Und gleich geht’s weiter.
Brandung (16)
„Trinken Sie einen Kaffee mit mir?“ – Martha war Dr. Maymoth zwei Treppen hinauf gefolgt, bis diese angehalten hatte. Sie standen jetzt in einer kleinen Cafeteria mit einem Selbstbedienungsautomaten. „Wir müssen uns unterhalten, meine Liebe. Kommen Sie mit heraus.“
Auf der an diesem Sonntag menschenleeren Dachterrasse der Cafeteria war es angenehm warm. Der Blick weit hinaus über das Mittelmeer erinnerte Martha an den Blick aus den oberen Stockwerken des Water Tower. Auch hier drehten sich im Glitzern der Wellen Windräder. Auch hier herrschte ein reger Schiffsverkehr. Nicht zuletzt war es Wasser, das per Schiff in die neuen EU-Staaten gebracht wurde – in riesigen Containerschiffen und von den Eisbergschleppern.
Martha nahm ihren ganzen Mut zusammen und hielt sich an ihrem Kaffeebecher fest. „Was sie da tun, ist unverantwortlich. Ich wollte das schon die ganze Zeit sagen. Meerwasserentsalzung, meinetwegen. Aber konzerneigene Nano, um jeden Tropfen Wasser zu kontrollieren. Das geht zu weit. Vielleicht hilft es Global Water. Aber der Profit unserer Firma kann doch nicht über allem stehen! Ich jedenfalls kann da nicht mitmachen!“
Endlich war es gesagt. Dr. Maymoth hatte ihrem Ausbruch ohne eine Regung zugehört. Sie zog eine hässlich graue, mit Warnhinweisen bedruckte Pappschachtel aus ihrer Handtasche und entzündete eine Zigarette. Martha betrachtete sie mit Abscheu.
„Entschuldigen Sie, meine Liebe, normalerweise rauche ich auch nicht. Aber es gibt Gelegenheiten, wo es notwendig ist. Glauben Sie nicht, dass mir ihre Bedenken fremd wären. Mir ist durchaus aufgefallen, dass sie das Projekt Nano kritisch betrachten. Was glauben Sie, warum ich Sie mit hierher genommen habe? Auch ich mache mir meine Gedanken. In der Abwägung komme ich zu einem anderen Schluss als sie. Aber darum geht es hier nicht.“
Dr. Maymoth machte eine Pause, zog an ihrer Zigarette, spukte den Rauch aus. Sie sah Martha an, blickte aufs Meer hinaus, blickte wieder Martha an. „Das Projekt Nano wird scheitern, muss scheitern. Und ich brauche sie, damit es scheitert.“
Martha verstand die Welt nicht mehr. „Aber gerade eben haben sie mir doch noch widersprochen? Sind sie jetzt für oder gegen das Projekt?“
Wieder rauchte Dr. Maymoth einen Zug, bevor sie antwortete. „Die Projektziele finde ich überzeugend. Wissenschaftlich ist die Idee, die Kontrolle direkt in das Medium hinein zu verlagern, faszinierend. Aber es gibt ein drittes Projektziel, das der liebe Dr. Bayram nicht kennt.“
„Deswegen bin ich heute hier.“
Dr. Maymoth schloss die Augen, atmete tief durch, öffnete sie wieder. „Ich weiß nicht, wie weit ich Ihnen vertrauen kann. Aber was bleibt mir anderes übrig. Ich rede nicht gerne darüber, aber meine Karriere steht auf tönernen Füßen. Es gibt da … aber die Details müssen sie nicht interessieren.“
„Sagen wir nur soviel. Ich bin erpressbar. Und … ich habe ihnen gestern Abend von meinem kleinen Bruder erzählt, ja?“
Martha nickte.
„Sagt ihnen Team Red etwas?“
Martha schluckte. Puzzlestücke klickten ineinander. Der rote Porsche. Die Szene an der Haustür. „Eine kriminelle Bande. Manche würden auch sagen, eine Terrorgruppe“, sagte sie vorsichtig.
„Das trifft es wohl. Nach den Riots ist mein kleiner Bruder in diese Szene geraten. Inzwischen ist er einer der Anführer des Team Red. Nicht, dass ich persönlich mit ihm noch irgendetwas zu tun hätte – aber es gibt Mittelsleute. Die mich … alle paar Wochen daran erinnern, wie fragil all das“ – Dr. Maymoths Arme zogen einen Kreis – „wie fragil all das ist.“
„Ich bin erpressbar, und Global Water ist es auch.“
„Das ist … tragisch.“ – Martha fragte sich, wie sie sich verhalten sollte. „Aber mir ist noch nicht so ganz klar, was das mit dem Projekt Nano und mit mir zu tun hat. Sie sagten etwas von einem dritten Projektziel?“
„Ich kenne es selbst nicht genau. Aber stellen sie sich vor, was eine Organisation mit der kriminellen Energie des Team Red mit einem Mechanismus anfangen kann, der auf ein scheinbar harmloses Signal hin großflächig Stoffe im Trinkwasser freisetzt.“
Martha fielen ihre pessimistischen Szenarien von vorher wieder ein. In der Tat konnte sie sich vorstellen, dass der Zellkörper, den Dr. Bayrams Team entwickelte, mit entsprechenden Ergänzungen zu ganz anderen Dingen genutzt werden konnte. Und sei es, um eine Firma wie Global Water dazu zu zwingen, regelmäßig Geld auf das Konto des Team Red zu überweisen – oder es macht „peng“.
Das Meer, die Sommerhitze und die Dachterrasse muteten wie Urlaub an. Martha hingegen fröstelte.
Dr. Maymoth drückte ihre Zigarette aus. „Das Team Red zwingt mich dazu, Bauteile für die Zellkörper auszutauschen.“
Sie holte den silbrig glänzenden Zylinder aus ihrer Tasche. Martha erinnerte sich an die Szene vor Dr. Maymoths Haustüre. Dr. Maymoth fuhr fort: „Ich habe einmal probiert, mich zu widersetzen und habe einen solchen Zylinder in den Sondermüll geworfen. Das wurde sofort registriert. Die Folgen waren … nicht angenehm.“
„Seitdem halte ich mich an die Anweisungen. Ich weiß nicht, was hier drinne ist. Ich weiß nur, dass es aus Projekt Nano ein Werkzeug des Team Red machen wird. Deswegen brauche ich Sie.“
„Offiziell werden Sie als Liaison zwischen der Wasserbauplanung und dem Projekt Nano fungieren. Mit Bonuszahlung und so weiter. Inoffiziell haben Sie den Auftrag, dafür zu sorgen, dass das Projekt Nano eingestellt wird, bevor der Feldtest beginnt. Dafür ist mir jedes Mittel recht.“
Dr. Maymoth zog eine weitere Zigarette aus der hässlichen Packung. Sie zog daran, stieß den Rauch aus und blickte dann Martha flehend an. „Ich brauche Sie. Sind Sie dabei?“
(to be continued)
Wollte mal weiterlesen, aber bei 16 ist wohl erstmal Pause? Sie sei Dir auf jeden Fall gegönnt :-)
Gute Idee mit den 3 Stichworten, ist bislang auch eine spannende Story geworden, Danke dafür!
Hi, ist mir in der Tat etwas peinlich, dass nach Teil 16 erstmal Pause war und wohl noch ein paar Tage sein wird – ich schieb’s mal auf meinen neuen Job und diverse private Umstände. Danke für das Lob – es wird auf jeden Fall weiter gehen. (Kann die Story ja nicht einfach so in der Luft hängen lassen …)
So lange die Ideen da sind, ist es gut. Mir selbst ist der Kopf leider zu voll und leer genug für neue Ideen zu sein (gleichwohl da etwas seit Jahren in mir reift).
Freue mich schon auf den nächsten Teil und komme nicht umhin, „Brandung“ dereinst als Buch auf Papier lesen zu wollen, vielleicht mit einem schlichten, blauen Leineneinband.
Nimm es mir nicht übel, aber ich habe da schon eine Idee, wie es aussehen könnte (damit ist mein Kopf nämlich voll, das Leiden der Mediengestalter).
Viel Freude und Fortkommen mit der „Brandung“ und danke für das Lesevergnügen.