Politische Blasen, Umfragen und dergleichen mehr

Object, Stuttgart

Am 8. März 2026 fin­det in Baden-Würt­tem­berg die Land­tags­wahl statt, die Spit­zen­kan­di­da­ten im Kampf um das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten hei­ßen Cem Özd­emir (Grü­ne) und Manu­el Hagel (CDU). Der Bun­des­kanz­ler Merz (CDU) hat in einem öffent­li­chen Gespräch sinn­ge­mäß – und klar ras­sis­tisch – geäu­ßert, dass ihn etwas am Stadt­bild stö­re und mehr „Rück­füh­run­gen“ hier hel­fen würden.

Bei­de Fak­ten haben zunächst ein­mal nicht so viel mit­ein­an­der zu tun, auch wenn sich treff­lich über die Stra­te­gie und die Optio­nen der CDU dis­ku­tie­ren lie­ße. Das will ich aber hier und jetzt nicht machen.

Bei­den Aus­sa­gen gemein­sam ist, dass sie für mich kom­plett selbst­ver­ständ­li­che Wis­sens­ele­men­te sind: Das weiß doch jede*r, dass im nächs­ten März Land­tags­wahl ist. Die Fra­ge, ob/wie die per­sön­li­chen Umfra­ge­wer­te von Cem (viel, viel bes­ser als Hagel) mit den Par­tei­wer­ten (da liegt die CDU deut­lich vor uns Grü­nen) so in Ver­bin­dung gebracht wer­den kön­nen, dass die aktu­ell noch neun Pro­zent Dif­fe­renz zur CDU geschlos­sen wer­den, treibt das „poli­ti­sche Stutt­gart“ um. Und über Merz regen sich seit Tagen „alle“ auf Mast­o­don, in den poli­ti­schen Kom­men­tar­spal­ten und in der Tee­kü­che der Frak­ti­on auf.

Nur: ist halt nicht so. Wer nicht jeden Tag beruf­lich mit Poli­tik zu tun hat, weiß – in Baden-Würt­tem­berg – viel­leicht noch vage, dass dem­nächst Land­tags­wah­len sind und dass Kret­sch­mann nicht mehr antritt. Auch das ist aber nicht sicher. Und wer sich nicht bewusst für Poli­tik inter­es­siert, wird ver­mut­lich erst im Janu­ar, wenn Pla­ka­te hän­gen und Anzei­gen geschal­tet wer­den, davon mit­be­kom­men. Als ehe­ma­li­ger Bun­des­mi­nis­ter und lang­jäh­ri­ger Spit­zen­po­li­ti­ker der Grü­nen ist Cem Özd­emir bekannt genug, dass vie­le trotz­dem etwas zu „d’r Cem“ ein­fällt. Zu sei­nem Gegen­kand­dia­ten, dem CDU-Frak­ti­ons­chef und ehe­ma­li­gen Bank­an­ge­stell­ten aus dem Alb-Donau-Kreis, haben nur weni­ge Men­schen ein Bild. 

Was Grü­ne und CDU genau wol­len, wo die inhalt­li­chen Unter­schie­de lie­gen, wer wen in den letz­ten Mona­ten der 17. Legis­la­tur­pe­ri­ode aus­ma­nö­vriert und blo­ckiert – all das kommt im All­tag kaum vor. Dass im SWR über eine Land­tags­sit­zung berich­tet wird, hat zuneh­mend Sel­ten­heits­wert, und auch die baden-würt­tem­ber­gi­schen Tages­zei­tun­gen grei­fen nur sehr begrenzt das poli­ti­sche Gesche­hen in Stutt­gart auf – egal, ob es um das Poli­zei­ge­setz, die Umset­zung des Wech­sels von G8 auf G9 im Gym­na­si­um oder die Ver­knüp­fung der bei­den Tei­le des Natio­nal­parks geht. Die schlech­te Lage der Kom­mu­nen – davon mag der eine oder die ande­re schon mal gehört haben, erst recht, wenn es lokal dadurch zu Pro­ble­men kommt. Dass zwi­schen Land und Kom­mu­nen jetzt ein Ver­fah­ren aus­ge­han­delt wur­de? Weiß das jemand? Da geht es dar­um, dass 2/3 des Gel­des, dass der Bund für den Aus­bau und die Sanie­rung der Infra­struk­tur, also von Stra­ßen, Schie­nen, Gebäu­den usw., – durch neue Schul­den­auf­nah­men – zur Ver­fü­gung stellt, an die Kom­mu­nen wei­ter­ge­ge­ben wird, und zwar weit­ge­hend bedin­gungs­los. Das sind immer­hin fast neun Mrd. Euro, die da in den nächs­ten Jah­ren an die Kom­mu­nen gehen. Dazu wird es im Land­tag kurz vor der Wahl noch einen Nach­trags­haus­halt geben. Hoch­span­nend, und gleich­zei­tig etwas, was den meis­ten Men­schen ver­mut­lich völ­lig unbe­kannt ist.

Und selbst Auf­re­ger­the­men wie die unsäg­li­che Äuße­rung von Kanz­ler Merz gehen an sehr vie­len Men­schen schlicht vor­bei. Klar, da wur­de drü­ber berich­tet – aber wer guckt noch regel­mä­ßig in Nach­rich­ten­sen­dun­gen, auf ent­spre­chen­de Web­sites oder in Zei­tun­gen? Und wer dann nicht zufäl­li­ger­wei­se auf sozia­len Medi­en damit kon­fron­tiert wird, wird das nicht ein­ord­nen kön­nen (genau­so, wie gut gemach­te Kom­men­tie­run­gen im Meme-Style, die auf die­se Äuße­rung anspie­len, halt nur denen ver­ständ­lich sind, die davon schon mal gehört haben). 

Es gibt auch in einer Demo­kra­tie kei­ne Pflicht dazu, sich poli­tisch zu infor­mie­ren. Umso wich­ti­ger, sich immer wie­der klar zu machen, dass vie­le Mitbürger*innen im bes­ten Fall nichts von der poli­ti­schen Arbeit mit­be­kom­men, die in Stutt­gart, Ber­lin oder Brüs­sel läuft, und erst recht nichts von Insi­der­de­bat­ten und zuge­spitz­ten Empö­rungs­wel­len. Und im schlech­te­ren Fall wis­sen sie davon, weil ihnen ein Algo­rith­mus oder ein auf die fal­schen Quel­len zurück­grei­fen­der Chat­bot AfD-Pro­pa­gan­da und Des­in­for­ma­ti­on auf die Bild­schir­me spült. 

Soweit mei­ne etwas ernüch­tern­de sonn­täg­li­che Bestands­auf­nah­me. „Bes­ser kom­mu­ni­zie­ren“ ist da nur ein halb guter Vor­satz, wenn der Reso­nanz­raum, in dem erör­tert wird, was poli­tisch getan wird, immer klei­ner und mar­gi­na­ler wird. Volks- bzw. Arbei­ter­bil­dung, hieß eine Ant­wort, die im 19. Jahr­hun­dert auf eine ähn­li­che Pro­blem­dia­gno­se gefun­den wur­de, glau­be ich – mög­li­cher­wei­se braucht es mehr davon. Im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk, bei Volks­hoch­schu­len und Biblio­the­ken, und an vie­len ande­ren Orten.

Das neue Landtagswahlrecht materialisiert sich

Wer als Baden-Württemberger*in bun­des­weit par­tei­po­li­tisch unter­wegs ist, kennt die­sen Moment, in dem irgend­wer nach der Lan­des­lis­te fragt, und dann erst ein­mal erklärt wer­den muss, dass Wah­len im Länd­le anders funk­tio­nie­ren: nur Direktkandidat*innen in 70 Wahl­krei­sen, eine Zweit­aus­zäh­lung, um den Pro­porz her­zu­stel­len und die rest­li­chen nomi­nell 50 Plät­ze zu fül­len, gewis­se Ver­zer­run­gen durch Aus­gleich im Regie­rungs­prä­si­di­um. Die­ses Wahl­recht hat eini­ge Jahr­zehn­te lang gute Diens­te geleis­tet. Es hat­te Vor­tei­le: die Abge­ord­ne­ten hat­ten alle eine star­ke loka­le Bin­dung. Das Wahl­recht hat­te aber auch Nach­tei­le: ohne Lis­te kei­ne quo­tier­te Lis­te, und kei­ne Chan­ce für z.B. grü­ne Kandidat*innen in „schwa­chen“ Wahl­krei­se, über­haupt jemals in den Land­tag zu kommen. 

Ob Freu­de über das Ende über­wiegt oder dem Wahl­recht doch hin­ter­her­ge­weint wird: es ist seit eini­ger Zeit, mit der Novel­le der ent­spre­chen­den Geset­ze, Geschich­te. Jetzt hat Baden-Würt­tem­berg das für Deutsch­land typi­sche Zwei­stim­men­wahl­recht, mit einer Zweit­stim­me, die die Sitz­ver­tei­lung bestimmt, und einer Erst­stim­me, die über Direkt­man­da­te ent­schei­det. (Apro­pos: das eigent­lich sehr gute wahlrecht.de hat noch das alte Wahl­recht und die Ände­run­gen noch nicht nachvollzogen).

Die Kap­pun­gen auf Bun­des­ebe­ne wur­den nicht mit­ge­macht, so dass man­che jetzt über das Risi­ko eines Rie­sen­land­tags unken (Modell­rech­nun­gen wider­le­gen das, nur dann, wenn Erst- und Zweit­stim­men­er­geb­nis­se mas­siv aus­ein­an­der gehen wür­den, wäre ein sehr gro­ßer Land­tag mög­lich). Dafür gibt es ande­re Beson­der­hei­ten: wei­ter­hin Ersatzkandidat*innen in den Wahl­krei­sen, die zum Zug kom­men, wenn eine direkt gewähl­te Per­son aus dem Land­tag aus­schei­det. Und theo­re­tisch – mal schau­en, ob eine Par­tei das prak­tisch umsetzt – auch die Mög­lich­keit, Ersatzkandidat*innen auf einer Reser­ve­lis­te zu verankern.

Wäh­rend die Novel­le des Wahl­ge­set­zes schon eini­ge Zeit her ist, wird das Wahl­recht jetzt erst so rich­tig kon­kret: die Auf­stel­lun­gen in den Wahl­krei­sen sind – hier mit grü­ner Bril­le – durch­ge­führt, und seit dem Wochen­en­de steht auch die ers­te grü­ne Lan­des­lis­te mit 70 Plät­zen, gewählt auf der Lan­des­wahl­ver­samm­lung in Hei­den­heim. Neben­bei wur­de dort auch Cem Özd­emir ins Amt des Kan­di­da­ten für das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten geho­ben; ich hof­fe sehr, dass er an den Erfolg Win­fried Kret­sch­manns anschlie­ßen kann. Sei­ne Rede war über­zeu­gend – und die fast ein­stim­mi­ge Unter­stüt­zung der Par­tei hat er auch. Auf der Lan­des­lis­te ist Cem – Frau­en­sta­tut – „nur“ auf Platz 2. Auf­fäl­lig ist zudem eine gewis­se Bal­lung der Regi­on Stutt­gart bei den ers­ten Plät­zen der Lis­te. Hier kommt die gro­ße Fra­ge ins Spiel, die auf dem Par­tei­tag­wo­chen­en­de vie­le gestellt haben, aber die natur­ge­mäß nie­mand beant­wor­ten konn­te: Wie weit wird die Lis­te ziehen?

Nach dem alten Wahl­recht wur­den 58 grü­ne Abge­ord­ne­te gewählt, alle mit Direkt­man­dat. Lan­des­weit waren das 32,6 Pro­zent. Inzwi­schen sind es auf­grund eines Über­tritts noch 57 Abge­ord­ne­te. In den Umfra­gen lie­gen wir Grü­ne aktu­ell aller­dings mit nur 20 Pro­zent deut­lich hin­ter der CDU. Gleich­zei­tig ist Cem Özd­emir beliebt, ihm wird zuge­traut, das Amt des Minis­ter­prä­si­den­ten aus­zu­fül­len. Und in den Mona­ten bis zur Wahl kann noch eini­ges pas­sie­ren, auch weil die baden-würt­tem­ber­gi­sche CDU ganz nah an Merz und der Bun­des­re­gie­rung steht. Dann ist unklar, ob FDP und – was ein Novum für Baden-Würt­tem­berg wäre – LINKE es in den Land­tag schaf­fen. Je nach­dem, was hier ange­nom­men wird, schwankt auch die Zahl der Sit­ze, die auf uns Grü­ne ins­ge­samt ent­fal­len, massiv. 

Der zwei­te Fak­tor, den nie­mand wirk­lich gut ein­schät­zen kann, ist die Fra­ge der Direkt­man­da­te. Im alten Wahl­recht waren Direkt­man­da­te und Par­tei­en­stär­ke orga­nisch anein­an­der gekop­pelt. Wer Kret­sch­mann woll­te, muss­te grün wäh­len. Mit der Mög­lich­keit des Stim­men­split­tings könn­te es auch ganz anders aus­se­hen. In vie­len Wahl­krei­sen tre­ten grü­ne Direktmandatsinhaber*innen wie­der an – holen die­se, sofern die lan­des­wei­ten Wer­te noch etwas bes­ser wer­den, erneut das Direkt­man­dat? Oder greift der von Bür­ger­meis­ter, Kom­mu­nal- und Bun­des­tags­wah­len bekann­te Reflex, direkt dann doch lie­ber den CDU-Mann oder die CDU-Frau zu wäh­len – und mit der Zweit­stim­me dann Grün? Oder anders­her­um? Alle Umfra­gen sind mit Unsi­cher­heit behaf­tet, und die feh­len­de Erfah­rung mit Split­ting bei einer Land­tags­wahl mul­ti­pli­ziert die­se Unsi­cher­hei­ten noch ein­mal. Das geht bis hin zu der Fra­ge, ob ein „schlech­ter“ Lis­ten­platz lokal viel­leicht sogar ein Argu­ment sein kann, die­se Per­son direkt zu wäh­len, um so sicher­zu­stel­len, dass der Wahl­kreis grün ver­tre­ten sein wird.

Am Schluss kann es also sein, dass die Lis­te über­haupt nicht zum Zuge kommt, etwas durch­ein­an­der gewür­felt wird (etwa dadurch, dass Flo­ri­an Koll­mann in Hei­del­berg und Nady­ne Saint-Cast in Frei­burg II nicht auf der Lis­te abge­si­chert sind, son­dern allei­ne auf das Direkt­man­dat set­zen – ähn­lich in Mann­heim und Aalen) oder im Extrem­fall sogar nur ein­zieht, wer auf der Lis­te vor­ne steht. 

In der Kom­bi­na­ti­on aus Lis­ten­platz und plau­si­beln Annah­men über grü­ne Wahl­kreis­er­geb­nis­se lässt sich so maxi­mal eine ers­te Abschät­zung tref­fen, wel­che Wahl­krei­se und Per­so­nen bei einem halb­wegs guten Ergeb­nis im Land­tag ver­tre­ten sein wer­den, wer so gut wie kei­ne Chan­cen hat (hin­te­rer Lis­ten­platz und grü­ne Dia­spo­ra), und wo es auf den Wahl­aus­gang im Detail ankom­men wird. Es bleibt spannend.

Ein Gedanke zur politischen Geografie

Fried­rich Merz sprach davon, dass die Uni­on eine „Alter­na­ti­ve für Deutsch­land mit Sub­stanz“ sei – ein wei­te­rer Schritt auf dem Weg von CDU und CSU zurück nach rechts; die Ablö­sung des Gene­ral­se­kre­tärs durch einen Hard­li­ner und die Erklä­rung, dass Grü­ne der Haupt­geg­ner sei­en, gehö­ren eben­falls zu die­ser Geschich­te. Eben­so wie der Vor­schlag von Thors­ten Frei, das Asyl­recht abzu­schaf­fen; rechts-offe­ne Aus­sa­gen der säch­si­schen CDU und erst recht der Söder-Popu­lis­mus-Plus-Wahl­kampf in Bay­ern. Ich schrei­be bewusst „zurück nach rechts“. Mei­ne Jugend­zeit fällt mehr oder weni­ger mit Kohls „geis­tig-mora­li­scher Wen­de“ zusam­men, und ein bay­ri­scher CSU-Poli­ti­ker namens Franz-Josef Strauß ist mir noch gut mit dem Spruch erin­ner­lich, dass rechts von der CSU nur die Wand kom­men dür­fe. „Kin­der statt Inder“ war ein Wahl­kampf­slo­gan (2000), und die Asyl­rechts­ver­schär­fun­gen in den 1990er Jah­ren wür­de ich ursäch­lich eben­so auf das Kon­to der CDU/CSU schreiben.

Also: die Uni­on bewegt sich nach rechts. In der übli­chen poli­ti­schen Geo­gra­fie aus „links“, „Mit­te“ und „rechts“ wird dadurch ein Platz in der Mit­te frei. Und es mag in der aktu­el­len Lage mit bedroh­li­chen Zustim­mungs­wer­ten für die AfD etc. nach Zweck­op­ti­mis­mus klin­gen, aber ich bin über­zeugt davon, dass durch den Rück­zug der CDU aus der mit Mer­kel breit besetz­ten poli­ti­schen Mit­te sicht­bar wird, dass die­ser Ort längst besetzt ist – und zwar durch Bünd­nis 90/Die Grü­nen. Und zwar nicht durch einen Rechts­ruck und die Über­nah­me popu­lis­ti­scher Posi­tio­nen, son­dern weil es eine star­ke Reso­nanz zwi­schen einem, sagen wir, pro­gres­si­ven Bür­ger­tum des 21. Jahr­hun­derts und den poli­ti­schen Hal­tun­gen mei­ner Par­tei gibt. 

Die poli­ti­sche Geo­gra­fie ist ja höchst vola­til. Es gibt allen Kom­pas­sen und Umfra­gen zum Trotz kei­ne Null­mar­ke, die eine abso­lu­te Mit­te defi­niert. Auf Ska­len von ‑5 bis +5 wer­den die Über­zeu­gun­gen und Hal­tun­gen von Bünd­nis 90/Die Grü­nen meist „links der Mit­te“ ein­sor­tiert. Und das ist auch rich­tig so. Genau­so, wie für alle außer für die Anhänger*innen der AfD klar ist, dass die­se Par­tei ganz weit rechts auf die­ser Ska­la steht. Aber ers­tens ist das poli­ti­sche Spek­trum nicht ein­di­men­sio­nal, und zwei­tens ist die Hal­tung einer Par­tei kein Punkt. 

Wie gesagt, viel­leicht mag es Zweck­op­ti­mis­mus sein, davon aus­zu­ge­hen, dass ein gro­ßer Teil der Men­schen in Deutsch­land für Wer­te des 21. Jahr­hun­derts steht – für Welt­of­fen­heit und Tole­ranz, für eine öko­lo­gi­sche Grund­fär­bung und die Ori­en­tie­rung an Nach­hal­tig­keit, für gesell­schaft­li­che Soli­da­ri­tät und für den Zusam­men­halt. Viel­leicht ist ein grö­ße­rer Teil der Bevöl­ke­rung viel ver­ängs­tig­ter, kon­ser­va­ti­ver und ins­ge­samt schlim­mer in sei­nen Ein­stel­lun­gen, als ich das ger­ne hät­te. Aber ist das die Mit­te der Gesell­schaft? Ist das die Mit­te des poli­ti­schen Spek­trums? Oder gibt es nicht doch ein Bünd­nis der Ver­nünf­ti­gen (um nicht den „Auf­stand der Anstän­di­gen“ zu zitie­ren), einen com­mon sen­se, das es gut wäre, die wirk­lich wich­ti­gen Pro­ble­me wie den Kli­ma­wan­del gemein­sam anzu­ge­hen, sich kei­ne Angst machen zu las­sen und anstän­dig und respekt­voll mit­ein­an­der umzugehen? 

Ich gehe davon aus, dass es eine Mehr­heit gibt, die so denkt – und dass die­se Mehr­heit nicht am Rand steht, son­dern sich selbst als Mit­te der Gesell­schaft sieht. Und genau da sehe ich eine gro­ße Pas­sung zur grü­nen Pro­gram­ma­tik, zu grü­nen Grund­hal­tun­gen und nicht zuletzt zum grü­nen Per­so­nal. Aktu­ell wird das über­deckt. Vie­les liegt hin­ter Nebel­ker­zen und Rauch­bom­ben, die der­zeit bewusst und in gro­ßer Zahl gewor­fen werden. 

Wenn sich der Nebel lich­tet, wird deut­lich wer­den, dass wir längst da sind, „ick bin all hier“, wie der Igel im Wett­lauf mit dem Hasen sagt. Und dazu soll­ten wir stehen. 

„Seid nett miteinander“

Eigent­lich hat­te ich mir fest vor­ge­nom­men, an die­ser ers­ten Prä­senz-BDK – also dem Bun­des­par­tei­tag von Bünd­nis 90/Die Grü­nen – seit einer gefühl­ten Ewig­keit vor Ort in Bonn teil­zu­neh­men. Da ich nur Ersatz­de­le­gier­ter bin, und die Debat­ten im Stream eben­so gut ver­folg­bar sind, habe ich mich dann ange­sichts der rapi­de stei­gen­den Coro­na­zah­len einer­seits und leich­ten Erkäl­tungs­sym­pto­men ande­rer­seits ent­schie­den zu Hau­se zu blei­ben. Also, nur ein Bericht vom Bild, ohne Hin­ter­grund­rau­schen aus der Hal­le, ohne Atmo­sphä­re und ohne Nebengespräche.

Trotz­dem glau­be ich, dass sich ein biss­chen was über die­se BDK sagen lässt. Mot­to „Wenn unse­re Welt in Fra­ge steht: Ant­wor­ten“. Die mul­ti­plen, sich über­lap­pen­den Kri­sen tauch­ten selbst­ver­ständ­lich immer wie­der auf – in den Reden genau­so wie in den Anträ­gen. Über­haupt: die­se BDK war ein Antrags-Par­tei­tag. Im Mit­tel­punkt stan­den nicht die Wah­len, kei­ne Lis­ten­auf­stel­lung, und auch kein Pro­gramm, viel­mehr wur­de an vier gro­ßen the­ma­ti­schen Blö­cken gear­bei­tet. Dazu kamen zehn sons­ti­ge Anträ­ge, ein sehr kurz­fris­ti­ger Dring­lich­keits­an­trag zur Sicher­heit kri­ti­scher Infra­struk­tu­ren und eini­ge Sat­zungs­än­de­rungs­an­trä­ge. Ein Antrags- und damit ein Arbeits­par­tei­tag, also.

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Photo of the week: Election campaign IX

Election campaign IX

 
In gut einer Woche steht der zwei­te Wahl­gang für die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl in Frei­burg an. Ich hof­fe, dass vie­le es so wie ich sehen, und Mar­tin „der Pre­di­ger“ Horn nicht für den geeig­ne­ten Kan­di­da­ten für das Amt des Ober­bür­ger­meis­ters hal­ten. Der Wahl­kampf zieht jeden­falls gera­de mäch­tig an. Heu­te hat­te Die­ter Salo­mon Besuch von Cem Özd­emir, bei­de hiel­ten vor dem Thea­ter inmit­ten einer grü­nen Land­schaft kur­ze Reden und stell­ten sich dann den Fra­gen der Bür­ge­rin­nen und Bürger. 

Dabei wur­de deut­lich, dass Die­ter wäh­len eben nicht ein­fach „wei­ter so“ heißt. Hin­ter „Frei­burg muss grün blei­ben“, „Frei­burg muss bunt blei­ben“, „Frei­burg muss sozi­al blei­ben“, „Frei­burg muss jung blei­ben“ und „Frei­burg muss erfolg­reich blei­ben“ – den fünf zen­tra­len Bot­schaf­ten der Kam­pa­gne für den zwei­ten Wahl­gang steht bei­des: der Erfolg der bis­he­ri­gen zwei Amts­pe­ri­oden des Ober­bür­ger­meis­ters, die Frei­burg zu einer grü­nen, viel­fäl­ti­gen, soli­da­ri­schen und durch­aus auch wirt­schaft­lich erfolg­rei­chen Stadt gemacht haben, und der Blick auf die Her­aus­for­de­run­gen, die jetzt kom­men: die Kli­ma­zie­le wer­den nicht von allei­ne erreicht. Um Woh­nun­gen zu schaf­fen und eine wei­ter­hin sozia­le und viel­fäl­ti­ge Stadt zu erhal­ten, rei­chen schö­ne Wor­te nicht aus, viel­mehr geht es jetzt dar­um, Die­ten­bach zu einem wei­te­ren typisch Frei­bur­ger Stadt­teil zu machen. Wenn ich höre, wie in ande­ren Städ­ten über feh­len­de Kita­plät­ze und schlech­te Schu­len geklagt wird, glau­be ich, dass Frei­burg hier eine sehr erfolg­rei­che Poli­tik gemacht hat und wei­ter machen wird – unter ande­rem mit dem Neu­bau für die Stau­din­ger-Gesamt­schu­le. Und gera­de in den letz­ten Jah­ren ist – „Frei­burg muss erfolg­reich blei­ben“ – sicht­bar gewor­den, dass Frei­burg als jun­ge, inno­va­ti­ve Stadt auch eine Grün­der­stadt ist. 

Ich bin zuver­sicht­lich, dass Frei­burg nicht auf plat­te Paro­len und schö­ne Wor­te her­ein fällt, und einem Ober­bür­ger­meis­ter, der zusam­men mit der Gemein­de­rats­mehr­heit und der Bürgermeister*innen-Bank Frei­burg als leben­di­ge Stadt gestal­tet hat, eine wei­te­re – sicher­lich nicht immer kan­ten­freie – Amts­pe­ri­ode zutraut.