The good kind of weird – Teil II

Offi­zi­ell soll­te die Bekannt­ga­be der Hugo-Awards – Herz der World­con – um 20 Uhr star­ten. Schon vor 19 Uhr bil­de­te sich eine beträcht­li­che Schlan­ge vor dem Ein­gang des „Arma­dil­lo“, wie über­haupt das Anste­hen in Schlan­gen einen erheb­li­chen Teil der World­con-Expe­ri­ence aus­mach­te. Jeden­falls dau­er­te es dann bis 20.30 Uhr, bis das Cly­de-Audi­torum dann tat­säch­lich gefüllt war: im vor­de­ren Drit­tel die Nomi­nier­ten und Gäs­te, hin­ten wir „ein­fa­che“ Fans, die aber immer­hin auch die­je­ni­gen sind, die über die Ver­ga­be der Hugos bestim­men. Dazu gleich mehr. 

Eine gedul­di­ge war­ten­de bun­te Men­ge, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be, teil­wei­se in Ver­klei­dung, teil­wei­se in Abend­gar­de­ro­be ver­klei­det. Rund um mich her­um min­des­ten vier oder fünf Spra­chen, nicht nur das all­ge­gen­wär­ti­ge Eng­lisch – mit oder ohne schot­ti­scher Ein­fär­bung – son­dern auch Schweit­zer­deutsch, Fin­nisch und Chi­ne­sisch. Blau-lila Farb­spie­le an den Wän­den; vio­lett ist die Signa­tur­far­be die­ser Glasgow-Worldcon. 

Es wer­den letz­te Sel­fies gemacht. Im vor­de­ren Bereich neh­men Grup­pen aus Chi­na teil, die wohl extra für die­se Preis­ver­lei­hung ange­reist sind; unter den Nomi­nier­ten sind auch chi­ne­si­sche Publi­ka­tio­nen. Auch das hat etwas mit dem Ver­fah­ren zu tun, wie die Hugos ver­ge­ben wer­den. Spoi­ler: Prei­se gab es keine. 

Dass die Hugos, die es seit den 1950ern gibt, immer noch vor allem ein Fan-Award sind, zeigt sich nicht nur im Ver­ga­be­ver­fah­ren, son­dern auch an der Viel­zahl von Kate­go­rien, in denen Prei­se ver­ge­ben wer­den. Dazu gehö­ren Fan Art und Fan­zines, Pod­casts und „best rela­ted work“ – aber auch die gro­ßen, renom­mier­ten Prei­se, die ganz am Ende der Zere­mo­nie ver­ge­ben wer­den, für die bes­te Kurz­ge­schich­te, die bes­te Novel­le und den bes­ten Roman aus dem ver­gan­ge­nen Jahr. 

Vor­schlä­ge für all die­se Kate­go­rien kön­nen von den Mit­glie­dern der WSFA ein­ge­reicht wer­den – das sind alle Teil­neh­men­den der ver­gan­ge­nen und aktu­el­len World­con. Die World­con 2023 fand zum ers­ten Mal – durch­aus kon­tro­vers bewer­tet – in Chi­na statt. Inso­fern nicht ver­wun­der­lich, dass in vie­len Kate­go­rien auch chi­ne­si­sche Wer­ke nomi­niert wur­den, die mir – und ver­mut­lich vie­len ande­ren – aller­dings wenig sagten.

„I‘m a Hugo voter“ – die eigent­li­che Wahl unter den fünf oder sechs Nomi­nier­ten fin­det vor der World­con statt, die digi­ta­len Wahl­ur­nen schlie­ßen eini­ge Tage vor Beginn. Aus­ge­zählt wird nach einem – wir sind unter Nerds – Prä­fe­renz­wahl­ver­fah­ren. Als Wähler*in gebe ich eine Rei­hung je Kate­go­rie, aus denen dann in einem mehr­stu­fi­gen Ver­fah­ren mit Über­tra­gung der übri­gen Stim­men der aus­schei­den­den Nomi­nie­run­gen auf die übri­gen Plät­ze ermit­telt wird, wer die Hugo-Awards erhält.

Mehr dazu (und zu allen Ergeb­nis­sen in allen Kate­go­rien) ist auf der Web­site theHugoAwards.org zu fin­den. Im Saal wur­de eine stark gekürz­te Geschich­te der Awards und des Ver­fah­rens prä­sen­tiert, dann begann – mit eini­gen Hol­pern und tech­ni­schen Pro­ble­men, wir sind, wie gesagt, wei­ter im Bereich der Fan-Orga­ni­sa­ti­on – die eigent­li­che Nen­nung der Gewinner*innen, und so sie anwe­send waren, deren mehr oder weni­ger trä­nen­rei­che und vor­be­rei­te­te („I just wro­te this on my pho­ne …“) Accep­tance-Spee­ches, mal zur Sache, und ab und an zur Welt­po­li­tik. Nicht ganz Oskar-Niveau, aber doch sehr spannungsreich. 

Ich will jetzt nicht auf alle 18 oder so Prei­se ein­ge­hen, son­dern nur sechs hervorheben:

Der Hugo für das bes­te „rela­ted work“ ging – zu deren Erstau­nen (aber völ­lig zu Recht) – an Zach und Kel­ly Wei­ners­mith für A City on Mars, deren lus­tig geschrie­be­ne, sehr ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit der Unmög­lich­keit, Mond und Mars zu besie­deln. Uner­war­tet, weil das völ­lig an der Final-Fron­tier-Tra­di­ti­ons­li­nie vor­bei­geht, die die Sci­ence Fic­tion lan­ge Zeit geprägt hat. Wenn ich mir anschaue, wie vie­le Panels auf der World­con sich mit Solar­punk und der erneu­ten Hin­wen­dung zu unse­rem Hei­mat­pla­net befass­ten, war die­ser Erfolg viel­leicht gar nicht so uner­war­tet – und passt in gewis­ser Wei­se zu den wei­te­ren Preisträgerinnen.

Der Hugo für die bes­te Serie ging an Ann Leckie für deren Impe­ri­al Rad­ch-Serie. Die ist jetzt einer­seits doch tra­di­tio­nel­le Sci­ence Fiction/Space Ope­ra, inso­fern sie in irgend­wel­chen fer­nen Wel­ten spielt. Ande­rer­seits ist Leckies Serie eine inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit künst­li­chen Intel­li­gen­zen (in ver­teil­ten Kör­pern), spielt mit einer Kul­tur, die kon­se­quent nur ein Geschlechts­pro­no­men ver­wen­det („she“) und hat viel mit Fremd- und Anders­ar­tig­keit zu tun. Moti­ve, die sich alle­samt in vie­len erfolg­rei­chen Wer­ken der letz­ten Jah­re finden.

Nao­mi Krit­zer hat (eben­falls sehr ver­dient) gleich zwei Hugos gewon­nen, und zwar für die bei­den Geschich­ten „Bet­ter living through algo­rith­ms“ (Best short sto­ry) und „The year wit­hout suns­hi­ne“ (Best novel­let­te). Bei­de sind m.W.n. online zu fin­den, und lesens­wert. Ich wür­de bei­de irgend­wo in dem Feld aus Cozy SF – Hope­punk – Solar­punk ein­sor­tie­ren. „Bet­ter living …“ setzt sich damit aus­ein­an­der, was pas­siert, wenn Men­schen die „Erlaub­nis“ bekom­men – hier durch den titel­ge­ben­den Algo­rith­mus – sich Zeit für die Din­ge zu neh­men, die ihnen wich­tig sind. „The year wit­hout suns­hi­ne“ han­delt von ganz nor­ma­len Men­schen in einer Nach­bar­schaft, mit und ohne Behin­de­run­gen, die in einer Kri­se auf sich selbst gestellt sind. Statt zum Krieg aller gegen alle kommt es zu gegen­sei­ti­ger Unter­stüt­zung, eine Gemein­schaft bil­det sich. Bei­des defi­ni­tiv emp­feh­lens­wer­te Geschich­ten, die auch mei­ne Stim­men bekom­men haben, und die sich auch als Hand­lungs­an­lei­tung eig­nen. Und die mit der Hin­wen­dung zu unse­rer Rea­li­tät, zu nahen Kri­sen und weg von tech­ni­schen Lösun­gen für einen Trend der gegen­wär­ti­gen SF stehen.

Über T. King­fi­shers Hugo für die Novel­le Thorn­hedg kann ich dage­gen wenig sagen. Ich habe die­se Novel­le, eine his­to­risch akku­ra­te Neu­er­zäh­lung von Dorn­rös­chen mit Fokus auf die schein­bar so unwich­ti­gen Details, bis­her nicht gele­sen, fand die Kate­go­rie auch ins­ge­samt eher schwie­rig in der Bewer­tung (ein­zig Mal­ka Olders „Mimi­cking of Known Suc­ces­ses“ sag­te mir etwas). In ihrer sehr ein­präg­sa­men Rede sprach King­fi­sher jeden­falls über die diver­sen mee­res­öko­lo­gi­schen und evo­lu­tio­nä­ren Beson­der­hei­ten der Seegurke.

Bleibt noch die Köni­gin­nen­ka­te­go­rie der Hugos, bes­ter Roman. Hier waren alle nomi­nier­ten Wer­ke her­aus­ra­gend; ich habe mich auch bei mei­ner Abstim­mung schwer getan, was ich nach vor­ne set­ze. Gewet­tet hät­te ich, dass mei­ne Nr. 2, The Saint of Bright Doors von Vajra Chandra­se­kera die Abstim­mung gewinnt. Tat­säch­lich gewor­den ist es dann – auf mei­nem Stimm­zet­tel eben­so wie im Gesamt­vo­ting – jedoch Emi­ly Tesh‘ Roman Some Despe­ra­te Glo­ry. Auf den ers­ten Blick wider­spricht die­ses Buch mei­ner Aus­sa­ge, dass der Trend der Stun­de Hope­punk und die Rück­be­sin­nung auf den Hei­mat­pla­ne­ten ist. Hier geht es um inter­stel­la­re Krie­ge und die letz­ten Res­te der Mensch­heit, die sich irgend­wo ver­schanzt haben. Das sieht erst­mal wie MilSF aus, ist ziem­lich düs­ter – und ent­puppt sich dann nach meh­re­ren Per­spek­tiv­wech­seln als etwas ganz ande­res. In ihrer beein­dru­cken­den Rede beton­te Tesh, dass es ihr in ihrem Roman dar­um gegan­gen sei, das schlech­tes­te, was die Mensch­heit aus­macht, in kon­zen­trier­ter Form dar­zu­stel­len: ein faschis­ti­sches Regime, das auf Mili­ta­ri­sie­rung, Pro­pa­gan­da und Indok­tri­na­ti­on setzt – und zu zei­gen, wie schwer – und trotz­dem mög­lich – es ist, sich dar­aus zu befrei­en. Ein klei­ner Fun­ke Hoff­nung in der Dunkelheit!

Ich habe für „mei­ne“ Favorit*innen mit­ge­fie­bert, als die Prei­se bekannt­ge­ge­ben wur­den, und bin ins­ge­samt (mal von Rand­ka­te­go­rien wie der bes­ten Bewegt­bild­se­ri­en­epi­so­de abge­se­hen) sehr zufrie­den mit den Ergeb­nis­sen. Herz­li­chen Glück­wunsch allen Nomi­nier­ten und Preisträger*innen – und wer nach lesens­wer­ter Lek­tü­re sucht, ist mit dem die­ses Jahr prä­sen­tier­ten Spek­trum sehr gut bedient.

Science Fiction und Fantasy im Juni und Juli 2024

Freiburg view (lights) - II

Aus ver­schie­de­nen Grün­den – unter ande­rem dem Wunsch nach Voll­stän­dig­keit – bin ich im Juni nicht dazu gekom­men, etwas zu mei­ner SF-Lek­tü­re zu schrei­ben. Dafür wird es heu­te im Rück­blick auf Juni und Juli etwas länger.

Ich fan­ge mal mit zwei Büchern an, die ich vor allem des­we­gen gele­sen habe, weil sie auf der Short­list für den Hugo („best novel“) ste­hen. Da ich mich dann doch ent­schie­den habe, die Chan­ce einer World­con in Euro­pa zu nut­zen und nächs­te Woche nach Glas­gow zu fah­ren, durf­te ich dies­mal mit abstim­men – und die ande­ren vier Roma­ne in der Kate­go­rie „best novel“ kann­te ich schon.

Das ist zum einen Mar­tha Wells Witch King (2023), der ers­te Roman einer neu­en Fan­ta­sy-Serie. Wells kann­te ich bis­her vor allem als Autorin der Muder­bot-Dia­ries, ihre vor­he­ri­gen Fan­ta­sy-Roma­ne habe ich glau­be ich nicht gele­sen. Im Witch King geht es auf zwei mit­ein­an­der ver­schränk­ten Zeit­ebe­nen zum einen um eine Revo­lu­ti­on gegen ein angriffs­lus­ti­ges Impe­ri­um, zum ande­ren, in der Gegen­wart des Romans, um die Fra­ge, wer die bei­den Haupt­per­so­nen leben­dig begra­ben hat, und wel­che Intri­gen und poli­ti­schen Ver­wick­lun­gen dahin­ter ste­cken. Die bei­den Haupt­per­so­nen sind zum einen der namens­ge­ben­de Witch King, ein Dämo­nen­prinz namens Kai, der ver­schie­de­ne mensch­li­che Kör­per benutzt, und zum ande­ren Zie­de, eine Hexe, die Wind­geis­ter beschwö­ren kann. Neben Dämon*innen und Hexer*innen gibt es in Wells Rising-World-Sze­na­rio „nor­ma­le“ Sterb­li­che, aber auch ein Volk von Unsterb­li­chen und das bereits genann­te Impe­ri­um der Hier­ar­chie, über das – bis auf deren blut­rüns­ti­ges und gewalt­sa­mes Vor­ge­hen – wenig bekannt ist. Das eine oder ande­re Magie-Ele­ment funk­tio­niert anders als erwar­tet (posi­tiv, weil eine Abwechs­lung), und wie doch sehr unter­schied­li­che Cha­rak­te­re zusam­men­kom­men, wird von Wells eben­so gut beschrie­ben wie die zer­stör­ten Städ­te und Land­schaf­ten, in denen die Geschich­te spielt. Beson­ders gefal­len hat mir die alles ande­re als ein­fa­che Innen­sicht des Erzäh­lers: der Dämo­nen­prinz kämpft mit Zwei­feln, Unsi­cher­hei­ten und Über­for­de­rung. (Dar­in erin­nert Witch King trotz kom­plett ande­rem Set­ting an die Murderbot-Reihe). 

Eben­falls gut gefal­len hat mir der zwei­te mir bis­her unbe­kann­te Roman auf der Hugo-Short­list, The Adven­tures of Ami­na al-Sira­fi von Shan­non Chakra­bor­ty (2023). Das Buch ist die Ich-Erzäh­lung einer legen­dä­ren Pira­ten­ka­pi­tä­nin, die einem Schrei­ber von ihren Aben­teu­ern – und der Geschich­te hin­ter der Geschich­te – berich­tet. Nach und nach kommt die eine oder ande­re Ver­stri­ckung zu Tage, und was anfangs nach Pira­ten­aben­teu­er in einem inter­es­san­ten Set­ting aus­sieht, wird zuneh­mend zu Fan­ta­sy mit Djinns, Dämo­nen und See­unge­heu­ern, wobei die Gren­ze zwi­schen magi­scher Welt und All­tag dün­ner ist als heu­te. Stich­wort: inter­es­san­tes Set­ting – der Roman spielt rund um den Indi­schen Oze­an, im isla­mi­schen Mit­tel­al­ter. Die Haupt­per­son ist mehr oder weni­ger streng­gläu­bi­ge Mus­li­min, ande­re Cha­rak­te­re brin­gen ihre eige­nen Reli­gio­nen mit dazu. Euro­pa und die Kreuz­zü­ge kom­men am Ran­de vor – als über die­se isla­mi­sche Welt hin­ein­bre­chen­de Kata­stro­phe, zu deren Hin­ter­las­sen­schaf­ten auch der Haupt­ant­ago­nist gehört, ein mit Zau­ber­küns­ten expe­ri­men­tie­ren­der frän­ki­scher Söld­ner. Und ganz neben­bei ist Ami­na al-Sira­fi auch allein­er­zie­hen­de Mut­ter eines klei­nen Mäd­chens, wer­den Geschlechts­iden­ti­tä­ten und unter­schied­li­che For­men des Begeh­rens und der Auf­be­geh­rens abge­han­delt, ohne jedoch davon abzu­len­ken, dass wir es mit knal­li­gen und viel­far­bi­gen Aben­teu­ern in einer von hier aus gese­hen frem­den Ver­gan­gen­heit zu tun haben.

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber mein Ran­king für den Hugo, Best Novel: „Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy im Juni und Juli 2024“ weiterlesen

Science Fiction und Fantasy im März 2024

Miniaturwunderland - XIX

Vor ein paar Tagen wur­den die Fina­lis­ten für den dies­jäh­ri­gen Hugo-Award von der World­con Glas­gow ver­öf­fent­licht. Vier der sechs für den bes­ten Roman nomi­nier­ten Wer­ke habe ich gele­sen (und fin­de sie dort sehr zu recht plat­ziert), in den ande­ren Kate­go­rien sind es jeweils nur ein oder zwei Ein­trä­ge, die ich ken­ne. Was mich zu der Fra­ge bringt: war jemand schon mal auf einer World­con? Bei Rie­sen­ver­an­stal­tun­gen bin ich immer so ein biss­chen skep­tisch, ist nicht wirk­lich mei­ne bevor­zug­te Umwelt – gleich­zei­tig liegt Glas­gow halt tat­säch­lich in einer – in den hie­si­gen Som­mer­fe­ri­en – erreich­ba­ren Ent­fer­nung. Will ich da hin?

Damit zu dem, was ich im März ange­guckt und gele­sen habe – im Rück­blick eini­ges, Pen­del­stre­cken zah­len sich aus … 

Ange­guckt habe ich mit mei­nen inzwi­schen schon sehr jugend­li­chen Kin­dern die Net­flix-Serie „The Last Air­ben­der“ (die Real­ver­fil­mung von 2024), die soli­de gemacht ist, auch wenn ich an der einen oder ande­ren Stel­le die Green­screens bzw. die digi­ta­le Trick­kis­te nicht ganz per­fekt ein­ge­setzt fin­de. Die Geschich­te selbst ist aus der Zei­chen­trick­se­rie bekannt, hier aber noch­mal ver­dich­tet. Im Hin­ter­grund ziem­lich viel Trau­ma, im Vor­der­grund hüb­sche Land­schaf­ten, fan­tas­ti­sche Orte, flie­gen­de Tie­re und nach­voll­zieh­ba­re Zauberkräfte.

Ange­schaut habe ich mir wei­ter „Cloud Atlas“ (2012) – zum zwei­ten Mal, das Buch von David Mit­chell habe ich eben­falls schon ein- oder zwei­mal gele­sen. Und es lohnt sich, die­sen sehr lan­gen Film zwei­mal zu sehen – die (mit der Rah­men­hand­lung) sie­ben Zeit­ebe­nen sind sonst doch etwas ver­wir­rend. Und das eine oder ande­re Detail in der Ver­knüp­fung zwi­schen den Zeit­ebe­nen wird auch erst beim zwei­ten Hin­se­hen sicht­bar. Was ich nicht wuss­te, und erst im Nach­hin­ein gelernt habe: die Schauspieler*innen in den Zeit­ebe­nen sind zu gro­ßen Tei­len iden­tisch, wech­seln aller­dings wild Alter, z.T. auch eth­ni­sche Her­kunft und Geschlecht. Das ist dann doch ziem­lich eindrucksvoll. 

Ähn­lich unver­film­bar und ähn­lich lang (und ver­mut­lich eben­falls bes­ser, wenn er ein zwei­tes Mal ange­schaut wird): der zwei­te Teil von „Dune“ (2024) von Denis Ville­neuve läuft jetzt im Kino. Das ers­te Dune-Buch ist in der Ver­fil­mung damit in Teil 1 und 2 rund fünf Stun­den lang, das ist eini­ges – und die Dune-Serie hät­te ja auch noch eini­ge Nach­fol­ge­bän­de zu bie­ten, dazu gleich. Wäh­rend Teil 1 viel Expo­si­ti­on bot, und mir vor allem in sei­ner Ästhe­tik (samt bru­ta­lis­ti­scher Raum­schif­fe) in Erin­ne­rung geblie­ben ist, ist Teil 2 sehr viel hand­lungs­rei­cher. Paul Atrei­des schließt sich den Fre­men an, wird als deren Mes­si­as aner­kannt, rei­tet auf Sand­wür­mern und greift schließ­lich das Impe­ri­um an. Das hat epi­schen Cha­rak­ter, und zeigt, was Kino kann. Eini­ge Details fand ich bemer­kens­wert, etwa die Ent­schei­dung, Pauls Schwes­ter Alia – auf­grund einer Zeit­raf­fung gegen­über dem Buch – größ­ten­teils nur als voll bewuss­ten Embryo zu zei­gen, oder auch die in Infra­rot­schwarz­weiß gefilm­ten Sze­nen auf Gie­di Prime, die eine ganz eige­ne Fremd­ar­tig­keit zum Aus­druck bringen. 

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Science Fiction und Fantasy im Februar 2024

Hamburg XXXIII

Vor­teil an Pen­del­stre­cken: viel gele­sen krie­gen. Zuerst aber ein Blick auf sons­ti­ge Medi­en. Die Gra­phic Novel Unfol­low (2020) von Lukas Jüli­ger fand ich dann doch eher verstörend/irritierend. Aber viel­leicht sind auch Gra­phic Novels nicht so ganz mein Format.

Auf dem Bild­schirm gese­hen habe ich einen der Net­flix-Wes-Ander­son-Kurz­fil­me (nach Roald Dahl), sowas wie Wes Ander­son als Essenz. Hat was. Dann haben wir Tomor­row­land (2015) ange­schaut – ein biss­chen Gib­sons Gerns­back-Kon­ti­nu­um, ein biss­chen Wer­bung für Dis­neys Ver­gnü­gungs­park. Ins­ge­samt nicht so rich­tig überzeugend.

Wow-Effekt dafür bei der zwei­ten Staf­fel The Wit­cher (Net­flix), naja vor allem Auf­grund des har­ten Über­ra­schungs­mo­ments ganz am Schluss. Ansons­ten soli­de gemach­te Fantasy.

Gele­sen habe ich Veno­mous Lump­su­cker (2022) von Ned Beau­man – eine düs­te­re und böse Sati­re auf Zer­ti­fi­kats­han­del, Kapi­ta­lis­mus und liber­tä­re Sei­fen­bla­sen­träu­me. Ober­fläch­lich geht es in die­sem Buch um die Welt in ein paar Jahr­zehn­ten. Das Arten­ster­ben hat sol­che Aus­ma­ße ange­nom­men, dass sich rund um den Erhalt der letz­ten Arten und Öko­sys­te­me ein Wirt­schafts­zweig ent­wi­ckelt hat – mit han­del­ba­ren Schutz­rech­ten, mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen und kor­rup­ten Regi­men. Der (wenn ich das rich­tig sehe, fik­ti­ve) titel­ge­ben­de Lump­fisch steht in der Ost­see kurz vor dem Aus­ster­ben. Ent­spre­chend ist die Haupt­per­son, eine Bio­lo­gin, nicht gewillt, einem mul­ti­na­tio­na­len Kon­zern den Per­sil­schein für deren Abbau­rech­te im letz­ten Habi­tat die­ses Fisches zu geben. Dem Kon­zern gefällt das nicht, auch des­we­gen, weil da schon abge­baut wur­de – und über­haupt: im Zwei­fel gibt es ja Gen­ban­ken. Bis dann ein unvor­her­ge­se­he­nes Ereig­nis dazu führt, dass eine wil­de Jagd auf die letz­ten Lump­su­cker beginnt. Eine Jagd, die Beau­man für eine exzel­lent zuge­spitz­te Sati­re diver­ser Aus­wüch­se unse­rer Gegen­warts­ge­sell­schaft nutzt.

Nach­dem mir die­ses Buch sehr gut gefal­len hat, habe ich dann Beau­mans älte­res The Tele­por­ta­ti­on Acci­dent (2012) gele­sen, damit bin ich aller­dings nicht so rich­tig warm gewor­den, bzw. konn­te erst gegen Schluss des Buches was damit anfan­gen. Set­ting hier sind die 1930er Jah­re, Ber­lin, Paris, Los Ange­les, es geht um poli­tik-des­in­ter­es­sier­te Kunst, Bohe­me und Möch­te­gern-Bohe­me – und immer wie­der um Lust und Ver­lan­gen der männ­li­chen Haupt­per­son. Das Ende dage­gen hat Poten­zi­al, bzw. spielt mit Potenzialitäten.

Ganz was ande­res: Rebec­ca Camp­bells Band Arbo­rea­li­ty (2022) – ich wür­de das als mit­ein­an­der ver­schlun­ge­ne Vignet­ten aus einer Zukunft nach der Kli­ma­kri­se bezeich­nen, ver­or­tet zwi­schen Van­cou­ver und Seat­tle, zusam­men­ge­hal­ten durch Bäu­me (und durch Per­so­nen, die bzw. deren Kin­der und Enkel immer wie­der auf­tau­chen). Nicht auf­re­gend, ohne gro­ße Action, immer aus der indi­vi­du­el­len Per­spek­ti­ve, aber gera­de des­we­gen ein­drück­lich und lesenswert.

Von Mal­ka Older ist der zwei­te Band ihrer auf einem zur neu­en Hei­mat der von der Erde geflo­he­nen Mensch­heit gewor­de­nen „Steampunk“-Jupiter („Giant“) spie­len­den Detek­tiv­se­rie („cozy space ope­ra detec­ti­ve mys­tery“) erschie­nen, und The Impo­si­ti­on of Unneces­sa­ry Obs­ta­cles (2024) hat mich – viel­leicht weil ich das Set­ting schon kann­te – dann doch mehr abge­holt als der ers­te Band. Uni­ver­si­tä­ten und deren inter­ne Poli­tik spie­len eine Rol­le, und natür­lich die nicht ganz ein­fa­che Bezie­hung zwi­schen Mos­sa und Plei­ti, den bei­den Haupt­fi­gu­ren. Und Io kommt auch vor.

R.F. Kuangs Roman Babel (2022) war in den Schlag­zei­len, weil er vom Hugo-Preis­ver­lei­hungs­ko­mi­tee kur­zer­hand von der Short­list gestri­chen wur­de, wohl aus vor­aus­ei­len­der Angst vor mög­li­chen chi­ne­si­schen Zen­sur­ver­su­chen. Der Roman spielt zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts in einem bri­ti­schen Impe­ri­um, das auf lin­gu­is­ti­sche Magie setzt statt auf Koh­le. Genau­er gesagt: in der Über­set­zung in ihren Bedeu­tun­gen aus­ein­an­der­ge­hen­de Wort­paa­re, die in Sil­ber ein­gra­viert wer­den, ver­ur­sa­chen hier magi­sche Wir­kun­gen. Der Roman ist auch ein Roman über Über­set­zun­gen, vor allem aber einer über Kolo­nia­lis­mus (aus der Per­spek­ti­ve von „Robin Swift“, in Kan­ton auf­ge­wach­sen, dann nach Lon­don und schließ­lich nach Oxford gebracht, um die magi­sche Über­set­zungs­kunst zu erler­nen) und – bevor es in der Oxford-Vari­an­te der Zau­ber­schu­le all­zu gemüt­lich wird – über Klas­sen­kampf, Revo­lu­ti­on und die Fra­ge, wann Gewalt ein­ge­setzt wer­den darf und wann nicht. Ein­drucks­voll und zurecht ein Anwär­ter auf den Hugo.

Und noch­mal eine Vari­an­te des Zau­be­rei­schul-Motivs – dies­mal in James Isling­tons The Will of the Many (2023). Der Roman spielt in einem Pseu­do-Rom, mit einer rigi­den sozia­len Schich­tung, die dar­auf beruht, einen Teil des eige­nen Wil­lens wei­ter­zu­ge­ben. Wer an der Spit­ze der­ar­ti­ger Pyra­mi­den – Reli­gi­on, Mili­tär, Ver­wal­tungs­ap­pa­rat haben je ihre eige­nen – steht, wird zum Super­held. Und wer ganz unten steht, wird halb­tot nur als Wil­lens­lie­fe­rant am Leben erhal­ten. In die­sem Set­ting ist der Wai­se Vis unser Fokus­punkt – er wird adop­tiert und kommt als 17-jäh­ri­ger Spi­on in die hie­si­ge Vari­an­te der Eli­te-Zau­be­rei-Aka­de­mie, die durch har­te Aus­wahl und auf­fäl­lig vie­le töd­li­che Unglü­cke von sich reden macht. Wem er dort trau­en kann und wem nicht, wer wel­che Intri­gen spinnt und was echt ist, und was insze­niert – das zeigt sich erst im Lauf des Geschich­te. Und auch hier spielt Impe­ria­lis­mus eine Rol­le – Vis leb­te vor der Inva­si­on durch das Pseu­do-Rom in einem bis dato selbst­stän­di­gen Insel­kö­nig­reich. Teil der Aka­de­mie ist ein mys­te­riö­ses Laby­rinth. Ohne das Ende vor­weg­zu­neh­men: da ist dann auch noch­mal man­ches ganz ande­res, als es scheint. Inso­fern bin ich schon sehr auf den zwei­ten Band gespannt.

Kulturkampf um das imaginäre Land

Adopt a pop culture I

Um die Zukunft und die Ver­gan­gen­heit – so weit sie als Sci­ence Fic­tion bzw. als Fan­ta­sy ima­gi­niert wer­den – fin­det der­zeit, von der grö­ße­ren Öffent­lich­keit weit­ge­hend unbe­merkt, ein Kul­tur­kampf statt. Unbe­merkt, aber nicht unwich­tig, denn wo anders als in die­sem Gen­re ent­steht das kol­lek­ti­ve Ima­gi­nä­re? Ein heiß dis­ku­tier­tes Sym­ptom für die­sen Kul­tur­kampf sind die vor weni­gen Tagen bekannt­ge­ge­be­nen Hugo-Nomi­nie­run­gen. Um das zu ver­ste­hen, ist aller­dings etwas Hin­ter­grund notwendig.

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