Update: Bild war auch hier zu sehen.
Minus zwei Minuten
Neuerdings gibt es ja eine gesetzliche Verankerung dafür, dass die Bahn bei Verspätungen Teile der Fahrtkosten erstattet. Ab 60 Minuten Verspätung am Zielort müssen – auf Antrag, d.h. nach dem Ausfüllen eines recht langwierigen Formulars – 25 Prozent des Fahrpreises erstattet werden.
Vor kurzem war ich mit der Bahn in Bonn. Auf der Rückfahrt hatte der Intercity von Bonn nach Mannheim Verspätung, so dass wir den Anschlusszug dort verpassten. Die eigentlich angedachte Verbindung wäre um 18:59 Uhr in Freiburg gewesen. Den ICE, den wir dann in Mannheim nehmen konnte, hatte laut Fahrplan 19:59 Uhr als Ankunftszeit.
Im verspäteten Zug von Bonn verteilte der Zugbegleiter von sich aus Entschädigungsformulare. Nachdem es eine private Reise war, waren keine Konflikte zwischen der institutionellen Reisekostenerstattung und der Deutschen Bahn um Originalfahrkarten zu erwarten. Deswegen habe ich das mit der Entschädigung mal ausprobiert, also das umfangreiche Formular ausgefüllt.
Heute kam nun Post vom „Servicecenter Fahrgastrechte“. Weil kurz vor Freiburg noch mal mächtig beschleunigt wurde, war der Zug zwei Minuten zu früh in Freiburg. Sprich: 19:57 Uhr. Gefühlte Verspätung: eine Stunde. Faktische Verspätung laut „Servicecenter“: 58 Minuten.
„Wir bedauern die Ihnen entstandenen Unanehmlichkeiten und bitten Sie gleichzeitig um Verständnis, dass in Ihrem Fall keine Entschädigung gezahlt werden kann, da wir die gesetzlichen Regelungen zu den Fahrgastrechten gegenüber allen Kunden in gleicher Weise anwenden müssen.“
Ein kleines bißchen Verständnis habe ich ja sogar. Vielleicht ist es ein blöder Zufall, dass der ICE gerade hier mal ein bißchen zu früh war. Und klar, rechtliche Gleichbehandlung – das ist schon ein Argument.
Trotzdem bleibt der Eindruck haften, dass die rechtliche Festlegung der Zahlungsgrenze von 60 Minunten als Nebeneffekt alle Kulanzen ausgelöscht hat. Zudem gibt es jetzt im Stundentakt Anreize, Verspätungen unter die magische Stundengrenze zu drücken, um nur bloß nicht zahlen zu müssen. Der relativ bürokratisch Prozess der Entschädigungsbeantragung trägt ein übriges zu dem Eindruck bei, dass die „Fahrgastrechte“ von der Bahn weniger als Service den als politisches Zugeständnis gesehen werden, dass es möglichst zu umgehen gilt.
Was bedeutet das nun umgedreht? Tolerantere Wartezeiten, realistische Fahrpläne, die auch tatsächlich eingehalten werden – und ein Halbstundentakt auf den hochfrequentierten ICE-Strecken, beispielsweise.
Warum blogge ich das? Weil mich das Verhalten der Bahn nicht so richtig glücklich macht. Selbst wenn hier völlig gesetzes- und regelkonform gehandelt wurde.
Öko-Praktiken in Ratgebern – Manuskript
Im November 2005 nahm ich am Kongress kulturwissenschaftliche Technikforschung des gleichnamigen Kollegs der Uni Hamburg teil. Ich habe dort damals auch vorgetragen, nämlich etwas zum nachhaltigen Umgang mit Dingen anhand der praxistheoretischen Analyse von Öko-Ratgebern.
Vor ein paar Wochen ist mir nun zufällig beim Aufräumen meiner Festplatte das Manuskript für meinen Beitrag für den Kongressband wieder in die Hände gefallen. Der Kongressband ist seit geraumer Zeit „im Druck“. „Im Druck“ ist so ungefähr das selbe wie die wissenschaftliche Version der katholischen Vorhölle. Auch eine Nachfrage bei der kulturwissenschaftlichen Technikforschung konnte leider nicht aufklären, obwann mit einem Wechsel des Status von „im Druck“ zu „erschienen“ zu rechnen ist.
Ich habe mich deswegen entschieden, dass dort eingereichte Manuskript zu meinem Vortrag hier publik zu machen – ich glaube, dass es für alle, die sich für eine umweltsoziologische Anwendung von Praxistheorie und Akteur-Netzwerks-Theorie interessieren, durchaus interessant sein könnte. Das Manuskript ist (bis auf die eingangs eingefügte Notiz zur Zitierweise) auf dem Stand von 2005/2006 – aber besser so als nie:
Photo of the week: Shell perspective III
Anflüge von Wahl-O-Mat-Verdrossenheit
Alle Wahlen wieder gibt es nunmehr – seit 2002 - den Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung, inzwischen mit reichlich Medienpartnern, ähnlichen Tools der Parteien und dergleichen mehr gesegnet. Es gibt sogar Abzocker-Nachahmer.
Das Grundprinzip des Wahl-O-Mat ist über die Jahre weitgehend gleich geblieben: es werden viele – derzeit 38 – Thesen mit „stimme zu“/„neutral“/„stimme nicht zu“ gekennzeichnet, ein paar davon gewichtet und dann geschaut, mit welcher Partei die eigene Position wie stark übereinstimmt.
Beim heutigen Test des aktuellen Wahl-O-Mat lagen bei mir Grüne und Linke gleichauf an der Spitze. Das wundert mich nicht wirklich.
Mir ist aber auch aufgefallen, dass es viele Fragen gibt, die mir eher egal sind (und wo es mir egal ist, ob meine eigenen Position mit der einer Partei übereinstimmt oder nicht – das geht zwar mit „These überspringen“, was mir aber z.B. beim Ausfüllen nicht klar war), dass einige Thesen gar nicht sehr aussagekräftig sind („Die staatliche Beteiligung an privaten Banken darf nur eine vorübergehende Notlösung sein.“ – wenn ich jede staatliche Beteiligung ablehne, muss ich hier ebenso ablehnen wie wenn ich finde, dass Banken verstaatlicht werden sollen) und andere Themen (Klimaschutz, einiges aus dem Bereich Netzpolitik, …) komplett fehlen. Und dann würde ich bei Fragen wie z.B. der nach dem sofortigen Rückzug aller deutschen Truppen aus Afghanistan gerne komplexer antworten können als mit ja/nein.
Wenn ich die FAQ richtig verstehe, wurde die Einordnung der Parteien zudem durch diese selbst – und nicht anhand der Parteiprogramme o.ä. vorgenommen:
Den Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen wurde eine Liste mit insgesamt [in Workshops mit jungen Menschen entwickelten, TW] 87 Thesen zugeschickt. Sie wurden gebeten, die Thesen entsprechend der Parteihaltung mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“ oder „neutral“ zu beantworten. Aus den ausgefüllten Listen wurden diejenigen Thesen rechnerisch ermittelt, die keine ausreichende Unterscheidung der Parteien und Wählervereinigungen möglich machten, und entfernt. Die Redaktion hat aus den verbleibenden eine endgültige Auswahl von 38 Thesen getroffen, die in den Wahl-O-Mat eingebunden wurden.
Entsprechend glaube ich, dass der Wahl-O-Mat (irgendwo bei Twitter schwirrte auch die Idee herum, doch gleich einen „Koal-O-Mat“ zu machen) durchaus noch verbesserungsfähig ist. Dazu müsste allerdings in das Grundkonzept eingegriffen werden. Insbesondere könnte ich mir vorstellen, dass die Antworten auf die Thesen nicht von den Parteien gegeben werden, sondern aus den Parteiprogrammen entnommen werden (ist natürlich deutlich arbeitsintensiver – also eine Kreuzung aus Wahl-O-Mat und GESIS Wahlportal), und dass vor der eigentlichen Abfrage eine Auswahl von zwei bis vier relevanten Themengebieten erfolgt, zu denen dann Thesen kommen. Wenn mir Umweltpolitik und Bürgerrechte wichtig sind, würden dann dazu mehr und detaillierte Thesen/Fragen kommen als heute, und anderes würde unter den Tisch fallen.
Ein anderer Vorschlag: da eh gerechnet wird, könnte statt ja-neutral-nein auch eine feinere Skala genommen werden. Oder eine Auswahl zwischen zwei konkreten Vorschlägen (eher X … eher Y) mit Abstufungen auf der Skala. Aber das ist vielleicht zu viel der Komplexität.
Warum blogge ich das? Weil der Wahl-O-Mat inzwischen so ein bißchen eine Pflichtübung geworden zu sein scheint, der frischen Wind vertragen könnte. Interessant wäre natürlich auch zu wissen, ob es Untersuchungen darüber gibt, ob der Wahl-O-Mat tatsächlich Effekte auf die Wahlbeteiligung, die Politisierung oder die politische Bildung hat – und wie viele ihn nutzen, um zu entscheiden, welcher Partei sie ihre Stimme geben.



