Der Juni war überwiegend viel zu heiß. Aber wenn’s dann mal geschüttet hat, dann richtig. Da sah der Blick aus dem Zugfenster (am 15. Juni) dann so aus. Man sieht: man sieht nichts mehr vor lauter Regen. Gab es auch. In Erinnerung bleiben aber die 36 °C plus … dreh den Beat nie wieder leiser …
Johannisbeerzeit
Dieses Jahr gab’s sehr reichlich Johannisbeeren im Garten – heute, also fast pünktlich zur Sommersonnenwende habe ich die letzten geerntet. Wir haben vor allem rote Johannisbeeren an Büschen, die vermutlich ähnlich alt wie das Haus sind, also aus den 1970ern stammen. Aus dem einen Busch schwarze Johannisbeeren sind in den letzten Jahren drei geworden (Johannisbeeren lassen sich einfach durch Stecklinge vermehren … mit mehr Platz im Garten …). Die weißen Johannisbeeren gibt es erst seit ein paar Jahren, dieses Jahr haben sie glaube ich das erste mal eine halbwegs ergiebige Menge Beeren getragen.
Nachteil an Johannisbeeren: roh schmecken sie (mir) nicht besonders. Insofern habe ich einige Zeit damit verbracht, aus den Beeren etwas zu machen – Gelee und Marmelade (Merkposten: vielleicht vor der nächsten Saison doch mal gucken, ob ich einen Entsafter brauchen könnte; von Hand durch ein Sieb geht auch, ist aber … aufwendig), einmal Kuchen, Sorbet (da das Rezept dank KI dieses Jahr im Netz kaum zu finden war: 500 g Beeren ergeben so etwa 300 ml Saft, diesen mit Läuterzucker (130 g Zucker, 100 ml Wasser, etwas Zitrone) mischen, kaltstellen, dann in die Eismaschine – lustig: weißes Johannisbeersorbet) und heute – leider für Sirup dann doch eher dünnflüssig – Johannisbeersirup, also jedenfalls etwas, das sich mit Sprudel zu einem erfrischenden Getränk mischen lässt. Und eingefroren haben wir auch noch ein gutes Kilo der Beeren.
Damit wäre dieser Teil des Jahres dann auch erledigt. Ich warte noch drauf, dass der Kirschbaum mal so groß ist wie der, den es in meiner Jugend in unserem Garten gab – bisher sind’s eher ein paar Handvoll Kirschen, und Vögel und diverse Insekten wollen auch was davon. Stachelbeeren gibt es dafür dieses Jahr auch reichlich, ganz reif sind sie jedoch noch nicht. Dafür: Heidelbeeren gar nicht. Und ich habe gewisse Hoffnungen, dass die Kombi aus Hochbeet und dem aktuellen Wetter hilft, dass die beiden Zucchinipflanzen gegen die Schnecken gewinnen und es ein Zucchini-Jahr wird.
Photo of the week: Tübingen
Der Betriebsausflug der Landtagsfraktion ging dieses Jahr nach Tübingen. Gleich am Bahnhof augenfällig: Radinfrastruktur, das gut ausgebaute Bus-System (eine Straßenbahn wurde abgelehnt …), kurz dahinter dann: Abkühlbrunnen und Vernebelungsanlagen. Im Rathaus eine Ausstellung zur Energieeffizienz. Kurz: das akademisch geprägte Städtchen machte seinem Öko-Ruf alle Ehre. Und an Geschichte gab’s auch einiges zu sehen.
Für mich besonders interessant: ich komme ursprünglich aus Tübingen; etwa, als ich in der zweiten Klasse war, sind wir weggezogen. Eigene Erinnerungen habe ich gar nicht so viele, aber viele Fotos aus dem Familienfotoalbum haben sich mir eingeprägt – und ebenso das Wimmelbuch Unsere Stadt. Ein fröhliches Bilderbuch aus dem Jahr 1972 (Brigitte Riethmüller und Henriette Lempp). Von den Fliesen im Bahnhof bis zum Neckarufer lässt sich sehr vieles aus dem diesem Buch aus den 1970er Jahren heute noch genauso wiederfinden. Insofern passten Stadt und Erinnerungen dann doch zusammen.
Photo of the week: Nox in the sun
Ein halbes Jahrhundert
In großer Regelmäßigkeiten blühen die Schneeglöckchen pünktlich zu meinem Geburtstag. Dieses Mal springt die vordere Ziffer auf die Fünf. Ein halbes Jahrhundert. So alt fühle ich mich nicht. Trotzdem: die Welt meiner Kinderheit und Jugend liegt jetzt längst in der Vergangenheit. Selbst die 1990er Jahre und der Beginn des neuen Jahrtausends werden inzwischen historisiert, archiviert, musealisiert und was der Begriffe dafür mehr sind, Dinge wegzuräumen und als etwas zu betrachten, das gewesen ist.
Einerseits also ein gewichtiger Marker. Andererseits: auch kein anderer Tag als andere Tage. Die ersten grauen Haare und das Sichtbarwerden des musterförmigen Haarausfalls sind schon eine ganze Weile her, und ich bringe beides eher mit den Kindersorgen als mit einer Zahl in Verbindung. Beim Blick in den Spiegel der Videokonferenz fallen Falten auf, deutlicher als früher. Markant, könnte man auch sagen. Und zwischen Kurzsichtigkeit seit der Jugend und einsetzender Altersweitsicht liegt aktuell die glückliche Phase, in der ich am Bildschim, zum Bücherlesen oder im Alltag keine Brille mehr, noch keine Brille brauche. Demnächst dann vermutlich Gleitsicht.
Haben 50-jährige andere Interessen? Gehört es dazu, mit dem Alter gelassener zu werden – oder doch eher wütender über die trotz aller Zukunftsversprechen weiterhin und beängstigend aufbrechenden Ungerechtigkeiten und Weltprobleme? Mondbasen, Unterwasserstädte, das Ende der Geschichte, solarpunkig-hippieske Utopien des besseren gemeinsamen Lebens, wie sie mal en vogue waren, sind eher nicht zu finden, da draußen in der Welt. Statt dessen fühlt es sich manchmal an, als würden die Cyberpunk-Romane mit den fiesen kapitalistischen Konzernen, den zerbröckelnden Staaten und dem Kampf gegen den neuen Faschismus von manchen nicht als Zeitdiagnose der späten 1980er gelesen, sondern als Anleitung für die späten 2020er Jahre.
No future, Atomkriegängste und Tschernobyl verschmelzen in der Erinnerung zu diesem angstvollen Gudrun-Pausewang-Gefühl, dass das Ende der Welt nicht weit weg sein kann. Rassismus und sich ins Licht wagende Nazis machten in den 1990er Jahren Angst. Jetzt also nochmal, oder schlimmeres? Die Pandemie. Der Krieg in der Ukraine. Ein Staatsstreich von innen in den USA. Der explodierende Nahe Osten. Und wieder Diskursverschiebungen nach rechts, ganz nach rechts.
Dazwischen immer wieder Phasen, in denen der Zeitgeist grün war. Ökos, Lohas, Bohos, New Work, selbstgestrickte Pullover und Gartenarbeit, Landlust und Landliebe, der grüne Erfolg in Baden-Württemberg und das Scheitern der Dosenpfand-Regierung mit Fischer, Trittin und Schröder. Am Ende eine Bierflasche zuviel in der Bonner Runde, oder war’s da schon Berlin, und dann Merkel. Eine Zeit, die bedächtig wirkte, nicht der Stillstand von Kohl und Mappus, eine Verschnaufpause? Ein Land, das dennoch „wir schaffen es“ zu seiner Maxime ausgerufen hat – und hintenherum Deals mit den Russen fortführte.
Das Politische und das Private. War das Private politisch? Öffentliches Tagebuchschreiben in Blogs und in der parasozialen Netzgemeinde, die richtig viel Zeit raubte. Ambivalente Erinnerungen an Twitter, Eskalationsspiralen, Politiksimulation, Bedeutung, Deutung, Deutungs- und Bedeutungsverlust. Froh, nach der Übernahme rausgeworfen worden zu sein. Die Fediverse-Nische Mastodon ist anders, aber auch schön. Das Blog lebt.
Und die Karriere? Ich bin nicht da gelandet, wo ich dachte, eines Tages zu sein – nämlich tief im Wissenschaftsbetrieb. Manchmal frage ich mich, was gewesen wäre, wenn 2011 in Baden-Württemberg anderes ausgegangen wäre, und ich nicht die Abzweigung Richtung Politik genommen hätte: mit einer Fraktion als Arbeitgeberin, die mir in den letzten 13 Jahren deutlich bessere Arbeitsbedingungen – und vermutlich auch deutlich spannendere Aufgaben – geboten hat, als das an der Uni je möglich gewesen wäre. Vereinbarkeit, Home-Office, Work-Life-Balance: nicht bloß Vokabeln, sondern gelebte Praxis. Und auch da ist das Private politisch, die Lebensstilentscheidungen, die Erziehungsentscheidungen, die Mobilitätsentscheidungen – die immer auch Entscheidungen gegen 120 Prozent waren, gegen Aufstiegsstrategien und einen taktischen Blick auf „den Job“.
Zum politisch-privaten Komplex gehören die Kinder. Das zweite wird bald ebenfalls erwachsen sein.
Was dann kommt, frage ich mich neugierig. Tragen die Routinen noch? Braucht es neue Projekte, die die Zeit füllen – oder bleibt eh nie genug, um all das umzusetzen, was in irgendwelchen Winkeln mehr oder weniger geduldig wartet, endlich einmal angegangen zu werden? Bleibt Zeit dafür, oder werfen Weltpolitik und Klimawandel eh alle Pläne über den Haufen?
Ein halbes Jahrhundert verdichtet sich zu einigen wenigen Ereignissen, Sinnbildern, Anmutungen. Und eigentlich: ein Tag wie jeder andere.