Was hat sich geändert seit meinem letzten Update Anfang Mai? Einiges ist gleich geblieben – ich arbeite nach wie vor im Home-Office, und die Tage sind trotz allem nach wie vor gut gefüllt. Nach wie vor gilt beim Einkauf und im ÖPNV eine Maskenpflicht, und draußen ein Abstandsgebot, auch wenn sich nicht alle daran halten.
Mehr oder weniger verschwunden sind die Corona-Demos – möglicherweise auch deswegen, weil mit bis vor kurzem schnell sinkenden Infektionszahlen recht große Lockerungsschritte umgesetzt wurden. Es ist wieder möglich, sich mit mehreren Personen zu treffen, Sporteinrichtungen und Schwimmbäder dürfen unter bestimmten Umständen aufmachen, die ersten Theater- und Kinovorführungen mit stark reduzierter Sitzzahl finden statt, und es ist in Aussicht gestellt, dass auch größere Veranstaltungen bald wieder stattfinden können, solange es sich dabei nicht um feucht-fröhliche Volksfeste handelt. Ach ja, und die Schulen – aber dazu gleich.
Insgesamt hat sich die Stimmung verschoben. Das Virus wird längst nicht mehr so ernst genommen. Auch wenn es nicht so gut gelungen ist wie in Neuseeland, so scheint Deutschland doch über den Berg zu sein. Es gibt zwar nach wie vor keinen Impfstoff, aber aktuell – das ist doch fast schon wieder ein Zustand wie vor dem Ausbruch der Pandemie. Das scheint mir jedenfalls die in vielen Köpfen vorherrschende Meinung zu sein. Dass Masken dann nicht mehr so gern getragen werden, dass auf das neu gelernte regelmäßige Händewaschen schnell mal verzichtet wird … das verwundert dann auch nicht. Und selbst diejenigen, die mit einer zweiten Welle rechnen, nehmen die Zeit jetzt als Pause zwischen den Ausbrüchen wahr.
Ein bisschen geht es mir auch so. Wobei vieles ungewiss ist. Ich habe jetzt für den August eine Ferienwohnung an der Nordsee gebucht – mit dem etwas flauen Gefühl, dass es eigentlich völlig unklar ist, ob im August lange Zugfahrten und Urlaube möglich sind, oder eher nicht. Also mit einem schlechten Gefühl. Gleichzeitig war jetzt schon vieles ausgebucht.
Mehr oder weniger durch? Dann kam Tönnies, dann kam Berlin-Neukölln, dann kam Göttingen – jeweils mit mehr oder weniger isolierten Ausbrüchen, die aber doch zeigen, wie schnell die Infektionszahlen wieder hochgehen können. Was mich irritiert: eigentlich müsste zumindest im Fall Tönnies längst die lokale Lockdown-Regelung greifen. Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte dazu einen Wert von 50 Infektionen / sieben Tage festgelegt – der ist deutlich überschritten. Und auch wenn das Infektionsgeschehen alle meine Urteile über Schlachthöfe bestätigt, so würde es mich doch extrem wundern, wenn die hunderte infizierten Beschäftigten das Virus in der Schlachtfabrik gelassen hätten und nicht mit nach Hause, in Schulen, Vereine und Gottesdienste mitgenommen und weiter verbreitet hätten. (Ich würde ja fast dazu raten, einfach mal alle Schlachtfabriken für zwei Wochen zu schließen – wohl wissend, dass dahinter agrarindustrielle Wertschöpfungsketten stecken, die bis zur „Tierproduktion“ reichen …)
Deutlich macht das jedenfalls: das Wiederaufflammen des Virus kann schnell gehen. Dann wird sich zeigen, ob die Corona-Warn-App (und die Digitalisierung der Dateneingabe in den Gesundheitsämtern) hilft, Infektionsketten schnell zu identifizieren und einzudämmen. Bisher bleibt die App – über zehn Millionen Mal heruntergeladen – wohl auch aufgrund geringer Fallzahlen grün, aber das muss nicht so bleiben. Apropos: dass diese App Open-Source ist, auf einem datenschutzfreundlichen dezentralen Protokoll aufsetzt, und dass es intensive Möglichkeiten zu Feedback in der Entwicklungen gegeben hat, ist doch ganz beachtlich. Vielleicht ein Vorbild für weitere Softwareprojekte der öffentlichen Hand.
Ach ja, die Schulen. Die bringen mit einer Teilöffnung Bewegung in den Tagesablauf. Die sechs Wochen bis zu den baden-württembergischen Sommerferien finden im rollierenden Präsenzunterricht statt, d.h., um Abstandsregeln einzuhalten, ist jeweils die Hälfte der Kinder eine Woche in der Schule, die andere eine Woche zu Hause; bei den „Präsenzkindern“ gibt es noch dazu Früh- und Spätschichten. Effektiv sind es dann gerade mal vier Unterrichtsstunden pro Tag Anwesenheit in der Schule; der Fokus liegt auf den Hauptfächern. In der Fernunterrichtswoche gibt es dagegen Nebenfachunterricht auf Moodle (was insofern ein bisschen schade ist, als gerade Fächer wie Biologie, Physik und Chemie vom experimentellen Machen leben). Ob dieses Hin und Her zwischen Präsenz und Fernunterricht letztlich mehr bringt als der zunehmend intensiver betreute Distanzunterricht per Moodle, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall führt er dazu, dass wir wieder früher aufstehen müssen – meine Kinder haben den Unterrichtsbeginn um 8.00 Uhr erwischt, mit entsprechendem Vorlauf. Hat jetzt, in diesen langen Sommertagen, auch positive Seiten. Und ob die Tatsache, dass das eine Kind in den A‑Wochen, und das andere in den B‑Wochen in die Schule geht, eher ein Vor- oder ein Nachteil ist, ist mir ebenfalls noch nicht ganz klar. (Nachteil: jede Woche an den Kindertagen früh aufstehen, Vorteil: das jeweils andere Kind hat dann zu Hause während der verkürzten Schulzeit seine Ruhe …).
Nach den Sommerferien soll es dann, heißt es, möglicherweise wieder vollen Präsenzunterricht ohne Abstandsgebote geben. Ich glaube noch nicht ganz daran – und hoffe, dass die Kultusbürokratie und die Schulen die Sommerferien auch dazu nutzen, einen Plan B aufzustellen, der systematisch und pädagogisch sinnvoll 50 bis 100 Prozent Distanzlernen auf eine kluge Grundlage stellt. Ja, auch wenn dann nicht kontrolliert werden kann, ob Schülerin X oder Schüler Y wirklich jede Testaufgabe selbst gemacht hat – das wird ernsthaft als Argument für den Präsenzunterricht angeführt; als ob es bei Schule vor allem darum ginge, Lernstoff zu kontrollieren.
Möglicherweise wird es mit der Präsenz bei Kitas und Grundschulen anders aussehen – das ist jedenfalls eine Deutung der „Kinderstudie“ der baden-württembergischen Universitätskliniken. Die bezieht sich aber – unabhängig von allen aufgrund der Situation nicht anders möglichen Entscheidungen über das Forschungsdesign – nur auf Kinder bis zehn Jahre. Und Israel zeigt, dass eine Öffnung der Schulen durchaus auch Probleme nach sich zieht. Insofern befürchte ich, dass wir im September noch längst nicht wieder beim stinknormalen Präsenzunterricht landen werden – und hoffe gleichzeitig, dass der notgedrungene Digitalisierungsschub auch über „Corona“ hinaus etwas an der Unterrichtsgestaltung ändern wird.