Science Fiction und Fantasy im August 2024

The Barbican, London - XX

Ich fan­ge mal, weil es ein­fa­cher ist, mit den bei­de Seri­en an, die ich im August ange­guckt habe: Wit­cher Blood Ori­gin (2022, Net­flix) – eine soli­de gemach­te Mini­se­rie als Pre­quel zum Wit­cher, die viel Hin­ter­grund ein­führt und erklärt. 

Und die vier­te und letz­te Staf­fel der Umbrel­la Aca­de­my (2024, Net­flix). Hier sind die Superheld:innen erst ein­mal ganz nor­ma­le Men­schen mit einem ganz nor­ma­len Leben, und erst nach und nach taucht „Mari­gold“ als Stoff, der ihnen spe­zi­el­le Fähig­kei­ten ver­leiht, wie­der auf. Die­se schlie­ßen­de Staf­fel erklärt eini­ges, und endet dann (ohne jetzt zu viel zu ver­ra­ten) außer­ge­wöhn­lich und anders, als das bei Super­hel­den­co­mic­ver­fil­mun­gen sonst der Fall ist. Wie schon in den Staf­fel davor: gut umge­setzt, lei­der teil­wei­se ziem­lich blut­rüns­tig, groß­ar­ti­ger Sound­track und Sze­nen und Bil­der, die in Erin­ne­rung blei­ben – etwa das U‑Bahn-Netz und auch das dor­ti­ge Bis­tro, in dem Fünf Fünf und Fünf trifft. Die Teen­ager waren mit dem Ende unzu­frie­den – das sei auch noch dazu gesagt.

Dann zu den sie­ben Büchern, die ich im August gele­sen habe. „Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy im August 2024“ weiterlesen

Lesetagebuch Science Fiction und Fantasy – Juni 2023

Black forest

Vor­satz: in kür­ze­ren Abstän­den dar­über schrei­ben, was ich an SF & Fan­ta­sy gele­sen und ange­schaut habe. Mal sehen, wie lan­ge das klappt. Im Juni waren das jeden­falls zwei Fil­me, ein biss­chen Seri­en und weni­ge Bücher. 

Die Black-Pan­ther-Fort­set­zung Wakan­da Fore­ver war nicht ganz so über­zeu­gend wie Black Pan­ther selbst, der Plot wirk­te ein wenig wirr und man­che Ent­schei­dung (war­um jetzt ein über­mäch­ti­ges Was­ser­volk als Haupt­geg­ner?) konn­te ich nicht so rich­tig nach­voll­zie­hen. Trotz­dem anseh­bar und unterhaltsam.

Sehr begeis­tert hat mich die Comic-Ver­fil­mung Nimo­na von ND Ste­ven­son, die – nach­dem Dis­ney+ das Stu­dio auf­ge­kauft und die Pro­duk­ti­on ein­ge­stellt hat­te, jetzt bei Net­flix zu sehen ist. Der gra­fi­sche Stil ist span­nend, es geht um Rit­ter in einem futu­ris­ti­schen König­reich, die die­ses gegen Mons­ter ver­tei­di­gen. Bei der Ver­ei­di­gung des neus­ten Rit­ter­jahr­gangs geschieht eine Kata­stro­phe, die nicht nur die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Bal­lis­ter Bold­he­art – dem ers­ten Rit­ter aus der Arbei­ter­schicht – und Ambro­si­us Gol­den­lo­in jäh unter­bricht, son­dern Bold­he­art auch in die Rol­le des Schur­ken drängt. Nimo­na will sein Side­kick wer­den. Ist sie – als Gestaltwandler*in – das Mons­ter, dass das König­reich zum Unter­gang brin­gen wird?

Kurz bevor die Serie abge­setzt wur­de, habe ich mir dann mal noch Star Trek: Pro­di­gy ange­schaut – tief­grün­di­ger und näher an Star Trek dran, als die Auf­ma­chung mit bun­ter Ani­ma­ti­on etc. ver­mu­ten lässt. Soll­te sie irgend­wo mal wie­der auf­tau­chen, lohnt es sich, sie anzuschauen.

Und auch die ers­ten drei Fol­gen der zwei­ten Ses­si­on von Star Trek: Stran­ge New Worlds haben viel Poten­zi­al. Das Zurück zur epi­so­dischen Erzähl­wei­se – anders als bei Picard oder Dis­co­very – tut der Serie gut, und auch wenn die übli­chen Star-Trek-Tro­pes, etwa die Zeit­rei­se in eine par­al­le­le Zeit­li­nie oder das Gerichts­ver­fah­ren mit „rich­ti­gem“ Ende nach phi­lo­so­phi­schen Plä­doy­er, breit aus­ge­rollt wer­den, ist das kein blo­ßer Fan­ser­vice, son­dern funk­tio­niert. Etwas irri­tie­rend: Unter­ton aller drei Fol­gen ist ein Rüt­teln an der Star-Trek-Grund­über­zeu­gung, das gen­tech­ni­sche Ver­än­de­run­gen an Men­schen ein Kapi­tal­ver­bre­chen sind und mit den „euge­ni­schen Krie­gen“ gro­ßes Leid gebracht haben.

Dann zu den Büchern. Ein „rich­ti­ger“ Roman war dabei, näm­lich Sub­Or­bi­tal 7 (2023) von John Shir­ley. Der inzwi­schen 70-jäh­ri­ge Shir­ley war einer der Cyber­punk-Autoren der spä­ten 1980er, ins­be­son­de­re sei­ne Eclip­se / A Song Cal­led Youth-Tri­lo­gie und City Come a‑Walkin‘ dürf­ten eini­gen bekannt sein. Dass er außer die­sen eine gan­ze Rei­he wei­te­rer Roma­ne und Dreh­bü­cher geschrie­ben hat, war mir nicht bekannt. Vor der Erwar­tungs­hal­tung „Cyber­punk“ ent­täuscht Sub­Or­bi­tal 7 – das ist eher Mili­ta­ry SF (wobei A Song Cal­led Youth bei genau­er Hin­sicht gar kei­nen ganz unähn­li­chen Blick auf die Welt wirft), und noch dazu aus recht männ­li­cher Per­spek­ti­ve. Inhalt­lich geht es in einer nahen Zukunft um die Auf­rüs­tung des Welt­raums mit Orbi­tal­sta­tio­nen und Waf­fen, um den Kon­flikt Ame­ri­ka – Russ­land und in bei­den Fäl­len um Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb des jewei­li­gen Staats­ap­pa­rats und um Spio­na­ge, ein biss­chen James Bond, ein biss­chen Thril­ler. Vor dem Hin­ter­grund der aktu­el­len Ereig­nis­se in Russ­land (ich las den Roman, als die Wag­ner-Trup­pen Rich­tung Mos­kau fuh­ren) hat der Roman noch­mal sei­nen ganz eige­nen Gruselfaktor.

Abge­se­hen davon habe ich im Juni Ursu­la K. LeGu­ins Essay-Samm­lung Words Are My Mat­ter: Wri­tin­gs on Life and Books (2016) gele­sen – zur Hälf­te sind das Buch­re­zen­sio­nen von ihr, eini­ge haben mich auch noch­mal auf ande­re Wer­ke auf­merk­sam gemacht, zur ande­ren Hälf­te essay­is­ti­sche Tex­te, die sich mit Lite­ra­tur und Schrei­ben, um die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen SF als „Gen­re“ und „rich­ti­ger Lite­ra­tur“ und um einen femi­nis­ti­schen Blick auf den Betrieb richten. 

The Best of Greg Egan (2021) trägt die­sen Namen völ­lig zu recht. Das ist eine dicke Samm­lung sei­ner Kurz­ge­schich­ten und Novel­len; eini­ge davon bil­den über meh­re­re Geschich­ten hin­weg einen Hand­lungs­bo­gen. Und fast jede die­ser Geschich­ten setzt sich mit tie­fen Fra­gen aus­ein­an­der – also (durch­aus span­nen­de und span­nend geschrie­be­ne) SF als Medi­um des Nach­den­kens dar­über, was die Fol­gen davon sein könn­ten, wenn Bewusst­seins­frag­men­te dazu genutzt wer­den, KIs zu trai­nie­ren, die in Spie­le­wel­ten NPC dar­stel­len sol­len. Was pas­siert, wenn Ein­grif­fe in das Gehirn unse­re Wahr­neh­mung ver­än­dern. Wie Reli­gio­nen ent­ste­hen. Etc. Sehr emp­feh­lens­wert und ein guter Ein­stieg in Egans Werk.

Eine zwei­te dicke Kurz­ge­schich­ten­samm­lung, die ich im Juni gele­sen habe, trägt den Titel Life bey­ond us (2023) – eine vom Euro­pean Astro­bio­lo­gy Insti­tu­te her­aus­ge­ge­be­ne Antho­lo­gie. Die­ses Insti­tut war mir bis­her kein Begriff, es scheint eine der Platt­for­men der Euro­pean Sci­ence Foun­da­ti­on (ESF) in Stras­bourg zu sein, das ist ein Dach­ver­band von Wis­sen­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie Helm­holtz-Gesell­schaft und Max-Planck-Gesell­schaft. Life bey­ond us jeden­falls ent­hält zahl­rei­che Kurz­ge­schich­ten, teil­wei­se von bekann­ten Autor*innen wie Mal­ka Older oder Gre­go­ry Ben­ford, teil­wei­se von mir bis­her unbe­kann­ten Verfasser*innen, wohl zum Teil direkt aus der wis­sen­schaft­li­chen Com­mu­ni­ty. Gemein­sa­mes The­ma sind Kon­tak­te mit außer­ir­di­schen Lebens­for­men und die Fra­ge, was eigent­lich Leben ist, und wie wir Leben fin­den kön­nen, das ganz anders als unse­res ist. Eine Beson­der­heit an die­sem Band – der ja schließ­lich auch wis­sen­schaft­li­ches „out­reach“ dar­stellt – ist, dass jede Geschich­te mit einem Kom­men­tar aus der Wis­sen­schaft ver­se­hen ist, samt Fuß­no­ten und Quel­len. Die­se Tex­te gehen teil­wei­se direkt auf die Geschich­ten ein, teil­wei­se sind es eher all­ge­mei­ne Erläu­te­run­gen zum Stand des Wis­sens, wie Leben ent­steht, wie Exo­pla­ne­ten ent­deckt wer­den usw. Die Mischung aus Kurz­ge­schich­ten und Wis­sen­schafts­jour­na­lis­mus fand ich anre­gend und lehr­reich – jeden­falls mal was anderes.

Science Fiction und Fantasy im Vorfrühling 2023 (Teil II)

Glitchy easter decoration

Irgend­wie kam Ostern dazwi­schen (s.o.) – jeden­falls folgt hier nun Teil II zu mei­ner Vor­früh­lings­le­se­lis­te. Teil I mit den Fan­ta­sy-Roma­nen, die ich gele­sen habe, ist am 6. April erschienen.

In medi­as res: Rich­tig gut gefal­len hat mir Ken MacLeods Bey­ond the Reach of Earth (2023), der zwei­te Teil sei­ner Lightspeed-Tri­lo­gie. Kurz zum Hin­ter­grund: die bei­den gro­ßen Blö­cke, die kapi­ta­lis­ti­sche Alli­ance rund um die USA und die Coor­di­na­ted Sta­tes (Russ­land, Chi­na) haben schon vor eini­gen Jahr­zehn­ten eine Metho­de ent­deckt, um U‑Boote in der Raum­zeit zu bewe­gen und damit fer­ne Ster­ne zu erkun­den. Auf dem erd­ähn­li­chen Stern Apis gibt es gehei­me Basen bei­der Blö­cke. Im ers­ten Teil geht es vor allem dar­um, dass nun auch Wissenschaftler*innen der mehr oder weni­ger kom­mu­nis­ti­schen euro­päi­schen Uni­on (inkl. Schott­land) – MacLeod macht aus sei­nen poli­ti­schen Sym­pa­thien kein Geheim­nis – die­se Tech­no­lo­gie ent­de­cken. Am Schluss stürzt die euro­päi­sche Venus-Kolo­nie ab – und v.a. wer­den intel­li­gen­te Außer­ir­di­sche ent­deckt. Was es mit die­sen auf sich hat, war­um das mit der über­licht­schnel­len Raum­fahrt nicht ganz so ein­fach ist, wie es am Anfang aus­sah, und was euro­päi­sche Siedler*innen so auf Apis erle­ben, davon han­delt Teil II. Beson­ders aktu­ell die Rol­le ver­schie­de­ner Robo­ter und all­ge­gen­wär­ti­ger AI-Sys­tem-Assis­ten­zen. Erfri­schend anders als der Space-Ope­ra-Main­stream, sehr plau­si­bel beschrie­ben und trotz­dem kom­plett abge­dreht – und gera­de des­we­gen lesenswert.

Zum Teil tref­fen die­se Beschrei­bun­gen auch auf Anna­lee Newitz lang erwar­te­tes Buch The Ter­ra­for­mers (2023) zu. In meh­re­ren Zeit­ebe­nen (10.000 Jah­re und ähn­lich gro­ße Zeit­span­nen vom heu­te ent­fernt) erle­ben wir die Besied­lung eines im Auf­trag eines gro­ßen, gala­xien­weit agie­ren­den Kon­zerns ter­ra­form­ten Pla­ne­ten, Wirt­schafts­spio­na­ge, Intri­gen, Auf­stän­de der mehr oder weni­ger Skla­ven-Klo­ne, sehr viel Gen- und Bio­tech­nik und irgend­wie auch eine Uto­pie des ver­netz­ten Zusam­men­le­bens ganz unter­schied­li­cher Lebens­for­men. Das ist alles wun­der­bar aus­ge­dacht – trotz­dem hat mich eini­ges immer wie­der aus dem Lese­fluss gewor­fen; etwa die schon ange­spro­che­nen rie­si­gen Zeit­räu­me, qua­si-unsterb­li­che Per­so­nen, aber auch das das Buch durch­zie­hen­de tie­fen­öko­lo­gi­sche Kon­zept, das alle Lebe­we­sen am gro­ßen Gan­zen teil­ha­ben (und durch eine Art Uplif­ting Intel­li­genz bekom­men). Bei Kühen ist das noch irgend­wie glaub­wür­dig, bei Insek­ten­ko­lo­nien … nicht so? Auf jeden Fall inter­es­sant und beein­dru­ckend, aber kein Buch zum Verlieben. 

Mal­ka Olders The Mimi­cking of Known Suc­ces­ses (2023) hat eben­falls ein inter­es­san­tes Set­ting, kommt aber nicht an ihre Info­mo­cra­cy-Rei­he her­an. Die Erde ist ver­wüs­tet, die Über­le­ben­den haben rund um Jupi­ter ein Eisen­bahn- und Platt­form-Ring­sys­tem auf­ge­baut, auf dem die­ses Buch – zunächst ein Kri­mi­nal­ro­man – spielt. Die Haupt­fi­gu­ren waren mal zusam­men, es gibt poli­ti­sche Bewe­gun­gen, die sich zwi­schen nost­al­gi­scher Bewah­rung der ver­lo­re­nen Erde und Blick nach vor­ne bewe­gen, und ins­ge­samt mag „cozy“ durch­aus eine zutref­fen­de Beschrei­bung sein. Ein recht kur­zes, freund­li­ches Buch (trotz meh­re­rer Todes­fäl­le), eine inno­va­ti­ve Sze­na­rie, aber irgend­wie fehl­te mir etwas.

Anders­her­um ging’s mir mit Greg Egans Sca­le (2022). Hier war ich zwar auf das Set­ting neu­gie­rig – neben­ein­an­der her leben­de und z.T. mit­ein­an­der inter­agie­ren­de Gesell­schaf­ten von Men­schen ganz unter­schied­li­cher Grö­ße, unter The Sci­ence of Sca­le gibt es auf Egans Web­site auch eine Her­lei­tung davon, wie das wis­sen­schaft­lich plau­si­bel gemacht wird; letzt­lich geht es um unter­schied­li­che inner-ato­ma­re Zusam­men­set­zung – neben Elek­tro­nen und Muo­nen gibt es hier gleich acht unter­schied­li­che Lep­to­nen, die jeweils bestimm­te Eigen­schaf­ten haben und v.a. Maßen, die von 1 bis 128 rei­chen. Die Men­schen unter­schied­li­cher Grö­ße bestehen jeweils aus Ato­men, die eine Art von Lep­to­nen bevor­zu­gen, und kom­men ent­spre­chend z.B. auch nur mit Was­ser oder Nah­rungs­mit­teln aus die­ser Zusam­men­set­zung klar. Ent­spre­chend ver­hal­ten sich die Grö­ßen (mir ist nicht ganz klar­ge­wor­den, ob die Kleins­ten zu den Größ­ten hier 1:8, 1:64 oder 1:128 aus­ma­chen, es sind aber beacht­li­che Unter­schie­de). Zugleich ist die Dich­te sehr unter­schied­lich – kleins­te und größ­te Men­schen bestehen aus der glei­chen Zahl von Ato­men, wie­gen also auch „das sel­be“. Zeit läuft für klei­ne­re Men­schen viel schnel­ler ab als für grö­ße­re Men­schen usw. Jeden­falls: das klingt alles erst ein­mal furcht­bar kom­pli­ziert und her­bei­ge­dacht, aber Egan gelingt es, vor die­sem Hin­ter­grund nicht nur einen Kri­mi, son­dern letzt­lich einen Thril­ler und einen Revo­lu­ti­ons­ro­man zu schrei­ben. Das hat mich sehr posi­tiv über­rascht. Wer selbst rein­le­sen möch­te, fin­det den – harm­lo­sen – Anfang auf der oben ver­link­ten Website.

Weni­ger über­zeugt haben mich zwei „klas­si­sche“ SF-Roma­ne. Arkas’d World von James L. Cam­bi­as (2019) spielt auf einem Pla­ne­ten, der ein Geheim­nis birgt, auf dem Wesen aus sehr unter­schied­li­chen – aber doch irgend­wie ste­reo­ty­pen – Ali­en-Kul­tu­ren zusam­men­le­ben; die Mensch­heit ist von einer die­ser Kul­tu­ren unter­wor­fen wor­den, der titel­ge­ben­de Arkad als auf dem Pla­ne­ten gebo­re­ner Mensch auf der Flucht auf die­sem Pla­ne­ten hat etwas von toll­pat­schi­gem Aus­er­wähl­ten. Bis er stirbt und das Gan­ze einen meta­phy­si­schen Drall bekommt. 

Und auch Count to a Tril­li­on von John C. Wright (2011) war dann nicht so ganz meins. Ich glau­be, ich habe irgend­wo Wal­ter Jon Wil­liams und John C. Wright zusam­men­ge­wor­fen und zu einer Per­son gemacht – der­je­ni­ge mit den wirk­lich schlimm reak­tio­nä­ren Ideen ist John C. Wright (sor­ry, W.J. Wil­liams!). Jeden­falls gelingt es ihm, eine weit in der Zukunft lie­gen­de Erde vor­zu­stel­len, in der fast nur Män­ner wich­ti­ge Rol­len spie­len, in der kul­tu­rel­le und eth­ni­sche Unter­schei­dun­gen hoch­ge­hal­ten wer­den, und in der his­to­ri­sche Moden von der Anti­ke über die Kreuz­fah­rer bis zum Cow­boy-Wes­tern wie­der­auf­le­ben, wäh­rend gleich­zei­tig hoch­in­tel­li­gen­te Com­pu­ter­sys­te­me, inter­stel­la­re Raum­schif­fe und die Ver­ar­bei­tung von Anti­ma­te­rie (sowie extrem über­le­ge­ne Außer­ir­di­sche) vor­kom­men. Das mag mal amü­sant sein, aber warm gewor­den bin ich damit nicht, und die Agen­da dahin­ter, ein Zurück zur guten alten Zeit, als Män­ner noch Män­ner und Unter­ta­nen noch Unter­ta­nen waren, gefällt mir über­haupt nicht. 

Kurz: M, F, X – Geschlechterscrabble

Vor ein paar Tagen schrieb Heri­bert Prantl in der Süd­deut­schen über ein Gesetz aus dem Mai 2013, das es bei inter­se­xu­ell gebo­re­nen Kin­dern erlaubt, auf eine Geschlechts­zu­wei­sung im Per­so­nal­aus­weis etc. zu ver­zich­ten. Mit Ver­weis auf die Zeit­schrift für das gesam­te Fami­li­en­recht deu­tet Prantl die­se Neu­re­ge­lung als ers­ten Schritt hin zu einer drit­ten, recht­lich aner­kann­ten Geschlechts­be­stim­mung: neben „männ­lich“ und „weib­lich“ eben auch „unbe­stimmt“ – und fragt sich, was für Aus­wir­kun­gen das dann auf vie­le exis­tie­ren­de, gezielt „Män­ner“ oder „Frau­en“ benen­nen­de gesetz­li­che Rege­lun­gen hat.

Ich fin­de das aus ver­schie­de­nen Grün­den span­nend. So zieht der Gesetz­ge­ber hier zunächst ein­mal den bio­so­zia­len Rea­li­tä­ten nach, wenn ich etwa an die sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Debat­te um ein Drit­tes Geschlecht den­ke, ange­legt etwa in der Kri­tik der Zwei­ge­schlecht­lich­keit. Da wird dann aller­dings eher der Ver­zicht auf fes­te Geschlechts­ka­te­go­rien gefor­dert als eine drit­tes Geschlech­ter­ka­te­go­rie. Aber auch anthro­po­lo­gi­sche Ver­wei­se auf Gesell­schaf­ten, die ein drit­tes Geschlecht ken­nen, sind häu­fig, bei­spiels­wei­se die Hijra Süd­asi­ens. Und natür­lich wird in der Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur wie­der­holt mit zukünf­ti­gen Gesell­schaf­ten expe­ri­men­tiert, in denen es drei oder mehr Geschlechts­iden­ti­tä­ten gibt (etwa in Greg Egans Roman Distress von 1995). 

Rich­tig inter­es­sant wür­de es aller­dings, wenn mit der Ein­füh­rung einer drit­ten, „unbe­stimm­ten“ Geschlechts­ka­te­go­rie im deut­schen Per­so­nen­stands­recht eine Ent­kopp­lung zwi­schen Bio­lo­gie und sozia­lem Geschlecht ver­bun­den wäre. Eine unbe­stimm­te Geschlechts­ka­te­go­rie für inter­se­xu­el­le Men­schen – also Men­schen mit unein­deu­ti­gen oder dop­pel­ten Geschlechts­merk­ma­len – ein­zu­füh­ren, ist sicher­lich ein sinn­vol­ler Schritt. Aber war­um nicht gleich noch einen Schritt wei­ter­ge­hen, und allen, die kei­ne Lust dazu haben, sich dem einen oder dem ande­ren bio­so­zia­len Geschlecht zuord­nen zu las­sen, die­se Wahl­mög­lich­keit que(e)r zur Zwei­ge­schlecht­lich­keit eben­falls eröffnen?