Jahresendzeitspolitik

New yearGegen Ende des Jah­res drängt sich alles zusam­men. Kein Wun­der also, dass sich auch poli­tisch die Ereig­nis­se in die­ser noch nicht abge­lau­fe­nen Woche vor dem vier­ten Advent zusam­men­ge­drängt haben – wer sei­nen poli­ti­schen Jah­res­rück­blick für 2010 schon geschrie­ben hat, hat jetzt ein Pro­blem. Wiki­leaks-Grün­der Assan­ge kam hin­ter Git­ter, soll­te aus­ge­lie­fert wer­den, dann doch nicht, dann gegen Kau­ti­on wie­der frei. Über­haupt: Wiki­leaks. Mal sehen, was das noch wird.

Und: BaWü-Minis­ter­prä­si­dent hat mal eben für ein paar Mil­li­ar­den und ohne vor­he­ri­ge Ein­be­zie­hung des Par­la­ments den EnBW-Anteil der EDF zurückgekauft. 

Und: Es gab ein Schnee­cha­os (auch wenn in Frei­burg davon, ganz am Rand der roten Zone, kaum etwas zu spü­ren war).

Und: Der Jugend­schutz­me­di­en­staats­ver­trag* JMSTV wur­de in einem höchst unwahr­schein­li­chen Plot in Nord­rhein-West­fa­len doch noch gekippt. Das Mus­ter „Regie­rung dafür, Oppo­si­ti­on manch­mal dage­gen“ wur­de im Land mit der Min­der­heits­re­gie­rung gebro­chen. Rela­tiv durch­sich­ti­ge par­tei­tak­ti­sche Spie­le der CDU und der FDP – bei­de hat­ten, als sie noch in der Lan­des­re­gie­rung waren, den Ver­trag ja mit­aus­ge­han­delt, und Rütt­gers hat­te ihn noch nach der Wahl unter­zeich­net – führ­ten dazu, dass die­se ihre Ableh­nung ver­kün­de­ten. So staats­tra­gend, dann doch – gegen eine Koali­ti­on aus CDU, FDP und LINKE – dem Ver­trag zuzu­stim­men, woll­te die SPD auch nicht sein, und hat, als gespal­te­ne Par­tei, die Kar­ten an die Grü­nen wei­ter­ge­ge­ben. Die sich auch in der Frak­ti­on schließ­lich zur Ableh­nung ent­schie­den haben – und damit die Bahn geöff­net haben für die ein­stim­mi­ge Ableh­nung und eine Neu­ver­hand­lung eines hof­fent­lich sinn­vol­le­ren JMSTV.

Und noch was? Die Grü­nen im Saar­land ver­hin­der­ten heu­te das Inkraft­tre­ten der schwarz-gel­ben Hartz-IV-Refor­men. Gut dar­an, dass jetzt neu ver­han­delt wer­den muss, schlecht, dass die Minier­hö­hung für die Hartz-IV-Haus­hal­te erst­mals aus­bleibt. (Übri­gens: auf mei­ne Infor­ma­ti­ons­frei­heits­mail an das Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­ri­um mit der Bit­te, die Berech­nun­gen her­aus­zu­rü­cken, habe ich bis heu­te kei­ne Ant­wort. Wäre viel­leicht mal was für Leu­te, die für inves­ti­ga­ti­ve Recher­chen bezahlt wer­den, dem hinterherzugehen). 

Und: Bei der Gele­gen­heit war dann auch zu erfah­ren, dass Minis­ter­prä­si­dent Mül­ler aus dem Saar­land im nächs­ten Jahr an das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt wech­seln wird. Noch einer der Mer­kel-Minis­ter­prä­si­den­ten, der geht. Ob das ähn­li­che Fol­gen für die Koali­ti­on haben wird wie in Ham­burg? Wenn, dann wäre es gut, das gleich zu sagen, lie­be Saargrüne.

Und: Gut­ten­berg an der Front. Ach so, die his­to­ri­sche Abschaf­fung der Wehr­pflicht, die gab’s auch noch, in die­sen Tagen. 

Und: die wich­ti­gen Din­ge, die es ange­sichts von Schnee­trei­ben und mehr oder weni­ger gro­ßen Poli­tik­skan­da­len kaum in den Medi­en­fo­kus schaf­fen. Ein Bei­spiel dafür die fast nicht vor­han­de­ne Bericht­erstat­tung zum Cas­tor-Trans­port nach Lub­min ges­tern, der trotz Win­ter­wet­ter in Meck­len­burg-Vor­pom­mern lan­ge, lan­ge auf­ge­hal­ten wur­de. Aus­nah­me: der taz-Ticker und die dar­aus resul­tie­ren­de Bericht­erstat­tung der taz.

* oder doch Jugendmedienschutzstaatsvertrag?

War­um blog­ge ich das? Um das Blog mal wie­der inhalt­lich zu fül­len. Auch wenn’s ein biß­chen eng wird, bei all dem, was da gera­de geschieht. 2010 – das Jahr, in dem Poli­tik für drei Jah­re sich ereignete?

Unsozial, unfrei, ungerecht: die FDP

Screenshot "Gelb statt grün", http://www.gelb-statt-gruen.de
Screen­shot gelb-statt-gruen.de

Wenn die SPD nicht mehr wei­ter weiss, dann grün­det sie ’nen Arbeits­kreis. Die FDP dage­gen haut in die­ser Situa­ti­on am liebs­ten wild um sich. Das neus­te Ergeb­nis die­ses ver­zwei­fel­ten Umsich­schla­gens heißt gelb-statt-gruen.de und ist eine Anti-Grü­nen-Kam­pa­gnen­sei­te. Ich bin ja ganz ange­tan davon, dass die FDP der­zeit so wenig eige­nes Kon­zept hat, dass sie’s nur im Kon­trast zu uns Grü­nen über­haupt dar­stel­len kann. Noch mehr amü­siert mich aber, dass die Selbst­dar­stel­lung auf die­ser Web­site ein ziem­lich rea­lis­ti­sches Bild der FDP zeich­net – und deut­lich macht, war­um die Par­tei out ist. „Unso­zi­al, unfrei, unge­recht: die FDP“ weiterlesen

Wovon PolitikerInnen träumen

In der Süd­deut­schen Zei­tung wer­den jun­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te nach ihren Erfah­run­gen ein Jahr nach der Bun­des­tags­wahl befragt. Ist ganz inter­es­sant – vor allem im Ver­gleich der Ant­wor­ten. Die auf die letz­te Fra­ge – „Wovon träu­men Sie?“ – habe ich hier mal zusam­men­ge­stellt (alles Zita­te aus den SZ-Interviews).

  • Ver­rat ich nicht. (CDU, w) 
  • Von einem lan­gen Urlaub. (CSU, m) 
  • Ich träu­me nur nachts und dann meis­tens sehr gut. (CSU, m) 
  • Ich träu­me von einer Welt ohne Hun­ger und ohne Krieg. (GRÜNE, m) 
  • Irgend­wann will ich noch mal in New York leben. Und mal zusam­men mit Meh­met Scholl Plat­ten auf­le­gen. (SPD, m) 
  • Dass die Welt sozia­ler, gerech­ter und fried­li­cher wird und ich viel­leicht einen klei­nen Bei­trag dazu leis­ten kann. (LINKE, m) 
  • Dass sich mehr Men­schen poli­tisch ein­brin­gen und zwar nicht nur, um ihre per­sön­li­chen Inter­es­sen zu ver­tre­ten, son­dern um die Gesell­schaft als Gan­zes posi­tiv zu ver­än­dern und gerech­ter zu machen. (SPD, w) 
  • Tugen­den wie Offen­heit, Tole­ranz, Ver­läss­lich­keit, Respekt und Ver­ant­wor­tung soll­ten unse­re Gesell­schaft stär­ker prä­gen. Der Sinn für die All­ge­mein­heit muss wie­der an die Stel­le von Ego­is­mus und Anspruchs­den­ken gesetzt wer­den, die Poli­tik­ver­dros­sen­heit in akti­ve Teil­nah­me ver­wan­delt wer­den. (CDU, m) 
  • Ich kämp­fe nicht poli­tisch für Bür­ger­rech­te und Pri­vat­sphä­re, um dann öffent­lich dar­über zu plau­dern, wovon ich nachts träu­me. Im über­tra­gen­den poli­ti­schen Sin­ne „träu­me“ ich von einer Gesell­schaft, die sich traut, dem Ein­zel­nen wie­der mehr Frei­heit und Eigen­ver­ant­wor­tung zu über­tra­gen und in der sich die­ses Mehr an Eigen­ver­ant­wor­tung und ein Mehr an Soli­da­ri­tät nicht aus­schlie­ßen. (FDP, m) 
  • Von einem abbe­zahl­ten, denk­mal­ge­schütz­ten Häus­chen mit einer schö­nen Aus­sicht, einem klei­nen Grill­fest im gro­ßem Gar­ten mit Eltern und Freun­den und Blick auf den Fern­se­her mit der Tages­schau: Ohne Kata­stro­phen, Krie­ge, Atten­ta­te, einem posi­ti­ven Wet­ter­be­richt für die dar­auf fol­gen­de Urlaubs­wo­che und dann Sport­nach­rich­ten mit dem Satz „unser Club ist jetzt auch Sie­ger in der Cham­pi­ons League – Fran­ken fei­ert immer noch!“. (FDP, m) 
  • Auch wenn das in den Augen eini­ger Pes­si­mis­ten und Zyni­ker naiv klingt: Von einer fried­li­chen, soli­da­ri­schen und gerech­ten Welt. Aus die­ser Visi­on, mag sie noch so weit von der Wirk­lich­keit ent­fernt sein, hat sich schon immer mein lei­den­schaft­li­ches Enga­ge­ment in der Poli­tik gespeist. Und wenn der Weg dahin lang ist, gilt es nicht zu ver­zwei­feln, son­dern gera­de des­halb heu­te mit viel­leicht müh­sa­men und klei­nen, aber doch wich­ti­gen Schrit­ten zu begin­nen. (GRÜNE, w) 
  • Schon sehr früh, als ich in der Kom­mu­nal­po­li­tik Mit­ver­ant­wor­tung tra­gen durf­te, bin ich von der Rea­li­tät über­holt wor­den. Vol­ker Kau­der sagt: „Poli­tik beginnt mit dem Betrach­ten der Wirk­lich­kei­ten.“ Er hat recht! Es geht heu­te dar­um, für gute Lebens­ver­hält­nis­se der Men­schen zu sor­gen, aber nicht auf Kos­ten kom­men­der Gene­ra­tio­nen. Das ist die gro­ße Her­aus­for­de­rung unse­rer Zeit, der wir uns bereits stel­len. Wich­tig scheint mir dabei, die Rück­be­sin­nung auf ein gemein­sa­mes Fun­da­ment, dass unse­re Gesell­schaft trägt! (CSU, m) 

Zehn Sätze zum Landtag in Schleswig-Holstein

Das Wahl­recht in Schles­wig-Hol­stein hat sei­ne Tücken. Die haben dazu geführt, dass es bei der Land­tags­wahl im Sep­tem­ber 2009 drei nicht aus­ge­gli­che­ne Über­hang­man­da­te für die CDU gab – die letzt­lich die aktu­el­le schwarz-gel­be Regie­rung dort ermög­li­chen. Heu­te hat das Lan­des­ver­fas­sungs­ge­richt ver­kün­det, dass die­se Situa­ti­on ver­fas­sungs­wid­rig ist.

Ver­wun­dert bin ich aller­dings – und da bin ich wohl nicht der ein­zi­ge – über zwei­er­lei. Dar­über, dass zur Lösung der Mise­re Neu­wah­len kom­men sol­len – und dar­über, dass die­se erst in zwei Jah­ren statt­fin­den müs­sen. Dass das Wahl­ge­setz geän­dert wer­den muss, um hier Klar­heit und Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit zu schaf­fen, leuch­tet mir ein. Dass das eine gewis­se Zeit braucht, auch. Aber zwei Jah­re sind doch etwas lang dafür – genau­so gut hät­te das Gericht pro­vi­so­ri­sche Aus­gleichs­man­da­te ver­ge­ben kön­nen, um eine Situa­ti­on her­zu­stel­len, in der die Stim­men­ver­hält­nis­se im Land­tag Schles­wig-Hol­stein dem Wahl­er­geb­nis ent­spre­chend. Das wäre aller­dings das sofor­ti­ge Ende der schwarz-gel­ben Mehr­heit gewe­sen. So dau­ert es noch maxi­mal zwei Jah­re – und wenn bei eini­gen doch noch die poli­ti­sche Ver­nunft durch­schlägt, geht’s viel­leicht auch schneller.

Nach­trag: Die Urtei­le (1, 2) bei Wahlrecht.de (als pdf).

Merkel angeschlagen, Wulff gewählt, alle zufrieden

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Jetzt ist’s also doch einer aus der Rie­ge der amts­mü­den Uni­ons-Minis­ter­prä­si­den­ten gewor­den. Wenn auch erst im drit­ten Wahlgang. 

Das heißt zunächst ein­mal: die Stra­te­gie von Bünd­nis 90/Die Grü­nen und SPD ist auf­ge­gan­gen: mit einem kon­ser­va­ti­ven Kan­di­da­ten, der über­zeu­gen­der daher­kommt als der nun gewähl­te Bun­des­prä­si­dent konn­ten eini­ge Wahl­leu­te aus den Rei­hen der Uni­on und der FDP dazu gebracht wer­den, sich zumin­dest im ers­ten und zwei­ten Wahl­gang doch nicht wie Auf­zieh­mäus­chen zu ver­hal­ten. Damit ist klar, dass Mer­kel an poli­ti­schem Gewicht ver­lo­ren hat. Ein Indiz dafür wird sein, dass der aus Spitz­na­me „Mut­ti“ in Zukunft noch viel häu­fi­ger zu hören sein wird. (Was aus gen­der­theo­re­ti­scher Sicht dahin­ter­steckt, dass eine Bun­des­kanz­le­rin so bezeich­net wird, wäre noch ein­mal einen eige­nen Bei­trag wert).
„Mer­kel ange­schla­gen, Wulff gewählt, alle zufrie­den“ weiterlesen