Zum Kanzler*innenwechsel

Zur Ver­ab­schie­dung von Kanz­le­rin Mer­kel mit dem „Gro­ßen Zap­fen­streich“ – ursprüng­lich wohl schlicht der Hin­weis, den Sol­da­ten kein Bier mehr aus­zu­schen­ken, jetzt ein Ritu­al, das ohne die Mer­kel­sche Musik­aus­wahl, die durch­aus zu Fan­ta­sien anreg­te (wie wäre es, die­se Mili­tär­ka­pel­le eine läng­li­che Trance-Hym­ne oder das Syn­the­si­zer­stück Axel F. spie­len zu las­sen?), das ohne die­se Musik­aus­wahl also arg mili­tä­risch und aus der Zeit gefal­len gewirkt hät­te, und das ganz klar Wei­ter­ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten bie­tet, etwa in Rich­tung kom­ple­xer geo­me­tri­scher Figu­ren – zu die­ser Ver­ab­schie­dung geis­ter­te ein Dia­gramm durch die sozia­len Net­ze, das die Amts­zeit der Kanz­le­rin im Ver­gleich zu den Per­so­nal­wech­seln an der Spit­ze ande­rer euro­päi­scher Staa­ten zeig­te. Mer­kel ist hier ganz klar die Gewin­ne­rin. Von Öster­reich wol­len wir gar nicht reden.

Der Wech­sel der Kanz­le­rin mar­kiert also durch­aus einen län­ge­ren Ein­schnitt, inso­fern mag das mili­tä­ri­sche Zere­mo­ni­ell ange­mes­sen gewe­sen sein. Dass die Kanz­le­rin dem eher sto­isch als gerührt und viel­leicht sogar ein wenig ver­lo­ren bei­wohn­te, pass­te zu die­sen unprä­ten­tiö­sen sech­zehn Jah­ren. Aber immer­hin: „Fröh­lich­keit im Her­zen“, das bleibt, und die eine oder ande­re erfolg­reich gema­nag­te Kri­se. Gleich­zei­tig sehen wir mit Erstau­nen, wie luft­leer die Uni­on ohne Kanz­le­rin aus­sieht, und ahnen, dass das nicht gut ausgeht.

Wech­sel an der Spit­ze sind also bis­her eher eine Sel­ten­heit. Auch ich habe bewusst (Schmidt zählt nicht) bis­her erst Kanzler*innen erlebt: Hel­mut Kohl, pro­vin­zi­el­ler Patri­arch, an des­sen geis­tig-mora­li­sche Wen­de hin zum Mehl­tau eine poli­ti­sche Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on wie die in den 1990er Jah­ren ent­ste­hen­de Grü­ne Jugend sich wun­der­bar rei­ben konn­te – glei­ches gilt für die (neu­en sozia­len) Bewe­gun­gen, die zwar ihren Ursprung am Ende der Kanz­ler­schaft Hel­mut Schmidts nah­men, wenn ich das rich­tig weiß, aber in der Bun­des­re­pu­blik der 1980er erst so rich­tig zur Blü­te kamen, und glei­ches gilt wohl auch für die jun­ge grü­ne Par­tei. Kohl also, von dem die Ein­heit, der Sau­ma­gen, das Schwarz­geld und die Ver­stän­di­gung über den Rhein hin­weg in Erin­ne­rung bleiben.

Dann der als Erlö­sung gefei­er­te und umju­bel­te Wahl­sieg 1998. End­lich, end­lich wür­de alles bes­ser wer­den, wür­de umge­setzt, was lan­ge ver­bo­ten war. Doch Rot-Grün hat zwar das eine oder ande­re ange­sto­ßen, gesell­schafts- wie umwelt­po­li­tisch, stand aber unter kei­nem guten Stern. Die Wie­der­ent­de­ckung der Nati­on und der frem­de Osten, ver­bun­den mit den Ver­lo­ckun­gen einer neu­en, „neo­li­be­ral“ ein­ge­färb­ten Sozi­al­de­mo­kra­tie a la Blair, mit Bas­ta von oben durch­ge­setzt vom luxus­lie­ben­den Auf­stiegs­kanz­ler Ger­hard Schröder.

Der gro­ße pro­gres­si­ve Auf­bruch blieb aus. Aus dem rot-grü­nen Pro­jekt, für das 1998 so man­che Orts­ver­ei­ne und Orts­ver­bän­de noch Schul­ter an Schul­ter gekämpft hat­ten, wur­de gegen­sei­ti­ges Miss­trau­en; grü­ne Unzu­frie­den­heit mit der Kell­ner-Rol­le, der habi­tu­ell ange­pass­te Vize Josch­ka Fischer als heim­li­cher Par­tei­vor­sit­zen­der, zu vie­le Köche in der SPD-Sup­pen­kü­che, und am Ende „der Genos­se der Bos­se“, der eine Agen­da umset­ze, an der pro­gres­si­ve Kräf­te lan­ge litten.

Das bleibt vom Schrö­der in Erin­ne­rung. Und des­sen heu­ti­gen Wirt­schafts­ak­ti­vi­tä­ten samt Putin und Co. pas­sen ins Bild.

Vor­ge­zo­ge­ne Neu­wah­len, ein miss­glück­tes Manö­ver – und dann sech­zehn lan­ge Jah­re Mer­kel. Aus grü­ner Sicht: sech­zehn Jah­re Oppo­si­ti­on im Bund, sech­zehn Jah­re bes­se­re Regie­rung sein wol­len, sech­zehn Jah­re, in denen Impul­se nur über Ban­de gesetzt wer­den konn­ten und doch manch­mal etwas bewegten.

In die­ser Zeit hat sich, mehr gedul­det als aktiv gestal­tet, Deutsch­land mas­siv ver­än­dert. Vie­les davon durch äuße­re Kri­sen pro­vo­ziert – Wirt­schafts­kri­se, Fuku­shi­ma, Kli­ma­kri­se, Flücht­lings­kri­se, und jetzt die Pan­de­mie; man­ches, etwa die „Ehe für alle“, im End­ef­fekt vor­sich­ti­ge Moder­ni­sie­rung, um nicht all­zu sehr als reak­tio­nä­re Kraft anzu­ecken, son­dern schön in der Mit­te zu blei­ben. Gemäch­lich, ab und zu dann uner­war­tet schnell reagie­rend, um dann wei­ter zu sug­ge­rie­ren, dass im Kern alles bleibt, wie es immer schon war. Das ist, wie wir jetzt sehen, mehr Mer­kel als Uni­on. Zugleich ist die­ses Prin­zip in der Pan­de­mie an sei­ne Gren­zen gestoßen.

Wenn nicht eine der Par­tei­en – die grü­ne Urab­stim­mung läuft noch – noch einen Keil dazwi­schen rammt, dann also am 8.12. die Wahl des neu­en Kanz­lers Olaf Scholz, der vier­te, den ich bewusst erlebe.

Der Koali­ti­ons­ver­trag macht deut­lich, wie viel in der Ära Mer­kel lie­gen geblie­ben ist, wie viel zu tun ist, um bloß den sta­te of the art einer zeit­ge­mä­ßen libe­ra­len Gesell­schaft zu errei­chen, die sich ange­mes­sen um die Kli­ma­kri­se, die neue Geo­po­li­tik, und und und kümmert.

Aber die Ampel hat kei­nen Jubel her­vor­ge­ru­fen, bei kei­ner der Par­tei­en. Und viel­leicht ist das ganz gut so, mit Blick auf die 1998 geweck­ten Erwar­tun­gen, die nicht ein­ge­löst wur­den. Kein Pro­jekt, son­dern ein Zweck­bünd­nis für den Fortschritt.

Kei­nen Jubel hat auch der aus grü­ner Sicht arg ver­stol­per­te Start her­vor­ge­ru­fen. Es wur­de sehr deut­lich, was vor­be­rei­tet war und was nicht; dass eini­ges von dem neu­en Geist, den Robert Habeck und Anna­le­na Baer­bock eta­blier­ten hat­ten, doch sehr flüch­tig war. Als es dar­auf ankam, bei der Per­so­nal­aus­wahl, ende­te der Ver­such einer gemein­sam agie­ren­den, inte­grie­ren­den Par­tei. Ein Vize­kanz­ler Habeck, eine Außen­mi­nis­te­rin Baer­bock – mit die­ser Trans­for­ma­ti­on haben sich Spal­tun­gen auf­ge­tan und wur­den Wun­den auf­ge­ris­sen, die die im Janu­ar neu zu wäh­len­den Par­tei­vor­sit­zen­den umtrei­ben wer­den; hier geht es um ver­lo­re­nes Ver­trau­en – neben der Neu­erfin­dung als Regie­rungs­par­tei mit allem, was dazu gehört – und das ist nicht wenig.

Und, bei Lich­te betrach­tet, die­ses Gefühl der feh­len­den Vor­be­rei­tung bezieht sich nicht nur dar­auf, die Par­tei bei den Per­so­nal­ent­schei­dun­gen nicht mit­ge­nom­men zu haben, son­dern eigent­lich auf das gan­ze Wahl­jahr. Eine gut insze­nier­te, wenn auch ein­sa­me Kür der Kan­di­da­tin; dann ein Wahl­pro­gramm­pro­zess, der mit Über­for­de­rung ver­bun­den war, und ein Wahl­kampf, der nicht reflek­tier­te, jetzt in einer neu­en Lage zu sein. Ein Par­tei­ap­pa­rat, der sich ins Ziel schlepp­te – und über­rascht war, sich in Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wie­der­zu­fin­den, in denen immer wie­der die Inter­es­sen der SPD und der FDP näher bei­ein­an­der lagen und auch so durch­ge­setzt wur­den, allen Sel­fies zum Trotz.

Im Mit­tel­punkt ein enig­ma­ti­scher Olaf Scholz. Der zukünf­ti­ge Kanz­ler ver­steckt sich hin­ter einer ham­bur­gi­schen Mer­ke­li­mi­ta­ti­on, sagt in freund­li­chem Ton­fall wenig, und schaut demü­tig solan­ge zu, bis sei­ne Agen­da sich durch­ge­setzt hat. So jeden­falls mein bis­he­ri­ger Ein­druck – rich­tig schlau wer­de ich dar­aus nicht.

Ob die­ses ver­steck­te Füh­rungs­ver­ständ­nis aus­reicht, in einer aus­ein­an­der­stre­ben­den Koali­ti­on tat­säch­lich Auf­bruch, Respekt, Kli­ma­schutz und Fort­schritt umzu­set­zen, Grü­ne, SPD und FDP zusam­men­zu­hal­ten – wir wer­den sehen.

Es bedarf jeden­falls mehr als des nai­ven Wun­sches, das rich­ti­ge zu wol­len, um in die­ser Kon­stel­la­ti­on zu punk­ten. Das betrifft dann auch die grü­nen Akteur*innen in die­sem neu­en Spiel. Da gehört macht­po­li­ti­sche Klug­heit dazu; genau­so das Gespür dafür, dass Par­tei und Wähler*innen Erfol­ge sehen wol­len, aber eben auch kei­ne Mär­chen erzählt bekom­men möchten.

Noch ist die Bun­des­kanz­le­rin geschäfts­füh­rend im Amt, der neue Kanz­ler noch nicht gewählt. Statt Jubel ist das vor­herr­schen­de Gefühl Span­nung. Kohl wur­de 1998 nicht ver­misst, Schrö­der nach 2005 auch bald nicht mehr. Wenn es schlecht läuft, wird das bei Mer­kel anders sein.

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