Prima Material für eine Fallstudie zu Blogs (Update 2)

Boing Boing owns their blog, but not their repu­ta­ti­on – that’s got to be ear­ned. (Quel­le)

Also, per­haps „per­ma­link“ should be ren­a­med. (Quel­le)

Logo BoingBoingIch mache mir jetzt nicht die Mühe, alle Fund­stel­len her­aus­zu­su­chen: seit ein paar Tagen gibt es Gerüch­te dar­um, dass das Blog „Boing­Bo­ing“ (so unge­fähr das dritt­größ­te über­haupt) alle auf die Blog­ge­rin „Vio­let Blue“ ver­wei­sen­den Ein­trä­ge gelöscht hat. Das ist ers­tens des­we­gen ein The­ma, weil Blogs von „Per­ma­links“ leben (also für Ver­wei­se auf Blog­ein­trä­ge einen dau­er­haf­ten Link zur Ver­fü­gung stel­len); die Per­ma­links zu allen Ein­trä­gen, in denen Vio­let Blue erwähnt wird, funk­tio­nie­ren nicht mehr, wenn die Ein­trä­ge gelöscht bzw. „unpu­blished“ (aus der Ver­öf­fent­li­chung gezo­gen) wer­den. Zwei­tens ist es gute Pra­xis in Blogs, frü­he­re Feh­ler durch Ergän­zun­gen etc. zu ver­deut­li­chen, statt still­schwei­gend zu edi­tie­ren, und drit­tens hat gera­de Boing­Bo­ing den Ruf, für freie Rede, Trans­pa­renz, netz­kul­tu­rel­le Wer­te und gegen Zen­sur zu kämp­fen. Eine explo­si­ve Gemenge­la­ge also (und Herz­schmerz ist auch dabei).

Inzwi­schen gibt es ein State­ment von Boing­Bo­ing, in dem kurz gesagt steht: ja, wir haben alle Ein­trä­ge gelöscht, in denen auf Vio­let Blue Bezug genom­men wird, und nein, wir sagen nicht war­um. Erin­nert mich ein biß­chen an die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­li­tik im Fall Flickr.

Inter­es­sant dar­an ist nun letzt­lich gar nicht so sehr der kon­kre­te Fall, son­dern viel­mehr das, was dazu an Dis­kus­si­on statt­fin­det. Allein schon die – in kür­zes­ter Zeit meh­re­re hun­dert – Kom­men­ta­re zum oben genann­ten State­ment bei Boing­Bo­ing selbst sind sehr lesens­wert, in wei­te­ren Blogs gibt’s wei­te­re Debat­ten. Bei Boing­Bo­ing fin­det die eine Hälf­te es völ­lig unmög­lich, weil Boing­Bo­ing damit sei­ne Repu­ta­ti­on ver­spielt und das fra­gi­le Netz­werk der Ver­lin­kun­gen im Inter­net gefähr­det, die ande­re Hälf­te fin­det es völ­lig okay, weil es halt ein pri­va­tes Blog ist, und die Betrei­be­rIn­nen tun und machen kön­nen, was sie wol­len. Ein biß­chen Fan­boy­tum ist sicher auch dabei.

War­um ist das gan­ze nun Mate­ri­al für eine Fall­stu­die zu Blogs? Weil z.B. hier sehr schön deut­lich wird, wie aus einem sub­kul­tu­rel­len Blog mit (emo­tio­nal gebun­de­ner und auf Sozi­al­ver­trau­en auf­bau­en­der) Gemein­schaft eine mas­sen­me­dia­le Kör­per­schaft mit for­ma­tier­ter Öffent­lich­keit und regel­ge­lei­te­tem Sys­tem­ver­trau­en wird. In die­sem Insti­tu­tio­na­li­sie­rungs­pro­zess kommt es zu Wahr­neh­mungs­ver­schie­bun­gen und ver­än­der­ten Rah­mun­gen bis­her akzep­tier­ter oder nicht akzep­tier­ter Prak­ti­ken. Was Repu­ta­ti­on aus­macht, wan­delt sich eben­falls. Kurz gesagt: hier lässt sich die gesell­schaft­li­che Gene­se repro­du­zier­ba­rer Erwar­tun­gen an das Ver­hal­ten von „Blogs“ und die Kon­flikt­haf­tig­keit der damit ver­bun­de­nen unter­schied­li­chen impli­zi­ten Stan­dards beob­ach­ten – und die Fra­ge stel­len, ob Effek­te wie die­ser auto­ma­tisch mit Wachs­tum und Kapi­ta­li­sie­rung von Web 2.0‑Angeboten zustan­de kom­men, oder ob es Mög­lich­kei­ten gibt, die „net­te Inter­net­com­mu­ni­ty von neben­an“ auch auf ein paar Mil­lio­nen Sei­ten­ab­ru­fe pro Tag zu skalieren.

War­um blog­ge ich das? Weil’s ein span­nen­des Real­ex­pe­ri­ment ist.

Update: (7.7.2008) Nach­dem der Kom­men­t­ar­th­read bei Boing­Bo­ing inzwi­schen auf über 1500 Kom­men­ta­re ange­wach­sen ist (und von gegen­sei­ti­gen Beschimp­fun­gen zurück zu einem zivi­li­sier­ten Dis­kurs gefun­den hat), erscheint es mir als pas­send, fol­gen­de simp­le Erklä­rung für die star­ke Dyna­mik inter­net­ba­sier­ter Dis­kus­sio­nen in die­sen Arti­kel einzufügen:


Duty Calls, xkcd (CC-BY-NC)

Update 2: (23.7.2008) Inzwi­schen gibt es die Les­sons Lear­ned – mit wei­te­ren 500 Kom­men­ta­ren. Und ein inter­es­san­tes Essay zu den Kon­se­quen­zen für’s Blog­ging gibt’s (anders­wo) auch.

3 Antworten auf „Prima Material für eine Fallstudie zu Blogs (Update 2)“

  1. Lass mich mal den Advo­ca­tus Dia­bo­li machen.

    a) Wenn ich eine Repu­ta­ti­on ‚erwor­ben‘ habe, muss es an sich auch mög­lichst ein sie ein­zu­lö­sen. heißt: „Leu­te, ich mache X, ich hab mei­ne Grün­de dafür. Ver­traut ihr mir?“
    Wenn nicht – dann halt nicht. (Ein Ver­trau­en, das auf abso­lu­ter Kontrolle/Offenheit beruht, ist kei­nes.) Ein Blog ist auch des­we­gen ein Blog und kein ‚jour­na­lis­ti­sches‘ News­an­ge­bot (Rele­vanz, bla), weil sei­ne Mache­rIn­nen eben SELBST entscheiden.

    b) Kann es durch­aus juris­ti­sche Kon­stel­la­tio­nen geben, die Reak­tio­nen wie die obi­ge not­wen­dig machen und einen an einer Erklä­rung hin­dern. Da schläft man dann ohne­hin schon schlecht genug. Da hel­fen dann wahrschjei8nlich utma­ßun­gen von drit­ter Sei­te nicht ARG wei­ter. -> sie­he a)

    ((
    Ich hat­te schon Anru­fe von ner Anwalts­kanz­lei, die den Ver­merk, ein Text sei weg­ab­ge­mahnt wor­den AUCH weg­ha­ben woll­te, obwohl kei­ne Per­so­nen genannt wor­den waren. Woll­te ich da Zoff ris­kie­ren, nach­dem ein ver­ein, dem ich vor­ste­he, schon 400 (statt 800) EUR gezahlt hat­te? Neee.
    ))

  2. Inzwi­schen ist die Dis­kus­si­on bei Boing­Bo­ing selbst schon etwas wei­ter (1500 Kom­men­tar­ein­trä­ge). Dabei las­sen sich – auch ein biß­chen als Ant­wort auf die dia­bo­li­schen Ein­wür­fe ;-) – drei Punk­te festhalten:

    1. Hin­ter­grund des gan­zen scheint wohl „fan­ge eine Bezie­hung an, um mei­nen Page­rank zu erhö­hen“ plus ent­spre­chen­der, sehr ver­ständ­li­cher per­sön­li­cher Ver­letzt­heit zu sein, wenn ich das zwi­schen den Zei­len zu lesen­de rich­tig inter­pre­tie­re. Ob da auch noch juris­ti­sche Aspek­te dran­hän­gen, ist bis­her unklar.

    2. Das unter a. genann­te ist genau der Grund, war­um vie­le so empört reagiert haben: nicht abso­lu­te Kontrolle/Offenheit, son­dern ein Gefühl ent­täusch­ten Vertrauens.

    3. Letzt­lich hat sich aus dem kon­kre­ten Fall und einem ziem­lich erbit­ter­ten und feu­ri­gen Hin- und Her in den letz­ten paar hun­dert Kom­men­ta­ren sehr viel sinn­vol­les über „muss es eine Blog­ethik geben, an die Blogs sich dann auch hal­ten“ – „was ist per­sön­lich, was ist öffent­lich, was ist mit inter­net cele­bri­ties“ usw. usf. ergeben.

    Schließ­lich, ceter­um cen­so, die Fest­stel­lung, dass „unpu­blish“ viel­leicht tech­nisch kor­rekt ist, aber nichts­des­to­trotz nach Orwell schmeckt.

  3. Pingback: Oliver Gassner

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