Letzten Montag hatte ich die Chance, die Bundesgartenschau in Mannheim zu besuchen. Das lohnt sich nicht nur wegen der Seilbahn, die die beiden Gartenschau-Flächen verbindet (und nach Ende der BUGA leider wieder abgebaut wird), sondern auch, weil diese BUGA insgesamt sehr schön deutlich macht, wie eine nachhaltige und urbane, an Upcycling und Wiederverwertung orientierte Ästhetik einer Gartenschau aussehen kann. Weitere Fotos auf Flickr.
Ein Gedanke zur politischen Geografie
Friedrich Merz sprach davon, dass die Union eine „Alternative für Deutschland mit Substanz“ sei – ein weiterer Schritt auf dem Weg von CDU und CSU zurück nach rechts; die Ablösung des Generalsekretärs durch einen Hardliner und die Erklärung, dass Grüne der Hauptgegner seien, gehören ebenfalls zu dieser Geschichte. Ebenso wie der Vorschlag von Thorsten Frei, das Asylrecht abzuschaffen; rechts-offene Aussagen der sächsischen CDU und erst recht der Söder-Populismus-Plus-Wahlkampf in Bayern. Ich schreibe bewusst „zurück nach rechts“. Meine Jugendzeit fällt mehr oder weniger mit Kohls „geistig-moralischer Wende“ zusammen, und ein bayrischer CSU-Politiker namens Franz-Josef Strauß ist mir noch gut mit dem Spruch erinnerlich, dass rechts von der CSU nur die Wand kommen dürfe. „Kinder statt Inder“ war ein Wahlkampfslogan (2000), und die Asylrechtsverschärfungen in den 1990er Jahren würde ich ursächlich ebenso auf das Konto der CDU/CSU schreiben.
Also: die Union bewegt sich nach rechts. In der üblichen politischen Geografie aus „links“, „Mitte“ und „rechts“ wird dadurch ein Platz in der Mitte frei. Und es mag in der aktuellen Lage mit bedrohlichen Zustimmungswerten für die AfD etc. nach Zweckoptimismus klingen, aber ich bin überzeugt davon, dass durch den Rückzug der CDU aus der mit Merkel breit besetzten politischen Mitte sichtbar wird, dass dieser Ort längst besetzt ist – und zwar durch Bündnis 90/Die Grünen. Und zwar nicht durch einen Rechtsruck und die Übernahme populistischer Positionen, sondern weil es eine starke Resonanz zwischen einem, sagen wir, progressiven Bürgertum des 21. Jahrhunderts und den politischen Haltungen meiner Partei gibt.
Die politische Geografie ist ja höchst volatil. Es gibt allen Kompassen und Umfragen zum Trotz keine Nullmarke, die eine absolute Mitte definiert. Auf Skalen von ‑5 bis +5 werden die Überzeugungen und Haltungen von Bündnis 90/Die Grünen meist „links der Mitte“ einsortiert. Und das ist auch richtig so. Genauso, wie für alle außer für die Anhänger*innen der AfD klar ist, dass diese Partei ganz weit rechts auf dieser Skala steht. Aber erstens ist das politische Spektrum nicht eindimensional, und zweitens ist die Haltung einer Partei kein Punkt.
Wie gesagt, vielleicht mag es Zweckoptimismus sein, davon auszugehen, dass ein großer Teil der Menschen in Deutschland für Werte des 21. Jahrhunderts steht – für Weltoffenheit und Toleranz, für eine ökologische Grundfärbung und die Orientierung an Nachhaltigkeit, für gesellschaftliche Solidarität und für den Zusammenhalt. Vielleicht ist ein größerer Teil der Bevölkerung viel verängstigter, konservativer und insgesamt schlimmer in seinen Einstellungen, als ich das gerne hätte. Aber ist das die Mitte der Gesellschaft? Ist das die Mitte des politischen Spektrums? Oder gibt es nicht doch ein Bündnis der Vernünftigen (um nicht den „Aufstand der Anständigen“ zu zitieren), einen common sense, das es gut wäre, die wirklich wichtigen Probleme wie den Klimawandel gemeinsam anzugehen, sich keine Angst machen zu lassen und anständig und respektvoll miteinander umzugehen?
Ich gehe davon aus, dass es eine Mehrheit gibt, die so denkt – und dass diese Mehrheit nicht am Rand steht, sondern sich selbst als Mitte der Gesellschaft sieht. Und genau da sehe ich eine große Passung zur grünen Programmatik, zu grünen Grundhaltungen und nicht zuletzt zum grünen Personal. Aktuell wird das überdeckt. Vieles liegt hinter Nebelkerzen und Rauchbomben, die derzeit bewusst und in großer Zahl geworfen werden.
Wenn sich der Nebel lichtet, wird deutlich werden, dass wir längst da sind, „ick bin all hier“, wie der Igel im Wettlauf mit dem Hasen sagt. Und dazu sollten wir stehen.
Photo of the week: Lavender bees – III
Photo of the week: Länderrat Bad Vilbel
Inhaltlich hatte ich über den grünen Länderrat vom 17.6. ja schon geschrieben; hier nachgereicht jetzt noch ein Foto, das Licht und Schatten im Foyer der Tagungshalle in Bad Vilbel zeigt. Sehr kühl, aber doch ästhetisch.
Lesetagebuch Science Fiction und Fantasy – Juni 2023
Vorsatz: in kürzeren Abständen darüber schreiben, was ich an SF & Fantasy gelesen und angeschaut habe. Mal sehen, wie lange das klappt. Im Juni waren das jedenfalls zwei Filme, ein bisschen Serien und wenige Bücher.
Die Black-Panther-Fortsetzung Wakanda Forever war nicht ganz so überzeugend wie Black Panther selbst, der Plot wirkte ein wenig wirr und manche Entscheidung (warum jetzt ein übermächtiges Wasservolk als Hauptgegner?) konnte ich nicht so richtig nachvollziehen. Trotzdem ansehbar und unterhaltsam.
Sehr begeistert hat mich die Comic-Verfilmung Nimona von ND Stevenson, die – nachdem Disney+ das Studio aufgekauft und die Produktion eingestellt hatte, jetzt bei Netflix zu sehen ist. Der grafische Stil ist spannend, es geht um Ritter in einem futuristischen Königreich, die dieses gegen Monster verteidigen. Bei der Vereidigung des neusten Ritterjahrgangs geschieht eine Katastrophe, die nicht nur die Liebesgeschichte zwischen Ballister Boldheart – dem ersten Ritter aus der Arbeiterschicht – und Ambrosius Goldenloin jäh unterbricht, sondern Boldheart auch in die Rolle des Schurken drängt. Nimona will sein Sidekick werden. Ist sie – als Gestaltwandler*in – das Monster, dass das Königreich zum Untergang bringen wird?
Kurz bevor die Serie abgesetzt wurde, habe ich mir dann mal noch Star Trek: Prodigy angeschaut – tiefgründiger und näher an Star Trek dran, als die Aufmachung mit bunter Animation etc. vermuten lässt. Sollte sie irgendwo mal wieder auftauchen, lohnt es sich, sie anzuschauen.
Und auch die ersten drei Folgen der zweiten Session von Star Trek: Strange New Worlds haben viel Potenzial. Das Zurück zur episodischen Erzählweise – anders als bei Picard oder Discovery – tut der Serie gut, und auch wenn die üblichen Star-Trek-Tropes, etwa die Zeitreise in eine parallele Zeitlinie oder das Gerichtsverfahren mit „richtigem“ Ende nach philosophischen Plädoyer, breit ausgerollt werden, ist das kein bloßer Fanservice, sondern funktioniert. Etwas irritierend: Unterton aller drei Folgen ist ein Rütteln an der Star-Trek-Grundüberzeugung, das gentechnische Veränderungen an Menschen ein Kapitalverbrechen sind und mit den „eugenischen Kriegen“ großes Leid gebracht haben.
Dann zu den Büchern. Ein „richtiger“ Roman war dabei, nämlich SubOrbital 7 (2023) von John Shirley. Der inzwischen 70-jährige Shirley war einer der Cyberpunk-Autoren der späten 1980er, insbesondere seine Eclipse / A Song Called Youth-Trilogie und City Come a‑Walkin‘ dürften einigen bekannt sein. Dass er außer diesen eine ganze Reihe weiterer Romane und Drehbücher geschrieben hat, war mir nicht bekannt. Vor der Erwartungshaltung „Cyberpunk“ enttäuscht SubOrbital 7 – das ist eher Military SF (wobei A Song Called Youth bei genauer Hinsicht gar keinen ganz unähnlichen Blick auf die Welt wirft), und noch dazu aus recht männlicher Perspektive. Inhaltlich geht es in einer nahen Zukunft um die Aufrüstung des Weltraums mit Orbitalstationen und Waffen, um den Konflikt Amerika – Russland und in beiden Fällen um Auseinandersetzungen innerhalb des jeweiligen Staatsapparats und um Spionage, ein bisschen James Bond, ein bisschen Thriller. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in Russland (ich las den Roman, als die Wagner-Truppen Richtung Moskau fuhren) hat der Roman nochmal seinen ganz eigenen Gruselfaktor.
Abgesehen davon habe ich im Juni Ursula K. LeGuins Essay-Sammlung Words Are My Matter: Writings on Life and Books (2016) gelesen – zur Hälfte sind das Buchrezensionen von ihr, einige haben mich auch nochmal auf andere Werke aufmerksam gemacht, zur anderen Hälfte essayistische Texte, die sich mit Literatur und Schreiben, um die Auseinandersetzung zwischen SF als „Genre“ und „richtiger Literatur“ und um einen feministischen Blick auf den Betrieb richten.
The Best of Greg Egan (2021) trägt diesen Namen völlig zu recht. Das ist eine dicke Sammlung seiner Kurzgeschichten und Novellen; einige davon bilden über mehrere Geschichten hinweg einen Handlungsbogen. Und fast jede dieser Geschichten setzt sich mit tiefen Fragen auseinander – also (durchaus spannende und spannend geschriebene) SF als Medium des Nachdenkens darüber, was die Folgen davon sein könnten, wenn Bewusstseinsfragmente dazu genutzt werden, KIs zu trainieren, die in Spielewelten NPC darstellen sollen. Was passiert, wenn Eingriffe in das Gehirn unsere Wahrnehmung verändern. Wie Religionen entstehen. Etc. Sehr empfehlenswert und ein guter Einstieg in Egans Werk.
Eine zweite dicke Kurzgeschichtensammlung, die ich im Juni gelesen habe, trägt den Titel Life beyond us (2023) – eine vom European Astrobiology Institute herausgegebene Anthologie. Dieses Institut war mir bisher kein Begriff, es scheint eine der Plattformen der European Science Foundation (ESF) in Strasbourg zu sein, das ist ein Dachverband von Wissenschaftsorganisationen wie Helmholtz-Gesellschaft und Max-Planck-Gesellschaft. Life beyond us jedenfalls enthält zahlreiche Kurzgeschichten, teilweise von bekannten Autor*innen wie Malka Older oder Gregory Benford, teilweise von mir bisher unbekannten Verfasser*innen, wohl zum Teil direkt aus der wissenschaftlichen Community. Gemeinsames Thema sind Kontakte mit außerirdischen Lebensformen und die Frage, was eigentlich Leben ist, und wie wir Leben finden können, das ganz anders als unseres ist. Eine Besonderheit an diesem Band – der ja schließlich auch wissenschaftliches „outreach“ darstellt – ist, dass jede Geschichte mit einem Kommentar aus der Wissenschaft versehen ist, samt Fußnoten und Quellen. Diese Texte gehen teilweise direkt auf die Geschichten ein, teilweise sind es eher allgemeine Erläuterungen zum Stand des Wissens, wie Leben entsteht, wie Exoplaneten entdeckt werden usw. Die Mischung aus Kurzgeschichten und Wissenschaftsjournalismus fand ich anregend und lehrreich – jedenfalls mal was anderes.