Die falsche Schublade

Left

Vor eini­gen Tagen sorg­te die Ver­öf­fent­li­chung einer empi­ri­schen Stu­die zum Links­extre­mis­mus – beglei­tet von eini­gen Pres­se­ar­ti­keln – für Furo­re. Mir liegt bis­her nur die Pres­se­mit­tei­lung (hier die recht aus­führ­li­che Lang­fas­sung) der FU Ber­lin zu der Stu­die von Klaus Schroe­der und Moni­ka Deutz-Schroe­der vor; die Stu­die selbst ist als Buch für rund 30 Euro erhält­lich. Ich nut­ze sie als Ein­stieg für eine Debat­te über Idea­le, Zivil­ge­sell­schaft und Parlamente.

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Kurz: Hamburg hat gewählt

Nach­dem ich schon 2008 und 2011 etwas zu den Ham­bur­ger Wahl­er­geb­nis­sen geschrie­ben habe, muss ich das die­ses Jahr ja eigent­lich auch machen. Wobei – so viel gibt’s da nicht zu sagen. Die wahl­rechts­be­ding­te Pau­se zwi­schen vor­läu­fi­ger Aus­zäh­lung am Wahl­abend und vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis am Mon­tag­abend führt dazu, dass die eine oder ande­re Ablen­kung von Jour­na­lis­tIn­nen ger­ne auf­ge­grif­fen wird – ande­res gibt es ja nicht zu berich­ten. Im Ergeb­nis sieht’s aber wei­ter­hin so aus, dass Olaf Scholz sei­ne abso­lu­te SPD-Mehr­heit nicht wie­der erlan­gen konn­te, son­dern mit 45,7 Pro­zent auf Koali­ti­ons­part­ner ange­wie­sen ist. Die CDU ist auf einem his­to­ri­schen Tief­stand (15,9 %) , wobei die Ole-von-Beust-Pha­se (2004, 2008) mit einer sehr star­ken CDU eher eine Anoma­lie war. Abge­se­hen davon ist die Ham­bur­ger Bür­ger­schaft bunt: Grü­ne (12,3 %), Lin­ke (8,5 %), FDP (7,4 %), AfD (6,1 %) – aber selbst das ist nicht ganz so unge­wöhn­lich, wie es viel­leicht schei­nen mag. REPs, Schill-Par­tei und Statt-Par­tei waren auch schon mal Teil der Ham­bur­ger Bür­ger­schaft. Pira­ten sind mit 1,5 Pro­zent end­gül­tig im Nie­mands­land ange­kom­men; auch die „Neu­en Libe­ra­len“ haben es nicht über die 0,5 Pro­zent hin­aus geschafft. 

Bei den „Alten Libe­ra­len“ von der FDP scheint sich dage­gen der knal­lig-bun­te Relaunch aus­ge­zeich­net zu haben – ich bezweif­le, dass deren Poli­tik ähn­lich jung und fröh­lich frei aus­fal­len wird. (Und stel­le mir den wahr­schein­li­chen Spit­zen­kan­di­da­ten der FDP für Baden-Würt­tem­berg 2016, Rül­ke, schon mal in zitro­nen­gelb, him­mel­blau und pink vor – dass das so rich­tig gut passt, sehe ich noch nicht. Anders als in Ham­burg, wo Kam­pa­gne und Spit­zen­kan­di­da­tin wer­be­tech­nisch gut zusammenspielten).

Inter­es­sant der Blick auf ein­zel­ne Stadt­be­zir­ke – bis hin zur sozia­lis­ti­schen Enkla­ve St. Pau­li. Grü­ne Ergeb­nis­se rei­chen auf die­ser Ebe­ne von 25 Pro­zent in Tei­len von Alto­na und 27 Pro­zent in der Stern­schan­ze bis zum deut­lich ein­stel­li­gen Bereich (z.B. 4,2 % in Neu­land). Auch Groß­städ­te haben ihre länd­li­chen Räu­me. Bei der Zusam­men­set­zung der Frak­ti­on hat das Wahl­recht eini­ges durch­ein­an­der­ge­wir­belt. Gespannt bin ich dar­auf, wie die grü­ne Frak­ti­on mit Neba­hat Güçlü umge­hen wird, die aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wer­den soll­te und dann über Per­so­nen­stim­men („the­re is no such thing as bad news“) den Ein­zug in die Bür­ger­schaft geschafft hat. Aber selbst, wenn es am Schluss nur einer 14-köp­fi­ge Frak­ti­on (statt der 15 Sit­ze, die der­zeit aus­ge­zählt sind) wird, und eine Ein­zel­kämp­fe­rin, wür­de das locker für Rot-Grün rei­chen. Bis­her sieht es so aus, als wäre das auch die Wunsch­ko­ali­ti­on der SPD – auch hier bin ich gespannt, wie die Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen lau­fen wer­den. Ins­ge­samt ist’s für die grü­nen Kol­le­gIn­nen doch ganz gut gelau­fen – also herz­li­chen Glück­wunsch und ein gutes Händ­chen für die nächs­ten Tage!

P.S.: Umfang­rei­che Wahl­ana­ly­se des Sta­tis­ti­schen Amtes und der Kon­rad-Ade­nau­er-Stif­tung.

Die SPD-Wahlwoche würde das Problem nicht lösen

Testbild am Abend

WELT und Spie­gel online ist zu ent­neh­men, dass SPD-Gene­ral­se­kre­tä­rin Yas­min Fahi­mi sich eini­ge Gedan­ken dazu gemacht hat, wie die Wahl­be­tei­li­gung gestei­gert wer­den kann. Mit Blick auf den Kern von Demo­kra­tie ist eine hohe Wahl­be­tei­li­gung ein sinn­vol­les Ziel, auch wenn z.B. die PEGI­DA-Mär­sche Men­schen anlo­cken, bei denen ich mir gar nicht so sicher bin, ob ich mich über deren Wahl­recht freu­en soll – und obwohl tak­tisch gese­hen eine gerin­ge­re Wahl­be­tei­li­gung durch­aus auch gut für klei­ne­re Par­tei­en (wie Bünd­nis 90/Die Grü­nen) sein kann. 

Aber gehen wir mal davon aus, dass eine höhe­re Wahl­be­tei­li­gung für eine Demo­kra­tie grund­sätz­lich etwas Gutes ist. Heu­te liegt sie bei Bun­des­tags­wah­len bei rund 70 Pro­zent, bei Land­tags- und Kom­mu­nal­wah­len oft noch ein­mal deut­lich dar­un­ter. Wiki­pe­dia visua­li­siert schön, wie die Wahl­be­tei­li­gung bei Bun­des­tags­wah­len in den ers­ten Jah­ren der jun­gen Bun­des­re­pu­blik ange­klet­tert auf ein Niveau von 86–87 Pro­zent ange­stie­gen ist, dann 1972 einen Spit­zen­wert von über 90 Pro­zent erreicht hat und sich seit­dem – mit eini­gen Schwan­kun­gen – im Rück­gang auf das heu­ti­ge Niveau von rund 70 Pro­zent befin­det. Der ers­te deut­li­che Ein­bruch erfolg­te dabei von 1987 auf 1990 – die ers­te Wahl, in der auch in der ehe­ma­li­gen DDR (die bei der „Volks­kam­mer­wahl“ von 93 Pro­zent Wahl­be­tei­li­gung erreich­te) der Bun­des­tag gewählt wurde.

„Die SPD-Wahl­wo­che wür­de das Pro­blem nicht lösen“ weiterlesen

Kurz: Die Bitterkeit der Gegangenen

Die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Ham­burg habe ich per Stream (paar Mal rein­ge­schaut), auf den sozia­len Medi­en, aber auch im Pres­se­spie­gel und im Radio ver­folgt. Dabei ist mir auf­ge­fal­len, dass die Bericht­erstat­tung doch sehr vom Stand­punkt der Jour­na­lis­tIn­nen abhän­gig ist. Ein und der­sel­be Par­tei­tag erscheint da ein­mal als ohn­mäch­ti­ge Suche nach dem neu­en The­ma, als lang­wei­lig, als gelun­ge­ne Zusam­men­füh­rung der Par­tei und als erfolg­rei­che Bewäh­rungs­pro­be der Par­tei­spit­ze. Ins­ge­samt, so mein Ein­druck, ein guter Par­tei­tag – mit der Agrar­wen­de haben wir uns posi­tio­niert (und Toni Hof­rei­ter sich), mit den Debat­ten um das Asyl­recht (wie schon auf der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz mit der Aus­ein­an­der­set­zung um Win­fried Kret­sch­manns Ent­schei­dung ein Mus­ter­bei­spiel dafür, wie strit­ti­ge, emo­tio­na­le The­men ernst­haft und mit Respekt behan­delt wer­den kön­nen) und die Außen­po­li­tik gezeigt, dass wir auch vor schwie­ri­gen Fra­gen nicht zurück­schre­cken. Mehr Biss – ja, das passt. Auch wenn’s nicht immer Äpfel sein müs­sen. Anders als ande­re Par­tei­en – ich den­ke da an die Pira­ten – ste­hen Grü­ne auch dafür, in und mit der Aus­ein­an­der­set­zung zusam­men­zu­fin­den, Zusam­men­halt zu pro­du­zie­ren. Und das ist wichtig.

Inter­es­sant ist aller­dings auch, wer wel­che Arti­kel und Kom­men­ta­re teil­te und wie bewer­te­te. Boris Pal­mer zum Bei­spiel war zufrie­den – kein Wun­der; aber er lob­te dann auch die Par­tei­lin­ke für die ernst­haf­te Debat­te. Alex Bonde teil­te den Sieg Wazi­ristans. Usw. – aber ich will jetzt gar nicht die gan­ze Rie­ge der Rea­lo-Män­ner auf­zäh­len. Auf der ande­ren Sei­te, vor allem auf den Lis­ten und in den Grup­pen der grü­nen Lin­ken, wur­den eher die kri­ti­schen Berich­te her­aus­ge­zo­gen, geteilt und zustim­mend bewer­tet. Prantl in der Süd­deut­schen und so. Auch das ver­wun­dert nur bedingt.

Etwas erschro­cken, wenn auch eben­falls psy­cho­lo­gisch erklär- und erwart­bar, bin ich über die Reak­ti­on einer drit­ten Grup­pe: die, die aus­ge­tre­ten sind, oder die inner­lich kurz davor ste­hen. Das sind in mei­nem z.B. Face­book-Bekann­ten­kreis gar nicht so vie­le. Dafür mel­den die­se sich umso hef­ti­ger zu Wort. Gold­waa­ge und schlipp­ri­ge Rut­schen sind ihre Instru­men­te, jede miß­li­e­bi­ge Äuße­rung ist ein wei­te­rer, laut­stark bekun­de­ter Beweis dafür, wie schlimm es um die Par­tei steht. Das Ende naht, noch besteht, so die­se Pro­phe­tIn­nen, die Chan­ce zur Umkehr. Wo ande­re Zusam­men­halt und Gemein­sam­kei­ten sehen, wird hier nur Duck­mäu­ser­tum und Ver­rat erkannt. Die bit­te­ren Phan­tom­schmer­zen der­je­ni­gen, die gegan­gen sind, ohne anders­wo anzu­kom­men, und die denen, die sich anders ent­schie­den haben, nun kei­nen Erfolg mehr gön­nen. Pro­fes­sio­nell ist das nicht.