Science Fiction und Fantasy im Mai 2025

Wildtal walk - XXII

For All Man­kind (Apple TV) funk­tio­niert für mich ein­fach. Ich habe gera­de das Fina­le der Staf­fel 4 gese­hen (das in einer alter­na­ti­ven Rea­li­tät in einer Mars­ko­lo­nie im Jahr 2012 endet), und bin begeis­tert davon, weil die Serie es schafft, Poli­tik, halb­wegs plau­si­ble Wis­sen­schaft bzw. halb­wegs plau­si­bles Inge­nieur­we­sen und ganz unter­schied­li­che (zwischen-)menschliche Per­spek­ti­ven zu ver­ei­nen. Das Netz sagt, dass aktu­ell eine fünf­te Staf­fel gedreht wird – und ja: die will ich sehen, und bin schon ein biss­chen ungeduldig.

Eben­falls gut gefal­len haben mir die ers­ten paar Fol­gen der Mur­der­bot-Ver­fil­mung (eben­falls auf Apple TV). Nach­teil: die ein­zel­nen Fol­gen sind nur 20 Minu­ten lang, das ist … kurz. Die Mur­der­bot-Dia­ries von Mar­tha Wells, die der Serie zugrun­de lie­gen, hät­te ich jetzt eher in die Kate­go­rie „schwer ver­film­bar“ gepackt – vie­le inne­re Mono­lo­ge des titel­ge­ben­den Andro­iden, eine teil­wei­se nur skiz­zier­te Zukunfts­welt – das wur­de aber durch­aus anseh­bar umge­setzt, mit Voice-Over und Ein­blen­dun­gen der aug­men­tier­ten Sicht von Mur­der­bot. Und Sanc­tua­ry Moon, die star-trek-arti­ge (na ja, noch soa­pi­ge­re) Serie in den Büchern, kommt auch genau so rüber, wie eine sol­che Serie aus­se­hen muss. 

Apro­pos Star Trek – aus der aktu­el­len Black Mir­ror-Staf­fel (Net­flix) habe ich mir bis­her nur den zwei­ten Teil zur USS Cal­lis­ter ange­schaut. Was pas­siert, wenn ein sich selbst für harm­los hal­ten­der Nerd gott­glei­che Fähig­kei­ten in einem vir­tu­el­len Spie­le-Uni­ver­sum („Infi­ni­ty“) erhält, und dann auch nicht davor zurück­schreckt, Klo­ne ech­ter Men­schen dort ein­zu­set­zen – davon erzähl­te der ers­te Teil. Der zwei­te Teil beginnt dort, wo der ers­te ende­te: unse­re Haupt­per­so­nen sind als Klo­ne die Besat­zung der U.S.S. Cal­lis­ter, und statt Aben­teu­er zu erle­ben, und Wel­ten zu sehen, die nie ein Mensch zuvor gese­hen hat, haben sie sich dar­auf ver­legt, Gamer*innen aus­zu­rau­ben, um so an die nöti­gen Cre­dits für Treib­stoff und ähn­li­ches zu kom­men. Das fällt auch in der ech­ten Welt auf – womit eine zwi­schen bei­den Wel­ten wech­seln­de Ver­fol­gungs­jagd bis ins Inners­te von Infi­ni­ty beginnt. 

Weni­ger anfan­gen konn­te ich mit Love, Death, Robots (Net­flix) – die meis­ten der aktu­el­len Geschich­ten drif­te­ten für mich zu sehr ins Hor­ror-Gen­re (oder waren alter­na­tiv plat­te Welt­be­herr­schungs­ver­su­che nicht explo­die­ren­der Kat­zen); und auch der Aus­flug ins Schis­ma­trix-Uni­ver­sum von Bruce Ster­ling mit „Spi­der Rose“ ret­te­te die aktu­el­le Staf­fel nicht.

Gele­sen habe das beein­dru­cken­de neue Werk von Nils Wes­ter­boer, Lyne­ham (2025). Das Buch lässt in einen im wört­li­chen wie über­tra­ge­nen Sin­ne in Abgrün­de schau­en. Das Sze­na­rio wirkt erst ein­mal bekannt: eine Kata­stro­phe macht die Erde lebens­feind­lich („der Welt­raum kommt“ – erst im Lauf des Buchs wird klar, was damit gemeint ist), mit Hil­fe von Sta­sis-Schlaf schaf­fen es eini­ge Über­le­ben­de auf einen fer­nen Pla­ne­ten (hier: den Mond „Perm“ des Gas­pla­ne­ten „Wind­lei­te“, der einen blau­en Stern umkreist). Perm soll­te längst geter­ra­formt sein, ist es aber nicht. Die Ober­flä­che ist brü­chig. In der Tie­fe leben „die Seis­mi­schen“, rie­sen­haf­te Wesen, die mit tek­to­ni­schen Pro­zes­sen inter­agie­ren. Auf der Ober­flä­che hat die Evo­lu­ti­on nicht nur Elek­tro­fres­ser geschaf­fen, son­dern auch sechs­bei­ni­ge – und gut getarn­te – Amphi­bi­en- und Säu­ge­tier­ana­lo­ge. In die­ser feind­li­chen Umwelt spielt sich das Leben weit­ge­hend in dem geschlos­se­nen und kon­trol­lier­ten Habi­tat „Lyne­ham A/Lyneham B“ ab – ein Kon­zept, das die auf Perm leben­den Men­schen von der Erde mit­ge­bracht haben. Inter­es­sant wird Lyne­ham nicht zuletzt durch die Erzähl­wei­se Wes­ter­boers. Die eine Per­spek­ti­ve ist die von Hen­ry, der mit sei­nen Geschwis­tern und sei­nem Vater auf Perm crash­ge­lan­det ist. Noch kein Teen­ager, eine fast noch kind­li­che Sicht­wei­se. Hen­ry war­tet auf sei­ne Mut­ter. Die soll­te nach­kom­men – bzw. war schon da, vor 10.000 Jah­ren (Welt­raum­flü­ge über sehr lan­ge Distan­zen im Sta­sis-Schlaf …). Ihre Per­spek­ti­ve, die einer extrem begab­ten Wis­sen­schaft­le­rin und zugleich distan­zier­ten Ein­zel­gän­ge­rin mit sehr genau­er Beob­ach­tungs­ga­be, macht die ande­re Hälf­te des Buchs aus. Und da schau­en wir dann ein zwei­tes Mal in Abgrün­de, in ihre eige­nen genau­so wie in die Lang­zeit­plä­ne des Unter­neh­mers Ray­ser, für den Perm nur ein Spiel­ball ist. Nach und nach setzt sich das Puz­zle zusam­men. Und neben­bei dis­ku­tiert Wes­ter­boer damit eini­ge gro­ße Fra­gen. Kind­li­che Per­spek­ti­ve, gut geschrie­ben, aber alles ande­re als ein Kin­der­buch. Gro­ße Empfehlung!

Gut unter­hal­ten hat mich die Storm­wrack-Serie von A.M. Dell­a­mo­ni­ca (die unter dem Namen L.X. Beckett mit Game­ch­an­ger und Dealb­rea­k­er auch sehr emp­feh­lens­wer­te Solar­punk-Bücher geschrie­ben hat). Die drei Bän­de von Storm­wrack („The Hid­den Sea Tales“) sind Child of a Hid­den Sea (2014), A Daugh­ter of No Nati­on (2015) und The Natu­re of a Pira­te (2016). Storm­wrack ist der Name einer par­al­le­len (oder mög­li­cher­wei­se auch zeit­lich ver­setz­ten …) Erde, die fast voll­stän­dig von Was­ser bedeckt ist. Es gibt Segel­schif­fe, es gibt Pira­ten, es gibt über 250 Insel­na­tio­nen – und es gibt Magie. Was es nicht gibt, ist Neu­gier und eine sys­te­ma­ti­sche Wis­sen­schaft. Sophie Han­sa, unse­re Hel­din, lan­det eines Tages – beim Ver­such, ihre bio­lo­gi­sche Mut­ter zu fin­den – in einem Hand­ge­men­ge, und kurz dar­auf auf Storm­wrack. Sie, die eigent­lich Tauch­ex­pe­di­tio­nen als Foto­gra­fin beglei­tet und ein gro­ßes Inter­es­se an Wis­sen­schaft hat, wird in die poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen Storm­wracks hin­ein­ge­zo­gen: der über hun­dert Jah­re zurück­lie­gen­de Waf­fen­still­stand zwi­schen skla­ven­hal­ten­den und frei­en Natio­nen ist in Gefahr, und ihr Auf­tau­chen kata­ly­siert die damit ver­bun­de­nen Pro­ble­me noch. Gleich­zei­tig ist jeder der Storm­wrack-Bän­de auch ein biss­chen Detek­tiv­ge­schich­te (CSI und Wis­sen­schaft hel­fen), und love inte­rests (homo- wie hete­ro­se­xu­el­le) tau­chen natür­lich auch auf. Gut gefal­len hat mir an die­ser Rei­he die Tat­sa­che, dass Sophie unse­re Gegen­wart mit sich rum­trägt – Text­nach­rich­ten und digi­ta­le Kame­ras, nerdi­ge Bezü­ge auf Sci­ence-Fic­tion-Seri­en, aber auch Wert­vor­stel­lun­gen. All das bil­det einen her­vor­ra­gen­den Kon­trast zu der Segelschiff-Erde. 

Unter­hal­ten hat mich auch The Blue, Beau­tiful World (2023) von Karen Lord. Hier habe ich aller­dings erst nach dem Lesen gemerkt, dass das der drit­te Band einer län­ge­ren Serie ist. Ließ sich auch so ver­ste­hen, und den Rest als Pre­quel lesen woll­te ich dann doch nicht. Har­ry Potter/Model UN meets tele­pa­thisch begab­te Ali­ens berei­ten die Erde auf den Erst­kon­takt mit der galak­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on vor. Durch­aus span­nend, die Cha­rak­te­re – ins­be­son­de­re der jun­ge Kanoa – wach­sen einem an Herz, aber so rich­tig warm gewor­den bin ich nicht. Viel­leicht, wenn ich nicht bei Band drei ange­fan­gen hätte. 

Science-Fiction- und Fantasy-Lektüre im Hoch- und Spätsommer 2022

Hidden

Es wird Zeit für den Rück­blick auf die SF- und Fan­ta­sy-Medi­en, die ich über den Som­mer gele­sen bzw. gese­hen habe. Und das waren dann doch einige. 

Über A Half-Built Gar­den von Rut­han­na Emrys habe ich ja bereits an ande­rer Stel­le geschrie­ben. Und auch mei­ne Emp­feh­lung für die Serie For All Man­kind, die lei­der nur im nischi­gen Apple-TV läuft, kann ich nach Durch­sicht der drit­ten Staf­fel beden­ken­los auf­recht erhal­ten und wür­de ger­ne bald eine vier­te Staf­fel sehen.

Ange­schaut habe ich mir auch die Sand­man-Serie (2022, Net­flix), die – mit Tief­gang, wenn auch für mei­nen Geschmack zu sehr im Hor­ror-Gen­re ver­an­kert – ins­ge­samt eine her­aus­ra­gen­de Umset­zung der Comic­se­rie von Neil Gai­man dar­stellt. Eini­ges habe ich, gebe ich zu, erst in der fil­mi­schen Umset­zung ver­stan­den und im Comic eher drü­ber hin­weg gelesen. 

Weni­ger begeis­tert war ich von Ever­y­thing Ever­y­whe­re All at Once (2022). Kon­zep­tu­ell span­nend, das eine oder ande­re visu­el­le Bild her­vor­ra­gend, auch die auf den ers­ten Blick unwahr­schein­li­chen Hel­din­nen der Geschich­te – aber letzt­lich fehl­te mir beim zugrun­de­lie­gen­den Zugriff auf Par­al­lel­uni­ver­sen die Plau­si­bi­li­tät, der sus­pen­se of dis­be­lief.

Ange­lau­fen sind zudem die Seri­en The Lord of the Rings: The Rings of Power und eine neue Staf­fel von Star Trek: Lower Decks, bei­de bei Ama­zon Prime. Lower Decks ist nach den ers­ten Fol­gen der aktu­el­len Staf­fel soli­de, humor­vol­le Star-Trek-Unter­hal­tung. Die Rin­ge der Macht haben mich als epi­sche Serie posi­tiv über­rascht, gera­de im Ver­gleich zur Hobbit-„Verfilmung“.

Soweit die Seri­en und Fil­me. Zu den Büchern:

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SF im Sommer 2022

Almost there

Der Som­mer ist zwar noch nicht zu Ende – hier in Baden-Würt­tem­berg haben die Som­mer­fe­ri­en gera­de erst vor ein paar Tagen ange­fan­gen – aber den­noch haben sich bereits eine gan­ze Rei­he von gele­se­nen und ange­schau­ten Wer­ken der SF ange­sam­melt, auf die ich ger­ne hin­wei­sen möchte.

Audio­vi­su­ell: ich höre ja kei­ne Pod­casts, habe aber fest­ge­stellt, dass es im SF-Fan-Bereich eini­ges gibt (Geek’s Gui­de to the Gala­xy, Retro Rocket, …) – mal sehen, viel­leicht wird da doch noch das eine oder ande­re regel­mä­ßig gehör­te For­mat dar­aus. Wobei ich auch immer wie­der fest­stel­le, dass das typi­sche Pod­cast-For­mat „Zwei Leu­te reden“ nicht unbe­dingt meins ist. Eine Per­son, die mit wenig drum­her­um – und ohne Radio­fea­ture­per­fek­ti­on – etwas erzählt, gefällt mir meist bes­ser. Falls da irgend­wer Emp­feh­lun­gen im SF-Bereich hat, ger­ne her damit.

Noch ein Abo­ser­vice, Apple TV, dann läuft’s noch nicht mal auf dem gro­ßen Bild­schirm. Trotz­dem hat mir die Serie For All Man­kind (2019 ff.) bis dato gut gefal­len; ich bin jetzt etwa bei der Hälf­te der 2. Staf­fel. Die ers­te Staf­fel erin­ner­te da und dort stark an Mary Robi­net­te Kowal Lady-Astro­naut-Rei­he. Wir star­ten in den 1960ern, im Unter­schied zur rea­len Geschich­te set­zen hier die Sowjets den ers­ten Fuß auf den Mond. Dar­aus ent­wi­ckelt sich ein space race, dass viel mäch­ti­ger wird, als es in unse­rer Welt je war, mit Mond­ba­sis und Plä­nen für den Mars. Die­ses Ren­nen um die „Erobe­rung“ des Welt­alls – als har­te, rea­lis­ti­sche SF gezeigt – bie­tet jedoch nur den Hin­ter­grund für die Lebens­ge­schich­ten von fünf, sechs oder sie­ben Personen/Familien mit allen Dys­funk­tio­na­li­tä­ten und Pro­ble­men. Neben einem Hauch Dallas/Denver Clan kommt viel Poli­tik und Zeit­ge­schich­te vor – Eman­zi­pa­ti­on, Ras­sis­mus, eine aus begrün­de­ter Angst nur im ver­bor­ge­nen statt­fin­den­de les­bi­sche Lie­bes­ge­schich­te usw. Die ers­te Staf­fel spielt in den spä­ten 1960ern/frühen 1970ern vor dem Hin­ter­grund des Viet­nam-Kriegs, die zwei­te dann Mitte/Ende der 1980er Jah­re, mit einer ent­spre­chend ange­pass­ten Ästhe­tik und – dank einer guten Mas­ke – rea­lis­tisch geal­ter­ten Figu­ren sowie nach und nach immer mehr Abwei­chun­gen von unse­rer Zeit­li­nie (klar, dass der Fokus auf den Welt­raum auch in ande­re Berei­che ausstrahlt).

Ganz anders die SF-Komö­die Big­Bug (2022) – ein Film von Jean-Pierre Jeu­net, der mit Die fabel­haf­te Welt der Amé­lie bekannt wur­de. Statt in eine ver­klär­te fran­zö­si­sche Ver­gan­gen­heit geht es hier in eine absurd über­dreh­te Zukunft, in der Robo­ter und Andro­ide für die durch­ge­styl­te Klein­fa­mi­lie min­des­tens so wich­tig sind wie flie­gen­de Autos und voll­au­to­ma­ti­sier­te Ein­fa­mi­li­en­häus­chen. Wer eine ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zung mit KI oder ähn­li­chem erwar­tet, ist hier fehl am Platz; wer sich auf bun­te Kos­tü­me, absur­de Cha­rak­te­re und einen immer wil­der wer­den­den Plot ein­las­sen kann, wird sich vergnügen.

Wie­der gele­sen habe ich Samu­el Delaneys Babel 17 (1966), nach­dem ich zufäl­lig – auf Twit­ter, wo auch sonst – auf eine Rezen­si­on von Jo Walt­on aus dem Jahr 2009 gesto­ßen bin, in der sie her­vor­hebt, wie modern die­ser Roman ist – mit einer weib­li­chen Haupt­per­son, einem gegen die Gewohn­hei­ten der Mili­ta­ry SF rea­lis­tisch gezeich­ne­ten Krieg zwi­schen zwei Mäch­ten, vie­len Ideen über den Zusam­men­hang zwi­schen Spra­che, Erkennt­nis und Pro­gram­mie­rung, lin­gu­is­ti­schen Expe­ri­men­ten, Drei­er-Lie­bes­be­zie­hun­gen als ein stan­dard­mä­ßig not­wen­di­ger Bestand­teil von Raum­schiff­be­sat­zun­gen und der­glei­chen mehr. Für heu­ti­ge Ver­hält­nis­se ein dün­nes, schnell gele­se­nes Buch, das völ­lig zu recht wei­ter erhält­lich ist. Und ein Anlass, über die Pen­del­be­we­gung der Geschich­te und nie enden­de Kämp­fe um gesell­schaft­li­chen Fort­schritt nachzudenken.

Eben­falls lei­der nur ein dün­nes Buch, aber dafür sehr gegen­wär­tig, ist Becky Cham­bers A Pray­er for the Crown-Shy (2022). Der Titel bedarf viel­leicht einer Erläu­te­rung – kro­nen­scheu bezieht sich hier auf die Bäu­me, die neben­ein­an­der wach­sen, sich aber nie berüh­ren. Das Buch ist der zwei­te Band ihrer Monk-and-Robot-Rei­he. Wäh­rend im ers­ten Teil Dex in die Wild­nis gegan­gen ist und dort dem Robo­ter Mos­scap begeg­ne­te – einem Über­bleib­sel einer ver­ges­se­nen indus­tri­el­len Zeit die­ser post­in­dus­tri­el­len Zivi­li­sa­ti­on -, geht es nun den ande­ren Weg: Dex wird zu Mos­scaps Reiseleiter*in/Weggefährt*in/Anthropolog*in auf dem Weg durch Pan­ga. Die­ser Kunst­griff im Sin­ne Gar­fin­kels ermög­licht es Cham­bers, uns zu zei­gen, wie Pan­ga – viel­leicht eine Uto­pie? – funk­tio­niert und wie die Men­schen hier in Gemein­schaf­ten leben. Viel pas­siert in die­sem Buch nicht. Dex und Mos­scap rei­sen durch eini­ge Orte, reden mit­ein­an­der, phi­lo­so­phie­ren. Und trotz­dem oder genau des­we­gen ist die­ses ent­spann­te Buch genau das rich­ti­ge für unse­re sehr gegen­tei­li­ge Zeit.

The­ma­tisch ein biss­chen ähn­lich – aber viel action­rei­cher – ist Osmo Unknown and the Eight­pen­ny Woods (2022) von Catheryn­ne Valen­te, ein sehr schön geschrie­be­nes Jugend­buch. Die Rei­se­grup­pe besteht hier aus dem Teen­ager Osmo Unknown aus einem welt­ab­ge­schie­de­nen Dorf sowie aus einem unhöf­li­chen Dachs und dem men­schen­scheu­en Pan­go­lin-Mäd­chen Never aus dem Wald. Nach einem schreck­li­chen Ereig­nis müs­sen die drei die Unter­welt der Eight­pen­ny Woods fin­den – und am Schluss her­aus­fin­den, was es mit der Hoch­zeit von Wald und Tal auf sich hat. Sti­lis­tisch ähnelt das Buch den Fairy­land-Büchern von Valen­te mit sur­rea­len Ele­men­ten, die in der Logik der Geschich­te aber voll­kom­men not­wen­dig sind. Mit A Pray­er for the Crown-Shy hat die Ent­ste­hungs­ge­schich­te, wäh­rend der Pan­de­mie geschrie­ben wor­den zu sein, gemein­sam – und viel­leicht des­we­gen den uto­pi­schen Unter­ton, die Fra­ge nach dem Glau­ben an eine soli­da­ri­sche Menschheit. 

Last Exit (2022) von Max Glad­stone ist auf den ers­ten Blick eine typi­sche ame­ri­ka­ni­sche Fan­ta­sy-Road-Saga im Stil von Ame­ri­can Gods, auch wenn die Stra­ße hier und dort durch düs­te­re Schre­ckens­wel­ten statt durch Wüs­ten und Can­yons führt. Auf den zwei­ten Blick geht es dar­um, wie Men­schen damit leben kön­nen, zu ent­de­cken, dass aus mathe­ma­tisch-magi­schen Par­al­lel­wel­ten die Apo­ka­lyp­se droht, und beim Ver­such, etwas dage­gen zu unter­neh­men – noch auf der Uni -, zunächst ein­mal schei­tern. Die Geschich­te spielt eini­ge Jah­re spä­ter, als Zel­da Qiang ihre dama­li­gen Freund*innen aus den inzwi­schen eta­blier­ten Lebens­wel­ten reißt, um es ein zwei­tes Mal zu ver­su­chen. Neben­bei ist Last Exit eine Coming-of-Age-Geschich­te, eine Geschich­te über Ver­rat, und eine Geschich­te dar­über, wie es ist, dro­hen­des Unheil lie­ber zu igno­rie­ren. Da lie­ßen sich dann Par­al­le­len zu unse­rer Zeit mul­ti­pler Kri­sen finden.

Etwas rat­los hat mich The City Insi­de (2022) von Samit Basu zurück­ge­las­sen. Das ist eigent­lich ein Roman über Social Media, in ein Indien/Delhi etwas in der Zukunft gelegt. Die auf­ge­bau­te Welt ist ein­drucks­voll – „Rea­li­ty Pro­du­cer“ mana­gen das per­fek­tio­nier­te Leben von „Flow“-Stars, wäh­rend die Luft vor der Tür so heiß und toxisch ist, dass Atem­schutz­mas­ke und Kühl­pack not­wen­dig sind, um kli­ma­ti­sier­te Räu­me zu ver­las­sen. Unter­schied­lichs­te Rea­li­tä­ten, Kas­ten, Klas­sen kreu­zen sich. Die Super­rei­chen spie­len Intri­gen aus, die Regie­rung ist tota­li­tär, im Unter­grund gibt es einen semi-kri­mi­nel­len Wider­stand. Und mit Joey haben wir eine span­nungs­rei­che und leben­di­ge Haupt­per­son. Trotz­dem passt das alles am Schluss nicht zusam­men, das Buch bricht abrupt ab, ohne zu einer Auf­lö­sung zu kom­men, und auch die „dele­ted sce­nes“ – ist es das Kapi­tel 10, oder sind es tat­säch­lich dele­ted sce­nes – hel­fen nicht wirk­lich wei­ter. Das hät­te mehr sein können.

Eben­falls irri­tie­rend, aber doch eher posi­tiv irri­tie­rend, fand ich Dark Fac­to­ry (2022) von Kathe Koja. In einem Satz wür­de ich sagen: eine schwu­le Lie­bes­ge­schich­te in der durch ubi­qui­tä­re vir­tu­el­le Rea­li­tät noch ein­mal ganz anders gewor­de­nen urba­nen DJ- und Club-Sze­ne der Zukunft gekreuzt mit einem Hauch magi­schem Rea­lis­mus. Inter­es­san­te Haupt­per­so­nen. Und ein sehr eige­ner Schreib­stil mit Sze­nen­wech­seln mit­ten im Satz, eini­gen Neo­lo­gis­men, die nicht erklärt wer­den (wie über­haupt hier nichts erklärt wird), ein dem Gegen­stand ange­mes­se­nes Tem­po. Nett: in die­ser Zukunft scheint deut­sche Kul­tur gera­de hip zu sein, zumin­dest bei der Benen­nung von Cafes, Clubs und Blu­men­lä­den in bei­spiels­wei­se London.