Metadualismus: Wie weiter mit den Grünen?

SkyEine Euro­pa­wahl, die deut­lich gemacht hat, dass 2019 eine Aus­nah­me war, und uns auf den Stand der Jah­re davor zurück gewor­fen hat. Auch bei den Kreis­tags­wah­len deut­li­che Ver­lus­te (in Baden-Würt­tem­berg lan­des­weit rund fünf Pro­zent­punk­te). Bei den Gemein­de­rats­wah­len sieht es etwas bes­ser aus, in vie­len Gemein­den sind wir da sta­bil geblie­ben (und sehen jün­ge­re und weib­li­cher gewor­de­ne Frak­tio­nen). Jeden­falls: mal wie­der eine gro­ße Kri­se der Partei.

Dar­auf gibt es jetzt zwei Reak­tio­nen. Auf der einen Sei­te ste­hen die, die die­se Lage dazu nut­zen wol­len, das durch­zu­set­zen, was sie schon immer woll­ten. Grü­ne zu einer super­rea­len Par­tei ähn­lich den Grün­li­be­ra­len in der Schweiz umfor­men. Oder, sel­te­ner zu hören, aber doch prä­sent: Rück­be­sin­nung auf grü­ne Wer­te, schär­fe­res Pro­fil, kla­re­re lin­ke Poli­tik. Die einen füh­ren die Abwan­de­rung zur CDU (im Ver­gleich zur Bun­des­tags­wahl) als Grund an, die ande­ren die gro­ßen Ver­lus­te Rich­tung Nichtwähler*innen und Kleinst­par­tei­en. Die einen glau­ben, dass wir zum Bei­spiel beim The­ma Migra­ti­on nur gewin­nen kön­nen, wenn wir här­ter als die Uni­on auf­tre­ten, die ande­ren kämp­fen für den Erhalt des Asyl­rechts. Und so wei­ter und so weiter.

Auf der ande­ren Sei­te ste­hen die, die glau­ben, dass die Lage kom­pli­zier­ter ist. Die an dem Pro­jekt einer breit auf­ge­stell­ten Bünd­nis­par­tei fest­hal­ten wol­len. Die Prag­ma­tis­mus und Wer­te ver­bin­den möch­ten und wis­sen, dass das nicht immer leicht fällt. Und die wie alle ande­ren dar­an lei­den, dass die durch­aus vor­han­de­nen grü­nen Erfol­ge im Bund unter all dem Streit kaum zu sehen sind. 

Ver­mut­lich ist es zwi­schen den Zei­len schon deut­lich gewor­den: ich hal­te nichts von dem ver­meint­lich ein­fa­che­ren Weg, jetzt eine inhalt­lich homo­ge­ne Par­tei for­men zu wol­len. Nicht als Super­re­alo­pro­jekt, aber auch nicht als Selbst­ver­zwer­gung zu einer neu­en Klein­par­tei a la Volt oder Klimaliste. 

Und ich hal­te auch nichts davon, die Tat­sa­che, dass uns der Zeit­geist gera­de ins Gesicht weht, dazu zu nut­zen, die grü­ne Pro­gram­ma­tik über Bord zu wer­fen. Es gibt ja Grün­de dafür, war­um wir das in unse­re Wahl­pro­gram­me geschrie­ben haben, was da steht. Und nur weil es gera­de nie­mand wahr­ha­ben will, ändert das weder etwas an der Phy­sik des Kli­ma­wan­dels noch an den inter­na­tio­na­len Ver­wer­fun­gen und deren Folgen.

Inso­fern bin ich über­zeugt davon, dass unse­re Zie­le wei­ter die rich­ti­gen sind. Stellt sich also die Fra­ge, wie wir die­se umset­zen, mit wem dies gelin­gen kann, und wo – soviel Selbst­kri­tik muss dann auch sein – unter dem Deck­man­tel der Regie­rungs­fä­hig­keit pro­gram­ma­tisch neue Wege ein­ge­schla­gen wor­den sind, ohne die Par­tei mit­zu­neh­men. Das betrifft bei­spiels­wei­se die Frie­dens­po­li­tik. Ich fin­de unse­re kla­re Hal­tung hier rich­tig, auch wenn ich es ab und zu dann doch erstaun­lich fin­de, woher die­je­ni­gen kom­men, die die­se neue Hal­tung am lau­tes­ten ver­tre­ten. Aber weil Eile gebo­ten war – und viel­leicht auch, weil unschö­ne Debat­ten ver­mie­den wer­den soll­ten: so rich­tig in der Par­tei in ihrer Brei­te dis­ku­tiert wur­de hier nicht. Und es gibt wei­te­re The­men, bei denen es ähn­lich ist. Friss oder stirb funk­tio­niert in einem demo­kra­ti­schen Rah­men nur sehr begrenzt. Da sehe ich – nach innen – eine Leerstelle. 

Greenhouse XVIII

2025, in gut einem Jahr, fin­det eine Bun­des­tags­wahl statt. Der nächs­te Bun­des­par­tei­tag fin­det im Novem­ber statt. Ich ver­mu­te, dass dort das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm beschlos­sen wer­den wird. Ich neh­me noch nicht wahr, dass es für die Erstel­lung die­ses Pro­gramms – dass ja eini­ge der ange­ris­se­nen Fra­gen beant­wor­ten muss – bereits einen guten Pro­zess gibt. Viel­leicht bin ich da nicht mehr nah genug dran an BAGen und Bun­des­ge­schäfts­stel­le. Bis­her habe ich dies­be­züg­lich jeden­falls nichts wahr­ge­nom­men. Dabei ist so ein Pro­gramm­pro­zess immer auch eine Chan­ce, die eige­ne Posi­ti­on zu schär­fen, erreich­tes her­aus­zu­ar­bei­ten und deut­lich zu machen, in wel­che Rich­tung es gehen soll. Dis­ku­tie­ren wir als Par­tei noch?

Damit das rich­tig ver­stan­den wird: mir ist der Pro­zess wich­ti­ger als das Ergeb­nis. Ich glau­be, ein gro­ßer Teil von Stär­ke und Geschlos­sen­heit in den Jah­ren ab 2018 lässt sich dadurch erklä­ren, dass es immer wie­der For­ma­te, öffent­li­che Posi­tio­nie­run­gen und Debat­ten gab, in denen wir als Par­tei – teil­wei­se auch stell­ver­tre­tend für die Gesell­schaft – um Hal­tun­gen und Posi­tio­nen gerun­gen haben. Natür­lich ist dafür in Regie­rungs­be­tei­li­gung weni­ger Raum, natür­lich sind vie­le der Akteur*innen, die das damals auf die Bei­ne gestellt haben, jetzt im engen Kor­sett von Bun­des­mi­nis­te­ri­en und Regie­rungs­frak­ti­on gefan­gen. Trotz­dem: den Bedarf dafür gibt es, wenn wir nicht aus­trock­nen wollen.

(Das gilt erst recht für das jetzt hoch und run­ter dis­ku­tier­te The­ma der Jungwähler*innen, die plötz­lich genau so wäh­len wie ihre Eltern. Lasst uns reden und rin­gen und damit zei­gen, dass wir wei­ter­hin die Par­tei sind, die an ernst­haf­ten und tie­fer­ge­hen­den Ant­wor­ten inter­es­siert sind. Das macht uns nicht plötz­lich cool, aber bes­ser als Anbie­de­rung ist es allemal.)

Das wäre jeden­falls mei­ne Ant­wort auf die oben auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge des wie wei­ter. Nicht die Leu­te auf der einen Sei­te oder die Leu­te auf der ande­ren Sei­te ver­grau­len in der vagen Hoff­nung, son­dern den Anspruch ernst zu neh­men, die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen zu ver­han­deln und gemein­sa­me Hal­tun­gen zu fin­den. Und dass dann auch nach außen zu ver­mit­teln, jen­seits wohl­fei­ler Sprü­che und Paro­len (und natür­lich trotz­dem ger­ne in einer ver­ständ­li­chen Sprache). 

Der­wei­len freue ich mich dar­über, dass es uns hier vor Ort gelun­gen ist, im Kom­mu­nal­wahl­kampf neue Gemein­sam­kei­ten zu ent­de­cken und neu­en Schwung in den Orts­ver­band zu brin­gen. Das kann dann auch gefei­ert werden. 

2 Antworten auf „Metadualismus: Wie weiter mit den Grünen?“

  1. ich bin ehr­lich gesagt etwas erstaunt, dass du die Ursa­chen der Ver­lus­te wirk­lich in einem inhalt­li­chen Pro­blem der Grü­nen suchst und eben nicht in die­ser wil­den Pro­pa­gan­da, die da drau­ßen so unter­wegs ist. Wenn sich was seit 2019 geän­dert hat, dann ist es ja gera­de, dass die Grü­nen nach ihrem dama­li­gen Höhen­flug (mit Kanz­ler­op­ti­on!) so der­ma­ßen ins – ich sag mal nicht öffent­li­ches, son­dern kon­ser­va­ti­ves – Feu­er gera­ten sind. Das hat natür­lich was mit dem Pro­gramm zu tun, aber v.a. damit, dass die­ses Pro­gramm eben für gewis­se Krei­se sehr unge­müt­lich ist. Wir erin­nern uns an die Vor­gän­ge um Döpfner/Reichelt, wel­che sich als Chefs des ein­fluss­reichs­ten Medi­en­kon­zerns Deutsch­lands abge­spro­chen haben, um „die Grü­nen“ zu ver­hin­dern. Man sieht es auch am radi­ka­len Schwenk der CDU mit ihrer gewal­ti­gen Anti-Grü­nen-Rhe­to­rik zu jeder Gele­gen­heit, wel­che mitt­ler­wei­le weit weg ist von der Koali­ti­ons­op­ti­on Schwarz-Grün. Da steht Angst vor den Grü­nen als „neue Volks­par­tei“ hin­ter. Zur AfD braucht man gar nichts sagen, da sind die Grü­nen bekann­ter­wei­se auch an den ein­ge­wach­se­nen Zeh­nä­geln der Wäh­ler Schuld. Wir wis­sen auch, dass im Hin­ter­grund sehr rei­che Men­schen und Staa­ten über­haupt kein Inter­es­se an erneu­er­ba­ren Ener­gien und damit sin­ken­den Ölver­käu­fen haben und sehr viel Geld in ent­spre­chen­de Pro­pa­gan­da ste­cken. Die 58% erneu­er­ba­re Ener­gien im 1. Halb­jahr sind halt eben kein Erd­gas, das von Putin gekauft wird.

    Das sind aber Ele­men­te, die jetzt mal so über­haupt nichts mit dem Pro­gramm der Grü­nen zu tun haben. Es ist sogar total egal, was ihr im Bereich Migra­ti­on ent­schei­det, da die „Gegen­sei­te“ eh flei­ßig von „woker Umvol­kung“ und „grü­nem Migra­ti­ons­ter­ror“ faselt und das völ­lig fak­ten­frei. Lei­der ver­fängt so ein Quark bei eini­gen Wäh­lern und tra­gi­scher­wei­se macht sich das in den Wahl­er­geb­nis­sen auch bemerk­bar. Das wäre aber auch bei allen ande­ren Par­tei­en so – und die wirk­li­che inhalt­li­che Fra­ge soll­te sein, wie man die­sen gewal­ti­gen, anti­öko­lo­gi­schen, welt­zer­stö­ren­den Sturm an Pro­pa­gan­da kon­tern kann. Es ist ja jetzt wirk­lich nicht so, dass man etwa einen der pro­tes­tie­ren­den Land­wir­te wirk­lich errei­chen kann, nur wenn man jetzt ein leicht ande­res Pro­gramm hat.

  2. Dan­ke für den aus­führ­li­chen Kom­men­tar. Ich glau­be, das, was ich mei­ne, wider­spricht dem gar nicht so sehr. Ich will nicht des­we­gen einen Pro­gramm­pro­zess, weil ich ich der Mei­nung wäre, dass unser Pro­gramm falsch ist, son­dern stel­le mir die Fra­ge, wie wir ange­sichts der geschil­der­ten Umstän­de als Par­tei ers­tens wie­der in die Lage ver­setzt wer­den, aktiv The­men zu set­zen. Dazu gehört, über The­men zu strei­ten. Und für mich geht es da nicht pri­mär um Migra­ti­on. Ich glau­be, dass es uns Grü­nen z.B. gut anstün­de, mal das The­ma Kli­ma­geld hoch­zu­zie­hen, auch über eine Debat­te in der Par­tei. Oder die Fra­ge, wie eigent­lich ein Land aus­sieht, das für alle gut funk­tio­niert – und was es dafür z.B. im Blick auf eine funk­tio­nie­ren­de Infra­struk­tur braucht, Stich­wort: Abschaf­fung der Schul­den­brem­se im inves­ti­ven Bereich.

    Zwei­tens, das war der ursprüng­li­che Gedan­ke bei die­sem Block­bei­trag, neh­me ich wahr, dass es vor allem im Bereich Frie­dens­po­li­tik eine auf­grund der aktu­el­len Umstän­de rich­ti­ge, aber doch sehr weit­ge­hen­de Ver­än­de­rung der Posi­tio­nen mei­ner Par­tei gege­ben hat. Dazu gab es aber kaum einen nach­ho­len­den und damit auch Ver­ständ­nis schaf­fen­den Pro­zess, um Mit­glie­der und Wähler*innen mitzunehmen.

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