In letzter Zeit wabberte an verschiedenen Ecken und Enden ja immer mal wieder das Thema „Bio ist bäh“ ins Licht der medialen Aufmerksamkeit. Sei es durch die Stanford-Studie, die keine Unterschiede beim Vitamingehalt feststellen konnte (und Pestizidbelastungen nicht berücksichtigte), sei es durch diverse genüsslich wiedergekäute Skandale und Skandälchen, sei es durch SPIEGEL-Kolumnisten, die der SPD das Karottenkuchenmilieu madig machen wollen. Und trotzdem halte ich es nach wie vor für sinnvoll, „bio“ einzukaufen (und für „fair“ gilt ganz ähnliches). Warum? Dazu zehn Thesen.
Photo of the week: ETH shadows III
Wahlparadoxien
Heute habe ich mich an zwei Wahlen beteiligt, zweimal ist nicht das rausgekommen, was ich gewählt habe, trotzdem finde ich die Ergebnisse in Ordnung.
Die erste Wahl war auf dem Landesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen, der heute und gestern in Bad Krozingen getagt hat. Dort wurde Daniel Mouratidis zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Wie gesagt – gewählt habe ich ihn nicht, aber ich traue ihm zu, sowohl integrativ und bodenständig zu wirken als auch eigene Persönlichkeit zu entfalten, und damit ist Daniel sicherlich eine gute Wahl für die Landesspitze der Partei (der Rest des Parteitags war bis auf ein paar Albernheiten gestern abend eher langweilig – wie immer, wenn Grüne versuchen, kontrovers über Umweltthemen zu reden). Gefreut hat mich, dass ein aus meiner Sicht gutes Verfahren zum Thema Grundeinkommen beschlossen wurde – ungefähr ein Jahr lang soll ein aktiver Meinungsbildungsprozess in der Partei dazu erfolgen, am Ende soll eine gut durchdachte grüne Position zu Grundeinkommen/Grundsicherung/etc. stehen.
Die zweite Wahl, die anders gelaufen ist, als ich abgestimmt habe, war der Freiburger Bürgerentscheid zum Verkauf der Stadtbau. Bis zum Schluss war ich mir unsicher, wie ich abstimmen soll, habe dann aber doch brav mein Kreuz bei „nein“ gemacht. Die überwältigende Mehrheit der Freiburger BürgerInnen sah das anders, etwa 70 Prozent haben für „ja“ gestimmt, also gegen den Verkauf der Stadtbau und der städtischen Wohnungen. Damit ist die Privatisierungslösung zum Kassefüllen erst einmal aus dem Spiel – ich bin gespannt, ob jetzt tatsächlich die angedrohten düstern Zeiten auf Freiburg zukommen, oder ob die Stadtratsfraktionen jenseits der Bürgerentscheidsblöcke einen Freiburger Weg aus der Haushaltsmisere finden werden. Hoffnungen habe ich da einige; der äußere Zwang mag das seine zum Zustandekommen derartiger Lösungen beitragen.
> Infos zum Bürgerentscheid und Ergebnis
> Überblick über die Ergebnisse in den Stadtteilen (zeigt schön, wo reich und arm wohnen …)
Am konservativsten von allen …
… ist die Junge Union Freiburg (und damit schon wieder so richtig niedlich). Jedenfalls fordern die in einer Pressemitteilung folgendes:
1. Streichung aller öffentlichen Gelder für die KTS (Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die KTS hält sich nicht an Polizeibefehle)
2. Streichung aller öffentlichen Gelder für die „sog. Schattenparker“ (keine Ahnung, ob die überhaupt welche kriegen oder was die JU damit meint, Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die Schattenparker halten sich nicht an Polizeibefehle)
3. Keine Koalition der CDU mit den Grünen (Grund: gefährliche Anarchistenfreunde, die sich nur hinter einer bürgerlichen Fassade verstecken)
Während (1) und (2) so in etwa dem entspricht, was von einer ultrakonservativen Gruppe zu erwarten ist (und selbst aus dieser Sicht ziemlich dämlich ist – die JU würde glaube ich als erste protestieren, wenn das KTS-Publikum nicht mehr vorwiegend in der KTS, sondern vorwiegend z.B. in der Innenstadt oder auf der Straße zu finden wäre), ist die Aussagen zu (3) in der Pressemitteilung richtig amüsant. Zitat:
„Frau Viethen und die Grünen versuchen wohl mit ihrer demonstrativen Unterstützung der Anarchisten und mit ihrer polemischen Kritik an der Freiburger Polizei wieder Boden im linken Lager gut zu machen, den sie beim Beschluss für den Verkauf der Freiburger Stadtbau verloren haben. Damit zeigen die Grünen ihr widersprüchliches Gesicht und machen sich unglaubwürdig“, so Daniel Sander. […]
Die Äußerungen von Frau Viethen und Co. und deren Unterstützung der sinnlosen und gefährlichen Aktionen gegen den Staat hätten gezeigt, dass der bürgerliche Anschein, den die Grünen beim Wohnungsverkauf gewonnen hätten, nur Fassade sei. „Unter diesen Umständen ist auf absehbare Zeit keine kommunale Koalition mit den Freiburger Grünen und der CDU denkbar“, so Daniel Sander.
Mal abgesehen davon, dass im baden-württembergischen Kommunalrecht eh keine Koalitionen vorgesehen sind, und eine sachbezogene Politik anders aussieht, als in der pauschalen Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit der stärksten Fraktion, so scheint mir die CDU – und insbesondere die JU – vor allem noch nicht ganz kapiert zu haben, dass es tatsächlich sowas wie eine „neue Bürgerlichkeit“ gibt, dass Grüne in Freiburg längst nicht nur von Linksalternativen gewählt werden. Deutschlandweit wird das beispielsweise in den Milieustudien des SINUS-Instituts deutlich: bis Anfang der 1990er Jahren gab es demzufolge in Deutschland ein „Alternatives Milieu“, das etwa 4 % der Bevölkerung ausmachte, und eine Art (jugendliche) Subkultur darstellte. In den aktuellen SINUS-Studien gibt es dieses Milieu nicht mehr – dafür die „Postmateriellen“, eines der gesellschaftlichen Leitmilieus und mit etwa 12 % mindestens so stark wie die Konservativen.
Die Existenz dieser „verbürgerlichten Alternativen“ – in Freiburg sicher deutlich mehr als 12 % – haben Teile der CDU/JU noch nicht begriffen. Sie laufen Feindbildern aus den 1980ern hinterher, die es so nicht mehr gibt. Und sie kapieren nicht, dass es inzwischen möglich ist, hohen Bildungsstatus und hohes Einkommen – mit allen Folgeerscheinungen wie dem Wohneigentum etc. – also die alten Insignien des Bürgertums – mit einem grün-bürgerrechtsliberalen Wertemuster zu verbinden, zu dem sowohl die Suche nach vernünftigen Haushalten als auch die Offenheit für kulturelle Experimente und alternative Lebensformen gehört.