Schleswig-Holstein hat gewählt, und das Ergebnis ist irgendwie doch überraschend. Mit 43,4 Prozent schrappt Daniel Günthers CDU an der absoluten Mehrheit (ein Sitz fehlt!). Auf Platz zwei landen die schleswig-holsteinischen Grünen mit 18,3 Prozent und 14 Sitzen, ein Rekordergebnis auch das. Ganz vorne liegen Grüne bei den jüngsten Wähler*innen – übrigens in einem Land mit Wahlalter 16. Und erstmals in Schleswig-Holstein sind unter den Mandanten auch drei grüne Direktmandate (zweimal Kiel, einmal Lübeck) – herzlichen Glückwunsch!
Die SPD – vor einigen Wochen im Saarland noch glänzende Gewinnerin – verliert massiv und kommt auf 16,0 Prozent (12 Sitze), die FDP halbiert sich etwa (6,4 Prozent, 5 Sitze), und der SSW kommt auf 5,7 Prozent und vier Sitze. Erfreulich: die AfD verpasst den Wiedereinzug und zeigt, dass Rechtsextreme auch abgewählt werden können.
Die Koalitionsbildung wird jetzt interessant. Rechnerisch wäre eine Grüne-SPD-SSW-FDP-Koalition mit der bisherigen grünen Finanzministerin Monika Heinold an und einem Sitz Mehrheit möglich, politisch denkbar ist das wohl aber nicht. Bleiben die CDU-plus-x-Varianten. Laut ARD am beliebtesten wäre eine Fortsetzung von Jamaika – aber das haben, sofern nicht notwendig, Grüne wie FDP ausgeschlossen. Zugespitzt: Jamaika hat sich durch zu großen Zuspruch verunmöglicht. Die Variante CDU-SSW scheitert wohl inhaltlich, eben CDU-SPD. Bleiben CDU-FDP oder CDU-Grüne … oder eine CDU-Alleinregierung als skandinavische Minderheitsregierung.
Robert Habeck – dessen „Baby“ das grüne Aufblühen in Schleswig-Holstein immer noch ist, und dessen Beliebtheit wohl Zugkraft entwickelt hat, auch wenn die grünen Kompetenzwerte bei Klima und Umwelt sinken – Habeck also warb gestern Abend mit Feuer in jedes ihm hingehaltene Mikrofon für Schwarz-Grün, dass sei die Fortsetzung der lagerübergreifenden Erfolgsgeschichte, Schwarz-Gelb dagegen ein Rückfall in die 1980er. Inhaltlich bin ich da bei ihm, zuversichtlich, dass das am Ende das Ergebnis ist, bin ich nicht.
Nun bin ich kein Politikwissenschaftler, aber wenn ich das richtig verstehe, gibt es zwei Denkschulen dazu, welche Koalitionen wahrscheinlich sind. Die eine blickt auf inhaltliche Schnittmengen (Ergebnis wäre hier Schwarz-Gelb), die andere kommt mit Blick auf Machtaspekte, Ministerposten etc. unter allen inhaltlich nicht ausgeschlossenen auf die kleinstmögliche als wahrscheinlichste Koalition (und auch das wäre Schwarz-Gelb).
Dass am Ende doch Schwarz-Grün herauskommt, ist nicht unmöglich. Wenn es so sein sollte, wäre das aus grüner Sicht gut, sicherlich auch gut für das Land – und etwas wirklich Neues, weil es dann kein aus der Not geborenes Grün-Schwarz wäre, sondern ein trotz „besserer“ Alternativen gewähltes.
Bleibt die bundespolitische Brille. Daniel Günther hat gezeigt, dass eine CDU des 21. Jahrhunderts gewinnen kann. Er steht gewissermaßen für das Gegenteil der Merz-CDU aus den 1990ern. Jede Koalitionsentscheidung wird auch daraufhin gedeutet werden, wird, auch wenn es letztlich um die A20 oder das Wattenmeer geht, als Entscheidung für oder gegen den Kurs der Bundes-CDU gelesen werden.
Relevanter dafür, ob Friedrich Merz sich etablieren kann, oder ob die CDU nicht zur Ruhe kommt, dürfte allerdings die NRW-Wahl am nächsten Sonntag sein. Dort liegen CDU und SPD aktuell Kopf an Kopf, eine Abwahl des CDU-MPs Wüst ist denkbar. Und sollte es dazu kommen, dürften die ersten fragen, ob Merz der richtige Spitzenmann für die CDU ist. Sehen wir dann – und warten jetzt erst einmal darauf, wie sich das mit den Koalitionen an der Küste weiter entwickelt.
warum sollte günther mit den grünen statt der fdp ein bündnis eingehen? ich schätze dass die ihm persönlich lieber und ideologisch näher sind, aber in einer zweierkoalition wählt man ohne not dann doch lieber den kleineren partner. ausserdem dürfte es ihm helfen sich als potenziellen kanzlerkandidaten zu etablieren der aus allen bürgerliche richtungen zuspruch bekommt. die grünen müssten was machtansprüche anbelangt die fdp unterbieten
Genau deswegen verweise ich ja drauf, dass alle politikwiss. Theorien der Koalitionsbildung eher Richtung Schwarz-Gelb deuten. Damit Schwarz-Grün klappt, müsste entweder für die CDU damit direkt mehr erreichbar sein (inhaltlich, oder auch in Bezug auf die Art der Zusammenarbeit, oder in Bezug auf die Zahl der Ministerien), oder es muss übergeordnete Gründe dafür geben – beispielsweise Pläne Günthers, in den nächsten Jahren auf Bundesebene als Gegenpol zu Merz aufzutauchen und dafür ein bestimmtes Image aufzubauen.
In der Hinsicht spannender könnte NRW werden – wenn es für Schwarz-Gelb dort nicht reicht (gut möglich), und dann Schwarz-Grün, eine Ampel oder Schwarz-Rot eine Mehrheit hätten.
Für Schwarz-Grün spricht, dass sich Günther nur dann als Brückenbauer, der Lager überwindet, positionieren kann und damit tatsächlich als Alternative innerhalb der CDU. Und als einer, der eine – die einzige – realistische Machtoption für die CDU im Bund irgendwann realisieren kann. Wenn er (noch, wieder) bundespolitische Ambitionen hat, wird er für diese Variante kämpfen. Zumal die Grünen in den letzten fünf Jahren in der CDU in Schleswig-Holstein sich mehr Respekt erarbeitet haben als die FDP (ich bitte euch: Buchholz…).
Für Schwarz-Gelb spricht, dass es „einfacher“ ist und besser in einer klassische CDU-Erzählung passt. Und dass es einfacher sein wird, die FDP final zu marginalisieren. Dass die Grünen dann die führende, einzig gut organisierte und wahrnehmbare Opposition sein würden, kann die CDU aber auch schrecken. Denn genau das Fehlen einer Ernst zu nehmenden Opposition hat erst möglich gemacht, dass Günthers Regierung hier bei uns so beliebt ist.
Für uns Grüne ist Opposition fast besser: sich als die (einzige) Alternative zur Regierung positionieren zu können, eröffnet die realistische Chance, in fünf Jahren die Regierung zu führen. Aber für das Land wäre es halt scheiße. Was ein echtes Problem ist. ;)
Ich hielt es ja für eher unwahrscheinlich, aber jetzt stehen die Zeichen in SH wohl tatsächlich auf Schwarz-Grün – heute wurde der 260 Seiten umfassende Koalitionsvertrag vorgestellt, der noch von den Parteien abgesegnet werden muss. Grüne erhalten laut NDR drei Häuser: Finanzen, Umwelt, Sozial- und Gesellschaftspolitik.
P.S.: https://sh-gruene.de/wp-content/uploads/2022/06/Koalitionsvertrag-2022–2027_.pdf