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New York VI (Trump Tower / Emergency Exit)

Noch läuft die Aus­zäh­lung. Aber wenn ich den Pro­gno­sen der New York Times ver­trau­en kann – und die dahin­ter lie­gen­den Zah­len, der mas­si­ve Umschwung nach rechts sehen so aus – dann müss­te ein Wun­der gesche­hen, damit Kama­la Har­ris die­se Wahl noch gewinnt. Ich glau­be nicht an Wunder.

Ich gehe davon aus, dass der nächs­te Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten Donald Trump sein wird – mit einer Mehr­heit im Supre­me Court und im Senat, wahr­schein­lich auch im Reprä­sen­tan­ten­haus. Gleich­zei­tig hat die­ser Trump einen Plan, egal, wie sehr er sich davon rhe­to­risch distan­ziert. Inso­fern ist Trump 2024 nicht Trump 2016, son­dern etwas schlim­me­res. Und sein Vize­prä­si­dent steht nicht für die klas­si­sche repu­bli­ka­ni­sche Par­tei, son­dern für einen neu­en Faschis­mus. Das alles in Zei­ten, in denen die USA als ver­läss­li­cher Part­ner eigent­lich gebraucht wür­den – im Kli­ma­schutz, in der Ver­tei­di­gung der Ukrai­ne, im welt­wei­ten Kampf um Demo­kra­tie. Die­se Leer­stel­le wer­den wir bit­ter zu spü­ren bekommen.

2016 war ein Schock, ein böses und uner­war­te­tes Erwa­chen. 2024 fühlt sich anders an. Ich hat­te dar­an geglaubt, dass Har­ris eine Chan­ce hat, dass der Schwung ihrer Kan­di­da­tur bis hier­her reicht. Statt des­sen hat die Pola­ri­sie­rung zuge­nom­men, die zwi­schen Stadt und Land, zwi­schen Küs­ten und dem Lan­des­in­ne­ren – und fast über­all haben mehr Leu­te, bei höhe­rer Wahl­be­tei­li­gung, Trump gewählt als vor vier bzw. sogar vor acht Jah­ren. Objek­tiv betrach­tet war Biden ein guter Prä­si­dent. Gewür­digt wur­de das nicht. Und ich sehe schon die Legen­den, die gestrickt wer­den – dass die Demo­kra­ten viel­leicht doch lie­ber einen wei­ßen Mann hät­ten auf­stel­len sol­len, dass es bes­ser gewe­sen wäre, sich noch stär­ker auf das eine oder ande­re rech­te Nar­ra­tiv ein­zu­las­sen. Und auch davor habe ich Angst.

2024 ist tie­fe Frus­tra­ti­on. Egal, ob es X war oder die Rus­sen, oder schlim­mer noch, ehr­li­che Begeis­te­rung bei einer gro­ßen Zahl Wähler*innen für ein zutiefst reak­tio­nä­res Pro­jekt – das sind alles kei­ne guten Vor­aus­set­zun­gen für die kom­men­den Jahr­zehn­te. Nicht nur in den USA. Wir spü­ren das ja auch hier. Die Wah­len im Osten, die Wah­len in Ita­li­en und den Nie­der­lan­den, in Öster­reich, in Frank­reich. 2025 dann eine Bun­des­tags­wahl, bei der, jede Wet­te, die Merz-Uni­on voll auf Popu­lis­mus-Kurs gehen wird. Muss das sein?

Photo of the week: Werkbund, Berlin

Werkbund, Berlin

 
Ende Sep­tem­ber war ich kurz in Ber­lin, vor allem, um an der Kon­fe­renz „Mut macht Zukunft“ der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on teil­zu­neh­men. Etwas Zeit am Tag davor konn­te ich bei schöns­tem Herbst­wet­ter zum Spa­zie­ren­ge­hen nut­zen – von der East Side Gal­lery zur Spree­insel. Neben den letz­ten Res­ten des Ber­lin Mara­thons und dem „Holz­markt“ (der mich sehr an bestimm­te Ecken in Frei­burg erin­ner­te) habe ich die Zeit genutzt, ins Werk­bund­ar­chiv („Muse­um der Din­ge“) zu gehen. Bzw.: ich hat­te das vor, rich­tig viel zu sehen gab es aller­dings nicht, weil das Muse­um nach einem zwangs­wei­sen Umzug gera­de umge­baut wird. Ich konn­te einen kur­zen Blick auf die Frank­fur­ter Küche erha­schen und mir die klei­ne Aus­stel­lung „Pro­fi­to­po­lis oder der Zustand der Stadt“ angucken. 

Die war inso­fern inter­es­sant, weil sie die heu­ti­ge Debat­te über Miet­hö­hen, Boden­spe­ku­la­ti­on und Städ­te­pla­nung in den Kon­text ähn­li­cher Dis­kus­sio­nen zum einen in den 1920er und 1930er Jah­ren, zum ande­ren – wie im Foto oben zu sehen – in den 1970er und 1980er Jah­ren stell­te. Min­des­tens drei der hier abge­bil­de­ten Bücher fin­den sich auch in unse­rem häus­li­chen Bestand, ich bin mit die­sen Debat­ten auf­ge­wach­sen. Inso­fern: inter­es­sant zu sehen, wie die Umge­stal­tung der Stadt vor fünf­zig Jah­ren dis­ku­tiert wur­de, samt Ori­gi­nal­mit­schnit­ten aus dama­li­gen Fern­seh­sen­dun­gen etc. Haben wir was dar­aus gelernt? Oder sind wir im Pen­del­aus­schlag der Geschich­te wie­der an einem ähn­li­chen Punkt angekommen? 

Randbemerkung zum neuen Auftritt Baden-Württembergs

Seit eini­gen Tagen ist das neue „Cor­po­ra­te Design“ für das Land Baden-Würt­tem­berg live, und ich fremd­le noch sehr damit. Ein biss­chen was zu den Hin­ter­grün­den des „CD“ steht beim Design­ta­ge­buch. Im Kern wur­de der Schritt, der mit der LÄND-Kam­pa­gne 2021 gestar­tet wur­de, wei­ter umge­setzt: Kon­zen­tra­ti­on auf ein knal­li­ges Zitro­nen­gelb plus Schwarz (als Zitat der Lan­des­far­ben Gold und Schwarz), Redu­zie­rung der gra­fi­schen Ele­men­te, ver­ein­fach­te Typo­gra­fie, Knall­ef­fek­te. Was mit „LÄND“ und ähn­li­chen Kam­pa­gnen (wie dem sehr schö­nen THENERDLAEND.COM des Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­ums) begon­nen hat, wird jetzt auf die Lan­des­ver­wal­tung ins­ge­samt ausgerollt. 

Bis­her ver­wen­de­ten die Web­sites und Publi­ka­tio­nen des Lan­des eine Seri­fen­schrift (eine Gara­mond, glau­be ich), ein pas­tel­li­ges Gelb (von dem ich irgend­wann mal gehört habe, dass es von der Wand­far­be der badi­schen Finanz­äm­ter kommt, ob das stimmt, weiß ich nicht) und das Lan­des­wap­pen mit Zier­rat, wie es im Wap­pen­ge­setz fest­ge­legt ist. Neben den drei Löwen (stau­fi­schen Pan­tern) fin­den sich da ein Greif für Baden und ein Hirsch für Würt­tem­berg sowie klein in der Kro­ne des Wap­pens Ver­wei­se auf unter­schied­li­che Lan­des­tei­le. Das Wap­pen wird so seit 1954 ver­wen­det, der lan­des­weit ein­heit­li­che Auf­tritt seit den 2000ern, wenn mich nicht alles täuscht. Davor fin­de ich vor allem das Lan­des­wap­pen in schwarz-weiß mit dem Seri­fen­schrift­zug „Baden-Würt­tem­berg“.

Jetzt wur­de das Wap­pen im Auf­tritt des Lan­des in Web und Print radi­kal auf die drei Löwen – in sti­li­sier­ter Form – redu­ziert, dazu kommt in seri­fen­lo­ser Schrift der Name der jewei­li­gen Behör­de. Im Bei­spiel oben das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um. Zudem hat jedes Minis­te­ri­um noch eine sehr redu­zier­te, fast schon typo­gra­fi­sche Gra­fik bekom­men, die den jewei­li­gen Gegen­stands­be­reich dar­stellt (hier: Flug­zeu­ge und Elek­tro­au­tos). Bei der Deut­schen Bahn habe ich unlängst ähn­li­ches gese­hen, das scheint gera­de Mode zu sein.

bis­he­ri­ges Logo neu­es Logo

Ich fremd­le noch mit die­sem neu­en Auf­tritt. Zum einen fin­de ich die Farb­ge­bung sehr grell. Das mag modern wir­ken (dazu gleich mehr), nimmt aber auch Bezü­ge zu „Hei­me­lig­keit“ weg, die eben auch zu die­sem immer­hin seit 1954 bestehen­den Bun­des­land gehö­ren. Ähn­li­ches lässt sich über den Weg­fall von Wap­pen und Seri­fen­schrift sagen. Neben dem etwas alt­ba­cke­nen, aber auch gemüt­li­chen Aspekt, der dadurch aus­ge­strahlt wur­de, hat das Wap­pen als Hoheits­zei­chen immer auch „das hier ist ein Staat“ signa­li­siert, also Bezü­ge zu einer lan­gen Tra­di­ti­ons­li­nie der Eigen­stän­dig­keit – und einer gewis­se Amts­au­tori­tät – auf­ge­macht. Das fällt jetzt eher weg.

Jetzt also: drei Löwen und ein Schrift­zug. Das könn­te auch ein Kon­zern sein. Mich erin­nert es an die Gestal­tungs­spra­che der 1970er Jah­re. Gra­fisch redu­zier­te For­men, star­ke Kon­tras­te, kei­ne Details, eine seri­fen­lo­se Schrift (damals ger­ne die Hele­ve­ti­ca) – Mün­chen 1972, redu­zier­te Logos etwa der Deut­schen Bank, von Bei­ers­dorf oder der DLR. Und auch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­wen­de­te in den 1970ern einen sti­li­sier­ten Adler plus seri­fen­lo­ser Schrift­zug als „Absen­der“. Das passt eher zu Lothar Späth als zu Win­fried Kret­sch­mann. Oder täu­sche ich mich da?

(P.S.: Gra­fisch ganz furcht­bar fin­de ich das neue „redu­zier­te Wap­pen“ / „exten­ded Logo“)

Und gleich­zei­tig fällt mir das Nie­der­sach­sen-Pferd ein. Das wei­ße Pferd auf rotem Wap­pen­schild ist bis heu­te – bzw. heu­te wie­der – auf dem Web­auf­tritt etc. der Lan­des­re­gie­rung Nie­der­sach­sens zu fin­den. 1990 gab es einen Ver­such, den Auf­tritt zu moder­ni­sie­ren. Aus dem Pfer­de­wap­pen wur­de ein sti­li­sier­tes Logo – im Netz fin­de ich lei­der kein Bei­spiel­bild dafür. Das blieb aber nur weni­ge Jah­re in Ver­wen­dung. Mit dem Regie­rungs­wech­sel von der SPD zur CDU wur­de wie­der das alte Lan­des­wap­pen im Auf­tritt des Lan­des eingeführt. 

Mal schau­en, ob es dem grell­gelb-schwar­zen Auf­tritt Baden-Würt­tem­bergs ande­res ergeht. Oder ob sich durch­setzt, dass Baden-Würt­tem­berg das „gel­be“ Land ist. Was auch immer das poli­tisch bedeutet. 

P.S.: Link zum offi­zi­el­len „Design-Por­tal“ des Lan­des.

Zweieinhalb Landtagsbücher

Titel

Bei aller tages­po­li­ti­scher Auf­re­gung füllt Lan­des­po­li­tik nicht jeden Tag aus. Inso­fern ver­wun­dert es nicht, dass im Umfeld des Land­tags auch das eine oder ande­re Buch ent­steht. Nicht jedes davon ist so gelun­gen und wirk­mäch­tig wie Mon­r­epos, muss es aber auch nicht, um doch den einen oder ande­ren Ein­blick zu geben. In die­ser Woche, in der die Tages­po­li­tik von grü­nen Rück­trit­ten und Neu­auf­stel­lun­gen wim­mel­te, sind mir zwei sol­che Bücher begeg­net. Ein drit­tes (der Ent­hül­lungs­ro­man Der Beam­te Wie­ler der ehe­ma­li­gen Land­tags­pres­se­spre­che­rin Gabrie­le Renz) ist angekündigt.

Die bei­den Bücher, die ich in in die­ser tur­bu­len­ten Woche gele­sen habe, sind höchst unter­schied­lich – ein Sach­buch, ein Roman, eines blickt auf die SPD, eines vor allem auf die FDP – aber sie eint die Per­spek­ti­ve ihrer Autoren, die jeweils aus einer gewis­se Distanz auf ihre Frak­tio­nen bli­cken. Mar­tin Mend­ler war bis Okto­ber 2017 lang­jäh­ri­ger Pres­se­spre­cher der SPD-Frak­ti­on und wur­de danach als von der SPD als Bera­ter für Wis­sen­schaft ein­ge­setzt; Micha­el Haas schied fast gleich­zei­tig – aller­dings schon nach nur einem Jahr – als Pres­se­spre­cher der FDP-Frak­ti­on aus (vgl. Mül­ler 2017; der dort erwähn­te Pres­se­spre­cher der Grü­nen hat­te sich als CDU-Par­tei­gän­ger entpuppt). 

Mend­ler hat ein umfang­rei­ches, über 500 Sei­ten star­kes Sach­buch zur Geschich­te der baden-würt­tem­ber­gi­schen SPD vor­ge­legt (mal ganz ehr­lich. Geschich­te und Poli­tik von Land­tags­frak­ti­on und Lan­des­par­tei der SPD Baden-Würt­tem­berg von 1952 bis 2022, Eigen­ver­lag, Kirchheim/Teck 2024). Der mate­ri­el­le Schwer­punkt liegt dabei auf der grün-roten Regie­rungs­zeit – rund 175 Sei­ten – und den Jah­ren direkt davor; die Anfangs­zeit der SPD wird – wohl auch man­gels Quel­len – nur recht knapp dar­ge­stellt. Es geht dabei nicht nur um die SPD-Lan­des­po­li­tik, son­dern eben­so um rele­van­te baden-würt­tem­ber­gi­sche SPD-Akteur*innen im Bund und den Koali­tio­nen mit SPD-Betei­li­gung. Die par­la­men­ta­ri­sche Arbeit ins­be­son­de­re anhand der Zahl der Gro­ßen Anfra­gen, der ein­ge­brach­ten Gesetz­ent­wür­fe (in Oppo­si­ti­ons­zei­ten legi­tim, in Regie­rungs­zei­ten ein frag­wür­di­ger Indi­ka­tor) und der vor­ge­brach­ten Rück­tritts­for­de­run­gen zu mes­sen, wäre mir jetzt nicht eingefallen. 

Der Fokus des Buchs liegt aller­dings eh auf den – in der Geschich­te der SPD zahl­rei­chen – per­sön­li­chen Feind­schaf­ten, Putsch­ver­su­chen und Pro­te­gie­run­gen. Das ist inso­fern ganz inter­es­sant, weil es doch deut­lich macht, wie die SPD tickt, wie sich Epp­ler, Mau­rer, Spö­ri, Schmie­del, Vogt, Schmidt – kurz­fris­tig Brey­mai­er und schlicht Stoch jeweils durch­ge­setzt haben, und was dabei an Deals ver­ein­bart und gebro­chen wur­de. Eben­so gibt das Buch einen Ein­schät­zun­gen dar­über ab, wel­che lan­des­po­li­ti­schen The­men zie­hen (Bil­dung!), wel­che Kam­pa­gnen in den Sand gesetzt wur­den (Kin­der­gar­ten­ge­büh­ren) und wie die „Schmach“, klei­ne­re Regie­rungs­par­tei zu sein, das Selbst­bild der SPD-Frak­ti­on in der grün-roten Regie­rungs­zeit geprägt hat – bis hin zur „Arro­ganz“, die dem grü­nen Regie­rungs­part­ner zuge­schrie­ben wird. Das alles mag nur für eine klei­ne Schnitt­men­ge an Men­schen mit Gewinn zu lesen sein. Den­noch ist es ver­dienst­voll von Mend­ler, all das in die­ser Detail­tie­fe auf­ge­ar­bei­tet zu haben. Das Buch ist kein Werk mit einem geschichts- oder poli­tik­wis­sen­schaft­li­chen Anspruch im enge­ren Sin­ne, gibt aber, viel­leicht auch sei­nem Samen­korn in einem Über­blick für eine Jubi­lä­ums­prä­sen­ta­ti­on, einen guten Abriss über 70 Jah­re Sozi­al­de­mo­kra­tie in einem Land, dass die SPD nie beson­ders freund­lich behan­delt hat. Inso­fern bleibt es selbst eine über­dau­ern­de Quel­le der Lan­des­ge­schich­te, nicht nur zur SPD, son­dern auch zum zeit­ge­schicht­li­chen Kon­text ins­be­son­de­re seit den 1980er Jahren.

Das zwei­te Buch, das ich die­se Woche gele­sen habe (und auf das ich nur gesto­ßen bin, weil Mend­ler es in einer Fuß­no­te erwähnt), ist schon 2021 erschie­nen, hat aber trotz Schlüs­sel­ro­man­an­spruch kei­ne grö­ße­re Wel­len geschla­gen, mir wären sie jeden­falls nicht auf­ge­fal­len. Micha­el Haas hat mit Kri­ti­sche Mas­se. Ein Par­la­ments­ro­man (Edi­ti­on Out­bird, Gera) sei­nen wohl ziem­lich trau­ma­ti­sie­ren­den Aus­flug in die Lan­des­po­li­tik auf­ge­ar­bei­tet; er hat für weni­ge Jah­re als Pres­se­spre­cher der baden-würt­tem­ber­gi­schen FDP/DVP-Frak­ti­on gearbeitet. 

Sein Buch will ein Gesell­schafts­bild zeich­nen; eigent­lich han­delt es sich dabei eher um eine Anein­an­der­rei­hung von über­be­lich­te­ten Vignet­ten als um einen Roman im enge­ren Sin­ne. Die Haupt­per­son, David (oder an einer Stel­le Cle­mens?) David­sohn wird Pres­se­spre­cher der VDP-Vor­sit­zen­den Tama­ra Troll, die sich in der Rol­le als laut­stark pol­tern­de, nar­ziss­ti­sche Oppo­si­ti­ons­kraft gegen die Regie­rung um den kau­zi­gen – oder sich kau­zig dar­stel­len­den Minis­ter­prä­si­den­ten Habe­dank von der Par­tei rege­ne­ra­ti­ver Moral gefällt. Das ganz spielt in Stern­heim, gekenn­zeich­net durch eine Bahn­hofs­bau­stel­le und einen Fetisch für den Auto­ver­kehr und die Auto­in­dus­trie. Man­che in der VDP sym­pa­thi­sie­ren mit der rechts­na­tio­na­len Volks-Refor­mier­ten Vater­lands-Par­tei. Und über allem thront die iko­ni­sche. lea­ne und zu Pro­duk­ti­vi­tät und Effi­zi­enz antrei­ben­de Füh­rer­fi­gur Kie­bich auf der Ber­li­ner Bühne. 

Der Schwä­bi­sche Hei­mat­bund sieht den Roman in einer Rezen­si­on „im Hass“ ver­fasst; jeden­falls wer­den Krän­kun­gen und auch der Ekel, den der Autor aus dem Poli­tik­be­trieb mit­ge­nom­men hat, über­deut­lich. Kari­kie­rend, zur Kennt­lich­keit ent­stel­len – das ist das eine, und man­cher Ein­blick endet da an der Ober­flä­che. Wie es über­haupt das Äuße­re, und ins­be­son­de­re das Kör­per­li­che, Haas ange­tan hat – wer auf der Sei­te des Bösen steht, hat schwit­zi­ge Hän­de, ist kor­pu­lent, trägt abge­schab­te Schu­he und Anzü­ge von der Stan­ge. (Neben­bei: moder­ne Archi­tek­tur kommt eben­falls nicht gut weg.) Neben den halb­wegs kennt­li­chen Figu­ren ste­hen Arche­ty­pen pro­vin­zi­el­ler Politiker*innen – etwas lang­wei­lig dabei, dass alle die sel­be Hin­ter­grund­ge­schich­te haben, näm­lich sich längst mit ihren Ehe­frau­en aus­ein­an­der­ge­lebt haben, aus Grün­den der Außen­wir­kung jedoch nicht geschie­den sind. Das wah­re Spek­trum mag da viel­fäl­ti­ger sein, und viel­leicht steckt dann doch zu viel Freud und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft in der betont fein­geis­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit den Nie­de­run­gen der Landtagspolitik.

Wenn das Buch nur das wäre, wäre es igno­rier­bar. Dort, wo beim Autor tat­säch­li­che Insi­der­kennt­nis­se zu ver­mu­ten sind, näm­lich bei der Innen­an­sicht der „VDP“, wird es inter­es­sant. Selbst wenn er hier deut­lich über­treibt, bleibt das Bild einer raff­gie­ri­gen, für die Wirk­lich­keit blin­den und in eige­ne Paro­len ver­lieb­ten Par­tei bzw. Frak­ti­on, die sich orga­ni­sa­to­risch an Hier­ar­chie, an Leis­tung und an ein dik­ta­to­ri­sches Ver­ständ­nis von Füh­rung klam­mert. Rund um den cha­ris­ma­ti­schen Bun­des­vor­sit­zen­den gibt es fast schon sek­ten­ar­ti­ge Züge samt Indok­tri­na­ti­on beim gro­ßen Zusam­men­kom­men in der Haupt­stadt. Wirt­schafts­nä­he ist bloß behaup­tet, die meis­ten Abge­ord­ne­ten glän­zen durch Inkom­pe­tenz. Und der Geist der unbe­ding­ten Leis­tungs­ori­en­tie­rung zieht sich, was wäre auch ande­res zu erwar­ten, durch: Mit­ar­bei­ten­de zeich­nen sich durch Intri­gen unter­ein­an­der aus, die Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on besteht aus teu­ren Abzieh­bil­dern des Vor­sit­zen­den. Hin­ter der Fas­sa­de der „VDP“ lau­ert die gro­ße Lee­re. Zu all dem kommt die Nähe zu Rechts­au­ßen, das Ein­for­dern sexu­el­ler Gefäl­lig­kei­ten und der Anti­se­mi­tis­mus, der der jüdi­schen Haupt­fi­gur entgegenschlägt. 

Dass das bei einer libe­ra­len Par­tei, bei einer ger­ne auch ein­mal rechts­li­be­ra­len Frak­ti­on so sein könn­te, hat man sich schon gedacht. Aber das ist dann doch noch­mal star­ker Tobak. Puh.

Poli­tik agiert im Medi­um Macht. Auch eine wer­te­ori­en­tier­te Par­tei wie mei­ne ist davon nicht aus­ge­schlos­sen. Trotz­dem neh­me ich nach fast drei­ßig Jah­ren Par­tei­mit­glied­schaft und im vier­zehn­ten Jah­ren Arbeit in der Land­tags­frak­ti­on doch immer noch war, dass wir ver­su­chen, den huma­nis­ti­schen Teil eines grü­nen Welt­bilds in den eige­nen Orga­ni­sa­tio­nen zu leben. Das schließt nicht aus, dass es Abge­ord­ne­te und ande­re poli­ti­sche Akteu­re gibt, die ähn­lich agie­ren, wie sie Mend­ler in Sach­lich­keit und Haas in sati­ri­scher Über­zeich­nung prä­sen­tie­ren. Und ja, ein Land­tag ist ein Par­la­ment, das nicht in jedem Poli­tik­feld Zustän­dig­kei­ten hat. Ganz so übel, wie sie hier gezeich­net wird, ist Poli­tik dann aller­dings doch nicht. 

Wumms

Chestnut tree growing II

Dass die Wahl­nie­der­la­ge in Bran­den­burg ganz spur­los an der grü­nen Bun­des­spit­ze vor­bei­ge­hen wür­de, war nicht zu erwar­ten. Dass jetzt der gan­ze Vor­stand – die Vor­sit­zen­den und der Schatz­meis­ter, die poli­ti­sche Geschäfts­füh­re­rin und die bei­den wei­te­ren Vor­stands­mit­glie­der – sei­nen Rück­tritt ein­reicht, hat mich dann doch über­rascht. Aber: es ist die rich­ti­ge Reak­ti­on zum spä­tes­tens jetzt rich­ti­gen Zeit­punkt. Und dass der Vor­stand geschlos­sen zurück­tritt, ist dann doch wie­der etwas, was typisch grün ist: wir gewin­nen gemein­sam, und wir ver­lie­ren gemeinsam.

Ich zol­le Ricar­da und Omid und allen wei­te­ren Vor­stands­mit­glie­dern gro­ßen Respekt für die­sen Schritt. Ich bin mir sicher, dass ihnen die­ser Schritt nicht leicht gefal­len ist. Es ist ja immer auch ein biss­chen poli­ti­sche Traum­deu­te­rei, poli­ti­sche Pro­ble­me und Her­aus­for­de­run­gen allein auf die Per­so­nen – hier an der Spit­ze der Par­tei – zu pro­ji­zie­ren. Ich schät­ze alle Vor­stands­mit­glie­der, und ganz beson­ders Ricar­da und Omid. Das sind Gute! 

Gleich­zei­tig gehört zur Grö­ße eben auch, die Zei­chen der Zeit erken­nen zu kön­nen. Und die rufen laut­stark nach einer Neu­auf­stel­lung, nach einer Neu­erfin­dung. Das letz­te Mal ist die Par­tei Anfang 2018 durch eine sol­che Häu­tung gegan­gen, nach dem Schei­tern der Jamai­ka-Ver­hand­lun­gen, als Robert und Anna­le­na die Fun­da­men­te gelegt haben, die dann zur Regie­rungs­be­tei­li­gung 2021 geführt haben. Auch hier gilt: viel­leicht war es gar nicht nur die neue Idee von „grün“, die bei­de ver­kör­pert haben, viel­leicht war es auch ein Zeit­geist, der grü­ne Ideen hoch­ge­spült und grü­ne Poli­tik attrak­tiv erschei­nen las­sen hat. Den­noch hat die Neu­erfin­dung als „Bünd­nis­par­tei“ ihren Anteil dar­an: Grün als Pro­jekt, das für brei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung inter­es­sant sein kann und sich für brei­te Tei­le der Bevöl­ke­rung interessiert.

Etwas hämisch schrei­ben Journalist*innen davon, dass Ricar­da und Omid nur einen Über­gangs­vor­stand gebil­det haben. Das springt zu kurz: sie haben mit­ge­hol­fen, die Koali­ti­on zu zim­mern und sie haben die Klam­mer zwi­schen Par­tei und Regie­rung geschlos­sen. Das immer im Gegen­wind der Unzu­frie­de­nen, mit per­sön­li­chen Anfein­dun­gen und aus der poli­ti­schen Kri­se her­aus. Kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be. Und ob jemand ande­res die­se Zeit bes­ser gestal­tet und orga­ni­siert hät­te – das bezweif­le ich doch. 

Trotz­dem: es war zuneh­mend spür­bar, dass eine neue Idee für „Grün“ gebraucht wird, die über die Ver­tei­di­gung der Regie­rungs­be­tei­li­gung hin­aus­geht. Eine Idee, die dar­über hin­aus­geht, dass wir für Kli­ma­schutz und gegen Nazis sind, um es ganz platt zu sagen. 

Der Par­tei­tag im Novem­ber in Wies­ba­den bie­tet jetzt die Chan­ce, gleich in drei­fa­cher Hin­sicht eine Neu­erfin­dung hinzukriegen.

Ers­tens wird jetzt ein neu­er Vor­stand gewählt. Bis­her schwir­ren nur Namen für die Vor­sit­zen­den durch die poli­ti­sche Gerüch­te­kü­che. Ich bin gespannt, wer letzt­lich wirk­lich den Ring in den Hut wer­fen wird – und mit wel­chen Ideen eine sol­che Bewer­bung ver­bun­den wer­den wird. Poten­zia­le sehe ich vie­le. Und die nächs­ten Wochen bie­ten auch Raum dafür, sich zu profilieren.

Zwei­tens hat Robert – ich blei­be mal bei den Vor­na­men – ange­kün­digt, sei­ne mög­li­che Kanz­ler­kan­di­da­tur offen zur Debat­te zu stel­len. Zwi­schen Merz und Scholz hal­te ich ihn für ein Ange­bot, das glän­zen kann, wenn es rich­tig ange­gan­gen wird. 

Und drit­tens ist die­ser Par­tei­tag – auch vor den Ankün­di­gun­gen jetzt – einer, der in der poli­ti­schen Aus­spra­che die Chan­ce bie­tet, den in letz­ter Zeit ver­lau­fe­nen Kurs aus­zu­dis­ku­tie­ren und klar zu zie­hen. Es wäre zu kurz gedacht, das mit einer Ver­stän­di­gung über einen Kurs­wech­sel in der Migra­ti­ons­po­li­tik zu ver­wech­seln. Es geht auch um die Fra­ge, wie viel Eigen­stän­dig­keit in der Koali­ti­on sicht­bar sein soll, wie staats­tra­gend und wie grund­satz­treu wir auf­tre­ten, und wo wir mit­ge­hen und wo wir Nein sagen. Da schwellt sehr viel, im bes­ten Fal­le auch stell­ver­tre­tend für zumin­dest ein bestimm­tes Milieu – und das muss jen­seits von For­mel­kom­pro­mis­sen und Regie­rungs­zwän­gen mal geklärt werden.

Ich bin Dele­gier­ter für den Wies­ba­de­ner Par­tei­tag und habe nach mei­ner Wahl geschrie­ben, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe, mich als Dele­gier­ter zur Kan­di­da­tur zu stel­len – weil ich erwar­te­te, dass die­ser Par­tei­tag einer der schwers­ten der grü­nen Geschich­te wird, einer mit dem rea­len Risi­ko, dass wir uns ent­we­der zer­le­gen oder einen Zustand des frus­trier­ten Rück­zugs erreichen. 

An der Lage hat sich – eigent­lich – nicht viel geän­dert. Es bleibt falsch, alles auf ein­zel­ne Per­so­nen zu pro­ji­zie­ren, was sys­te­misch und in einer Orga­ni­sa­ti­on falsch läuft. Trotz­dem öff­nen Rück­tritt und Wahl des Vor­stands ein Fens­ter. Ich sehe jetzt eine reel­le Chan­ce, dass die­ser Par­tei­tag im Rück­blick einer sein wird, auf dem wir uns als Par­tei neu erfun­den haben, auf dem wir knapp ein Jahr vor dem plan­mä­ßi­gen Bun­des­tags­wahl­ter­min gemein­sam und selbst­be­wusst sagen kön­nen: das ist grün, und dafür ste­hen wir! 

Das wäre es wert.