Zeit des Virus, Update VI

Norddeich (post-apocalyptic wasteland with evil overlord, I guess)

Im Juni hat­te ich ja davon berich­tet, eine Feri­en­woh­nung an der Nord­see gebucht zu haben. So ganz wohl war mir nicht dabei, aber letzt­lich haben wir trotz Coro­na-Kri­se Urlaub am Meer gemacht. Kon­kret waren das lan­ge Bahn­fahr­ten in recht lee­ren Zügen, teil­wei­se in der ers­ten Klas­se, in der ich sonst nicht fah­re, die aber noch­mal etwas mehr Abstand und etwas weni­ger Leu­te bie­tet. Erfah­run­gen mit dem Mas­ken­tra­gen: ja, so eine Mas­ke nervt natür­lich, aber sie lässt sich auch für acht Stun­den Zug­fahrt tra­gen, und mei­ne sonst ger­ne mal rebel­li­schen Kin­der hat­ten auch kein Pro­blem damit, son­dern frag­ten höf­lich, ob es ok sei, die Mas­ke abzu­set­zen, um etwas zu essen oder zu trin­ken. Es gab aller­dings immer auch – eini­ge weni­ge – Mitfahrer*innen, die ihre Nase aus der Mas­ke raus­hän­gen lie­ßen. In eini­gen Zügen gab es Durch­sa­gen und auch deut­li­che direk­te Anspra­chen des Zug­per­so­nals, in ande­ren wirk­ten die Zugbegleiter*innen eher über­for­dert und erwähn­ten die Mas­ken­pflicht noch nicht ein­mal bei den Ansagen.

Wir sind mehr­fach von Nord­deich nach Nor­der­ney mit der Fäh­re gefah­ren – bei fri­scher Luft auf dem Deck, und trotz­dem deut­li­chen Hin­wei­sen am Ein­gang und per Laut­spre­cher auf Mas­ken­pflicht und Abstands­ge­bo­te. Eben­so schie­nen mir die Restau­rants einen recht rou­ti­nier­ten Umgang damit gefun­den zu haben – „sie wer­den plat­ziert“, Des­in­fek­ti­ons­mit­tel, Mas­ken­pflicht in den Gän­gen und vie­le Plät­ze im Frei­en. In den Sou­ve­nier­lä­den etc. war es eher Glücks­sa­che, ob die Verkäufer*innen Mas­ke tru­gen (oder sich durch Plexis­glas­schil­de geschützt fühl­ten, oder ob es keins von bei­den gab), und auch im Walo­se­um gab es zwar deut­li­che Hin­wei­se (nur eine Fami­lie pro Raum, Mas­ken­pflicht, …), aber kaum Kon­trol­len die­ser Vor­schrif­ten und vie­le Expo­na­te zum Anfas­sen. Hm. 

Rela­tiv vie­le Ange­bo­te waren geschlos­sen – bei­spiels­wei­se der Indoor-Kin­der­spiel­platz, den es in Nord­deich eigent­lich geben soll­te, diver­se Leucht­tür­me etc. oder im Muse­um das Cafe. Am Strand wur­de dar­um gebe­ten, Strand­kör­be nicht zu ver­schie­ben und Abstand zu hal­ten; Mas­ken wur­den hier aller­dings nur an den Kios­ken getra­gen, eine Auf­sicht, Erfas­sung der Besucher*innen oder Kon­trol­le der Per­so­nen­zahl gab es nicht. Aller­dings waren die Strän­de auch nicht über­füllt, so dass hier pro­blem­los Abstand zwi­schen ein­zel­nen Fami­li­en war.

Letzt­lich waren wir – von ein­zel­nen Zug­fahr­ten, Laden- und Muse­ums­be­su­chen abge­se­hen – fast die gan­ze Zeit ent­we­der in der Feri­en­woh­nung oder an der fri­schen Luft. Inso­fern hof­fe ich, dass mein Risi­ko­ein­druck mich nicht täuscht und das ins­ge­samt akzep­ta­bel war. 

Trotz­dem bli­cke ich mit Sor­ge auf die inzwi­schen wie­der schnell stei­gen­den Fall­zah­len und bin froh, wie­der zuhau­se zu sein. Das Gedächt­nis der Men­schen scheint kurz zu sein; der Weg hin zu einem effek­ti­ven Impf­schutz ist noch weit. Bis dahin schei­nen mir Mas­ket­ra­gen und Abstand­hal­ten sowie der Ver­zicht auf unnö­ti­ge Men­schen­an­samm­lun­gen wei­ter sinn­voll zu sein. Auch wenn es unge­recht ist, hal­te ich in die­sem Sin­ne auch die Tests bei Reiserückkehrer*innen aus Risi­ko­ge­bie­ten für eine sinn­vol­le Sache. 

In Baden-Würt­tem­berg sind noch bis Anfang Sep­tem­ber Schul­fe­ri­en. Danach kommt der Herbst, und (wie im Juni schon geschrie­ben) auch die Schu­le läuft dann wie­der an. Laut Kul­tus­mi­nis­te­ri­um soll der Fokus auf dem „Kern­cur­ri­cu­lum“ lie­gen, schul­spe­zi­fi­sche Ergän­zun­gen oder AGs wer­den als „kann weg­fal­len“ betrach­tet. Bis­her ist dafür ein weit­ge­hend „nor­ma­ler“ Prä­senz­be­trieb geplant. Nach jet­zi­gem Stand soll es eine Mas­ken­pflicht nur außer­halb des Unter­richts geben. Ob das so bleibt, bin ich skep­tisch – und ich hof­fe wei­ter­hin, dass unab­hän­gig von den Wei­sun­gen der Kul­tus­mi­nis­te­rin alle Schu­len sich inten­siv auf einen Plan B vor­be­rei­ten, bei dem grö­ße­re Teil des Schul­be­triebs im Distanz­un­ter­richt statt­fin­den wer­den. Selbst wenn wir im Sep­tem­ber nicht mit­ten in einer zwei­ten Wel­le mit Aus­gangs­be­schrän­kun­gen lie­gen, wird es ein­zel­ne Klas­sen und Schu­len geben, die auf­grund von Coro­na­fäl­len in Qua­ran­tä­ne gehen müs­sen, und es wird Kin­der geben, die auf­grund von Vor­er­kran­kun­gen oder aus Sor­ge der Eltern vom Prä­senz­un­ter­richt abge­mel­det sind. Auch die­se müs­sen erreicht wer­den. An vie­len Schu­len hat sich dafür in den letz­ten Wochen des letz­ten Schul­halb­jahrs eine gute Pra­xis ent­wi­ckelt. „Never chan­ge a run­ning sys­tem“ heißt auch, dann nicht mit­ten in der Pan­de­mie auf neue Soft­ware umzu­stei­gen, wie es Frau Eisen­mann wohl plant. Bil­dungs­po­li­tisch wird es jeden­falls zuneh­mend heiß im Land.

Und etwas wei­ter in die Zukunft geblickt, ste­hen dann Lan­des- und Bun­des­par­tei­ta­ge an. Aktu­ell sind sol­che Ver­an­stal­tun­gen mit Hygie­ne­kon­zep­ten und Abstands­ge­bo­ten mög­lich. Ob das im Spät­herbst immer noch der Fall sein wird, ist die eine Fra­ge – ob es sinn­voll ist, sich mit ein paar hun­dert Dele­gier­ten in einer Hal­le zu ver­sam­meln, um über Pro­gram­me und Per­so­nen zu befin­den, die ande­re. (Die Auf­stel­lungs­ver­samm­lun­gen zur Land­tags­wahl im Wahl­kreis Frei­burg lie­fen mit viel Abstand im Bier­gar­ten – das ist aber lei­der nicht auf einen gro­ßen Par­tei­tag im Novem­ber übertragbar …). 

Kurz: „… zu achten und zu schützen …“

Ein biss­chen mit­ge­fie­bert habe ich dann doch, heu­te mor­gen, als in einer Pres­se­kon­fe­renz der Ent­wurf für das grü­ne Grund­satz­pro­gramm vor­ge­stellt wur­de. Damit erreicht der seit Anfang 2018 lau­fen­de Pro­zess für die Erstel­lung eines neu­en grü­nen Grund­satz­pro­gramms sei­nen vor­letz­ten Schritt, mit vie­len Kon­ven­ten, Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tun­gen, einem brei­ten Betei­li­gungs­pro­zess im Netz, einem Impuls­pa­pier und einem „Zwi­schen­be­richt“. – Vor­letz­ter Schritt, weil jetzt – ganz final erst nach einer wei­te­ren Pha­se der Betei­li­gung im Netz – klar ist, über was auf dem Bun­des­par­tei­tag im Novem­ber die­sen Jah­res in Karl­ru­he abge­stimmt wer­den kann. Und mit­ge­fie­bert habe ich, weil ich an der Urfas­sung, dem Zwi­schen­be­richt, mit­wir­ken durfte.

Für eine Bewer­tung des Pro­gramms (58 Sei­ten, 383 num­me­rier­te Absät­ze) ist es noch zu früh. Was ich nach der Pres­se­kon­fe­renz und dem ers­ten Durch­blät­tern sagen kann, ist aber sehr posi­tiv. Mit gefällt der Wer­te­teil sehr gut, der aus einer anthro­po­zen­tri­schen Per­spek­ti­ve – der Mensch in sei­ner Frei­heit und Wür­de – unser öko­lo­gi­sches und eman­zi­pa­to­ri­sches Pro­gramm her­lei­tet. Natur- und Kli­ma­schutz nicht als Selbst­zweck, son­dern um Frei­hei­ten für alle heu­te und in Zukunft leben­den Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten zu erhal­ten. Das ist der rich­ti­ge Ansatz. Eben­so wich­tig fin­de ich, dass an der Ori­en­tie­rung an pla­ne­ta­ren Gren­zen als har­ten Leit­plan­ken für Poli­tik fest­ge­hal­ten wur­de, und dass zen­tra­le Pro­jek­te eines grü­nen Zukunfts­ent­wurfs sich im Pro­gramm wie­der­fin­den – etwa die Idee einer Föde­ra­len Repu­blik Euro­pa. Und nicht zuletzt gefällt mir, dass die­ses Pro­gramm Fort­schritt gegen­über offen ist, die Bedeu­tung von Wis­sen­schaft und Tech­nik wür­digt und dabei eine gute Balan­ce aus kri­ti­scher Beglei­tung und Frei­heit fin­det. Neu hin­zu­ge­kom­men ist auf­grund der Coro­na-Kri­se ein Fokus auf Resi­li­enz und Kri­sen­fes­tig­keit; auch das über den Tag hin­aus eine gute pro­gram­ma­ti­sche Ergänzung. 

Das als aller­ers­ter Blick in die­sen fri­schen und nach vor­ne wei­sen­den Pro­gramm­ent­wurf. Ich bin gespannt auf die wei­te­ren Dis­kus­sio­nen in der Par­tei – und dar­auf, wie die­ser Ent­wurf die Novem­ber-BDK übersteht.

Zeit des Virus, Update V

Was hat sich geän­dert seit mei­nem letz­ten Update Anfang Mai? Eini­ges ist gleich geblie­ben – ich arbei­te nach wie vor im Home-Office, und die Tage sind trotz allem nach wie vor gut gefüllt. Nach wie vor gilt beim Ein­kauf und im ÖPNV eine Mas­ken­pflicht, und drau­ßen ein Abstands­ge­bot, auch wenn sich nicht alle dar­an halten. 

Mehr oder weni­ger ver­schwun­den sind die Coro­na-Demos – mög­li­cher­wei­se auch des­we­gen, weil mit bis vor kur­zem schnell sin­ken­den Infek­ti­ons­zah­len recht gro­ße Locke­rungs­schrit­te umge­setzt wur­den. Es ist wie­der mög­lich, sich mit meh­re­ren Per­so­nen zu tref­fen, Sport­ein­rich­tun­gen und Schwimm­bä­der dür­fen unter bestimm­ten Umstän­den auf­ma­chen, die ers­ten Thea­ter- und Kino­vor­füh­run­gen mit stark redu­zier­ter Sitz­zahl fin­den statt, und es ist in Aus­sicht gestellt, dass auch grö­ße­re Ver­an­stal­tun­gen bald wie­der statt­fin­den kön­nen, solan­ge es sich dabei nicht um feucht-fröh­li­che Volks­fes­te han­delt. Ach ja, und die Schu­len – aber dazu gleich. 

Ins­ge­samt hat sich die Stim­mung ver­scho­ben. Das Virus wird längst nicht mehr so ernst genom­men. Auch wenn es nicht so gut gelun­gen ist wie in Neu­see­land, so scheint Deutsch­land doch über den Berg zu sein. Es gibt zwar nach wie vor kei­nen Impf­stoff, aber aktu­ell – das ist doch fast schon wie­der ein Zustand wie vor dem Aus­bruch der Pan­de­mie. Das scheint mir jeden­falls die in vie­len Köp­fen vor­herr­schen­de Mei­nung zu sein. Dass Mas­ken dann nicht mehr so gern getra­gen wer­den, dass auf das neu gelern­te regel­mä­ßi­ge Hän­de­wa­schen schnell mal ver­zich­tet wird … das ver­wun­dert dann auch nicht. Und selbst die­je­ni­gen, die mit einer zwei­ten Wel­le rech­nen, neh­men die Zeit jetzt als Pau­se zwi­schen den Aus­brü­chen wahr.

Ein biss­chen geht es mir auch so. Wobei vie­les unge­wiss ist. Ich habe jetzt für den August eine Feri­en­woh­nung an der Nord­see gebucht – mit dem etwas flau­en Gefühl, dass es eigent­lich völ­lig unklar ist, ob im August lan­ge Zug­fahr­ten und Urlau­be mög­lich sind, oder eher nicht. Also mit einem schlech­ten Gefühl. Gleich­zei­tig war jetzt schon vie­les ausgebucht.

Mehr oder weni­ger durch? Dann kam Tön­nies, dann kam Ber­lin-Neu­kölln, dann kam Göt­tin­gen – jeweils mit mehr oder weni­ger iso­lier­ten Aus­brü­chen, die aber doch zei­gen, wie schnell die Infek­ti­ons­zah­len wie­der hoch­ge­hen kön­nen. Was mich irri­tiert: eigent­lich müss­te zumin­dest im Fall Tön­nies längst die loka­le Lock­down-Rege­lung grei­fen. Die Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz hat­te dazu einen Wert von 50 Infek­tio­nen / sie­ben Tage fest­ge­legt – der ist deut­lich über­schrit­ten. Und auch wenn das Infek­ti­ons­ge­sche­hen alle mei­ne Urtei­le über Schlacht­hö­fe bestä­tigt, so wür­de es mich doch extrem wun­dern, wenn die hun­der­te infi­zier­ten Beschäf­tig­ten das Virus in der Schlacht­fa­brik gelas­sen hät­ten und nicht mit nach Hau­se, in Schu­len, Ver­ei­ne und Got­tes­diens­te mit­ge­nom­men und wei­ter ver­brei­tet hät­ten. (Ich wür­de ja fast dazu raten, ein­fach mal alle Schlacht­fa­bri­ken für zwei Wochen zu schlie­ßen – wohl wis­send, dass dahin­ter agrar­in­dus­tri­el­le Wert­schöp­fungs­ket­ten ste­cken, die bis zur „Tier­pro­duk­ti­on“ reichen …)

Deut­lich macht das jeden­falls: das Wie­der­auf­flam­men des Virus kann schnell gehen. Dann wird sich zei­gen, ob die Coro­na-Warn-App (und die Digi­ta­li­sie­rung der Daten­ein­ga­be in den Gesund­heits­äm­tern) hilft, Infek­ti­ons­ket­ten schnell zu iden­ti­fi­zie­ren und ein­zu­däm­men. Bis­her bleibt die App – über zehn Mil­lio­nen Mal her­un­ter­ge­la­den – wohl auch auf­grund gerin­ger Fall­zah­len grün, aber das muss nicht so blei­ben. Apro­pos: dass die­se App Open-Source ist, auf einem daten­schutz­freund­li­chen dezen­tra­len Pro­to­koll auf­setzt, und dass es inten­si­ve Mög­lich­kei­ten zu Feed­back in der Ent­wick­lun­gen gege­ben hat, ist doch ganz beacht­lich. Viel­leicht ein Vor­bild für wei­te­re Soft­ware­pro­jek­te der öffent­li­chen Hand.

Ach ja, die Schu­len. Die brin­gen mit einer Tei­l­öff­nung Bewe­gung in den Tages­ab­lauf. Die sechs Wochen bis zu den baden-würt­tem­ber­gi­schen Som­mer­fe­ri­en fin­den im rol­lie­ren­den Prä­senz­un­ter­richt statt, d.h., um Abstands­re­geln ein­zu­hal­ten, ist jeweils die Hälf­te der Kin­der eine Woche in der Schu­le, die ande­re eine Woche zu Hau­se; bei den „Prä­senz­kin­dern“ gibt es noch dazu Früh- und Spät­schich­ten. Effek­tiv sind es dann gera­de mal vier Unter­richts­stun­den pro Tag Anwe­sen­heit in der Schu­le; der Fokus liegt auf den Haupt­fä­chern. In der Fern­un­ter­richts­wo­che gibt es dage­gen Neben­fa­ch­un­ter­richt auf Mood­le (was inso­fern ein biss­chen scha­de ist, als gera­de Fächer wie Bio­lo­gie, Phy­sik und Che­mie vom expe­ri­men­tel­len Machen leben). Ob die­ses Hin und Her zwi­schen Prä­senz und Fern­un­ter­richt letzt­lich mehr bringt als der zuneh­mend inten­si­ver betreu­te Distanz­un­ter­richt per Mood­le, bleibt abzu­war­ten. Auf jeden Fall führt er dazu, dass wir wie­der frü­her auf­ste­hen müs­sen – mei­ne Kin­der haben den Unter­richts­be­ginn um 8.00 Uhr erwischt, mit ent­spre­chen­dem Vor­lauf. Hat jetzt, in die­sen lan­gen Som­mer­ta­gen, auch posi­ti­ve Sei­ten. Und ob die Tat­sa­che, dass das eine Kind in den A‑Wochen, und das ande­re in den B‑Wochen in die Schu­le geht, eher ein Vor- oder ein Nach­teil ist, ist mir eben­falls noch nicht ganz klar. (Nach­teil: jede Woche an den Kin­der­ta­gen früh auf­ste­hen, Vor­teil: das jeweils ande­re Kind hat dann zu Hau­se wäh­rend der ver­kürz­ten Schul­zeit sei­ne Ruhe …). 

Nach den Som­mer­fe­ri­en soll es dann, heißt es, mög­li­cher­wei­se wie­der vol­len Prä­senz­un­ter­richt ohne Abstands­ge­bo­te geben. Ich glau­be noch nicht ganz dar­an – und hof­fe, dass die Kul­tus­bü­ro­kra­tie und die Schu­len die Som­mer­fe­ri­en auch dazu nut­zen, einen Plan B auf­zu­stel­len, der sys­te­ma­tisch und päd­ago­gisch sinn­voll 50 bis 100 Pro­zent Distanz­ler­nen auf eine klu­ge Grund­la­ge stellt. Ja, auch wenn dann nicht kon­trol­liert wer­den kann, ob Schü­le­rin X oder Schü­ler Y wirk­lich jede Test­auf­ga­be selbst gemacht hat – das wird ernst­haft als Argu­ment für den Prä­senz­un­ter­richt ange­führt; als ob es bei Schu­le vor allem dar­um gin­ge, Lern­stoff zu kontrollieren. 

Mög­li­cher­wei­se wird es mit der Prä­senz bei Kitas und Grund­schu­len anders aus­se­hen – das ist jeden­falls eine Deu­tung der „Kin­der­stu­die“ der baden-würt­tem­ber­gi­schen Uni­ver­si­täts­kli­ni­ken. Die bezieht sich aber – unab­hän­gig von allen auf­grund der Situa­ti­on nicht anders mög­li­chen Ent­schei­dun­gen über das For­schungs­de­sign – nur auf Kin­der bis zehn Jah­re. Und Isra­el zeigt, dass eine Öff­nung der Schu­len durch­aus auch Pro­ble­me nach sich zieht. Inso­fern befürch­te ich, dass wir im Sep­tem­ber noch längst nicht wie­der beim stink­nor­ma­len Prä­senz­un­ter­richt lan­den wer­den – und hof­fe gleich­zei­tig, dass der not­ge­drun­ge­ne Digi­ta­li­sie­rungs­schub auch über „Coro­na“ hin­aus etwas an der Unter­richts­ge­stal­tung ändern wird.

Zeit des Virus, Update IV

May

Aus Lan­ge­wei­le bin ich heu­te ein­mal um das Rie­sel­feld, also den Stadt­teil Frei­burgs, in dem ich woh­ne, her­um spa­ziert. Was mir neu war: Das ist fast kom­plett jen­seits von Stra­ßen mög­lich; das, was ich bis­her als Stra­ßen­be­gleit­grün wahr­ge­nom­men habe, sind in Wirk­lich­keit auch am süd­öst­li­chen Rand des Stadt­teils klei­ne licht­durch­flu­te­te Wäld­chen mit viel Holun­der und Robi­nie, durch die sich sanf­te Wege schlängeln.

Anders gesagt: all­mäh­lich gehen mir die Spa­zier­we­ge aus. Das soll nicht hei­ßen, dass mei­ne Tage nicht gut gefüllt wären. Wenn die Kin­der da sind, ist es ein ziem­li­cher Kampf, Home-Office, Unter­stüt­zung der Kin­der und Din­ge wie Essen für alle Kochen unter einen Hut zu brin­gen. Wenn sie nicht da sind, ist der Tag mit Video­kon­fe­ren­zen, Mails und Tele­fo­na­ten (und am Ran­de noch ein biss­chen Par­tei­ar­beit) gut aus­ge­füllt. Über­haupt: dass jetzt auch Men­schen, bei denen ich das gar nicht erwar­tet hät­te – wie etwa unser Minis­ter­prä­si­dent – die Vor­tei­le von Video­kon­fe­ren­zen ent­de­cken, hin­ter­lässt bei mir eine gewis­se Hoff­nung, dass es auch in der Zeit nach Coro­na nicht mehr für jeden Zwei­stun­den­ter­min ein Deutsch­land­rei­se braucht. Oder, etwas loka­ler: vie­le Teilnehmer*innen des grü­nen Kreis­mit­glie­der­tref­fens im Flä­chen­land­kreis Breis­gau-Hoch­schwarz­wald stell­ten am Ende fest: geht so auch, und spart lan­ge Anfahr­ten aus dem Hoch­schwarz­wald oder dem Kai­ser­stuhl. (Und auch die Kin­der haben inzwi­schen ihre regel­mä­ßi­gen Video-Ter­mi­ne: die Pfad­fin­der machen eine Grup­pen­stun­de per Zoom, die Schu­le setzt auf Mood­le beim Lan­des­netz­werk bel­wue, dort ist Big­BlueBut­ton als Video­kon­fe­renz­sys­tem integriert.)

Also, die Tage sind gut gefüllt. Trotz­dem wird die Rou­ti­ne so ganz ohne Abwechs­lun­gen per Orts­wech­sel all­mäh­lich lang­wei­lig. Und ich mache mir Gedan­ken, ob ich mei­ne Bahn­card 100 ver­län­gern soll oder doch noch war­te. Denn auf abseh­ba­re Zeit sind wir, allen Locke­rungs­de­bat­ten zum Trotz, noch in einer vom Virus bestimm­ten Zeit, nicht in der Zeit des Danach. 

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Die große Schaltkonferenz

Bildschirme  mit Twitter und Stream des Parteitags, Micha Kellner und Gesine Agena sind zu sehen

Vor ziem­lich genau 20 Jah­ren fand der „Vir­tu­el­le Par­tei­tag“ der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen statt. Die­se Pio­nier­leis­tung habe ich damals in mei­ner Magis­ter­ar­beit (eine Zusam­men­fas­sung fin­det sich hier und – ganz knapp – hier) genau­er ange­schaut. Was macht einen Par­tei­tag aus? Neben der par­tei­en­gesetz­lich fest­ge­schrie­be­nen Auf­ga­be der inner­par­tei­li­chen Mei­nungs­bil­dung (und Wah­len und Abstim­mun­gen) gehört dazu nach innen auch etwas, was ich als „inner­par­tei­li­che Sozia­li­sa­ti­on“ beschrei­ben wür­de: das „Fami­li­en­tref­fen“, Kon­tak­te knüp­fen, Netz­wer­ke bil­den. Und nach außen ist ein Par­tei­tag immer auch media­les Event, eine Mög­lich­keit, The­men zu set­zen, in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung vor­zu­kom­men. Bei­des ver­knüpft sich, wenn Journalist*innen, die eine Par­tei beob­ach­ten, auf dem Par­tei­tag direkt mit Dele­gier­ten spre­chen und ein Gefühl für die Stim­mung in der Mit­glied­schaft ent­wi­ckeln. Für Redner*innen auf der Büh­ne ist die Par­tei­tags­hal­le Echo­raum – es wird schnell klar, wo der Bei­fall tost und was eher auf müde Gesich­ter stößt. Die Par­tei erfährt sich selbst.

Ein Par­tei­tag ist also eine viel­schich­ti­ge Ange­le­gen­heit. Einen sol­chen vor 20 Jah­ren ins Netz zu ver­le­gen, hieß damals in Baden-Würt­tem­berg: über meh­re­re Tage lang in ver­schie­de­nen Dis­kus­si­ons­fo­ren inhalt­lich argu­men­tie­ren, um dann zu fes­ten Zeit­punk­ten mit einem gesi­cher­ten Ver­fah­ren Abstim­mun­gen unter den Dele­gier­ten durch­zu­füh­ren und so am Schluss zu einer Posi­tio­nie­rung zu kom­men, damals zu Laden­öff­nungs­zei­ten. Als einer der ers­ten Geh­ver­su­che der Par­tei­en im Netz war der Vir­tu­el­le Par­tei­tag ein über­re­gio­na­les Medi­en­er­eig­nis. Die Mei­nungs­bil­dung erfolg­te schrift­lich, kein Platz für gro­ße Reden. Damit zumin­dest ein biss­chen vom Ken­nen­ler­nen der ande­ren Dele­gier­ten und Mit­glie­der übrig blieb, gab es eine „Kaf­fee­ecke“, ein nicht the­ma­tisch fest­ge­leg­tes Dis­kus­si­ons­fo­rum. Das alles, wie gesagt, über einen län­ge­ren Zeit­raum gestreckt, also eher asyn­chron, und defi­ni­tiv textbasiert. 

Ein paar Jah­re spä­ter lan­de­te der Vir­tu­el­le Par­tei­tag zwar in der baden-würt­tem­ber­gi­schen Sat­zung, ein paar ande­re Lan­des­ver­bän­de mach­ten ähn­li­ches, aber ins­ge­samt blieb es beim ein­ma­li­gen Ver­such. Die Dif­fe­renz zu dem, wozu Par­tei­ta­ge in einer Par­tei die­nen, war dann doch zu groß. Zudem gibt es recht­li­che Hür­den (Wah­len sind nur in Ver­samm­lun­gen mög­lich), gehei­me Abstim­mun­gen sind kaum sicher umzu­set­zen, die Kos­ten waren ähn­lich hoch wie für die Anmie­tung einer Hal­le, und die Idee, dass sich jetzt plötz­lich gro­ße Tei­le der Mit­glie­der­schaft betei­li­gen, erfüll­te sich auch nicht – ein gro­ßer Anteil der Bei­trä­ge kam von weni­gen „Power­usern“. Über das Geschlech­ter­ver­hält­nis will ich jetzt gar nicht reden.

Kurz­um: bis vor kur­zen hät­te ich gesagt, dass es sich nicht lohnt, das For­mat Par­tei­tag im Netz nachzubauen. 

„Die gro­ße Schalt­kon­fe­renz“ weiterlesen