Aus Gründen gibt es gar nicht so viel zu berichten über den September. Ich habe (alleine, weil der Rest der Familie das Genre und überhaupt …) nicht mag, Rings of Power, Season 2 (Amazon Prime) weitergeschaut und mich über die Ambivalenzen gefreut, die ich so bei Tolkien nicht in Erinnerung hatte – wobei ich zugegebenermaßen das Silmarillion zwar (in der deutschen Übersetzung) besitze, aber nie wirklich mit Freude gelesen habe. Außerdem habe ich (mit den Teenagern) die Orpheus-und-Eurydike-Adoption KAOS (Jeff Goldblum, Netflix) angeguckt, die letzte Folge fehlt uns noch, trotzdem lässt sich jetzt schon sagen: sehr ideenreicher, gut umgesetzter Trash. Die griechischen Gött*innen, wie sie vermutlich noch nie dargestellt wurden. Zeus als durchgeknallter Neureicher, Poseidon auf seiner Jacht, Hera, die die Fäden im Hintergrund zieht, der bürokratische Hades (in schwarz-weiß) … und Kreta als Diktatur, die die olympischen Rituale halt so durchzieht. Es macht durchaus Spaß, da zuzugucken. Jetzt hoffe ich nur, dass die letzte Folge nicht enttäuscht.
Gelesen habe ich zum einen das gerade neu im September 2024 erschienene Space Oddity von Catherynne Valente. Das ist die Fortsetzung von Space Opera. Da ging es, kurz zusammengefasst, darum, dass die Menschheit nur dann Mitglied der galaktischen Zivilisation werden kann – und ansonsten ihrer Annihilation entgegensieht – wenn sie beim Galactic Song Contest nicht auf dem letzten Platz landet. Decibel Jones und seine Band haben die unverhoffte Ehre, hier auftreten zu dürfenmüssen. Dieser erste Band war ein sehr gelungener Mix aus einem Humor im Stil von Douglas Adams, der wohlwollenden Auseinandersetzung mit der Tradition des ESC und jedem SF-Space-Opera-Motiv, das nicht schnell genug um die Ecke verschwinden konnte. Space Oddity setzt das jetzt fort. Nach dem Song Contest ist vor der intergalaktischen Promotion-Tour, und das Weltall ist voll mit Wundern, die uns noch vor dem Frühstück begegnen. Zu diesen Wundern gehört dann unverhofft eine bisher unentdeckte Spezies. Ein Song Contest muss her, um zu beweisen, dass es sich hier um intelligentes Leben handelt. Nur: diese Spezies hat ihre Gefühle externalisiert. Das hört sich ziemlich depressiv an – jedenfalls nicht nach Musik. Und das allmächtige Board des Song Contest ist alles andere als amüsiert. Soweit mal, sonst wird zu viel verraten. — Wie auch der erste Band ist Space Oddity flott geschrieben und steckt voll mit Anspielungen. Valente ist da tatsächlich eine würdige Nachfolgerin der ganz speziellen Douglas-Adams-Schreibe. Gleichzeitig leidet der Roman selbst ein kleines bisschen am „Schwieriges-zweites-Album“-Syndrom (nicht umsonst heißt das Keshet-Zeitparadox-Schiff, in dem Decibel Jones unterwegs ist, Difficult Second Starship). Die Neuheit eines ESC-Space-Opera-Mixes ist verflogen, die wilden Zeitreisen der Keshet, die das Buch durchziehen, machen es teilweise schwierig, nachzuvollziehen, was hier gerade passiert, und es gibt Sätze, die Anspielung auf Anspielung anpacken und humorvoll bearbeiten, ohne jedoch am Schluss irgendwie dazu beigetragen zu haben, den Fortgang der Geschichte zu beschleunigen. Kurz: Space Oddity reicht nicht ganz an Space Opera heran. Trotzdem eine Leseempfehlung – insbesondere für alle, die zwischen Nerd- und Popkultur sitzen.
Paolo Bacigalupi war mir bisher vor allem als Autor von Near-Future-SF aufgefallen, die im globalen Süden spielt. Jetzt hat er mit Navola (2024) einen Roman geschrieben, der sich als Fantasy klassifizieren lässt, obwohl ein großer Teil der Handlung ohne Magie etc. auskommt. Navola ist eine Handelsrepublik, die an Florenz oder Venedig erinnert; das Buch spielt in einer Welt, die unserer Renaissance ähnelt, auch wenn die beschriebenen Orte und Länder andere Namen tragen, und sich eine andere Religion als dominant durchgesetzt hat. Die alten Göttern sind herabgesetzt, aber nicht ganz verschwunden. Was mir gut gefällt: wie Bacigalupi (pseudo-)lateinische/italienische Begriffe (er)findet und in die Sprache seiner Erzählung einfließen lässt. Auch das trägt dazu bei, in den Alltag einer der mächtigsten Bankiersfamilien Navolas einzutauchen und ihn ganz und gar für wahr zu nehmen. Navola erzählt die Lebensgeschichte Davicos di Regulai, der der Sprössling dieses Handelshauses ist und bald dessen Leitung übernehmen soll. Die Regulai haben sich durch geschickte Politik ein die ganze damalige Welt umspannendes Netz an Filialen aufgebaut. Und wo Politik nicht ausreicht, gibt es noch Schattenmänner, Attentäter und zur Not auch angeheuerte Armeen. Davico hat allerdings kein Talent für Intrigen. Wenn ihn etwas interessiert, dann ist das die Welt der Natur, das Netz des miteinander verbundenen Lebens. Statt der Ausbildung zum Handelsmann würde er lieber Naturgelehrter werden – aber dieser Weg ist ihm verschlossen. Und dann gibt es noch seine „Schwester“, Celia – die als Faustpfand aus einer Fehde Teil der Familie geworden ist. Ach ja, und das Auge eines Jahrtausende alten Drachens wird ebenfalls eine Rolle spielen. — In meinem Urteil über Navola bin ich zwiegespalten. Die Welt, die Bacigalupi meisterhaft aufbaut, ist interessant genug, um darin zu versinken. Ich würde gerne mehr darüber lesen und habe das Buch auch deswegen verschlungen. Das Buch hat allerdings einen Kipppunkt, ab dem der blutige und brutale Untergang der Familie di Regulai beschrieben wird. Ich verstehe, warum Bacigalupi diesen Weg einschlägt, und auch die Aussage, die er damit über die gerne versteckten Schattenseiten einer erfolgreichen und intriganten Handelsfamilie trifft – trotzdem dachte ich da: muss das sein? Wäre ein anderer Ausgang der Geschichte für Davico (und Celia) möglich gewesen? Oder ist genau dieser brutale zweite Teil schon in den ersten Seiten und ersten Entscheidungen angelegt?
Robin Sloan war mir – ich gebe es ungern zu – bisher kein Begriff. Über die Worldcon und das Thema Solarpunk bin ich auf seinen Roman Moonbound (2024) gestoßen. Eine viel bessere Rezension, als ich sie je schreiben könnte, findet sich dazu bei Cory Doctorow. Kurz gesagt: die Abenteuer des Jungen Ariels werden aus der Perspektive einer 1000 Jahre alten KI (ein „Chronicler“) beschrieben, die nach einem langen Sleep-Mode-Zustand wieder zum Leben (?) erweckt wird – und Ariel selbst lebt in einer Welt, die 11.000 Jahre nach unserer existiert, eine Welt, die den Niedergang unserer Zivilisation, den Aufstieg der postapokalyptischen Menschheit und deren Niedergang erlebt hat, und in der es jetzt – (wir befinden uns weiterhin im Feld der Science Fiction) – sprechende Tiere gibt, Zauberer, verteilte Roboter, KIs, Gentechnologie – und ein Solarpunk-Setting, in dem sowohl das maximale Recycling wie auch ein großflächiges Carbon Management (hier: durch sprechende Bieber) ebenso einen Platz finden wie die Spätfolgen von LLMs. Sagte ich schon, dass nebenbei auch Popkultur und Memes als Wunderwaffe auftauchen? Und die Arthur-Legende? Das klingt jetzt vielleicht chaotisch, aber das ist eine sehr schöne und sehr schön geschriebene Mischung. Alles ist genauso, wie es scheint, egal wie unerklärlich es erst einmal wirkt.
Moonbound war dann der Auslöser für mich, auch nach den früheren Werken von Sloan zu gucken. Sourdough habe ich noch vor mir, gelesen habe ich aber jetzt immerhin mal Mr. Penumbra’s 24-Hour Bookstore (2012) samt der Prequel-Kurzgeschichte Ajax Penumbra 1969. Und was soll ich sagen: ich bin begeistert. Zum einen, weil Penumbra eine sehr gut erzählte Geschichte über eine Quest ist, mit (magischen?) Artefakten, einem Geheimbund, alten Büchern und einer metatextuell immer wieder referenzierten Fantasy-Geschichte, also einem Buch im Buch – und zum anderen, weil es eine sehr gut gelungene Momentaufnahme der 2010er Jahre ist, also Google noch ein weitgehend benevolenter Konzern war, Nerds noch Nerds sein konnten und die politische Düsternis der kommenden Jahre sich noch nicht über diese kalifornische Szene gelegt hatte (auch wenn die eine oder andere weirde Idee hier bereits ihren Auftritt hat). Ach ja: und Typografie spielt eine tragende Rolle. Großartig!