Der Kandidat der nationalen Einheit

1950s watering can

Frei­tag: Rück­tritt von Chris­ti­an Wulff, Sonn­tag abend: gemein­sa­me Nomi­nie­rung von Joa­chim Gauck durch FDP, CDU, CSU, SPD und uns Grü­ne. Defi­ni­tiv nicht das Ergeb­nis, das ich mir erhofft hät­te.

Zwi­schen Frei­tag und Sonn­tag lag ein trotz Fasching poli­tisch auf­ge­la­de­nes Wochen­en­de. Ich fin­de es sinn­voll, noch ein­mal auf das Ver­fah­ren und auf das Ergeb­nis einzugehen.

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Dreizehn Sätze zum Weihnachtsrücktrittsfieber

Vor ein­ein­halb Jah­ren ist Horst Köh­ler zurück­ge­tre­ten. Im Som­mer 2010 wur­de Chris­ti­an Wulff zum Bun­des­prä­si­den­ten gewählt. Eine Weih­nachts­an­spra­che spä­ter könn­te die Kre­dit­af­fä­re ihn zum Fall brin­gen, die jüngs­te einer gan­zen Rei­he von „Kon­tro­ver­sen“, wie es die Wiki­pe­dia nennt (vgl. auch die­se Info­sei­te der nie­der­säch­si­schen Land­tags­grü­nen).

Ich glau­be aller­dings – trotz all der „Nicht mehr zu halten“-Signale der gro­ßen kon­ser­va­ti­ven Insti­tu­tio­nen FAZ, ARD und CDU – nicht dar­an, dass es mit dem Rück­tritt so schnell geht. Ers­tens war Köh­ler im Hin­blick auf die öffent­li­che Mei­nung wohl um eini­ges emp­find­li­cher als der Amts­in­ha­ber (sie­he auch: Kon­tro­ver­sen …). Und zwei­tens: wenn Rück­tritt, dann nach der Weih­nachts­an­spra­che – so viel Fest­stim­mung (und Poli­ti­ker­pau­se) muss sein. Oder schlägt BILD vor­her zu? 

Und ganz unab­hän­gig davon: wenn Rück­tritt, dann vor der Wahl in Schles­wig-Hol­stein im Mai, denn noch hat schwarz-gelb eine (knap­pe) Mehr­heit in der Bundesversammlung.

Letzt­lich stel­len sich bei dem Gan­zen, über die Tages­po­li­tik hin­aus, zwei Fra­ge: Brau­chen wir über­haupt einen Bun­des­prä­si­den­ten? Oder kön­nen wir uns die­ses Amt spa­ren? Und wenn wir doch einen brau­chen, war­um auch immer: Wer wäre eine geeig­ne­te Kandidatin?

Merkel angeschlagen, Wulff gewählt, alle zufrieden

Colorful toy

Jetzt ist’s also doch einer aus der Rie­ge der amts­mü­den Uni­ons-Minis­ter­prä­si­den­ten gewor­den. Wenn auch erst im drit­ten Wahlgang. 

Das heißt zunächst ein­mal: die Stra­te­gie von Bünd­nis 90/Die Grü­nen und SPD ist auf­ge­gan­gen: mit einem kon­ser­va­ti­ven Kan­di­da­ten, der über­zeu­gen­der daher­kommt als der nun gewähl­te Bun­des­prä­si­dent konn­ten eini­ge Wahl­leu­te aus den Rei­hen der Uni­on und der FDP dazu gebracht wer­den, sich zumin­dest im ers­ten und zwei­ten Wahl­gang doch nicht wie Auf­zieh­mäus­chen zu ver­hal­ten. Damit ist klar, dass Mer­kel an poli­ti­schem Gewicht ver­lo­ren hat. Ein Indiz dafür wird sein, dass der aus Spitz­na­me „Mut­ti“ in Zukunft noch viel häu­fi­ger zu hören sein wird. (Was aus gen­der­theo­re­ti­scher Sicht dahin­ter­steckt, dass eine Bun­des­kanz­le­rin so bezeich­net wird, wäre noch ein­mal einen eige­nen Bei­trag wert).
„Mer­kel ange­schla­gen, Wulff gewählt, alle zufrie­den“ weiterlesen

Gauck in Schlandland

Freiburg im Fussballfieber IITak­tisch betrach­tet ist der Vor­schlag „Joa­chim Gauck“ für die Bun­des­prä­si­den­ten­wahl ein Meis­ter­stück von SPD und Grünen. 

Wir zei­gen damit: selbst bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ve Bun­des­prä­si­den­ten vor­schla­gen kön­nen wir bes­ser als die Bür­ger­lich-Kon­ser­va­ti­ven. Und wenn ich mir die vier zur Wahl ste­hen­den Per­so­nen so anschaue, dann wür­de ich auch sagen, dass Joa­chim Gauck der­je­ni­ge ist, der sich am bes­ten für die­ses Amt in all sei­ner Reprä­sen­ta­ti­vi­tät und Ange­staubt­heit eig­net. Eben­so wäre es schön, wenn der ost­deut­schen Kanz­le­rin mit der Mit­wahl eines Reprä­sen­tan­ten der Bür­ger­rechts­be­we­gung, die die DDR zu Fall gebracht hat, durch Mit­glie­der ihrer eige­nen Koali­ti­on ein Strich durch die Par­tei­tak­tik gemacht wird. Und der Lin­ken gleich mit dazu.

Weni­ger klar sind mir die lang­fris­ti­gen Aus­wir­kun­gen. Also die Stra­te­gie. Das betrifft ers­tens die Fra­ge, wie sich SPD und Grü­ne zu einem auch ihnen durch­aus unbe­que­men Kan­di­da­ten ver­hal­ten wer­den, wenn er denn gewählt wird. Und anders­her­um. Da sehe ich kei­ne gro­ße Klar­heit. Zwei­tens fra­ge ich mich, wie sich ein mög­li­cher Erfolg bei der Bun­des­ver­samm­lung auf die poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung von SPD und Grü­nen auswirkt. 

Und dann gibt es noch Schland­land. Bzw. die kurio­se Tat­sa­che, dass der schwarz-rot-gül­de­nen Flag­gen­rausch mit der bru­ta­len und bier­see­li­gen Ver­nied­li­chung des Natio­na­len Lan­des­na­mens ein­her­geht. Ist das ein Zu-Eigen-Machen, oder ist es schlicht natio­nal gesät­tig­te Trun­ken­heit, die sich im „Schland“ zusammenzieht? 

Zurück zu Gauck: rund um die Kan­di­da­tur wim­melt es von Instant-Bür­ger­be­we­gung. „Wir, das Volk“ ist da nicht fern, unter­stützt durch Par­tei­zen­tra­len und Frei­wil­li­ge. Das ist einer­seits beein­dru­ckend und hat was von Oba­mo­bi­li­sie­rung. Ande­rer­seits fra­ge ich mich, wann die Natio­nal­far­ben der „Wir, das Volk“-Bewegung in den Par­tei­lo­gos der Mit­te-Links-Par­tei­en auf­tau­chen – als drit­tes gro­ßes Aber die­ser Kandidatur.

War­um blog­ge ich das? Weil mir Gauck in Schland­land ein biß­chen Angst macht.

P.S.: Ich gebe zu: ich habe auch schon bei Face­book auf ein „Die­ser Grup­pe bei­tre­ten“ für eine der gro­ßen Bür­ge­rIn­nen-Ansamm­lun­gen geklickt.

Ein Plädoyer für ungewöhnliche Kombinationen

Der hier bereits andis­ku­tier­ten Fra­ge nach der Nach­fol­ge von Horst Köh­ler möch­te ich mich in die­sem Bei­trag noch ein­mal wid­men – in etwas ernst­haf­te­rer Form. Der aktu­el­le Stand der Kan­di­da­tIn­nen­su­che „aus Krei­sen“ scheint sich ja auf Ursu­la von der Ley­en ein­zu­schie­ßen – die aus einer gan­zen Rei­he von Grün­den kei­ne sehr gute Kan­di­da­tin für die­ses Amt ist. Vor allem wäre sie eine Kan­di­da­tin der Regierung.

Und wenn dem Amt der Bun­des­prä­si­den­tIn über­haupt ein Sinn zukommt, dann kann es nicht der sein, als erwei­ter­ter Arm (oder gar als „Leucht­ra­ke­te“, wie es Prantl in der SZ heu­te schrieb) einer Regie­rung zu die­nen. Ob wir über­haupt einen Bun­des­prä­si­den­ten oder eine Bun­des­prä­si­den­tin brau­chen – auch das erscheint mir immer noch eher unsi­cher. Wenn, müss­te viel­leicht doch noch ein­mal über den Zuschnitt und das Wir­kungs­feld die­ser „Ersatz­kö­ni­gIn“ nach­ge­dacht werden.

Aber ich schwei­fe ab. Ursu­la von der Ley­en, aber auch Nor­bert Lam­mert – das wären Kan­di­da­tIn­nen, die ganz klar die Bot­schaft „von Mer­kels Gna­den“ mit sich tra­gen wür­den. Nun sieht es auf den ers­ten Blick so aus, als sei in der Bun­des­ver­samm­lung eine kla­re schwarz-gel­be Mehr­heit von 22 bis 24 Stim­men gege­ben. Die gibt es, kei­ne Frage:

2010-bv-i

Auf den zwei­ten Blick – und ich bin über­zeugt davon, dass in die­sen Zei­ten ein sol­cher zwei­ter Blick not­wen­dig ist – bie­ten die Ver­hält­nis­se in der Bun­des­ver­samm­lung auch ande­re, viel­leicht etwas unge­wöhn­lich erschei­nen­de Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten; ein­mal abge­se­hen davon, dass es bis­her oft so war, dass die aus den Län­dern ent­sand­ten Frak­tio­nen eben nicht aus Frak­tio­nä­rIn­nen bestan­den, son­dern aus – durch­aus eigen­stän­dig han­deln­den – Pro­mi­nen­ten oder aus Per­so­nen mit Sym­bol­funk­ti­on. Die Dele­gier­ten für die Bun­des­ver­samm­lung aus den Län­dern wer­den in den nächs­ten Wochen gewählt. Dann wird sich zei­gen, ob es dies­mal anders ist, und in der beson­de­ren Situa­ti­on, in kur­zer Zeit eine Bun­des­ver­samm­lung zu beschi­cken, der Par­tei­dis­zi­plin ein höhe­rer Stel­len­wert ein­ge­räumt wird.

Gehen wir ein­mal davon aus, dass die „Blö­cke“ tat­säch­lich geschlos­sen abstim­men wer­den. Aber was sind das für Blö­cke? Ist es legi­tim, von einem schwarz-gel­ben und einem rot-grün(-roten) Block zu spre­chen? Wenn wir die „Bau­klötz­chen“ ein­mal anders sta­peln, erge­ben sich Kom­bi­na­ti­ons­mög­lich­kei­ten, die unge­wöhn­lich sind – aber das Poten­zi­al mit sich brin­gen, eine Bun­des­prä­si­den­tin oder einen Bun­des­prä­si­den­ten zu fin­den, die oder der weder dem (schein­ba­ren) Quer­ein­stei­ger Köh­ler ent­spricht, noch dem einer lini­en­treu­en Vollblutpolitikerin.

2010-bv-ii

Ein Bei­spiel für eine sol­che unge­wöhn­li­che Kom­bi­na­ti­on wäre die Ampel. Was spricht dage­gen, mit einer Mehr­heit aus FDP, Grü­nen und SPD (gera­de auch mit Blick auf NRW …) und etwa 20 Dele­gier­ten aus ent­we­der der CDU/CSU oder der LINKEN Sabi­ne Leu­theu­ser-Schnar­ren­ber­ger zur Prä­si­den­tin zu küren?* Poli­tisch erfah­ren, mora­lisch inte­ger – eine Kan­di­da­tin, die in die­sem Amt nicht in der Abhän­gig­keit von der Bun­des­re­gie­rung stän­de, son­dern Spiel­räu­me nut­zen kann. Und natür­lich gäbe es noch ein paar wei­te­re Per­so­nen, für die eine sol­che Mehr­heit eine Grund­la­ge bie­ten könn­te. Es käme auf den Ver­such an.

Und wer es par­tout anders haben will: auch schwarz-grün hät­te in der Bun­des­ver­samm­lung eine Mehr­heit – um zum Bei­spiel Klaus Töp­fer oder Josch­ka Fischer ins Amt zu hie­ven. Oder, wenn’s denn wirk­lich sein muss: mit dem Stim­men einer gro­ßen Koali­ti­on eine ehe­ma­li­ge Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­prä­si­den­tIn o.ä. zu wählen.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es scha­de fän­de, wenn die Chan­ce, die in die­ser Kri­se steckt, ver­tan würde.

* Alter­na­tiv: mit rela­ti­ver Mehr­heit im drit­ten Wahl­gang – eine Gegen­kan­di­da­tIn müss­te, um vor­her erfolg­reich zu sein, die Stim­men der CDU/CSU, der LINKEN, der Frei­en Wäh­ler und der NPD auf sich vereinen.