Wednesday, October 22, 2003
Sammelfilmkritik
Huh, leider gar nicht so einfach, so ein Weblog aktuell zu halten. Eigentlich würde ich hier & jetzt gerne noch was über Whale Rider (Ethnoökokitsch, gefiel mir einigermaßen gut), einen indischen Film namens Waves sowie über Herrn Lehmann (Genau so waren die 80er Jahre in Berlin, ich – Jahrgang 1975 – bin mir da ganz sicher!) schreiben, komme aber grade nicht dazu. Also bemerke ich einfach nur, dass ich neulichs (ist auch schon wieder fast zwei Wochen her) im Rahmen von body.city im fast menschenleeren Haus der Kulturen der Welt in Berlin Reason, Debate and a Story von Ritwik Ghatak angeschaut habe: ein bengalischer Schwarzweiss-Film aus dem Jahr 1974, mit ziemlich verwackelten englischen Untertiteln. Body.city schreibt dazu:
In seinem Film porträtiert sich Ghatak selbst als den trinkenden und ausgelaugten Intellektuellen Neelkantha. Er unternimmt eine Art Schelmenreise durch Bengal, um sich mit seiner von ihm getrennt lebenden Frau zu versöhnen. Der Regisseur flicht unterschiedliche Stile und Bilder ineinander. Seine Palette reicht von der vulgären Kalenderkunst über kitschige Liebesfilme und einen abstrakten modernen Totentanz bis hin zum Liedgut der Baul.
Warum ich das erwähne? Weil – neben der inhaltlichen Ebene – tatsächlich vor allem einige Stilelemente spannend waren: die hier „Totentanz“ genannte abstrakten Zwischenblenden, Großaufnahmen, durchchoreographierte Verfolgungsjagden und Schießereien im Wald, sowie in großformatige Landschaftsbilder gleitende Liebesszenen. Ziemlich viel davon lässt sich auch in neueren Bollywood-Filmen finden. Und das finde ich durchaus erwähnenswert.
Sunday, July 13, 2003
Miscellaneous
Jede Menge Arbeit, deswegen wenig Zeit für Einträge hier, zum Ausgleich deswegen drei auf einmal: Dieses Wochenende habe ich in Karlsruhe verbracht, und zwar vor allem deswegen, weil ich auf dem Linuxtag am Samstag den vom Netzwerk Neue Medien e.V. organisierten Initiativen-Infostand betreut habe, d.h. ca. 300 Leuten einen Flyer mit kurzen Texten zu verschiedenen netzpolitischen Initiativen in die Hand gedrückt, die eine oder andere Frage beantwortet und auch ein bißchen diskutiert. War nett, und interessant, wie verschieden die Reaktionen des von Sun/IBM/HP-MitarbeiterInnen bis hin zum klassischen Geek-Coder reichenden Publikums waren. Und ganz abgesehen davon war es ganz eindrucksvoll, den Wirtschaftsfaktor „Open Source“ mal plastisch vor Augen zu sehen.
Da schon mal in Karlsruhe, und da Angie auch Zeit hatte, haben wir den Abend dann dazu genutzt, ins Kino zu gehen und uns VERSCHWENDE deine JUGEND angeschaut. 1980er Jahre, viele Reminiszenen an meine jüngste Vergangenheit (von den Eissorten bis zum Datenträger der Zukunft, der CD), eine schicke CGA-Pixel-Schrift für die Beschriftungen, nette Musik, und eine bemitleidenswerte, weil vollkommen überforderte Hauptfigur. Unterhaltung, bringt einen aber immerhin dazu, nochmal darüber nachzudenken, was NDW denn jetzt eigentlich wirklich war, wieviel einem selbst davon mit 10 bis 15 Jahren bewusst gewesen und geworden ist, und wie Trends und Moden so funktionieren.
Karlsruhe stand auch am Sonntag noch, da gab’s dann science + fiction im ZKM. Auch wenn der Name erstmal anderes vermuten lässt, geht’s bei science + fiction nur am Rande um Science Fiction, hauptsächlich aber um das Wechselspiel zwischen Science/Wissenschaft auf der einen und Fiction/Kunst/Gesellschaft/Diskursivität auf der anderen Seite. Und das in einem ziemlich spannenden Ausstellungskonzept, gesponsort und ins Leben gerufen von der Volkswagenstiftung. Auf den ersten Blick sieht die Ausstellung winzig aus (vgl. Austellungskonzept): drei, vier größere Installationen, ein paar Virtrinen, ein paar seltsame orangene Formen mit Telefonmuscheln dran. Aber trotzdem waren zwei Stunden fast zu knapp, um sich damit zu beschäftigen. Im Untertitel der Ausstellungen geht’s um Nanotech und kulturelle Globalisierung – dazwischen liegen vor allem Neurowissenschaften, Fullerene und die Zukunftsforschung. Besonders eindrucksvoll fand ich eigentlich fast alles, nennen möchte ich die WildCard-Installation von Dellbrügge und de Moll, bei der auf großen herausziehbaren Karten Statements von KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen zu Themen der Zukunft verarbeitet wurden. Wissenschaft und Kunst gehen hier fließend ineianander über. Der spiegelnde Ethnoexpeditionsbus von Christoph Keller war mir dagegen etwas zu sophisticated begründet, Lacan muss nicht sein. Die fließenden Übergänge zwischen Kunst und Wissenschaft waren auch sehr schön zu sehen in der Wandprojektion von handschriftlichen Skizzen und Notizen zu wissenschaftlichen und künstlerischen Projekten. Wäre eine eigene Arbeit wert, sich damit zu beschäftigen! Rundherum Vitrinen – plakatives Ausstellungsstück oben in der Vitrine, z.B. Joda aus Star Wars oder auch ein eingelegtes Gehirn – aus dem Vitrinenschrank rausziehbar dann spannende Erläuterungsschubladen. Nettes Interface! Was gibt’s noch: zum Beispiel die Links und Essays zum theoretischen Hintergrund der Ausstellung. Hat mir gefallen, schönes Konzept, und auch die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und gesellschaftlichen Diskursen (ob Science Fiction, Kunst oder Feullieton) sind etwas, was ich sicherlich weiter im Auge behalten werde. Die Ausstellung science + fiction läuft noch bis zum 17.08. in Karlsruhe und wandert dann weiter.
Und Bücher gibt’s übrigens auch zu science + fiction: den Ausstellungskatalog mit Interviews mit den beteiligten KünstlerInnen, und die Essays.
P.S.: Und ganz zum Schluss noch der Hinweis auf einen kweiteren kürzlich angesehenen Film: Bollywood/Hollywood von Deepa Mehta werden Klischees aus indischem und amerikanischem Film gut durchmixt und geraten zu meiner Meinung nach sehr humorvoll gewordenen Mischung, die aber wahrscheinlich nicht bei jeder und jedem auf Anklang stößt. Jedenfalls gab’s einige schlechte Kritiken, von wegen einfallslos etc. – ich hab eher Selbstironie und ein ziemlich gelungenes Spiel mit Stereotypen gefunden, das zu einem sicherlich überdrehten, für Sommernächte aber wundervoll geeigneten Film geworden ist.
Tuesday, June 17, 2003
Google-Kunst
Google hat seine Logo zur Abwechslung mal im Stil von MC Escher gestaltet – und verlinkt auf die Bildersuche, die allen Copyrightfragen zum trotz recht erfolgreich ist.
> escher.gif (GIF-Grafik, 276x110 Pixel)
Tuesday, June 10, 2003
Menschen zu Pixeln?
In Barcelona fotografiert Spencer Tunick 7.000 nackte Menschen auf öffentlichen Plätzen (siehe Spiegel-Artikel unten). Allerdings frage ich mich, ob das ganze nicht vielleicht noch ein Stück eindrucksvoller gewesen wäre, wenn – dank Computerunterstützung ist sowas heute ja relativ einfach möglich – nicht amorphe Menschenmengen fotografiert worden wären, sondern Bilder? 7000 Leute sind rechteckig angeordnet immerhin 70 x 100 Pixel, und wenn Handydisplays mit sowas klarkommen, warum dann nicht auch Künstler? Auf diesem Pixelraster hätten dann mit Haut- bzw. Haarfarbe Figuren angeordnet werden können – z.B. die Wörter LOVE und HATE. Oder vielleicht sogar (hier würde es schon etwas kniffliger) Graustufenbilder. Menschen zu Pixeln?
> Fotokunst: „Barcelona legt die Kleider ab“ – Panorama – SPIEGEL ONLINE
Sunday, May 25, 2003
Matrix zwei
Einer der im in der letzten Zeit im Vorfeld sicherlich mit am meisten gehypte Film ist sicherlich der zweite Teil der Matrix-Trilogie, Matrix Reloaded. Und eigentlich macht es fast keinen Sinn, noch eine weitere Besprechung dazu zu schreiben, weil so gut wie jede Kulturseite jeder Zeitung das schon getan hat. Sich den allgemein doch eher zwiespältig ausgefallenen Bewertungen anzuschließen, fällt nicht schwer: guter Actionfilm, aber dafür zu viel Philosophie, schlechte Fortsetzung, seltsame Wendung, eigentlich nur eine Masche, um Videospiele und Merchandise zu verkaufen. Usw. usf.
Deswegen hier nur ein paar höchst subjektiv gefärbte Eindrücke aus der Doppelvorstellung Matrix + Matrix Reloaded im Friedrichsbau. Volles Haus, gute Stimmung, bei Matrix eins waren mir einige der grausameren Szenen gar nicht mehr in Erinnerung gewesen. Dafür fällt mir jetzt auch der potentiell systemkritische Charakter auf: der Film lässt sich nicht nur radikalkonstruktivistisch als Metapher auf unsere eingeschränkte Wahrnehmung der Wirklichkeit lesen, sondern auch sozialkonstruktivistisch als Metapher auf den unsichtbaren Käfig aus Normen und Institutionen, den wir nicht wahrnehmen können, weil wir darin aufgewachsen sind.
Der Film endet, kurze Pause, die Möglichkeit, noch mal etwas frische Luft zu schnappen. Draußen sieht alles unwirklich aus, die visuelle und musikalische Geschwindigkeit des Films steckt einem in den Gliedern. Dann Teil II: Der Vorspann sieht professioneller, glatter aus, damit aber auch weniger authentisch. In den letzten paar Jahren scheinen Computerbuchstaben große Fortschritte gemacht zu haben. Schade eigentlich. Die Unix-Befehle sind aber dafür gleich geblieben. Unklarheit darüber, wann in der Handlungszeit Teil II einsetzt. Wochen oder Jahre nach dem ersten Teil? Aus den rebellischen Outcast-Cyberpunks sind jedenfalls kaum noch rebellische (oder wenn, dann in dem Sinne, in dem sich Cpt. Picard der ersten Direktive widersetzt) Teile der Starfleet, pardon, Zion-Flotte geworden. Soldaten, eingebunden in die Chain of Command. Die Nebukadnezar ist nur eines von vielen Schiffen (war das nicht ursprünglich mal ein Hovercraft, sehen Hovercrafts nicht eigentlich ganz anders aus?). Die optisch eindrucksvollste Szene: eine sehr realistische Darstellung der Matrix, pardon, des visualisierten, imersiven Cyberspace a la Gibson ist die „Gate Virtual Operator“; im weiß der Zukunftsvision aus 2001 werden per interaktiver imersiver Groupware Landepläne wie Bauklötze verschoben. Der Büroarbeitsplatz der Zukunft?
Wir sind in Zion angekommen: was alles in eine stark auf Technik basierende unterirdische Stadt rein passt, ist schon erstaunlich. Die Geometrie bleibt unklar und der Sternenhimmel besteht aus Scheinwerfern. Abgesehen von der God-is-a-DJ-Ansprache von Morpheus gefällt die sich anschließende Tanz-und-Sexeinlage durchaus. Ob es Absicht ist, jeweils so irgendwo im ersten Drittel der Filme aktuelle Musik unterzubringen? An der Stelle lässt sich vielleicht auch anmerken, dass das Produktplacement leider auch dazu geführt hat, das klassisch-stilbildende Nokia in schwarz durch irgendwelchen Outdoorhandys zu ersetzen.
Liebesgeschichtenkitsch, Der-aufrichtige-wahre-Überzeugte-setzt-sich-politisch-durch-Kitsch, zurück in die Matrix. Neo-ist-Superman-Kitsch (aber erst nach der Prügelei), mit Dank an den Comicverlag im Abspann. Eigentlich könnten Trinity und Neo in dem Film auch gleichstarke Figuren verkörpern; symmetrisch genug angelegt (Wiederbelebung!) ist die Rolle ja. Aber sie bleibt sein Sidekick, der wahre echte Auserwählte ist er. Oder dann doch nicht.
Die zweite eindrucksvoll in Erinnerung gebliebene Szene ist nicht die Autoverfolgungsjagd (wieso soviel Physik in einem Computersystem?), sondern die Begegnung zwischen Neo und dem Architekten: zwei progammatische Agenten treffen sich, und – die einzig große Leistung des Filmes – alles, was wir über Neo wussten, verändert seine Bedeutung. Outcast, Hacker, Retter der Menschheit? Von wegen – das System denkt in größeren Zusammenhängen und Zeiteinheiten und schafft sich regelmäßig seine eigene Opposition, um den aus hygienisch-mathematischen Gründen notwendigen Reboot einzuleiten, samt Keimzelle für die nächste Revolution. Unerfindlicherweise kommen gewisse hormonelle Ungleichgewichtszustände dazwischen, und der Zuschauer bleibt bis in den Herbst alleine mit der Frage, ob dass den nun wirklich die richtige Tür gewesen ist.
Prognosen für Matrix III: Wenn’s schlecht läuft, noch mehr Aktion, noch weniger Sinn hinter den Philosophielektionen, ein wundersamer Wandel des Musikstils fürs erste Drittel und ein Mensch und Mensch gewordene Maschine (Smith als Virus) beglückendes Happy End. Oder noch schlimmer: alles nur ein böser Traum oder (eXistenz) nur ein Computerspiel. Wenn’s gut läuft, kommt in der Synthese alles anders, Cyborgisierung, Machtkämpfe in der Matrix und Machtkämpfe in Zion, die zu neuen Allianzen führen. Die Entscheidungen sind längst gefallen.