Kurz: Ratzmann-Rückzug und grüne Kindererziehung (Update 2: Habecks Väterbuch)

Die grü­ne Bun­des­vor­sit­zen­den­su­che scheint von der Gen­der­po­li­tik bestimmt zu sein – auch Vol­ker Ratz­mann hat jetzt ange­kün­digt, aus pri­va­ten Grün­den doch nicht für die Büti­ko­fer-Nach­fol­ge anzu­tre­ten. Sei­ne Lebens­ge­fähr­tin Kers­tin And­reae ist schwan­ger – und will als baden-würt­tem­ber­gi­sche Spit­zen­kan­di­da­tin wie­der in den Bun­des­tag. Bei­des zusam­men scheint nicht zu gehen, und so reiht sich Ratz­mann (wie ich mei­ne, sehr ver­ständ­li­cher­wei­se) in die Rei­hen der­je­ni­gen ein, die wegen Erzie­hungs­zei­ten nicht für den Bun­des­vor­sitz in Fra­ge kom­men wollen. 

Para­do­xe Anmu­tung hat die­se Begrün­dung aller­dings schon – im März war es neben Robert Habeck und Ant­je Her­men­au auch der der­zei­ti­ge Allein­kan­di­dat Cem Özd­emir, der „nicht der Grüß-Gott-Onkel für mei­ne Toch­ter wer­den [will]“ (Vera Gas­e­row in der FR, dort lei­der nicht mehr ver­füg­bar, Kopie bei R.H.). Jetzt bleibt nur Cem übrig – und hof­fent­lich die Ein­sicht, dass die Ver­ein­bar­keit von Beruf und Fami­lie auch für poli­ti­sche Spit­zen­äm­ter rele­vant ist.

Update: SpOn berich­tet auch über die Vater­schaft. Auch, dass Robert Habeck eben­falls damit argu­men­tiert hat. Die Özd­emir-Poin­te kommt aller­dings nicht vor.

Update 2: (16.9.2008) Dafür spielt sie in Chris­ti­an Fül­lers Bespre­chung von Habecks Väter­buch („Ver­wirr­te Väter“) eine Neben­rol­le. Die Bespre­chung macht übri­gens rich­tig Lust dar­auf, das Buch zu lesen, was ich weder vom The­ma noch vom Jour­na­list erwar­tet hät­te. Dass Fül­ler aller­dings glaubt, dass Grü­ne Femi­nis­tIn­nen Eva Her­mann toll fin­den könn­ten, ist reich­lich absurd.

Die Zora lernt sprechen

FlunschNeu­ro­lin­gu­is­tik ist ziem­lich span­nend, vor allem, wenn sie zuhau­se stattfindet. 

Zora (2 3/4) kann schon ziem­lich gut spre­chen, aber sie macht auch noch ziem­lich vie­le inter­es­san­te (und für Kin­der in ihrem Alter mei­ne ich ziem­lich typi­sche) Fehler. 

So ver­wen­det sie die meis­ten Ver­ben noch regu­lär, auch die, die es gar nicht sind (und fin­det auch nicht immer die rich­ti­ge Beu­gungs­form bei ande­ren). Dann gibt es Flos­keln, die sie als gan­ze Flos­keln ver­wen­det, auch in Situa­tio­nen, wo sie nur bedingt pas­sen. („Ich will im gro­ßen Bett schla­fen“ – „War­um?“ – „Weil es inter­es­sant ist“). Und schließ­lich erfin­det sie Wör­ter (wenn ihr kei­ne ein­fal­len) und ver­sucht, ob die­se ver­wend­bar sind („Das ist ein dakad­a­ka.“). Über­ge­ne­ra­li­siert wird natür­lich auch: Alles, was abmach­bar ist, ist „Scha­le“ – egal, ob an einer Frucht, die Rin­de an einem Bröt­chen oder das Ein­wi­ckel­pa­pier ums Bonbon. 

Am lus­tigs­ten aber klin­gen rich­tig-falsch zusam­men­ge­setz­te Wör­ter: Heu­te mor­gen waren wir erst beim „Geld­la­den“ und dann beim „Bröt­chen­la­den“, und zwi­schen Kopf und Rumpf sitzt der „Kopf­stiel“. „So ist das!“

Update zu Die Zora redet.

Mann kriegt Kind, taz ekelt sich

Tho­mas Bea­tie, als Frau gebo­ren, als Mann lebend, hat vor ein paar Tagen eine klei­ne Toch­ter zur Welt gebracht. Für mich klingt das ein biß­chen nach Sci­ence Fic­tion (genau­er gesagt, nach eini­gen Geschich­ten aus Iain M. Banks Cul­tu­re-Uni­ver­sum, in denen wil­lent­lich das Geschlecht wech­seln­de Schwan­ge­re vor­kom­men), für Arno Frank von der taz nach einem Anlass, ver­schwim­melt die „natür­li­che Geschlecht­er­ord­nung“ zu loben, jeg­li­che Aner­ken­nungs­be­mü­hun­gen für que­e­re Lebens­ent­wür­fe, Trans­gen­der und Trans­se­xua­li­tät, die ja nicht zuletzt in der taz ein Forum gefun­den haben, zurück­zu­wei­sen, und sei­nen Mei­nungs­bei­trag zum The­ma mit fol­gen­den Wor­ten zu beenden:

Tho­mas Bea­tie ist kein Mann, son­dern eine schreck­lich ver­stüm­mel­te Frau – und gott­lob nicht ver­stüm­melt genug, um kei­ne Kin­der gebä­ren zu kön­nen. Wün­schen wir also allen Betei­lig­ten das Beste.

Das hat nicht nur mich ziem­lich geär­gert, son­dern z.B. auch Kat­ja Husen und eine gan­ze Rei­he Leser­brief-Schrei­be­rIn­nen. Mei­nen Leser­brief hat die taz heu­te auch abgedruckt:

Viel­leicht ist’s in der for­mat­be­ding­ten Zuspit­zung begrün­det; trotz­dem ist das, was Arno Frank schreibt, eine Zumu­tung. Anschei­nend ist er nicht bereit, anzu­er­ken­nen, dass es so etwas wie „Trans­gen­der“ tat­säch­lich gibt. Statt­des­sen flüch­tet Frank sich in die Rei­hen des bio­lo­gis­ti­schen Back­lashs und haut mal mit auf die Gen­der­stu­dies drauf; dann lässt sich alles, was über die „nor­ma­le“ Geschlech­ter­ma­trix hin­aus­geht, bequem als modi­sche Abwei­chung, als – in sei­nen Wor­ten – „Quatsch“ beschrei­ben. Der­ar­ti­ge Feind­se­lig­keit in der taz zu fin­den, irri­tiert. Ein biss­chen Erwar­tungs­ent­täu­schung ist ja schön und gut, aber hin­ter dem Schild bio­lo­gi­scher Kör­per­lich­keit que­e­re Lebens­ent­wür­fe prin­zi­pi­ell in Fra­ge zu stel­len, statt gegen Dis­kri­mi­nie­rung zu arbei­ten: das ist der taz nicht würdig. 

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Feind­se­lig­keit und der Ekel, der aus dem Kom­men­tar von Arno Frank gespro­chen hat, ernst­haft irri­tiert hat – auch inner­halb der auf­ge­klär­ten Lin­ken scheint der Glau­be an die Voll­kom­men­heit der natür­li­chen Geschlecht­er­ord­nung sei­ne Anhän­ge­rIn­nen zu finden.

Wir Kinder der Rebellion: oder Verstetigung eines Lebensstils?

Nina Pau­er fragt in der taz nach den Kon­se­quen­zen der „unmög­li­chen Rebel­li­on“ von (Post-)68er-Kindern gegen die Eltern. Im Zen­trum steht fol­gen­de Frage:

So zumin­dest stel­len wir uns das vor. „Das Gute am Jung­sein ist, dass alle gegen dich sind“ könn­te das Mot­to unse­rer Eltern­ge­nera­ti­on sein, die sich trotz all dem für uns so spa­ßig und wild Erschei­nen­den der 68er ihren Weg in die Eigen­stän­dig­keit gegen den Wil­len ihrer spie­ßi­gen, Nazi-ver­strahl­ten oder lang­wei­li­gen Eltern hart erkämp­fen muss­ten. Was aber, wenn nie­mand je gegen einen war? Uns ver­folgt die Unfä­hig­keit der Ab- oder Auf­leh­nung unser gan­zes jun­ges Leben lang. Eine Rebel­li­on gegen unse­re Eltern war nicht nötig, aber eben auch nie mög­lich. Klar könn­ten wir uns in die so oft besun­ge­ne Spaß­ge­sell­schaft stür­zen. Doch allein aus ästhe­ti­schen Grün­den kennt auch unse­re Trash-Affi­ni­tät kla­re Gren­zen; mehr als ein paar Minu­ten bil­dungs­fer­ner Sen­de­for­ma­te kön­nen wir am Stück nicht ertra­gen. Klar könn­ten wir Stei­ne schmei­ßen und alle­samt „anti­deutsch“ wer­den. Aber dass die lin­ke Radi­ka­li­tät aus­pro­biert und geschei­tert ist, dass alter­na­tiv kei­ne Alter­na­ti­ve ist, konn­ten wir nie ernst­haft anzweifeln.

Pau­er kommt zum Fazit, dass weder Welt­re­li­gio­nen (dafür sind „wir“ zu ratio­nal) noch Kon­su­mis­mus noch Spie­ßer­tum als Rebel­li­ons­al­ter­na­ti­ven in Fra­gen kom­men, endet aber irgend­wie ratlos-harmonisch.

Für mich steckt hin­ter die­sem Arti­kel noch eine ande­res The­mas, das die von Pau­er ange­spro­che­nen Fra­gen erst ermög­licht. Die Fra­ge, woge­gen „wir“ den rebel­lie­ren soll­ten, wenn wir uns mit unse­ren Eltern eigent­lich ganz gut ver­ste­hen, und deren Lebens­stil auch eher vor­bild­haft als abzu­leh­nend anse­hen, stellt sich erst dann, wenn „Jugend­re­vol­te“ als Nor­ma­li­tät ange­nom­men wird. Oder zumin­dest als stil­ty­pi­sche Normalität. 

Wenn der „post­ma­te­ria­lis­ti­sche“ Lebens­stil der 68er- und 78er-Eltern dage­gen nicht auto­ma­tisch als an Jugend­pro­test gekop­pelt ver­stan­den wird, und als per­ma­nen­te Revo­lu­ti­on, oder zumin­dest Rebel­li­on, gedacht wird, son­dern als umkämpf­te Neu­erfin­dung eines bis dato nicht wirk­lich exis­ten­ten Lebens­stil­fel­des, die Kon­sti­tu­ti­on eines Milieus? (Laut SINUS übri­gens das ein­zi­ge, das alle Alters­grup­pen umfasst). Dann gibt es auch nicht unbe­dingt die Not­wen­dig­keit zur Gene­ra­ti­ons­re­vol­te, zur Abar­bei­tung an der Eltern­ge­nera­ti­on, son­dern viel­mehr zur Ver­ste­ti­gung eines meh­re­re Gene­ra­tio­nen über­grei­fen­den Pro­jek­tes eines – letzt­lich – „rich­ti­gen Lebens“. Und dann erscheint es plötz­lich als ganz nor­mal, dass „Wir Kin­der der Rebel­li­on“, wie die taz den Arti­kel von Pau­er beti­telt hat, eigent­lich nur im Lang­frist­pro­jekt glück­lich wer­den kön­nen, den Wer­te­ho­ri­zont und die Lebens­ex­pe­ri­men­te unse­rer Eltern zum dau­er­haf­ten All­tag fortzuführen. 

War­um soll­te das auch nicht gelin­gen – auch die Söh­ne und Töch­ter des kon­ser­va­ti­ven Bür­ger­tums haben ja schein­bar kei­ner­lei Pro­ble­me damit, in der gro­ßen Mehr­zahl in die elter­li­chen Fuß­stap­fen zu treten.

War­um blog­ge ich das? Weil der taz-Arti­kel Fra­gen anspricht, denen näher nach­zu­ge­hen ich recht span­nend fin­de – und weil ich mich im „wir“ des Arti­kels wiederfinde.

„Zu viel großstädtische Leere“

Am Frei­tag gab es eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung zum wei­te­ren Vor­ge­hen der Stadt bei der Umge­stal­tung der „erwei­ter­ten Innen­stadt“ zwi­schen Thea­ter und KG II (Platz der Alten Syn­ago­ge). Ich konn­te auf­grund fami­liä­rer Ver­pflich­tun­gen lei­der nicht hin­ge­hen, konn­te aber dafür im heu­ti­gen Sonn­tag einem umfang­rei­chen Bericht von Jens Kitz­ler – der den Titel „Zu viel groß­städ­ti­sche Lee­re“ trägt, den ich mir für die­sen Ein­trag aus­ge­lie­hen habe – ent­neh­men, dass ich mit mei­nen Beden­ken bei wei­tem nicht allei­ne da stehe.

KG II, I
Im Som­mer wird die Grün­flä­che vor dem KG II viel­fach (und viel­fäl­tig) genutzt

Im Okto­ber 2007 wur­de die Jury­ent­schei­dung für die Umge­stal­tung des Platz bekannt­ge­ben. Lei­der sind im ver­link­ten Bei­trag nur die Fotos vom Ist-Zustand ent­hal­ten (sie­he auch oben). Hier kön­nen die Wett­be­werbs­er­geb­nis­se ein­ge­se­hen wer­den. Den ers­ten Prei­sen gemein­sam ist, dass die bis­her viel­fach geglie­der­te Raum­si­tua­ti­on – erhöh­te Grün­flä­che vor dem KG II, Fahr­rad­ab­stell­plät­ze, Gedenk­plat­te für die Alte Syn­ago­ge mit Baum­be­stand, Rotteckring/Platz der Uni­ver­si­tät als mehr­spu­ri­ge Stra­ße, Thea­ter­vor­platz mit wie­der­um Rasen­flä­chen – durch eine gro­ße Stein­plat­te ersetzt wer­den soll. Das kommt nicht von unge­fähr, weil es mehr oder weni­ger der Wett­be­werbs­aus­schrei­bung entspricht.
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