Ich finde Wahlen wichtig, und ich verfolge nicht nur die baden-württembergischen und die bundesweiten Wahlen, sondern schaue gespannt auch auf die Wahlen in anderen Ländern. Mal mitfiebernd und begeistert, mal eher enttäuscht und entgeistert ob der Entscheidung der Wählenden. Wahlkampf ist dagegen eher ein notwendiges Übel – klar, es ist wichtig, die unterschiedlichen Personen und Positionen bekannt zu machen, einen öffentlichen Diskurs darüber zu entzünden, zu mobilisieren (oder, in Merkels Fall: auch mal zu demobilisieren). Aber Begeisterung lösen Wahlkämpfe bei mir nicht aus.
Dieser Wahlkampf geht jetzt in seine letzte Woche. Am Sonntag hatten FDP und GRÜNE noch einmal Parteitage. Stärker als zu anderen Zeiten sind diese Parteitage Inszenierung. Hier geht es nicht um innerparteiliche Meinungsbildung und auch nicht um interne Vernetzung – sondern schlicht darum, noch einmal Aufmerksamkeit zu bekommen, um auf den letzten Metern Botschaften in die Welt senden zu können. In die Welt draußen, um die letzten noch unentschlossenen Wähler*innen zu erreichen, und in die Welt drinnen, um Geschlossenheit herzustellen, den eigenen Leuten zu danken und diese für den Schlusssprint zu motivieren.
Nebenbei: was ich an meiner Partei mag, ist die Tatsache, dass wir auch im Gegenwind und im Regen solidarisch bleiben. Die Umfragewerte sahen schon mal besser aus, und die Angriffe auf die Person der Kanzlerkandidatin zu Beginn des Wahlkampfs haben die Wahrnehmung von Annalena Baerbock in der Öffentlichkeit nachhaltig beeinträchtigt. Klar gab es eigene Fehler. Aber es fällt doch auf, mit was für unterschiedlichen Maßstäben da teilweise gemessen wird. Und wie immer wieder die selben Geschichten erzählt wurden. Gegen diese vorher gefassten Urteile kommen ihre extrem starken, kompetenten und empathischen Auftritte in den Triellen und auf den Marktplätzen nur schwer an. Das ist ein Wahlkampf mit Gegenwind und Regenschauern. Und genau da finde ich es wichtig, dass wir als Partei Haltung bewahren, dass wir weiter kämpfen und alles dafür geben, zu überzeugen. Nicht als Parteisoldatentum, bei dem schön geredet wird, aber eben auch nicht – da blicke ich auf die Union – als Wegrücken vom eigenen Kandidaten. Und ich jedenfalls erlebe uns als eine Partei, in der Solidarität und Geschlossenheit gelebt werden.
Ich mag Wahlkämpfe nicht, vor allem da nicht, wo sie – notwendiges Übel – in Richtung Show und Werbung abdriften. In meiner naiven Idealvorstellung entscheiden Wählerinnen und Wähler danach, welche politischen Vorhaben und welche Personen sie überzeugen. Wahlkampf erscheint mir all zu oft als ein Versuch, das zu vernebeln. Nicht umsonst erinnern die Plakatwände an die falschen Hausfassaden einer Wildweststadt, die nach Ende des Filmdrehs zusammengeklappt und weggeräumt werden. Natürlich vermitteln Plakate und Auftritte ein Image. Natürlich geht es darum, eine Geschichte zu erzählen und zu hoffen, dass andere mitmachen und diese Geschichte ebenfalls erzählen. Und die Instrumente, die versuchen, Parteiprogramme runterzubrechen, wie etwa der Wahl-o-mat, sind dann schnell unterkomplex. Ganz so einfach ist es mit dem Fokus auf die Inhalte also auch nicht. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass ein kürzerer und fokussierterer Wahlkampf dieser Republik gut tun würde.
Die Legislaturperiode des Bundestags dauert vier Jahre, das sind 48 Monate. Koalitionsverhandlungen und die Bildung einer Regierung nehmen inzwischen gerne ein halbes Jahr ein, bleiben 42 Monate. Die Zeit, in der Politik in Wahlkampf kippt, ist je nach Partei unterschiedlich. Das Parteiprogramm wurde im Juni beschlossen – vier Monate vor der Wahl. Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatin fiel im April und der Programmentwurf wurde bereits im März vorgestellt, damit sind wir schon sieben Monate vor der Wahl. Schon davor wurde in den Parteigremien daran gearbeitet, und mit den ersten Überlegungen für Listenkandidaturen sowie dann den ersten Listenwahlen in den Ländern sind wir im Herbst und Winter 2020/2021. Netto bleiben vielleicht 34, 35, 36 Monate, alle übrigen Wahlen und Wahlkämpfe mal außen vor gelassen. So richtig viel Zeit ist das nicht.
Aber vielleicht ist diese Trennung ja auch eine künstliche. Vielleicht würde ein kürzer „echter“ Wahlkampf nur dazu führen, dass die eigentliche parlamentarische Arbeit stärker als jetzt schon zu einem Wahlkampf in Permanenz wird, immer darauf bedacht, viel zu versprechen.
Diese Wahl ist eine andere als frühere Wahlen. Es ist die erste Bundestagswahl, die aufgrund der Corona-Bedingungen und der Erfahrungen bei der Europawahl und bei den Landtagswahlen eine hohe Zahl an Briefwähler*innen mit sich bringen wird. Und es ist, darüber wurde viel geschrieben, eine Wahl, in der die Kanzlerin nicht antritt. Und es ist die erste Wahl, in der die Klimakrise richtig spürbar ist.
Dazu kommen die kontraintuitiven Elemente des Wahlrechts. Möglicherweise wird dieser Bundestag so groß wie nie zuvor, und möglicherweise führt das Zusammenspiel von Direktmandaten und Ausgleich- und Überhangsmandaten gerade bei einem schwächeren grünen Ergebnis zu einer (in absoluten Zahlen) extrem großen grünen Fraktion. Das dürfte die Kandidat*innen auf den hinteren Listenplätzen freuen – zur Arbeitsfähigkeit des Bundestags trägt es nicht bei, und für eine starke grüne Regierungsbeteiligung ist ebenfalls die relative Stärke wichtiger.
Ob unter diesen Bedingungen die alten Weisheiten noch gelten – dass Wählende sich erst kurz vor dem Wahltag entscheiden; all das, was die Politikwissenschaft über die Dynamik von Umfragen und Wahlergebnissen weiß – ist unklar. Ich jedenfalls bin extrem gespannt, was der nächste Sonntag für ein Ergebnis bringen wird, und was die Parteien dann daraus machen werden. Allem Hadern mit „falschen“ Wahlentscheidungen und allen Unzulänglichkeiten des Wahlsystems zum Trotz bin ich froh, in einem Land zu leben, in dem es eine echte Auswahl gibt, in dem Wahlen frei, gleich und geheim sind. Kämpfen wir jetzt mit Überzeugung und schauen dem Sonntag mit Gelassenheit entgegen.
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