Ich habe mir gestern die Sondersitzung des Bundestags – das erste Mal überhaupt an einem Sonntag – angeschaut. Das war eine historische Sitzung. Trotzdem hinterlässt sie bei mir ein schales Gefühl. Das hat vor allem mit der „Zeitenwende“ zu tun, die Bundeskanzler Scholz als Leitmotiv seiner Rede gewählt hat, und die vor allem durch Aufrüstung und eine Abkehr vom bisherigen Kurs der SPD gekennzeichnet zu sein scheint
Um nicht falsch verstanden zu werden: ich begrüße es, dass es jetzt spürbare Sanktionen gegen Putins Russland gibt. Und ich halte es in dieser historischen Situation für richtig, dass die EU der Ukraine Waffen liefert – es geht darum, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Da hält die Ukraine besser stand, als Putin sich das wohl gedacht hatte. Und ja, ich finde es sogar nachvollziehbar, dass die Verteidigungslinie der NATO nach Osten jetzt verstärkt werden soll.
Aber mir war das bei Scholz dann doch zu viel Begeisterung dafür, der Bundeswehr noch mehr Geld zu geben. Andere Fragen kamen in seiner Rede nur am Rande vor – die zukünftige Perspektive der Ukraine. Die Tatsache, dass es auch sozialdemokratische Energiepolitik war, die uns in die jetzige Abhängigkeit gebracht hat. Und auch in Richtung der aus der Ukraine fliehenden Menschen fehlte mir in Scholz‘ Rede Empathie und ausgestreckte Hände. Ein Stück weit fand sich dass das dann bei Baerbock (humanitäre Hilfe), bei Habeck (Energiepolitik) und selbst bei Lindner (das bisher grüne Framing von Klimaschutz als Ermöglichung von Freiheit aufgreifend) wieder. Aber trotzdem – ich hätte das gerne von Scholz gehört. So stehen die angekündigten 100 Mrd. € für die Bundeswehr dem Bitten um zweistellige Millionenbeträge für humanitäre Hilfe gegenüber; von einem 100-Mrd.-€-Manhattan-Programm, um die „Energiesouveränität“ schnellstmöglich zu erreichen, war ebenso nichts zu hören. Gleichzeitig heißt es von Lindner, dass die Schuldenbremse weiter gilt und die Investitionen in die Bundeswehr anderswo eingespart werden müssen. Dass da das Parlament mitzureden hat, hat dankeswerterweise Britta Haßelmann deutlich gemacht. Vielleicht setzt sich ja doch noch ein Kurs intelligenter Stärkung der Bundeswehr statt schlicht „mehr Geld in Rüstung“ durch. Das werden jedenfalls keine einfachen Entscheidungen in der Koalition.
Am Rande: Merz begann staatsmännisch und endete unterirdisch; die Linke wagte die vorsichtige Distanzierung von ihrer bisherigen Linie, und die AfD wäre jederzeit bereit, ein putinsches Marionettenkabinett zu bilden.