ti­ger ers­ter Schritt. Um Hartz-IV-Schi­ka­nen abzu­wäh­len, muss nie­mand das Kreuz bei „DIE LINKE“ machen – das geht auch mit grün. Gut so.

Kurz: Wahlumfragen

Wenn die bei wahlrecht.de lie­gen­den Umfra­ge­er­geb­nis­se und Pro­jek­tio­nen der ver­schie­de­nen Insti­tu­te für die letz­ten paar Wochen in Excel gewor­fen wer­den, kommt das bei raus:

Überblick Wahlumfragen

Sieht für „schwarz-gelb ver­hin­dern“ nicht so gut aus, soll­te nicht noch ein Ereig­nis pas­sie­ren, das die dar­ge­stell­ten Trends ver­än­dert. Aber dafür machen wir ja Wahlkampf!

wahlumfragen.xls – falls jemand selbst mit den Zah­len spie­len will