Ich fange mit einem Buch an, das eigentlich eher ein Sachbuch ist – Mark McCaughreans „Reiseführer“ 111 places in space that you must not miss (2023). Der Titel beschreibt eigentlich auch schon ganz gut, was es mit diesem Buch auf sich hat, das wohl tatsächlich in einer Reihe erschienen ist, die auch jeweils 111 „bereisbare“ Ziele anderswo zusammenbringt. Die 111 Orte im Weltraum sind in drei Abteilungen unterteilt, die sich mit dem Sonnensystem, der Milchstrasse und dem Rest des Universums befassen. Etwas irritiert hatte mich zuerst, dass die Objekte, die jeweils mit einer Seite Text und einem Foto vorgestellt werden, innerhalb dieser drei Abteilungen alphabetisch sortiert sind. Ich hätte eine Sortierung nach Entfernung zur Erde erwartet. McCaughrean beschreibt mit einer leicht ironischen Note die unterschiedlichen Objekte, die von Mond und ISS bis zu Deep-Field-Aufnahmen und der kosmischen Hintergrundstrahlung reichen. Interessanterweise hat dieser Reiseführer auf mich eher den Effekt, noch einmal deutlich zu machen, wie groß und lebensfeindlich das Weltall ist … das wird nicht nur in den Reisezeiten sichtbar, die bei den weiter entfernten Objekten gerne mal bei „Millionen Jahre mit Lichtgeschwindigkeit“ liegen, aber selbst im Sonnensystem wird deutlich, dass neben dem Mond, Hubble und ISS (und bei einer Reisezeit von mindetens 9 Monaten: dem Mars) selbst z.B. die Jupitermonde wohl für entsprechend lange fliegende Sonden, aber eben nicht für mit Menschen besetzte Raumschiffe erreichbar sind. Und dass es, dort einmal angekommen, ganz schnell zu Problemen mit Strahlung kommen würde. Und auch zum Mars schreibt der Autor „will kill you“. Insofern: ein gutes Sachbuch über den Stand unseres Wissens über das Sonnensystem, die Milchstraße und unsere lokalen Superstrukturen, aber auch ein Buch, das komische Dimensionen verdeutlich und klar macht, dass die Prämissen selbst „harter“ SF-Serien wie The Expanse weit jenseits der Realität liegen. Von Warp-irgendwas gar nicht zu sprechen.
Und wo ich gerade bei Sachbüchern bin: als Ergänzung zu meiner Reise nach Kopenhagen habe ich das Buch The Story of Scandinavia (2023) des Politikwissenschaftlers Stein Ringen gelesen. Ringen fängt bei den Wikinger*innen an und endet – nach intensiver Auseinandersetzung mit der Entstehung der Königreiche und später einer lutherianisch eingefärbten Sozialdemokratie – in den 2020er Jahren. Ich fand das Buch aufschlussreich für ein Verständnis, wie Dänemark, Norwegen und Schweden sich entwickelt haben, und wie die drei Ländern in wechselnden Konstellationen zusammen und gegeneinander gewirkt haben. Im Kontext SF und Fantasy relevant: Ringen macht u.a. deutlich, dass wir uns die Wikinger*innen wohl am ehestens als Warlords vorstellen müssen, die Brutalität zu einem Markenzeichen machten, dass dann europaweit bekannt und gefürchtet wurde (und die nicht zuletzt Sklavenhandel betrieben). Aus den Warlords wurden dann ab etwa dem 10. Jahrhundert, Könige (u.a. Harald Blauzahn und Knud der Große), die aber – so Ringen – nichts bleibendes hinterließen. Und die Beschreibungen der Intrigen der unterschiedlichen hochmittelalterlichen Herrscher*innen erinnerte doch stark an „Game of Thrones“ – bis hin Brudermorden und zu Einladungen aller Wichtigen zu Festmählern, die im Blutbad enden. (Eigentlicher Kern des Buchs ist die Frage, wie aus diesem Chaos Demokratien und nach dem 2. Weltkrieg der skandinavische Wohlfahrtsstaat entstehen konnten – auch das durchaus interessant; interessant auch der Blick auf das Handeln Dänemarks (weitgehend akzeptierte Besetzung, Kollaboration), des als Nationalstaat jungen Norwegens (Besetzung mit Widerstand und einer fliehenden Exilregierung) und Schwedens (Neutralität und Waffenverkäufe) in der Nazizeit.)
An SF gelesen habe ich die ersten beiden Bände der „Kindom Trilogy“ von Bethany Jacobs, These Burning Stars (2023) und On Vicious Worlds (2024); der dritte Band wird noch in diesem Jahr erscheinen. Die Bücher verbinden Aspekte aus beiden Sachbüchern: sie spielen in einem sich über mehrere Sonnensysteme erstreckenden Imperium („The Treble“); und stellenweise wird es sehr blutig und brutal mit Blick auf Nachfolgekämpfe und Racheakte. Insbesondere innerhalb und zwischen den „First Families“ und den drei Säulen des „Kindom“ (Priester*innen der polytheistischen Religion; Verwaltung und Justiz; und die „brutal hand“ mit ihren Killer*innnen). Zusammengehalten wird „The Treble“ von einem energiereichen Mineral (Jevite bzw. in der synthetischen Form Sevite), das u.a. Sprünge durch „Gates“ erlaubt. Interessanter als die diversen Kämpfe (sagte ich schon, dass es sehr blutig und brutal wird?) sind die von Jacobs skizzierten Interessenlagen und organisatorischen Verkrustungen – beispielweise hat die Familie einer der Hauptpersonen das Monopol auf diesen Mineral; die in der Verarbeitung von Sevite beschäftigten Überlebenden eines Genozids – die Jeveni – sind mit ihrer Lage nicht zufrieden usw. Und ziemlich viel ist anders, als es am Anfang scheint. Gut gefallen hat mir an dieser Space Opera auch, dass einige der Traumata und sozialen Ängste einiger Hauptpersonen klar thematisiert werden. Egal, wie sehr sie die Held*innen dieser Geschichte sind. Ich bin auf den dritten Band gespannt – der zweite endete ziemlich abrupt mit einer fiesen Enthüllung.
Auch Space Opera, aber komplett anders, ist die online veröffentlichte Novelle The Epiphany of Gliese 581 von Fernando Borretti (2022), die ein bisschen an Greg Egan erinnert. Viel spielt hier in diamantbasierten Computersubtraten, und Menschen/transhumane Wesen, die sich selbst downloaden und per Materiedruck reproduzieren können, tun sich ein bisschen einfacher damit, fernste Sonnensysteme zu erforschen – oder wie hier: aufzuklären, wie eine vollendes transhumane „Gottheit“, die den namensgebenden Stern Gliese 581 nach eigenem Bild gestaltet hat, zu Tode kam.
Gelesen habe ich und sehr empfehlen kann ich dann noch das gerade erschienene Automatic Noodle (2025) von Annalee Newitz. Während ich mit ihren Terraformern nicht so viel anfangen konnte, hat mir diese eher cozy Geschichte gut gefallen: im Kern geht es um vier sehr unterschiedliche Roboter (und einen Menschen), die übrig bleiben, als eine Möchtegern-Fastfood-Kette ihr Geschäft aufgibt. Das ganze spielt in San Francisco, in einem Kalifornien, das sich gerade in einem blutigen Krieg von Amerika abgespaltet hat, und das – anders als die Rest-USA – unter bestimmten Bedingungen menschenähnliche Roboter mit Rechten ausstattet – was andere nicht davon abhält, Vorurteile zu äußern. Mit viel Liebe zum Detail erzählt Neewitz, wie aus dem Fastfood-Shop ein auf Biang-Biang-Nudeln spezialisiertes Restaurant wird (da erinnerte mich das eine oder andere an Sourdough) – und wie dabei die ganz unterschiedlichen Roboter-Persönlichkeiten mit ihren Stärken (und Schwächen und Traumata) zusammenfinden. (Lesenswertes Interview mit Newitz dazu.)
In gewisser Weise gut dazu gepasst hat der Film Chappie (2015, lief auf Netflix), den ich eher zufällig ausgewählt habe. Hier geht es um autonome Polizeiroboter in Johannisburg und was passiert, als eine*r davon ein Bewusstsein bekommt und bei einer von „Die Antwoord“ gespielten Gangsterfamilie aufwächst. Regisseur Neill Blomkamp legt an manchen Stellen zu dick auf, der Film kann sich manchmal nicht entscheiden, ob er jetzt Thriller, Hip-Hop-Gangsterkomödie oder Roboter-Reflektion sein möchte – unterhaltsam war’s trotzdem. Insbesondere mit dem zum Zeitpunkt dieses Films noch nicht absehbaren AI-Hype im Hinterkopf.
Weitergeguckt habe ich außerdem Foundation und Star Trek: Strange New Worlds – wobei ich hier von Folge 6 („The Sehlat Who Ate Its Tail“) insgesamt eher begeistert war, und mit den Folgen 7 („What Is Starfleet?“) und 8 („Four-and-a-Half Vulcans“) nicht so viel anfangen konnte.
Begonnen und dann gleich bingegewatcht habe ich die erste Staffel von Silo (Apple TV, 2023), der Verfilmung der Bücher Wool, Shift und Dust von Hugh Howey. Die Serie spielt (zumindest in der ersten Staffel) fast ausschließlich in einer riesigen Untergrundstadt, dem titelgebenden Silo, das von seltsamen Regeln (Treppensteigen zwischen den 144 Stockwerken!, keine Mikroskope!) beherrscht wird. Draußen ist böse – jedenfalls ist das die mit großem Aufwand aufrecht erhaltene herrschende Meinung. Und Artefakte aus der Zeit davor sind ebenfalls verboten. Durch einen geschickten Kniff verbindet die Serie die Geschehnisse im untersten Level – hier kümmern sich Mechaniker*innen darum, dass alles läuft – der Mittelschicht und der Elite des Silos in den oberen Leveln. Die Hauptpersonen und deren Chemie untereinander ist dann auch Grund genug, über das eine oder andere Plothole hinweg zu sehen (wie kommt eine seit vielen Jahrzehnten von der Außenwelt abgeschnittene Stadt mit 10.000 Menschen an so Dinge wie Kaffee oder Lötzinn?).