XXL? XXS? Oder doch ein ganz normal großer Landtag?

In die­ser Legis­la­tur­pe­ri­ode wur­de das Wahl­recht in Baden-Würt­tem­berg geän­dert – vom bis­he­ri­gen Ein­stim­men­wahl­recht mit Zweit­aus­zäh­lung zu einem Zwei­stim­men­wahl­recht. Dabei wur­de – anders als im aktu­el­len Bun­des­tags­wahl­recht – auf eine Kap­pung der Aus­gleichs­man­da­te oder eine Nicht­be­set­zung von Direkt­man­da­ten ver­zich­tet. Kon­kret sieht das Wahl­recht in Baden-Würt­tem­berg nun so aus:

  • Es gibt 70 Wahl­krei­se, in denen jeweils ein Direkt­man­dat ver­ge­ben wird.
  • Der Land­tag hat eine Soll­grö­ße von 120 Mandaten.
  • Die Anzahl der Man­da­te je Landesliste/Partei wird nach dem Höchst­zahl­ver­fah­ren Sain­te-Laguë/­Sche­pers ermit­telt, d.h. die erreich­ten Stim­men­zah­len wer­den für jede Lis­te der Rei­he nach durch 1, 3, 5, … geteilt und das Man­dat jeweils der aktu­el­len Höchst­zahl zuge­wie­sen, bis alle Man­da­te ver­ge­ben sind.
  • Wenn eine Par­tei mehr Direkt­man­da­te erringt, als ihr dem­nach zuste­hen, wird die Land­tags­grö­ße so lan­ge ver­grö­ßert, bis alle Man­da­te aus­ge­gli­chen sind.
  • Par­tei­en, die weni­ger als 5 % errei­chen, wer­den bei der lan­des­wei­ten Man­dats­ver­ga­be nicht berück­sich­tigt; evtl. errun­ge­ne Direkt­man­da­te wer­den von der Soll-Zahl abgezogen.
  • Wenn bei der Ver­tei­lung von Aus­gleichs­man­da­ten die Höchst­zah­len meh­re­rer Lis­ten beim letz­ten Sitz gleich sind, erhal­ten alle einen Sitz.

Die­ses Ver­fah­ren lässt sich natür­lich auch in einen Algo­rith­mus packen. Was ich getan habe – weil die FDP seit Ver­ab­schie­dung des Wahl­rechts durch die Gegend zieht und behaup­tet, dass der nächs­te Land­tag alle Dimen­sio­nen spren­gen wird und 200, ja 220 Man­da­te erhal­ten wird (Soll­zahl wie geschrie­ben: 120). 

Was stimmt: je nach­dem, wie vie­le Lis­ten ein­zie­hen und wie sich Direkt­man­da­te auf Lis­ten ver­tei­len (genau­er: je grö­ßer die Dis­kre­panz zwi­schen Zweit­stim­men und Direkt­man­da­ten ist), kann ein sehr gro­ßer Land­tag her­aus­kom­men. Sprich: wenn bei­spiels­wei­se Grü­ne 30 Pro­zent, aber kein ein­zi­ges Direkt­man­dat erzie­len, und ent­spre­chend vie­le Aus­gleichs­man­da­te ver­teilt wer­den müssen.

Ist das wahrscheinlich? 

Um das zu tes­ten, habe ich einen Rech­ner gebas­telt (der lokal in Java­script läuft, und ger­ne genutzt wer­den kann, um selbst ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en auszuprobieren …). 

Wenn das Wahl­er­geb­nis 2021 und die dama­li­ge Direkt­man­dats­ver­tei­lung zugrun­de gelegt wird, kommt eine Land­tags­grö­ße von 156 her­aus – aktu­ell hat der Land­tag nach altem Wahl­recht 154 Man­da­te, also ein fast iden­ti­sches Ergebnis.

Wie sieht es nächs­tes Jahr im März aus? Was pas­siert, wenn die AfD viel stär­ker wird, die Lin­ke ein­zieht, die FDP (fast) aus dem Land­tag fliegt, Grü­ne Pro­zen­te ver­lie­ren usw.? 

Auch das lässt sich model­lie­ren. Und je nach­dem, wel­che Annah­men über die Ver­tei­lung der Direkt­man­da­te (Grüne/CDU/AfD) getrof­fen wer­den, kann dabei ein Land­tag her­aus­kom­men, der XXS ist. Bei­spiel: wenn die SWR-Trend-Wer­te aus dem Okto­ber genom­men wer­den, und ange­nom­men wird, dass 35 Direkt­man­da­te an die CDU gehen, 20 an Grü­ne und 15 an die AfD – dann wäre die Land­tags­grö­ße sogar genau bei den 120 Sit­zen, die das Wahl­sys­tem vorsieht.

Die sel­ben Pro­zent­wer­te, aber jetzt die Annah­me, dass 50 Direkt­man­da­te auf Grü­ne ent­fal­len (bei den im BW-Trend Okto­ber pro­gnos­ti­zier­ten nur 20 Pro­zent der Stim­men – also ein höchst unwahr­schein­li­ches Ergeb­nis!), und die rest­li­chen 20 auf die CDU (bei 29 Pro­zent der Stim­men): und schon ist der Land­tag dop­pelt so groß, und müss­te nun 231 Sit­ze umfassen. 

(Oder, um es voll­ends ins Absur­de zu stei­gern: die BW-Trend-Ergeb­nis­se, FDP lan­des­weit bei 5 Pro­zent, aber Gewin­ne­rin sämt­li­cher 70 Direkt­man­da­te. Dann hät­te der Land­tag theo­re­tisch 1279 Sit­ze. Prak­tisch haben die Par­tei­en Lis­ten, die bei 70 oder 80 Man­da­ten enden …)

Jetzt hof­fe ich, dass das Wahl­er­geb­nis im März aus grü­ner Sicht bes­ser aus­fällt als in die­ser Umfra­ge aus dem Okto­ber. Auch da gilt: solan­ge Direkt­man­da­te und Zweit­stim­men­er­geb­nis­se nicht zu weit aus­ein­an­der gehen, sind Land­tags­grö­ßen zwi­schen 130 und 160 Man­da­ten wahr­schein­lich. Das wäre in etwa der Sta­tus Quo, ein Land­tag in nor­ma­ler Grö­ße, nicht zu groß und nicht zu klein. 

Schöne neue Medienwelt, Ausgabe 2025

Shelf the cat III

In mei­nem Blog fin­den sich eini­ge Bei­trä­ge zu mei­ner Medi­en­nut­zung im Wan­del. 2013 habe ich einen lan­gen Bei­trag dazu geschrie­ben, war­um ich mit Zei­tun­gen nicht mehr so rich­tig viel anfan­gen kann. 2020 geht es dann um die Wie­der­ent­de­ckung der täg­li­chen Lokal­zei­tung und um das neu ange­fan­ge­ne regel­mä­ßi­ge Zei­tungs­le­sen trotz täg­li­chem Pres­se­spie­gel. Und Anfang 2024 habe ich mir das kom­plet­te „Medi­en­me­nü“ ange­schaut, das ich nutze.

Jetzt woll­te ich dar­über schrei­ben, was sich bezüg­lich Büchern (meist E‑Reader, das eine oder ande­re Buch aus Grün­den inzwi­schen wie­der auf Papier), abon­nier­ten (E-)Zeitungen, Mast­o­don als bevor­zug­ter Social-Media-Platt­form und der Nut­zung diver­ser Strea­ming­diens­te in den letz­ten zwei Jah­ren getan hat. Ich stel­le fest: das ist erstaun­lich sta­bil geblieben. 

Neu ist viel­leicht das eine oder ande­re gedruck­te Maga­zin (Spek­trum der Wis­sen­schaft, Sci­ence Notes; dane­ben Kata­pult und Futurz­wei, die­se bei­den lese ich aber viel zu sel­ten), das in dem 2024-Text noch nicht erwähnt wird. Dazu kom­men, sehr spe­cial inte­rest, die Andro­me­da Nach­rich­ten des Sci­ence Fic­tion Clubs Deutsch­land. Und das eine oder ande­re mich dann doch nicht begeis­tern­de Abo-Expe­ri­ment bei Maga­zi­nen auf Papier gab’s in den letz­ten zwei Jah­ren auch.

Bei den Pod­cast sind neben Das Uni­ver­sum und Ster­nen­ge­schich­ten noch ein paar dazu­ge­kom­men, haupt­säch­lich aus dem Bereich Geschich­te, und ja, spe­cial inte­rest, Sci­ence Fic­tion. Ist aber wei­ter eher sehr beschränkt auf „Höre ich beim Kochen.“

Prime Video nut­ze ich kaum noch (eigent­lich nur noch, um dort Para­mount+ anzu­gu­cken), Net­flix wei­ter recht inten­siv, dazu kommt immer mehr anguck­ba­rer Con­tent auf Apple TV. Und ja, auch bei Spo­ti­fy bin ich wei­ter­hin, inzwi­schen aller­dings mit schlech­tem Gewissen.

Was 2024 nur ganz am Ran­de vor­kommt, ist der öffent­lich-recht­li­che Rund­funk. Den ich in der Theo­rie extrem wich­tig fin­de, in der Pra­xis aber meist ent­täu­schend fin­de. Line­ar höre/schaue ich so gut wie gar nichts (ein­zi­ge Aus­nah­me in den letz­ten Mona­ten war viel­leicht die ESC-Über­tra­gung). Die Web­site der Tages­schau fin­de ich halb­wegs brauch­bar, die des SWR (SWR Aktu­ell Baden-Würt­tem­berg) meist unter­ir­disch und bou­le­var­desk neben dem ste­hend, was poli­tisch im Land gera­de vor sich geht. Ab und zu nut­ze ich die ZDF-Media­thek (Die Anstalt und ZDF Maga­zin Roya­le decken wahr­schein­lich 95 Pro­zent der Nut­zungs­fäl­le bei mir ab). Hmm. Eigent­lich bräuch­te es gera­de jetzt einen Rund­funk, der sich als Kämp­fer für die Demo­kra­tie sieht. Nicht als umla­ge­fi­nan­zier­tes Unter­hal­tungs- und Sport­pro­gramm, und erst recht nicht als neu­tra­le Spie­ge­lung der letz­ten Sonn­tags­fra­ge in Pro­zent der Rede­zeit in Talk­shows. Kein Vor­wurf an vie­le enga­gier­te Journalist*innen, aber das Gesamt­ergeb­nis über­zeugt mich immer weni­ger. Und das hat viel mit der zuneh­men­den media­len Nor­ma­li­sie­rung der AfD zu tun.

Jetzt arbei­te ich in der Poli­tik. Wie infor­mie­re ich mich? Zusam­men­fas­send: ich krie­ge viel mit, weil es auf Masta­don oder in mei­nem Feed­rea­der auf­taucht. Ich lese taz und Spie­gel digi­tal, wobei das eher arti­kel­wei­se als „als Heft“ pas­siert, und eben bei Bedarf die Web­site der Tages­schau. Inso­fern hat die Umstel­lung der taz aufs digi­ta­le Erschei­nen unter der Woche bei mir wenig geän­dert. Manch­mal lese ich auch die Zeit und den Guar­di­an (und den­ke über die FAZ nach). Dazu kommt die täg­li­che Badi­sche Zei­tung (als E‑Paper auf dem Tablet) und der Pres­se­spie­gel. Dazu kommt dann noch der eine oder ande­re News­let­ter (inkl. des nächt­li­chen „Brie­fings“ von Table.Media). Ins­ge­samt habe ich damit den Ein­druck, durch­aus infor­miert zu sein. Talk­shows tau­chen in der Nach­be­richt­erstat­tung auf, vira­le Social-Media-Phä­no­me­ne igno­rie­re ich weit­ge­hend. Alt­mo­disch? Viel­leicht – aber viel­leicht hilft’s für den Überblick.

Letz­ter Punkt: bis­her gab es ein Papier-Maga­zin mei­ner Par­tei, wobei auch hier die Qua­li­tät mei­nem Ein­druck nach in letz­ter Zeit nach­ge­las­sen hat. Das wur­de jetzt durch „grünblog.com“ (war­um um alles in der Welt: „.com“?) ersetzt. Mich über­zeugt das nicht. Mal sehen. 

Versuch, die Haltung der CDU BW zur AfD nachzuvollziehen

Die CDU BW hat jetzt ja laut­stark die AfD zum Haupt­geg­ner erklärt. Die dpa berich­tet dazu u.a. mit die­sem Text:

„Die AfD has­se alles, was die Christ­de­mo­kra­ten an die­sem Land lieb­ten. Hagel sag­te, im Umgang mit den Rechts­po­pu­lis­ten habe man es sich viel­leicht in den letz­ten Jah­ren etwas zu bequem gemacht. Man habe geglaubt, man kön­ne die AfD schla­gen, indem man sie Igno­rie­re, aus­gren­ze oder Lich­ter­ket­ten veranstalte.“

Ich habe mal über­legt, war­um die CDU das tut. Und das hat ver­schie­de­ne Facet­ten, und bis auf die ers­te ist kei­ne davon so rich­tig schön:

1. Ich neh­me Hagel & Co. ab, dass sie die AfD und deren Poli­tik scheuß­lich fin­den und sich davon abgren­zen wol­len. Aber:

2. In einem Zwei­kampf CDU/Hagel vs. Grüne/Özdemir bie­tet es sich aus CDU-Sicht an, mög­lichst wenig über Grü­ne zu spre­chen. Dann lie­ber über die AfD. Im Ide­al­fall aus CDU-Sicht läuft das dann auf eine Zuspit­zung CDU vs. AfD zu, wie es im Osten bei eini­gen der letz­ten Wah­len zu beob­ach­ten war. Alle ande­ren wer­den mar­gi­na­li­siert. (Dabei ist und bleibt die AfD ein Schein­rie­se ohne Machtoption).

3. In den Umfra­gen ist die CDU – mit 29%, einem für Baden-Würt­tem­berg eher schlech­ten Wert … – aktu­ell die stärks­te Kraft. Wenn sie das blei­ben will, muss sie einer­seits die Abwan­de­rung poten­zi­el­ler Wähler*innen zu Grün ver­hin­dern (sie­he 2.) und ande­rer­seits Wähler*innen zurück­ge­win­nen, die zur AfD gegan­gen sind.

4. Das gilt für die aus CDU-Sicht ver­lo­ren gegan­gen Direkt­man­da­te umso mehr. Böse gesagt: eini­ge der grü­nen Direkt­man­da­te sind zustan­de gekom­men, weil zu vie­le von der CDU zur AfD gewech­selt sind, und dann 25 Pro­zent aus­ge­reicht haben, um das Man­dat zu erringen.

5. Inhalt­lich gibt es lei­der durch­aus Über­schnei­dun­gen zwi­schen CDU und AfD, zumin­dest in Tei­len der CDU. So erklärt sich auch die Rhe­to­rik im Zitat oben. Statt „Lich­ter­ket­ten“ oder Aus­gren­zen hel­fen nur inhalt­li­che Ange­bo­te an AfD-Wähler*innen. (Das ist empi­risch falsch, aber nach­voll­zieh­bar: es geht der CDU BW bei „AfD als Haupt­geg­ner“ nicht um die grund­sätz­li­che Ableh­nung der AfD, son­dern um die Rück­ge­win­nung von Wähler*innen. Des­we­gen wird har­te anti­fa­schis­ti­sche Kri­tik bis hin zu Brand­mau­er etc. eher kleingeredet/verurteilt – zudem fühlt sich die CDU hier, teil­wei­se zu Unrecht, teil­wei­se aber lei­der auch zu recht, mit­ge­meint, wenn aus anti­fa­schis­ti­scher Per­spek­ti­ve zu Demos auf­ge­ru­fen wird).

6. Aktu­ell ver­hin­dert eine star­ke AfD rechts-kon­ser­va­ti­ve Mehr­hei­ten im Par­la­ment (solan­ge nie­mand mit der AfD koaliert) und führt so zur Not­wen­dig­keit lager­über­grei­fen­der Koali­tio­nen der demo­kra­ti­schen Par­tei­en. Das ist aus CDU-Sicht unbe­frie­di­gend, weil immer mit unschö­nen Kom­pro­mis­sen ver­bun­den. Sie­he Ren­ten­de­bat­te im Bun­des­tag gera­de. Damit erge­ben sich, wenn ich die CDU-Per­spek­ti­ve ein­neh­me, zwei stra­te­gi­sche Optio­nen – über die in der Uni­on wohl gera­de zumin­dest unter­schwel­lig die Aus­ein­an­der­set­zun­gen laufen:

Lösung 1: Wähler*innen der AfD zurück zur CDU holen und damit Mehr­hei­ten rechts der Mit­te (oder zumin­dest mit sehr star­ker CDU) ermöglichen. 

Lösung 2: Per­spek­ti­visch auf einen Zeit­punkt hin­ar­bei­ten, bei dem eine „gezähm­te“ AfD koali­ti­ons­fä­hig ist – also letzt­lich Nor­ma­li­sie­rung der AfD.

Zumin­dest rhe­to­risch ver­trägt sich die Vari­an­te 2 nicht mit der rhe­to­ri­schen Abgren­zung zum „Haupt­geg­ner“. Aller­dings gelingt Abgren­zung nur, wenn weder die Türen zu wech­sel­wil­li­gen AfD-Wähler*innen noch zum Rechts­au­ßen-Rand der Uni­on zuge­schla­gen werden. 

Soweit mein Ver­such, nach­zu­voll­zie­hen, was die CDU da tut – und damit zurück zur grü­nen Per­spek­ti­ve auf die Land­tags­wahl 2026. Schließ­lich gibt es einen erfah­re­nen und kom­pe­ten­ten Kan­di­da­ten, der durch­aus auch für „bür­ger­li­che“ Wähler*innen attrak­tiv sein könn­te – und der heißt Cem Özdemir.

Zombie-Debatten und formative Schnippsel

Ich bin schon seit gerau­mer Zeit dabei, die Ord­ner, die ich von Umzug zu Umzug mit­ge­schleppt habe, zu digi­ta­li­sie­ren. Ande­re Men­schen wür­den ver­mut­lich eher zu „kann doch weg“ ten­die­ren, ich habe, und wenn ich mir unse­ren Kel­ler anschaue: durch­aus fami­li­är beein­flusst – eher eine Ten­denz zum Auf­he­ben. Also: Ord­ner digi­ta­li­sie­ren, alles mög­li­che kommt in den Dop­pel­sei­ten­ein­zugs­scan­ner (lang lebe DIN A4), und viel Volu­men hat natür­lich die Stu­di­en­zeit eingenommen. 

In den letz­ten Wochen bin ich nun im Gang rück­wärts in der Zeit um 1993 ange­kom­men. 1994 habe ich Abi gemacht, danach Zivil­dienst und dann im Herbst 1995 ange­fan­gen zu stu­die­ren. Par­al­lel war ich zu die­ser Zeit auf Lan­des­ebe­ne in der dama­li­gen Grün-Alter­na­ti­ven Jugend (GAJ) aktiv, es gab auch eine Frei­bur­ger Orts­grup­pe (zusam­men mit den letz­ten Res­ten von JungdemokratInnen/Junge Lin­ke), und Schü­ler­zei­tung, SMV – mit lokal­po­li­ti­schen Bezü­gen, eine Mei­nungs­um­fra­ge zum Bür­ger­ent­scheid „Litz­fürst“ schaff­te es sogar in die Schul­kon­fe­renz – und 1994 grün­de­te sich das Grün-Alter­na­ti­ve Jugend­bünd­nis GAJB, der Vor­läu­fer der heu­ti­gen Grü­nen Jugend. Viel los in die­ser Zeit also. Und vie­les, was ich ver­ges­sen hatte …

1993 habe ich ange­fan­gen, sys­te­ma­tisch Zei­tungs­aus­schnit­te zu sam­meln (und das bis Ende 1995 fort­ge­führt, danach wur­de es dann in Bezug auf die Zei­tungs­aus­schnit­te unsys­te­ma­ti­scher und in Bezug auf alles, was sozio­lo­gisch oder digi­tal­po­li­tisch inter­es­sant war, sys­te­ma­ti­scher – schließ­lich fing dann mein Stu­di­um an, und ich kam mit Biblio­gra­fien und der Idee von Lite­ra­tur­ver­wal­tungs­soft­ware in Kon­takt). Und die­ser Ord­ner Pres­se von 1993 bis 1995 ist in mehr­fa­cher Hin­sicht interessant.

Bio­gra­fisch, weil er einen ganz guten Über­blick gibt, was mich damals, in einer sicher­lich sehr prä­gen­den Zeit, inter­es­siert hat. Und zum ande­ren auch mit Blick auf die Wie­der­gän­ger. Vie­le Debat­ten tau­chen heu­te, drei­ßig Jah­re spä­ter, wie­der auf. Ich will das an ein paar Bei­spie­len verdeutlichen:

1993, gleich der ers­te auf­ge­ho­be­ne Arti­kel, ist aus der Badi­schen Zei­tung und berich­tet über eine „Schü­ler-Demo gegen Frem­den­haß“ mit gut 1000 Teil­neh­men­den („Ent­täu­schung über die gerin­ge Teil­neh­mer­zahl“). Inter­es­sant in dem Zusam­men­hang auch ein Flug­blatt des Frei­bur­ger Kreis­ver­bands der Grü­nen, das ich als Kon­zept­pa­pier zum Auf­kle­ben der Pres­se­schnipp­sel ver­wen­det hat­te. Das dürf­te eben­falls aus dem Jahr 1993 oder 1994 stam­men und trägt den Titel: „Der Feind steht rechts!“ (ein Zitat des Reichs­kanz­lers Wirth, 1922). Sam­mel­un­ter­künf­te für Asyl­su­chen­de eben­so wie die poli­ti­sche Annä­he­rung der CDU an die dama­li­gen „Repu­bli­ka­ner“ wer­den the­ma­ti­siert. Klingt lei­der alles brandaktuell.

Dann beschäf­ti­gen sich 1993 eini­ge Arti­kel mit dem Jugend­um­welt­fes­ti­val Auf­takt in Mag­de­burg, an dem ich auch teil­ge­nom­men hat­te. Umwelt­the­men neh­men in der Samm­lung einen gro­ßen Raum ein – Pres­se­be­rich­te zu diver­sen Pro­tes­ten (Cas­tor­trans­por­te!) eben­so wie zum 1995 in Frei­burg statt­fin­den­den Jugend­um­welt­kon­gress Jukß mit 1200 Jugend­li­chen aus ganz Deutsch­land. Für eine auto­freie Rem­part­stra­ße wur­de eben­falls demons­triert … auch das ein The­ma, das sich trotz Ver­bes­se­run­gen in der Ver­kehrs­füh­rung noch nicht erle­digt hat. Oder wie hier zu sehen im Sep­tem­ber 1995 eine Demo zu den dama­li­gen Atom­tests Frank­reichs auf dem Muru­roa-Atoll. (Und ja, der jun­ge Mann mit den lan­gen Haa­ren links bin ich … da hat sich in den 30 Jah­ren seit­dem auch ein biss­chen was geändert …). 

Atom­tests ist so ein Wie­der­gän­ger-The­ma, denn gera­de jetzt hat Trump ankün­digt, die ame­ri­ka­ni­schen Atom­bom­ben-Tests wie­der auf­neh­men zu wol­len. Nicht nur in die­ser Hin­sicht gibt es gewis­se Par­al­le­len. Und auch wenn „Kli­ma“ Mit­te der 1990er Jah­re noch nicht das beherr­schen­de The­ma war, so kommt die Kli­ma­kri­se doch vor; 1997 wird es dann zum Kyo­to-Pro­to­koll kom­men, als ers­ter Schritt auf dem Weg hin zu glo­ba­len Redu­zie­rung der Treibhausgasemissionen. 

Dabei deu­tet sich in der Samm­lung der Pres­se­aus­schnit­te auch schon eine Hin­wen­dung zur Wis­sen­schaft an: sind es anfangs eher die akti­vis­ti­schen The­men, kommt – auch durch den Zivil­dienst im Öko-Insti­tut – nach und nach auch der eine oder ande­re Bericht zu Umwelt­bi­lan­zen, Öko­la­bels und ähn­li­chen Fra­gen in den Pressespiegel.

Jugend­po­li­ti­sche Akti­vi­tä­ten im enge­ren Sin­ne spie­len natür­lich eine gro­ße Rol­le. So geht es um die damals anste­hen­de Abschaf­fung des 13. Schul­jahrs (Baden-Würt­tem­berg führt es die­ses Jahr wie­der ein) – die „Regio­na­le Schü­le­rIn­nen-Ver­samm­lung“ mit Alex­an­der Bonde (dann Vor­sit­zen­der des Lan­des­schü­ler­bei­rats, spä­ter MdB und dann Land­wirt­schafts­mi­nis­ter in Baden-Würt­tem­berg, heu­te Gene­ral­se­kre­tär der Deut­schen Bun­des­stif­tung Umwelt) orga­ni­siert dazu eini­ge Aktio­nen. Und Fran­zis­ka Brant­ner (heu­te MdB und grü­ne Bun­des­vor­sit­zen­de) gibt ein ers­tes Inter­view als 15-jäh­ri­ge, in der sie erklärt, was die Jugend­kon­fe­renz der Stadt Frei­burg brin­gen soll, und war­um es wich­tig ist, Jugend­li­chen selbst Gehör zu schen­ken. Die Grün­dung des Grün-Alter­na­ti­ven Jugend­bünd­nis­ses nimmt Raum ein (die FAZ guckt genau, ob es eine Abgren­zung zur dama­li­gen „PDS“ gibt, oder ob hier links­ra­di­ka­le Umtrie­be zu befürch­ten sind), und eben­so fin­den sich Aus­ris­se zu Que­re­len bei den Jusos, einem Emp­fang der Lan­des­re­gie­rung unter Minis­ter­prä­si­dent Teu­fel für Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen und der­glei­chen mehr. 

Aber nicht alles ist Poli­tik. Zwi­schen Fotos von Demos und Rand­no­ti­zen zu Ver­bän­den kom­men zuneh­mend mehr Arti­kel, die sich mit Digi­ta­li­sie­rung beschäf­ti­gen (auch hier half der Zivil­dienst und der Zugang zu diver­sen Zeit­schrif­ten, der damit ver­bun­den war). Erör­te­run­gen über Unzu­läng­lich­keit der Meta­pher der Daten­au­to­bahn, Hacker-Por­träts und ein Inter­view mit Joseph Wei­zen­baum sind nur eini­ge der Fund­stü­cke. Und pas­send zur vor weni­gen Tagen erschie­ne­nen letz­ten Papier­aus­ga­be der wochen­täg­li­chen taz habe ich auch die dama­li­ge Ankün­di­gung der ers­ten „digi­Taz“ auf­ge­ho­ben – samt Erläu­te­rung, was die­ses Inter­net eigent­lich ist, und der ein­gän­gi­gen Adres­se http://www.prz.tu-berlin.de/taz zum Auf­ruf der digi­ta­len Zei­tung. Par­al­lel dazu wird in ande­ren Zei­tungs­aus­ris­sen dar­über spe­ku­liert, ob mit dem bal­di­gen Ende der Zei­tung auf Papier und dem papier­lo­sen Büro zu rech­nen sei. Hat etwas län­ger gedauert …

Ein oder zwei Arti­kel zum The­ma Sci­ence Fic­tion waren auch in der Gemenge­la­ge vor­han­den. Dass mir vie­le der Din­ge, die ich damals inter­es­sant fand, wei­ter­hin inter­es­sant erschei­nen, wür­de ich ja durch­aus posi­tiv wer­ten – dass vie­le der poli­ti­schen Pro­ble­me, die damals rele­vant waren, heu­te immer noch oder wie­der rele­vant sind, erscheint dann schon besorg­nis­er­re­gen­der. Hier habe ich zuneh­mend das Gefühl, dass der Fort­schritt, wenn es ihn den gibt, sich in Wel­len bewegt. Und allein für die­se Erkennt­nis lohnt es sich doch, das eine oder ande­re auf­zu­he­ben, und sei es platz­spa­rend digital.

Politische Blasen, Umfragen und dergleichen mehr

Object, Stuttgart

Am 8. März 2026 fin­det in Baden-Würt­tem­berg die Land­tags­wahl statt, die Spit­zen­kan­di­da­ten im Kampf um das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten hei­ßen Cem Özd­emir (Grü­ne) und Manu­el Hagel (CDU). Der Bun­des­kanz­ler Merz (CDU) hat in einem öffent­li­chen Gespräch sinn­ge­mäß – und klar ras­sis­tisch – geäu­ßert, dass ihn etwas am Stadt­bild stö­re und mehr „Rück­füh­run­gen“ hier hel­fen würden.

Bei­de Fak­ten haben zunächst ein­mal nicht so viel mit­ein­an­der zu tun, auch wenn sich treff­lich über die Stra­te­gie und die Optio­nen der CDU dis­ku­tie­ren lie­ße. Das will ich aber hier und jetzt nicht machen.

Bei­den Aus­sa­gen gemein­sam ist, dass sie für mich kom­plett selbst­ver­ständ­li­che Wis­sens­ele­men­te sind: Das weiß doch jede*r, dass im nächs­ten März Land­tags­wahl ist. Die Fra­ge, ob/wie die per­sön­li­chen Umfra­ge­wer­te von Cem (viel, viel bes­ser als Hagel) mit den Par­tei­wer­ten (da liegt die CDU deut­lich vor uns Grü­nen) so in Ver­bin­dung gebracht wer­den kön­nen, dass die aktu­ell noch neun Pro­zent Dif­fe­renz zur CDU geschlos­sen wer­den, treibt das „poli­ti­sche Stutt­gart“ um. Und über Merz regen sich seit Tagen „alle“ auf Mast­o­don, in den poli­ti­schen Kom­men­tar­spal­ten und in der Tee­kü­che der Frak­ti­on auf.

Nur: ist halt nicht so. Wer nicht jeden Tag beruf­lich mit Poli­tik zu tun hat, weiß – in Baden-Würt­tem­berg – viel­leicht noch vage, dass dem­nächst Land­tags­wah­len sind und dass Kret­sch­mann nicht mehr antritt. Auch das ist aber nicht sicher. Und wer sich nicht bewusst für Poli­tik inter­es­siert, wird ver­mut­lich erst im Janu­ar, wenn Pla­ka­te hän­gen und Anzei­gen geschal­tet wer­den, davon mit­be­kom­men. Als ehe­ma­li­ger Bun­des­mi­nis­ter und lang­jäh­ri­ger Spit­zen­po­li­ti­ker der Grü­nen ist Cem Özd­emir bekannt genug, dass vie­le trotz­dem etwas zu „d’r Cem“ ein­fällt. Zu sei­nem Gegen­kand­dia­ten, dem CDU-Frak­ti­ons­chef und ehe­ma­li­gen Bank­an­ge­stell­ten aus dem Alb-Donau-Kreis, haben nur weni­ge Men­schen ein Bild. 

Was Grü­ne und CDU genau wol­len, wo die inhalt­li­chen Unter­schie­de lie­gen, wer wen in den letz­ten Mona­ten der 17. Legis­la­tur­pe­ri­ode aus­ma­nö­vriert und blo­ckiert – all das kommt im All­tag kaum vor. Dass im SWR über eine Land­tags­sit­zung berich­tet wird, hat zuneh­mend Sel­ten­heits­wert, und auch die baden-würt­tem­ber­gi­schen Tages­zei­tun­gen grei­fen nur sehr begrenzt das poli­ti­sche Gesche­hen in Stutt­gart auf – egal, ob es um das Poli­zei­ge­setz, die Umset­zung des Wech­sels von G8 auf G9 im Gym­na­si­um oder die Ver­knüp­fung der bei­den Tei­le des Natio­nal­parks geht. Die schlech­te Lage der Kom­mu­nen – davon mag der eine oder die ande­re schon mal gehört haben, erst recht, wenn es lokal dadurch zu Pro­ble­men kommt. Dass zwi­schen Land und Kom­mu­nen jetzt ein Ver­fah­ren aus­ge­han­delt wur­de? Weiß das jemand? Da geht es dar­um, dass 2/3 des Gel­des, dass der Bund für den Aus­bau und die Sanie­rung der Infra­struk­tur, also von Stra­ßen, Schie­nen, Gebäu­den usw., – durch neue Schul­den­auf­nah­men – zur Ver­fü­gung stellt, an die Kom­mu­nen wei­ter­ge­ge­ben wird, und zwar weit­ge­hend bedin­gungs­los. Das sind immer­hin fast neun Mrd. Euro, die da in den nächs­ten Jah­ren an die Kom­mu­nen gehen. Dazu wird es im Land­tag kurz vor der Wahl noch einen Nach­trags­haus­halt geben. Hoch­span­nend, und gleich­zei­tig etwas, was den meis­ten Men­schen ver­mut­lich völ­lig unbe­kannt ist.

Und selbst Auf­re­ger­the­men wie die unsäg­li­che Äuße­rung von Kanz­ler Merz gehen an sehr vie­len Men­schen schlicht vor­bei. Klar, da wur­de drü­ber berich­tet – aber wer guckt noch regel­mä­ßig in Nach­rich­ten­sen­dun­gen, auf ent­spre­chen­de Web­sites oder in Zei­tun­gen? Und wer dann nicht zufäl­li­ger­wei­se auf sozia­len Medi­en damit kon­fron­tiert wird, wird das nicht ein­ord­nen kön­nen (genau­so, wie gut gemach­te Kom­men­tie­run­gen im Meme-Style, die auf die­se Äuße­rung anspie­len, halt nur denen ver­ständ­lich sind, die davon schon mal gehört haben). 

Es gibt auch in einer Demo­kra­tie kei­ne Pflicht dazu, sich poli­tisch zu infor­mie­ren. Umso wich­ti­ger, sich immer wie­der klar zu machen, dass vie­le Mitbürger*innen im bes­ten Fall nichts von der poli­ti­schen Arbeit mit­be­kom­men, die in Stutt­gart, Ber­lin oder Brüs­sel läuft, und erst recht nichts von Insi­der­de­bat­ten und zuge­spitz­ten Empö­rungs­wel­len. Und im schlech­te­ren Fall wis­sen sie davon, weil ihnen ein Algo­rith­mus oder ein auf die fal­schen Quel­len zurück­grei­fen­der Chat­bot AfD-Pro­pa­gan­da und Des­in­for­ma­ti­on auf die Bild­schir­me spült. 

Soweit mei­ne etwas ernüch­tern­de sonn­täg­li­che Bestands­auf­nah­me. „Bes­ser kom­mu­ni­zie­ren“ ist da nur ein halb guter Vor­satz, wenn der Reso­nanz­raum, in dem erör­tert wird, was poli­tisch getan wird, immer klei­ner und mar­gi­na­ler wird. Volks- bzw. Arbei­ter­bil­dung, hieß eine Ant­wort, die im 19. Jahr­hun­dert auf eine ähn­li­che Pro­blem­dia­gno­se gefun­den wur­de, glau­be ich – mög­li­cher­wei­se braucht es mehr davon. Im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk, bei Volks­hoch­schu­len und Biblio­the­ken, und an vie­len ande­ren Orten.