Der taz zufolge sitzt der Berliner Stadtsoziologie Andrej H. wohl deswegen in Untersuchungshaft, weil sowohl in Bekennerschreiben der „militanten gruppe“ wie auch in seinen Arbeiten soziologische Fachbegriffe wie „Prekarisierung“ und „Gentrification“ aufgetaucht sind. Wenn’s nicht so ernsthaft wäre, würde das genretechnisch glatt als Farce durchgehen.
Das Ermittlungsverfahren, das vor drei Wochen zur Festnahme des Berliner Stadtsoziologen Andrej H. geführt hat, geht offenbar auf eine Internetrecherche des Bundeskriminalamts mit Hilfe des Suchportals Google zurück. Dies erklärte gestern in Berlin H.s Anwältin Christina Clemm, die erstmals Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen konnte.
Clemm zufolge haben die Fahnder des BKA im Internet nach bestimmten Stichworten gesucht, die auch die „militante gruppe“ in ihren Bekennerschreiben benutzt. Darunter seien Begriffe wie „Gentrification“ oder „Prekarisierung“. Da H. zu diesen Themen forsche, seien die Fahnder auf ihn aufmerksam geworden. „Das reichte für die Ermittlungsbehörden für eine fast einjährige Observation, für Videoüberwachung der Hauseingänge und Lauschangriff“, so Clemm.
Der offene Brief gegen dieses Vorgehen wurde übrigens laut taz inzwischen von über 2000 Leuten (aktuell: 2600) unterzeichnet; eine Einordnung des ganzen von Saskia Sassen und Richard Sennett findet sich auf der taz-Meinungsseite. Zu den Unterschriften kommen noch über 1300 UnterzeichnerInnen des internationalen Briefs hinzu (via).
Bleibt also nur zu hoffen, dass die Justiz sich als lernfähig erweist, statt sich am Terrorbekämpfungsvorbild USA (falscher Name = Terrorist, falsche Getränke = Terroristin, …) zu orientieren.
Warum blogge ich das? Als Update hierzu und dazu, und weil ich es weiterhin unmöglich finde; im schlimmsten Fall ist das hier der Anfang einer Kriminalisierung kritischer Sozialforschung!
Update: Zumindest Andrej H. wurde jetzt vorerst – gegen Kaution – aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Bundesanwaltschaft hat mitgeteilt, dass sie dagegen Beschwerde erheben wird.
Update 2: Der Vollständigkeit halber, und weil das Thema aktuell bleibt, noch der Hinweis auf einen weiteren offenen Brief aus Richtung Rosa-Luxemburg-Stiftung / Gewerkschaften.
Update 3: (03.09.2007) Hinweis auf ein Interview mit Andrej Holms Anwältin zur aktuellen Lage.
Laut „LEO“ (Englisch-Deutsch Wörterbuch der Technischen Uni München; dict.leo.org) bedeutet Gentrification:
die Gentrifizierung – Prozess, bei dem in einem Wohngebiet eine statusniedrige Bevölkerung durch eine statushöhere Bevölkerung ausgetauscht wird. Mhh..und bei google militante Gruppe? Seltsam oder?
gruß mb